Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE AKW-GEGNER - Haben die AKW-Gegner recht?


       zurück

       Tschernobyl an der Uni
       

VERANTWORTUNG DER WISSENSCHAFT

"Die Gefahren, die von Wissenschaft und von der technischen An- wendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgehen, sind kaum Be- standteil der universitären Lehre. In den Köpfen der meisten Leh- renden und Lernenden spukt immer noch die Idee von der 'wertfreien Wissenschaft' herum. Daß Wissenschaftler und Techni- ker eine ethische und politische Verantwortung für ihr Tun zu tragen haben, zeigt sich aber spätestens seit den Katastrophen von Seveso, Bhopal und Tschernobyl. Wissenschaft muß über die Ge- fahren von Technologien aufklären, damit alle Bürger entscheiden können, welche Gefahren tragbar erscheinen und welche nicht. Des- halb ist es wichtig, daß sich die Studenten und Studentinnen mit den Folgen der Anwendung ihres Wissens befassen." (Ankündigung für eine Veranstaltung der Unabhängigen Fachschaften über "Biologische Strahlenwirkungen - Medizinische und politische Kon- sequenzen") 1 Die Erkenntnisse und Erfindungen von Naturwissenschaftlern und Technologen braucht es unbestreitbar, um die Welt mit Giftfabri- ken, Atomkraftwerken und Cruise missiles vollzustopfen. Daß des- wegen von Wissenschaft und Technologie die Gefahren für Leib und Leben ausgehen, ist ein falscher Rückschluß. Das Gesetz der Erd- beschleunigung bzw. seine Entdecker sind ebensowenig der Grund für die Berechnung von Granatenbahnen, wie aus den Formeln für den Atomzerfall der Bau von Bomben oder Kraftwerken folgt. Staat und Kapital sind die Urheber, Wirtschaftswachstum und Kriegsvor- bereitung die herrschenden Zwecke, die Konstruktion und Anwendung von Atomkraftwerken und -bomben diktieren. Von S t a a t u n d K a p i t a l "gehen die Gefahren aus" - nicht von der Wissen- schaft. 2 Die Forderung, die Wissenschaftler sollten Verantwortung für ihr Tun übernehmen, ist das Eingeständnis, daß diese n i c h t d a s S u b j e k t der Anwendung ihrer Erkenntnisse sind - sonst bräuchten sie sich nicht dazu aufrufen, sich doch endlich darum zu kümmern. Zugleich aber stellt der Aufruf der Wissen- schaftler an die eigene Adresse, man sollte als Wissenschaftler und Techniker Verantwortung übernehmen, alles andere dar als das Eingeständnis, daß der Beruf Physiker etc. eben nichts anderes bezeichnet als einen bestimmten D i e n s t an den in dieser Gesellschaft herrschenden Interessen, der nach deren Maßgabe ein- gerichtet ist. Im Gegenteil. Die S c h ä d i g u n g e n, die mit der Anwendung wissenschaftlicher Resultate zum Nutzen von Ka- pital und Staat erzeugt werden, sollen die Naturwirte s i c h zu Gemüte führen und dabei so tun, a l s o b sie die Subjekte des Umgangs mit ihrem Wissen wären - ideell und in moralischer Hinsicht, versteht sich. Sie sollen die Schädigungen so betrach- ten, als wären sie ein Widerspruch zu ihrer Tätigkeit als Natur- wissenschaftler: also das Ideal der A l l g e m e i n v e r t r ä g l i c h k e i t i h r e s D i e n s t e s pflegen. Dieses Ideal nimmt seinen Aufschwung regelmäßig aus Anlaß von Ka- tastrophen, wenn das Ausmaß der Schädigung den gewöhnlichen Rah- men überschreitet und das Urteil 'O wie schlimm' billig zu haben ist. Da bringen Naturwissenschaftler, ohne deren treue Mitwirkung weder das Funktionieren noch das Hochgehen der technischen Anla- gen passiert wäre, ihr Gewissen ins Spiel: haben sie genug an die "Folgen der Anwendung ihres Wissens" gedacht? Diese Bekundung von moralischem Selbstbewußtsein enthält eine dicke Lüge. Die Physi- ker und Chemiker, die ein AKW hochziehen, müssen auftragsgemäß immerzu die üblen "Folgen" dieses Apparats mitbedenken, die Kon- strukteure einer A-Bombe oder einer SDI-Waffe denken an nichts anderes. Das gewissenhafte Ideal der Gemeinnützlichkeit ihrer Tä- tigkeit hat diese Dienste noch nie beeinträchtigt, sondern es war jederzeit für ihre R e c h t f e r t i g u n g gut: Einstein empfahl der amerikanischen Regierung den Bau der Atombombe als wirksamstes antifaschistisches Argument, Teller "begründete" die H-Bombe mit dem Kampf der "Freiheit gegen Sozialismus" und jeder Reaktortechnologe konstruiert für den "Fortschritt" und "unsere Energieversorgung". Und den Vorwurf, der naiven Idee einer 'wertfreien' = moralisch gedankenlosen und politisch unbedarften Wissenschaft aufzusitzen, machen sich die Verantwortungswissen- schaftler von Siemens und die AKW-kritischen Azubis für solche Laufbahnen gegenseitig! 3 Ein verantwortlicher Wissenschaftler will kein einziges herr- schendes Interesse ermitteln noch einen regierenden Zweck kriti- sieren, für die AKWs und Atombomben und noch einiges mehr unver- zichtbar sind. Er klärt lieber über die F o l g e n von gefähr- lichen Technologien auf - ganz so als ob Technologien wegen der U n k e n n t n i s der Bürger über die mit ihnen verbundenen Gefahren angeschafft werden: Hat er die Leute i n f o r- m i e r t, ist der ethisch-politischen Verantwortung des Wissen- schaftlers vollkommen genüge getan. Dann können "alle Bürger selbst entscheiden, welche Gefahren ihnen tragbar erscheinen und welche nicht". Auch wenn in der bundesdeutschen Demokratie die Bürger über gar nichts anderes zu entscheiden haben denn über die Besetzung des regierenden Herrschaftspersonals, welches dann ganz ohne das Volk zu fragen für den Erfolg von Geschäft und Gewalt und die dabei anfallenden "Lebensrisiken" sorgt. Unter verantwortlicher Mithilfe von exakt so vielen gewissenhaften Na- turwirten wie gerade nötig sind! zurück