Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE AKW-GEGNER - Haben die AKW-Gegner recht?
zurück Marxistische Gruppe, Juni 1980 Räumung der Bohrstelle 1004BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GEGEN FREIE REPUBLIK WENDLAND
Die Räumung ----------- Die Bundesrepublik Deutschland läßt derzeit in Gorleben durch Tiefbohrungen feststellen, daß dort eine Atommüll-Endlagerungs- stätte errichtet wird. Dabei sind einige hundert Demonstranten, zeitweilig auch mehr im Weg. Innenminister Möcklinghoff hat aus- richten lassen, daß sie dabei gegen 310 StGB "fahrlässiges Her- beiführen einer Brandgefahr im Waldgebiet" -, das Postgesetz, wahrscheinlich auch gegen das Lebensmittelgesetz verstoßen. Gegen "harmlose" Leute und ihren Idealismus, der ein Waldgebiet vor seiner Zerstörung durch "KZ-ähnliche" (Wendland-Jargon) Betonmau- ern von Atommülldeponien retten will, haben Deutschland und seine Innenminister nichts einzuwenden. Allerdings nur, wenn sie ihren Idealismus nicht gerade dort in einem Anti-AKW-Dorf praktisch werden lassen, wo die Betonmauern hingebaut werden sollen. Das geschriebene Recht hat nämlich auch festgelegt, daß deutsches Ka- pital ohne leichenträchtige Kernkraftwerke samt Endlager nicht auskommt. Also werden sie gebaut. Wer hier nicht zwischen "Recht" und "Unrecht" unterscheiden kann, wird seit Mittwochmorgen 8.30 Uhr durch Polizei und Bundesgrenzschutz, Panzerfahrzeuge, Wasser- werfer und schweres Räumgerät belehrt. So geht Staatsbürgerkunde ganz praktisch: auf den "ganz lieben Leuten", die gleich zu Be- ginn ihrer Aktion den Innenminister informierten, daß sie unter allen Umständen "gewaltfrei" agieren wollen, tanzen nun die Poli- zeiknüppel. Ein BRD-Bürger muß zwischen Recht und Unrecht unter- scheiden können; dafür, daß er es auch tut, ist die Demokratische Gewalt da. Die Geräumten ------------- "haben sich ausdrücklich für passiven Widerstand ausgesprochen" (BBA), vor Errichtung ihres "Dorfes", während seiner gewalttäti- gen Räumung und danach. Die von allen Politikern und ihren Hof- schreiberlingen gezogene Lehre nach dem 6. Mai in Bremen, auf die noch bei jeder kritischen Regung in der Bevölkerung ab sofort Be- zug genommen wird, haben auch sie sich zu Herzen genommen: prote- stieren darf nur noch, wer damit zum Ausdruck bringt, daß er Wi- derstand gegen die Staatsgewalt nicht gemeint haben will. In die- sem Sinne haben einige hundert Demonstranten die Zeit in ihrem selbstgezimmerten Dorf damit zugebracht, auf jedem Thing der Be- wohner nur die eine Frage zu diskutieren: "Wie verhalten wir uns angesichts der anstehenden polizeilichen Räumung?". Wechselseitig hat man sich versichert, was auf keinen Fall geht. Nämlich durch Widerstand gegen die Polizeiknüppel in den Ruch undemokratischer Gewalttäter zu geraten. Daß solche Sprüche auf dem "Dorfplatz" der ausgerufenen "Freien Republik Wendland" zum einzigen Inhalt des dörflichen Treibens wurden, belegt nur, wie ernst es den Teilnehmern damit ist, das eine zu beweisen: man selbst ist ein lauterer demokratischer Charakter, weil man der Gewalt abschwört, die hierzulande das Mittel der demokratischen Berufspolitiker ist. Vom Protest ----------- gegen Kernkraftwerke hat sich diese Bewegung schon längst verab- schiedet. Bewegt wird diese Bewegung einzig und allein durch die immer wieder vorgetragenen Gelöbnisse, wie weit der eigene Pro- test auf keinen Fall geht. Zu diesem und keinem anderen Zweck ha- ben sie mitten in die Bundesrepublik die "Freie Republik Wend- land" gesetzt, um den eigenen Idealismus zu demonstrieren, daß man sich die Demokratie lieber ohne Gewalt vorstellt, bevor man gegen sie ist. Noch während auf den "Ämtern" der jungen Republik mit "Pässen" für die freien Wendländer der Mechanismus der demo- kratischen Herrschaft bis ins Detail nachgestellt wurde, nur ohne Polizei, widerlegte die demokratische Republik BRD ihren jungen Abkömmling - mit Polizei. Demokratie und Gewalt gehören eben zu- sammen. Wer es nicht glauben will und sich zu diesem Zweck noch an einen unpassenden Ort begibt, bekommt die Wirklichkeit dieser Gleichung zu spüren. Davon ganz unbeeindruckt beginnen die Wend- land-Republikaner mit und ohne Verletzungen noch am selben Abend, eine "Botschaft" ihres erfundenen Staates in die Bremer Innen- stadt zu bauen - und denken sich nichts dabei, daß ihr nachgebau- tes Staatsorgan Erfindung und, Mittel derer ist, von denen sie verhauen wurden. Die Kommentatoren ----------------- tun sich einerseits sehr leicht: wer gegen einschlägige Gesetze verstößt - siehe oben - muß sich von seinem Rechtsstaat notfalls zur Raison knüppeln lassen. Andererseits: haben nicht diese De- monstranten genau das getan, was nach den Ereignissen in Bremen die Tugend eines jeden