Quelle: Archiv MG - BRD KIRCHE - Vom Mißbrauch des Verstandes durch den Glauben
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Aus Rom: "Instruktionen über die christliche Freiheit und die Be-
freiung"
WENN CHRISTEN SICH ANS ARGUMENTIEREN MACHEN... MARIA HILF!
Ein Streit um die erfolgreichste Methode der Mission - wen geht
der etwas an?
Der Streit zwischen den Theologen der Befreiung und ihrer Zen-
trale ist einer unter Brüdern. Einig sind sie sich in ihrem mis-
sionarischen Eifer, der Welt fehle nichts so sehr wie der rechte
Glaube. Einig sind sie sich weiter in ihrem Opportunismus, bei
der Verbreitung der Glaubenswahrheit schwer auf ihre Bedingungen
achten zu müssen. Und erst jetzt geht der Streit los: Hat die
Kirche in den Elendsvierteln des Imperialismus ein paar Vorlei-
stungen zu erbringen, um ihre Botschaft an den Mann bringen zu
können?
"Wir müssen die materiellen Bedingungen liefern, die eine Lebens-
weise in gottgefälliger Armut ermöglichen." (L. Boff, Theologie
der Knechtschaft und der Befreiung, 1980) Denn: "Für einen Men-
schen mit leerem Magen, der sich in einem Zustand körperlichen
Elends, in Wohnungsnot und im Kampf ums Überleben befindet, gibt
es keine Öffnung zur übernatürlichen Ordnung. Es gibt einfach ein
Mindestmaß an materiellen Bedingungen, das erfüllt sein muß,
damit man überhaupt vom Glauben sprechen kann." (Positionspapier
des chilenischen Episkopats bei der römischen Bischofssynode
1974)
Oder stellt sich der Glaube schon von selbst ein, wenn es den
Leuten nur dreckig genug geht:
"Die Armen, die Gegenstand der besonderen Liebe Gottes sind, ver-
stehen am besten und gleichsam initinktiv, daß die tiefste Be-
freiung, nämlich die von Sünde und Tod, durch das Sterben und
Auferstehen Christi bewirkt wird." (Vatikanische Glaubenskongre-
gation: "Instruktion über die christliche Freiheit und die Be-
freiung", 1986)
Sind "materielle Bedingungen" zu schaffen, um glauben, sprich
"das Irdische" nach Herzenslust verachten zu können? Oder ist
nicht die Bedingung fürs Missionieren, daß die Herrscher dies zu-
lassen: Müßte die Kirche nicht für mehr Gerechtigkeit kämpfen?
Oder sollte sie vor allem die Herrscher an ihren gottgegebenen
Auftrag erinnern, für Gerechtigkeit zu sorgen, sprich: für die
Regelung ordentlicher Verhältnisse auf Erden zuständig zu sein?
Ein Disput also, bei dem die Kluft nicht allzuweit klaffte. Was
sich auch der Art seiner Beilegung entnehmen läßt. Kaum wiederho-
len die Chefdogmatiker aus Rom ihre Position unter Beschlagnah-
mung des von der Gegenseite ins Gespräch gebrachten Ehrentitels
der "Befreiung", schon weiß sich diese gut bedient: "Ein Papst
der Befreiung!" "Er hat dazugelernt." (Boff)
Und warum soll der gebildete Westeuropäer diesen Quatsch heute
interessant finden: Weil der Papst dazugelernt hat. Die Zeiten,
in denen man ideell für die Befreiung des südamerikanischen Kon-
tinents zuständig war, sind vorbei. Vorbei auch die aufregende
Gleichsetzung von Bekehrung mit Revolution. Heute soll man toll
finden, wie "tolerant" die Kirche ihre "Abweichler" an das ge-
meinsame Dogma erinnert. Welche Mühe sie sich mit ihren Kritikern
gibt, die sie doch auch einfach - wie mit Boff geschehen - per
Rede- und Schreibverbot mundtot machen kann. "18 Monate", um eine
neue Instruktion "auszuarbeiten", wenn das nicht für die Kirche
spricht! Und von welch bestechender "Klarheit" die Argumente!
