Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
zurück Vor'm rem da sind wir alle gleich. (Teil I) Th. Leithäuser *):ANGST MACHEN SEELE SCHLAPP!
*) Thomas Leithäuser, Problemverschiebungen von globalen Bedro- hungen zu privaten Ängsten, in: psychosozial, 29/86 1. Leithäuser fragt: ----------------- "Gelingt es - und wenn, dann wie - daß sich die Menschen in einer verstrahlten Umwelt pudelwohl fühlen?" (S. 36) Selbst wenn man die Übertreibung korrigiert und sich das "pudelwohl" in ein "zur Tagesordnung übergehen" übersetzt, bleibt eine ziemlich verkehrte psychologische Frage übrig, mit der im Prinzip auch schon über die Antwort entschieden ist. Leithäuser fragt nicht danach, welche Gründe die Bürger für ihren jeweiligen Umgang mit der Verstrahlung haben. Sein "Problem" lautet viel- mehr: Wie kann es angesichts "der neuen Qualität der Bedrohung men- schlicher Lebensverhältnisse" (36, angesichts der Tatsache, daß der "GAU von Tschernobyl eine objektive Katastrophe und eine all- gemeine Erlebniskatastrophe" (35) ist, die "nicht einzelne Grup- pen von Menschen und Bevölkerungen, sondern alle Menschen" be- droht (35), "alle Menschen jeglicher Hautfarbe, aller Klassen und Schichten, Unternehmer, Arbeiter, deren Kinder und Kindeskinder" (37)..., wie kann es angesichts dieser "Globalbedrohung" möglich sein, daß "die Menschen", einfach "am Status Quo" festhalten (39)? Das kann n i c h t sein bzw. das kann e i g e n t l i c h n i c h t sein, suggeriert der Mann. Insofern ein g u t e r Grund ja wohl nicht dafür vorliegen kann, daß die Menschen sich mit der radioaktiven Verseuchung als Stück ihres Alltags arran- gieren, kann es bei ihnen gleich g a r k e i n e n Grund dafür geben. Hier können also nur, schlußfolgert geübt der Herr Leit- häuser, irgendwelche geheimnisvollen "psychologischen Mechanis- men" (36) am Werk sein. Und dieser Kunstgriff ist gar keine Ant- wort mehr auf die Frage "Warum tun sie das?", sondern auf die Un- terstellung "Was h i n d e r t sie daran, so etwas zu unterlas- sen?" Das ist es, worauf es Leithäuser ankommt, und dafür hat er sich seinen Gegenstand schon passend zurechtgezimmert. Da wird aus dem "Unternehmer", der mit billigem Atomstrom sein Geschäft macht, ein von Becquerel-Salat und Cäsium-Kompott "betroffener Mensch" wie Du und Ich, an dem sein Geschäftsinter- esse und seine Geschäftsmittel theoretisch getilgt sind. Weil, so soll man denken, der radioaktive Regen wie der Schnupfen-Virus keine Klassen kennt - Vorm rem, da sind wir alle gleich! -, gel- ten diese und alle mit ihnen angesprochenen Gegensätze nicht mehr. Deswegen ist Leithäuser auch kein begriffsloser Superlativ zur Kennzeichnung des GAU zu schade ("Global-Katastrophe", "allgemeine Erlebniskatastrophe"...), um alle von ihm selbst be- nannten Interessenkonflikte zu nivellieren. Dann gilt eben auch das handfeste Interesse der Atomlobby an Atomstrom dem Psycholo- gen nicht als die E r k l ä r u n g ihres Übergangs zur Tages- ordnung, sondern als R ä t s e l. Ähnlich der psychologische Umgang mit den Angehörigen der benutz- ten Klassen und Schichten: Daß die auf Kosten ihres Arbeitsvermö- gens den Reichtum schaffen, den sich die Unternehmer aneignen, gilt als ein nichtiger Umstand angesichts der Tatsache, daß in beider Schilddrüsen derselbe Dreck gesammelt wird. Der Fehler, ausgerechnet mit den durchaus nicht gewünschten Wirkungen der ge- zielt eingesetzten AKW-Technologie jene politischen und ökonomi- schen Interessen für bedeutungslos zu erklären, denen sich deren Einsatz gerade v e r d a n k t, hat Methode. Kann es nicht sein, so