sein muß, der protestieren geht, wenn er es schon nicht lassen kann? Ausgerechnet die Leute, die keinen anderen Zweck hatten, als zu beweisen, daß ihre Unzufriedenheit mit dem AKW-Ausbauprogramm nur Konsequenzen der Friedfertigkeit zuläßt, werden "unter Tränen verprügelt, ohne einen Finger krumm zu machen." (NDR II) Da quält die berufsmäßigen Hetzer von Presse und Medien ein demokratisches Gewissen. Nicht, daß sie nicht wüß- ten, für wen sie sein sollten - Rechtsbruch ist Rechtsbruch. Aber eine herzliche Parteinahme für die staatlich organisierten Schlä- ger, so wie in Bremen, ist hier einfach nicht drin, weil die Ge- genseite den Panzerfahrzeugen nicht einmal Dachlatten entgegenge- setzt hat. Da muß man schon einmal höflich anfragen, ob die ge- schätzte Gewalt sich hier nicht in ihren M e t h o d e n ver- griffen hat. Oder dasselbe gleich juristisch-polizeitaktisch aus- gedruckt: ob die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" hier nicht zu verhältnismäßig war. Zumal wenn man bedenkt, daß selbst die Pres- sefritzen von der staatlichen Gewalt nicht einfach gebeten, son- dern am Bohrplatz "genötigt" wurden, bei der Schlägerei wegzu- gucken. Gezetert wird daher weniger über staatliche verordnete AKW, auch nicht über zusammengeprügelte Demonstranten, wohl aber über die möglicherweise eingeschränkte Berichterstattung über beides. Und das ist für jeden demokratischen Schreiberling der Anfang vom Ende der Demokratie. Auch die Fraktionen, die aus ihrer Solidarität mit den "Dorfbewohnern" in 1004 kein Hehl machten, wissen genau, wofür sie sind, wenn sie ihre Solidaritätsadressen verlesen. Die jungen Pioniere von SPD und FDP erledigen prompt, wozu sie von ihren Mutterparteien zwar nicht belobigt, aber gebraucht werden. Sie machen auf Sympathie mit den Besetzern. Im wohlverstandenen Sinn natürlich. Die "Atomparteien" will ja keiner von den Jusos und Judos verlassen, und für die Koalition ist jede Stimme wertvoll. Die BBU meint, "daß die Atmosphäre unnötig (!) weiter vergiftet wurde" und Adamietz von den Grünen bescheinigt den vom Bohrplatz Geprügelten einen überwältigenden "politischen Erfolg": mit ihren Blessuren haben sie angeblich "die angerückten Panzerspähwagen politisch eindrucksvoll widerlegt." Bewiesen wurde freilich nur, daß selbst ein harmloses Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit heute nicht ungefährlich ist, wenn es gerade an einem Loch abgegeben wird, wo die Gewalt ein Endlager ausheben will. Damit sie es bauen kann, wurden schließlich störende Idealisten aus dem Weg geräumt - "unnötig" war also ihr Einsatz keinesfalls. Es sei denn, der Bürgerverband will mit seinem Hinweis andeuten, daß bei seinen Formen des Anti-AKW-Protestes der Ausbau der Kernkraftwerke wirklich leichter zu haben ist für die andere Seite. So wie die Dinge liegen, ist an dieser Einschätzung etwas dran. Die Perspektive --------------- Alle öffentlichen Begutachtungen der Räumungsaktion wissen, f ü r wen sie sind: ob der Rechtsbruch des Anti-AKW-Dorfes be- klagt, die "unnötige" Vergiftung der Atmosphäre (hier sind nicht die AKW gemeint) bejammert, oder den Leuten an der Bohrstelle ihre demonstrierte Friedfertigkeit hoch angerechnet wird, die de- mokratischen Tugenden eines BRD-Bürgers stehen gut da und zu ih- nen steht man. Daß man nicht so leichten Herzens g e g e n die Bürger der "Freien Republik Wendland" sein kann, auch wenn sie sich rechtswidrig auf einem Bohrloch getummelt haben, hat genau denselben Grund. Auch sie haben nichts anderes getan, als sich zur gewaltfreien Demokratie zu bekennen - nur mit dem Haken, daß sie dabei mit der Gewalt der Demokratie aneinandergeraten sind. Das Einverständnis mit dem politischen Grund der Räumung und ge- wisse moralischen Bedenken angesichts der Form ihrer Durchführung werden unsere gefuchsten Politiker schon vereinbaren: man darf letztere eben nicht als Argument g e g e n die Räumung mißver- stehen - was sie auch gar nicht sein wollen -, sondern als Beleg dafür, worin die demokratische Qualität von Polizeiaktionen 1980 besteht. Nämlich darin, daß die uneingeschränkte Durchführung ihre öffentlich vorgetragene Probelmatisierung Oberhaupt noch zu- läßt. Und wenn es trotz einiger Versuche nicht gelingt, den Be- setzern nachträglich doch noch die eine oder andere Dachlatte an- zuhängen, um im Volke eine rechte Begeisterung für die Schlägerei zu wecken, bewährt sich wohl eine andere Tour: unsere demokrati- schen Führernaturen werden dem Bekennertum ihrer friedliebenden Opfer im Gorleben ein kleines Lob spendieren u n d die Knüppe- lei gegen sie als eine Selbstverständlichkeit hinstellen. Recht haben sie: Bekenntnisse der Art 1004 sind zwar gefragt, aber nur, wenn sie nicht als Störung auftreten. zurück