Die Tour, mit der die Kirche ihre "abgefallenen" Schäfchen abge-
kanzelt hat, hat allseits Anklang gefunden. Nirgends ein Wort ge-
gen den O p p o r t u n i s m u s des Machwerks. Und auch der
D o g m a t i s m u s ist niemandem unangenehm aufgefallen. Of-
fensichtlich teilt alle Welt die M a ß s t ä b e, an denen die
Kritiker gemessen, und die M e t h o d e n, mit Hilfe derer sie
für zu leicht befunden werden.
Sicut erat in principio - Ausbruch verboten!
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Die erste Hinterfotzigkeit der ehrenwerten Schrift besteht in ei-
nem nicht zu übersehenden Themawechsel. Sie hebt den Streit auf
die prinzipiellste aller Ebenen. Über Befreiung will sie nur re-
den, indem sie
"'die ganze Tiefe der Befreiung' in den Mittelpunkt stellt. Jesus
Christus hat den Menschen nicht irgend eine Befreiung, etwa von
Krankheit oder gesellschaftlicher Unterdrückung, und nicht eine
Befreiung auf Zeit, etwa für drei oder fünf Jahre gebracht, son-
dern die Befreiung in jeder (!) Hinsicht und für immer, nämlich
die Befreiung 'vom radikalsten Übel, der Sünde und der Macht des
Todes'. ... Es gibt keinen innerweltlichen Ausbruch aus der End-
lichkeit und Begrenztheit des Menschen in eine irdische Gesell-
schaft der endgültigen Freiheit und des bleibenden Glücks."
(Höffner in "Welt am Sonntag", 6.4.86)
Daß die "wahre Freiheit" jenseits aller irdischen Genüsse los-
geht, hatten die Befreiungstheologen zwar nie bestritten:
"Denkt daran, liebe Arbeiter, daß die wichtigsten Lebensnotwen-
digkeiten (!) von christlichem Standpunkt aus zu beurteilen sind,
daß die materiellen Güter, mögen sie auch noch so nötig sein,
nicht vollkommen das Herz des Menschen erfüllen..." (Erzbischof
Romero in: "La Voz sin Voz", 1980)
Aber was soll's. I r g e n d e t w a s haben sie doch zu mosern
gehabt. Und das wäre auf keinen Fall passiert, wenn sie fest im
Glauben und seinen Prinzipien gewesen wären. Denn Glaube macht
stark und einig und hütet sich vor jeder "Konfliktbetonung".
Was lernt man daraus? Dogmatiker stehen auf Glaubensprinzipien.
Die geben ihnen Halt. Deshalb führen sie jede Kritik auf einen
Mangel an Prinzipienfestigkeit zurück. Deshalb verpflichten sie
als erstes den Kritiker auf ihr Bekenntnis. Deshalb hoffen sie,
durch stete Wiederholung dieses Procedere auch beim Verstockten
die nötige Starre zu erzielen, die jede "Abweichung" von vornher-
ein im Keim erstickt.
Fast hätten wir's vergessen. Woran soll sich die aufgeklärte
Menschheit 1986 halten? Vorm Tod schiebt sich nichts "Wahres" -
je künftiger "das Geheimnis", desto "Kraft" spendet die Freude.
Na denn, fröhliche Auferstehung!
Wer oder was spricht fürs Prinzip? -
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Techniken des dogmatischen Denkens
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Und kriegt man vielleicht ein paar Argumente geliefert, warum man
sich ausgerechnet dieser Todesfreiheit anschließen soll? Man darf
sich ihr nicht verschließen:
"Die Freiheit des Denkens bedeutet nicht, 'daß sich der menschli-
che Verstand dem Licht der göttlichen Offenbarung' verschließen
dürfe."
Und warum nicht?
"Indem er sich 'der göttlichen Wahrheit öffnet, erreicht er eine
Blüte und Vollkommenheit, die eine überragende Form von Freiheit
darstellen'." (Höffner)
Und irgendwie haben die Dogmatiker so unrecht nicht. Wenn es bei
der Freiheit des Denkens vor allem darauf ankommt, daß man es
d a r f, warum sollte es sich dann nicht dazu entschließen,
nicht ganz dicht zu sein, sich aufzumachen und den Herrn reinzu-
lassen? Wenn die Wissenschaft schon keinen Gegensatz zum Glauben
mehr entdecken kann, dann ist umgekehrt der Glaube so frei, sich
deren Verfahrensweisen zu bedienen. Denken ist dasselbe wie Glau-
ben - nur nicht ganz so vollkommen. Letzterer macht ihm vor, wo-
rauf es bei beiden ankommt: Das A und O ist die Entscheidung für
Prinzipien. Also geht die Qualität des Gedankens ganz in der mo-
ralischen Integrität ihres Urhebers auf. Prinzipien dürfen nicht
verheimlicht, sondern müssen schonungslos offengelegt werden
(vgl. den vorangegangenen Punkt). Soviel Ehrlichkeit macht glaub-
würdig. Auch die eigene Prinzipienreiterei ersetzt als Treue zur
eigenen Sichtweise das Argument, wenn Denken und Überzeugung
nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Wenn ein Prinzip allgemein
anerkannt ist, ist es über jeden Einwand erhaben.