sollte man sich einmal fragen, daß so ein in fremden Diensten stehender Mensch die Schädigung durch die Radioaktivität gar nicht als die aus heiterem Himmel über sein Leben hereinbre- chende Katastrophe zur Kenntnis nimmt, sondern daß er das ver- seuchte Gemüse - leider - zu jenen "Erlebniskatastrophen" dazu addiert, die ihm die Unternehmer täglich am Arbeitsplatz in Sa- chen Lohn und Leistung bereiten? Kann es nicht sein, daß das Ar- rangement mit dem Alltag, wie es bei dieser Klasse zu beobachten ist, für den Psychologen dadurch zum R ä t s e l wird, daß er kurzerhand alle auch ihm bekannten, ja wahrscheinlich sogar von ihm geteilten Begründungen tilgt, die den Kapitalismus zu einer akzeptablen Heimat werden lassen? Leben wir nicht in einer f r e i h e i t l i c h e n, also liebenswerten Ordnung? Ist nicht die Marktwirtschaft, die soziale, der größte A r- b e i t s p l a t z s p e n d e r der Republik? Wissen wir nicht alle, daß die vom Sozialstaat registrierten Arbeitslosen und Krebskranken der letztlich unvermeidliche P r e i s d e r F r e i h e i t sind? So oder so ähnlich denken sie doch, die vielen Mitmacher und ihre Seelendoktors. F a l s c h e Gründe will kein Psychologe darin entdecken, weil er von vornherein nur nach v e r s t ä n d l i c h e n Gründen sucht, auch wenn er dafür jenseits von Handeln und Bewußtsein in die tiefsten Ecken der Seelenkiste klettern muß. 2. Also, worin besteht der "psychologische Mechanismus"? Leithäuser antwortet: --------------------- Bei vielen Menschen wird die "reale Bedrohung" durch "neurotische Bedrohungsphantasien" durch "Angst- und Ohnmachtsphantasien" überlagert. Und diese "Angst vor dem 'Pulverfaß', die Katastro- phenangst erteilt Denk- und Handlungsverbot". Zugrunde liegt dem das "psychologische und ideologische Bedürfnis nach Verharmlosung und Beruhigung" (38) Denken darf man sich das so: Eigentlich sind z.B. die Atompoliti- ker und Atomkapitalisten - alle durch die Bank "betroffen" - für den sofortigen Ausstieg. Aber weil sie von "neurotischen Bedro- hungsängsten" gequält werden, setzen sie verängstigt auf den Sta- tus Quo. Und so führt das angstbedingte "Handlungs- und Denkver- bot" dazu, daß sie mit Atomstrom kräftig weiter Kasse machen und mit dem Bau von WAA's für den Rohstoff zur Produktion einschlägi- ger Waffen sorgen. Für den Rest der Menschheit gilt das Gleiche. Nur s c h e i n t die Psycho-Konstruktion dort plausibler zu sein, weil weit und breit kein Vorteil zu entdecken ist, den er aus dem Atomstrom ziehen könnte. Daß jedoch der Wille und ein Sack voller falscher Urteile hierzulande die Tour charakterisieren, in der der Ver- stand seinen Dienst beim Aushalten höchst ungemütlicher Lebensum- stände versieht, das darf der Psychologe nicht zugeben. Eher tilgt er den Willen vollständig oder macht ihn zum Anhängsel ver- borgener seelischer Kräfte. Die Unlogik dieser Seelenmechnik ist immer dieselbe und wird bei AKW ebenso wie bei Atombomben und Menstruationsbeschwerden zur Anwendung gebracht: 1. Man konstruiert eine Angst ohne ein 'wovor': dann ist das Sub- jekt nicht nur durch die Angst vor AKW, sondern obendrein von dieser inhaltsleeren Globalangst getrieben. 2. Diese fiktive Angst erkläre man zur handlungsbestimmenden: Angst vor dieser Angst, "Bedürfnis nach Beruhigung", führt zu Denk- und Handlungsverbot. 3. Der kleine Widerspruch: würde der Psychologe sich an diese Be- hauptung halten, dann hätte er diesen Mechanismus gar nicht durchschauen können. Auch er fiele unter die "Angstphantasien", samt Denkverbot. 