"Das Bewußtsein von Freiheit und Menschenwürde... ist eines der
hauptsächlichen Kennzeichen dieser Zeit.... starke Sehnsucht nach
Befreiung, die unsere Welt bewegt. Die Kirche macht sich diese
Sehnsucht zu eigen, wobei sie jedoch stets ihr Urteilsvermögen im
Licht des Evangeliums anwendet, das aus sich selbst bereits eine
Botschaft der Freiheit und der Befreiung ist."
Auf den feinen Unterschieden zwischen staatsbürgerlicher Freiheit
und "wahrer" Freiheit reitet das Dokument hier nicht weiter
herum. Im Kern laufen sie auf dasselbe - "eine Bewußtseinsfrage"
- hinaus: anders könnte die Kirche sie sich ja nicht "zueigen"
machen. Und so ist hier das beste Argument für das Dogma, dem man
anhängt, der Opportunismus, mit dem es unter die Leute gebracht
wird. Flexibilität ist - wie ihr Gegenteil - eine ehrenwerte Cha-
raktereigenschaft, ja seit Paulus' Zeiten Gebot jeder missionari-
schen Tätigkeit.
P r i n z i p i e n - Wahrheiten, die hinter, jenseits oder über
aller dem menschlichen Verstand zugänglichen Wirklichkeit hausen
- haben es an sich, nicht anders als mit s i c h s e l b s t,
und das heißt mit dem B e k e n n t n i s desjenigen, der von
ihnen e r l e u c h t e t wurde, begründet werden zu können.
Gott nicht für sich selbst sprechen zu lassen, sondern mit
"Verstandesgründen" beweisen zu wollen, ist eine Beleidigung sei-
ner Hoheit - der Kniefall, den der Gläubige ihm bezeugt, macht
ihm alle Ehre. Und den macht uns allen Maria, die reine Magd, mit
unnachahmlicher Grazie vor. Deren ausgiebige Anrufung als Vorbild
für alle Gläubigen ist der Süddeutschen Zeitung als "peinlich"
aufgestoßen. Daß man die Sache mit dem lieben Jesulein so sehen
s o l l, weil man sie n i c h t a n d e r s sehen k ö n-
n e n soll; daß für den Glauben nichts spricht außer ihm selbst:
das lassen sie dem Papst lässig durchgehen. Wenn für die
P r i n z i p i e n des Glaubens mit ihrer G ü l t i g k e i t
gedroht und dafür eine A u t o r i t ä t nach der anderen ange-
karrt wird, sind sie voll d'accord. Und ausgerechnet bei der Ma-
ria soll das Verständnis aushaken? Diese Heuchelei ist mehr als
peinlich. Sie verdankt sich dem Bestreben, als aufgeklärter Zeit-
genosse noch i r g e n d e i n e D i f f e r e n z zum Glauben
aufmachen zu wollen. Dabei ist die Maria wirklich gut durchkon-
struiert - ganz Frau und dennoch frei:
"Ganz von Gott abhängig und durch ihren Glauben ganz auf ihn an-
geordnet ist Maria an der Seite ihres Sohnes das vollkommenste
Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kos-
mos. Auf Maria muß die Kirche... schauen, um den Sinn ihrer Sen-
dung in ihrem vollen Umfang zu verstehen."
Warum für Dogmatiker "müssen" ein Argument ist. Oder:
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Die durch die Gleichung: Glaube = Wahrheit = das Gute
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bewerkstelligte Selbstgerechtigkeit
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Wie man der eben zitierten "Blüte der Vollkommenheit" unschwer
ansieht, ist der Glaube nicht Produkt mehr oder weniger ange-
strengten und dabei fehlerhaften Nachdenkens, sondern eines
E n t s c h l u s s e s, der es in sich hat. Mit ihrem Glaubens-
bekenntnis zu einer e i n g e b i l d e t e n Knechtschaft vorm
höchsten Herrn machen sich Untertanen frei von allen wirklichen
Abhängigkeiten, die sie so einerseits für unerheblich und damit
lässig aushaltbar erklären. Andererseits sagen sie mit ihrem
F r e i h e i t s credo, daß sie sich nichts Edleres vorstellen
können, als D i e n e r sein zu w o l l e n: Was sie tun
m ü s s e n, ist ihnen nicht vorgegeben, sondern ganz in ihr
B e l i e b e n gestellt. Und sie haben sich nun mal dazu ent-
schlossen, ihre Freiheit völlig auf "die Abhängigkeit hin anzu-
ordnen". Mehr als 'Wohl bekomm's' gäbe es dazu nicht zu sagen,
wenn nicht diese Marienanbeter und Kreuzesliebhaber von einer
auffälligen Unzufriedenheit angestachelt würden. Sie ruhen und
rasten nicht eher, bis alle Welt so schafsbrav rumläuft wie sie
selbst, die bereits der "wahren Erlösung" teilhaftig geworden
sind. Die Entscheidung f ü r G o t t, mit der sich der Gläu-
bige selbst erniedrigt, ist nicht zuletzt deshalb so beliebt,
weil Gott - samt all den ihm vorbehaltene Attributen - nun gar
nicht anders kann, als m i t einem zu sein. So verwandelt sich
die ganz banale Untertanenstellung in den Gipfel der Erleuchtung.
Die praktische Lebensmaxime des Gehorsams kommt als
W a h r h e i t und Ausbund von G u t h e i t daher.
So erklärt sich die U n v e r s c h ä m t h e i t desjenigen,
der die Wahrheit immer schon auf seiner Seite hat, weil er für
das Richtige ist. Für ihn erübrigen sich Argumente in der Ausein-
andersetzung mit Anders- und Nichtgläubigen und Zweiflern. Das
hat zwar den Nachteil, daß er nur Leute beeindrucken kann, die im
Prinzip schon für den lieben Gott sind. Das ist der Haken, aber
auch d s Einfache an der B e k e h r u n g. Zweifel und Unglau-
ben treibt man aus, indem man sie aufspürt und verbietet:
"...hat es die Kongregation für notwendig befunden, auf Abwei-
chungen und Gefahren der Abweichung... aufmerksam zu machen."
Und w a s spricht gegen das Abweichlertum?
1. Niemand anderer als d i e h ö c h s t e I n s t a n z, die
die Kirche mit Unterscheidungsvermögen ausstattet:
"Durch den Geist des Herrn erleuchtet, vermag die Kirche unter
den Zeichen der Zeit diejenigen zu erkennen, die Befreiung ver-
sprechen, und solche, die trügerisch und illusorisch sind."
2. Die Tatsache, daß sich die Nicht-Abweichler "z u R e c h t"
ans Prinzip halten.
3. Letzten Endes richtet sich die Abweichung selbst. Denn d a ß
sie abweichen, wird niemand bestreiten können. Weil sie einem
Haufen vorstehen, in dem alle (fast) auf Linie, können sich die
für die Reinheit der Lehre Verantwortlichen umständliche Widerle-
gungen sparen. Da genügt schon mal der feinsinnige Hinweis, daß
alle Andersartigkeit "absurd":
"Die Kirche geht nicht aus von der absurden Bindung an ein angeb-
liches Gesetz der Geschichte."
Man "m u ß" nur von den richtigen Prinzipien ausgehen - und
schon "versteht" man, wie "tief" und "leuchtend" Wahrheit sein
kann:
"Im Licht des Glaubens versteht man... die Heilsgeschichte die
Geschichte von der Befreiung vom Bösen... Man muß durch eine,
tiefe Betrachtung des Heilsplans, wie er sich vor der Muttergot-
tes im Magnificat ausbreitet..."
Und wen die V o r s c h r i f t e n, welcher Sichtweise man
sich zu befleißigen hat, und der Hinweis, daß die Folgsamen sich
ihrer zu Recht bedienen, nicht überzeugen, dem kann ein kleines
Denk v e r b o t nicht schaden. Durch die Schonung des Verstands
sollen schon wohltuende und heilsame Wirkungen auf das Glaubens-
vermögen erzielt worden sein.
Einerseits - andererseits. Der Opportunismus der Glaubenswächter
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Was den Streitpunkt angeht, der Anlaß für die Verfertigung der
Instruktion war, so war die Stellung der Kirche dazu schon vorher
klar. Sie hält nichts von dem Vorgehen der Befreiungstheologen.
Deshalb läßt sie sich aber keineswegs zu einer Stellungnahme fol-
gender Art hinreißen: 'Die beste Art und Weise der Mission ist in
Südamerika wie überall ein Pakt mit den Mächtigen. Für unseren
Zweck ist es völlig ausreichend, die Armen seligzusprechen. Wei-
tergehende Schritte, wie etwa die Schaffung von Glaubensanreizen,
haben zu unterbleiben!' Das Verbot von Aktionen, die über das Lob
der Armut hinausgehen, will nicht als sture Anordnung, sondern
als wohlabgewogenes Urteil erscheinen, das die Positiva des Kon-
trahenten in die eigene Meinungsbildung mitaufgenommen hat. Man
beliebt, sich t o l e r a n t zu geben und das Nein zur Befrei-
ungstheologie in eine m e t h o d i s c h e Richtlinie zu ver-
packen. "Der Mensch" ist "in all seinen Dimensionen" zu sehen,
"Glied der Gottesstadt" - "z u e r s t" -, "d a n n" aber auch
"Bürger der irdischen Stadt". Bei seiner Befreiung sind seine
Seiten "in Beziehung zu setzen". Wenn die Kirche "das Wohl des
ganzen Menschen will", hat sie; unbedingt "d a s
V e r h ä l t n i s" seiner Teile zu beachten. Womit wir wieder
beim Prinzip wären, in das sich das heuchlerische Sowohl-als-auch
auflöst:
"Im Licht der transzendenten Ordnung ist das notwendige Engage-
ment für die irdischen Aufgaben im Dienst am Nächsten und an der
menschlichen Gemeinschaft zugleich dringlich geboten und in sei-
ner richtigen Perspektive gewahrt. Die Seligpreisungen bewahren
vor der Vergötzung irdischer Güter und ungerechter Vorteile, de-
ren zügellose Suche jene auslöst. Sie halten von utopischer und
zerstörerischer Suche nach einer vollkommenen Welt ab; 'denn die
Gestalt dieser Welt vergeht'." Das Tätigwerden "f ü r die irdi-
schen Aufgaben" reduziert sich auf ein rein n e g a t i v e s
Eingreifen: den Menschen von der Wertschätzung irdischer Güter
a b h a l t e n. Die zweite Seite, die da als zusätzliches Auf-
gabenfeld einer mit der Zeit gehenden Kirche eingeführt wird, ist
ganz mit ihrer Haupt- und Magenseite identisch. Die Brüder sollen
aktiv werden, um dem Glauben (der dem Volk, dem frommen, immer
schon anhaftet, so daß man es nur noch dauernd bekehren muß - nur
ein kleiner Nebenwiderspruch) Geltung zu verschaffen; um dafür zu
sorgen, daß der Glaube - und nichts sonst - "sich verwirklicht":
"Man muß dem Glauben der Armen helfen, sich klar auszudrücken und
sich im Leben zu verwirklichen."
Wie sorgt man daher für "gesellschaftliche Befreiung"?
"Es müssen... die Bedingungen geschaffen werden, die eine
'wahrhaft menschliche Freiheit' garantieren."
Die "materiellen Bedingungen", von denen die Befreiungstheologen
reden, sind schon ziemlich allgemein gehalten und auf das Notwen-
digste reduziert. Abstrakter aber als "die Bedingungen", auf die
die Kongregation anspielt, geht's nun wirklich nicht.
Frei zu sein bedarf es wenig...
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Die Propaganda der Kirche für den idealen Untertan
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Das Dokument hält den Befreiungstheologen vor:
"Christliche Theologie ist nicht nur 'Hören auf das Volk'." (FAZ,
8.4.86)
Damit soll nicht gesagt sein, daß man nicht nach Belieben aus dem
Volk raushören dürfe, was man von ihm will. Man muß nur das Rich-
tige in es hineinhören. Und dazu muß die Kirche mit Hilfe des be-
währten "Zuerst - dann aber auch" ihr Ohr den Führern des verehr-
ten Volks leihen, die schon wissen, was sie mit ihm vorhaben. Op-
portunismus in allen Ehren. Aber man muß doch als Kirche -
"gleichsam instinktiv" - ein Gespür dafür haben, an wen sich an-
gebiedert gehört. Diesem Riecher der Kirche für das, was "unsere
Welt bewegt", verdankt sich der schwer ins Grundsätzliche gehende
Charakter der Schrift. Wohlwissend, daß man mit den Idealen eines
Boff heute nicht einmal mehr einen deutschen Intellektuellen hin-
term Ofen vorholt, wird nach der Devise "Es gibt wichtigere Dinge
als die Gerechtigkeit" die Armut in Freiheit, der Glaube, der da
frei macht, in den Mittelpunkt gerückt. Das gefällt nicht nur der
FAZ:
"Das Eintreten für die Armen... wird bedingungslos aufgenommen.
Dadurch wird das Anliegen der Befreiungstheologie gewahrt, doch
zugleich deren Enge vermieden, die sie durch die Konzentration
auf das eine Thema der Gerechtigkeit in Kauf nimmt." (8.4.86)
Welche Klarstellungen hält also die Kongregation mit ihrer
"Option für die Armen" für angebracht?
1. Die Kirche ist f ü r die Armen - wie alle, die etwas von ih-
nen wollen, vorzugsweise Opfer nämlich. Jemand, der gegen die Ar-
men wäre, ist uns zwar nicht bekannt. Dennoch: Respekt dem muti-
gen Eintreten der Kirche für alle Betroffenen!
2. Die Armen sind s e l i g, denn sie kommen der Wahrheit der
F r e i h e i t, ob sie nun wollen oder nicht, ganz nah: Sie ist
ein G e s c h e n k, für das man sich n i c h t s k a u f e n
kann, eine G n a d e, derer man sich durch die r e c h t e
Lebensführung w ü r d i g e r w e i s e n muß, ein
G e h e i m n i s, das jeder Christ knackt, wenn er das, was er
muß, ganz von selber w i l l. Die Freiheit bringt ihrem Besit-
zer keine V o r t e i l e. Vielmehr veranlaßt sie ihn dazu,
freudigen Herzens auf sie zu v e r z i c h t e n. Mehr als den
r e c h t e n G l a u b e n hat man nicht von der Freiheit.
Aber den kann einem keiner nehmen.
3. Bei der Armut wie der Freiheit kommt es schwer auf den
g u t e n W i l l e n aller Beteiligten an. Andernfalls würde
nämlich nichts mehr hinhauen - und das wäre nicht "gottgefällig".
H a ß auf Feinde ist unchristlich, also gibt es keine
F e i n d e mehr, wo sich nach Kräften nächsten-geliebt wird.
"Die soziale Ordnung muß dem Hauptgebot der Liebe entsprechen."
Da gibt es keine Gegensätze zwischen den Klassen, zwischen Poli-
tikern und Untertanen mehr, sondern nur noch ein allen Beteilig-
ten gemeinsames S t r e b e n. Das darf niemandem abgesprochen
werden. (Ausnahmen im Ostblock bestätigen die Regel.)
4. Wenn die Besitzer der Freiheit den Eindruck haben, ihre Näch-
sten, die "Besitzer von Reichtum und Macht", würden sich nicht
genügend um ihre Aufgabe, "die Ordnung", bemühen, dürfen sie sie
mit noch mehr Gehorsam erpressen. "P a s s i v e r Widerstand"
ist erlaubt im "Dienst am Nächsten und an der Gemeinschaft".
5. Und was läßt sich mit diesen "Reichtümern des Glaubenssinnes"
alles anfangen: Man kann z.B. die "Frage der Freiheit" contra den
"Mythos der Revolution" aufwerfen und der Welt mitteilen, daß
Gott immer noch was mit ihr plant. Sein "H e i l s p l a n",
der seit je "die Beseitigung des Bösen" vorsieht, ist nach wie
vor unerledigt.
So daß "Überraschenderweise" auch noch "das Problem des Tyrannen-
mordes" abgehandelt werden mußte. Boff nach Polen.
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