4. Dieser Widerspruch ist notwendig: Nur so kann sich der Psycho- loge aufschwingen und entscheiden, wer ein verblendetes Würstchen und wer ein Durchblicker ist. Klar, wer was ist. 3. Das legt der Frage "Was tun?" ein ziemliches Korsett an, beengt die untertänige Phantasie des Psychologen aber wenig. Leithäuser schlägt konkret vor: ------------------------------- "Es geht um Abrüstung und den Ausstieg aus einer der Verheerung zutreibenden Atomindustrie in allen Ländern... Der Psychologe könnte konkrete Beiträge leisten, die zum Abbau von Feindbildern führen... Mit der Aufklärung über politische, ökonomische, mili- tärische, technische, ökologische und (na, was wohl?) psychologi- sche Sachverhalte und Beziehungen wäre die 'identifizierende Teilnahme' zu verbinden..." (39) Weil die "Aufklärung" die Tiefen der Seele schwer erreicht, fa- vorisiert Leithäuser die "identifizierende Teilnahme": "Es bedarf der Einfühlung und Identifikation aller mit allen, will man die gegenwärtigen ökonomischen, militärischen und poli- tischen Probleme meistern." (37) Es geht hierbei auf der "Ebene des Bewußtseins, der Vorstellungen und der Phantasien um die Überschreitung von zwischen Menschen... aufgerichteten künstli- chen Grenzen und Mauern. Die Einfühlung stellt hier Gemeinsamkeit her... Identifizierende Teilnahme bedeutet desweiteren: vor allem kann man durch diese Haltung erfahren, wie verletzlich und emp- findlich Menschen sind." (40 f.) Auf der "Ebene des Bewußtseins" Leistungen zu vollbringen, die gerade dem Bewußtsein verschlossen sind, ist ein kleines Kunst- stück. Man kann sich überhaupt des Eindrucks nicht erwehren, daß dem Herrn Leithäuser bei seiner Mutation zum kotzgewöhnlichen Pfaffen seine Psychologie ziemlich gleichgültig geworden ist. We- nigstens ist dies zum schlechten Ende noch ein Beleg dafür, daß selbst von Psychologen auf ihren Psycho-Senf geschissen wird, wenn sie sich von ihrer zentralen Botschaft mitreißen lassen: Hi- roshima-Überlebende fühlen mit den Hiroshima-Bombenwerfern, die Verstrahlten hierzulande mit den Atompolitikern, immer kräftig alle Opfer mit den Tätern. Und natürlich auch retour. Aber das läuft "auf der Ebene des Bewußtseins" ohnehin schon, wenn Wall- und Zimmermänner wieder einmal den Ausdruck "ihrer Besorgnis" ab- sondern, wenn sie verkünden, "sie nehmen die Sorgen der Bevölke- rung sehr ernst" und dann - das spielt sich zumeist nicht nur auf der "Ebene der Vorstellung" ab - festlegen, wieviel zig-Tausend Krebstote sie für die nächsten Jahrzehnte mit der Volksgesundheit für verträglich halten. Irgendwie ist da von "Gemeinsamkeit" we- nig zu spüren, was aber keineswegs zu falschen Schlüssen führen darf: Leithäuser warnt ---------------- vor Demonstrationen, auf denen "die 'autonomen Gruppen' die Staatsmacht und Polizei gewalttätig angreifen; (denn) die liefern zusätzliche Vorwände für die schweigende Mehrheit, sich enger um die Machtapparate zusammenzuschließen und deren Politik zu legi- timieren." (41) Hier erwacht im Psycho-Pfaffen vollends der politische Sauber- mann. Dem Widerstand anzulasten, er verfestige oder bringe gar hervor, wogegen sich der Widerstand richtet, ist erstens falsch und zweitens gemein. Wenn sich der gute Mann schon das Mäntelchen des Kritikers umhängt: Warum kritisiert er nicht die, die sich "um die Machtapparate" scharen, sondern die anderen? Und nur noch schlimmer wird es, wo Leithäuser die Bezichtigten psychologisch zu entschuldigen sucht: Leithäuser diagnostiziert, daß solche Demos Ausdruck von "schwer auszuhaltender Ohnmacht" sind und zu "blinder Wut" führen, die "eine unbewußte Identifikation mit dem Aggressor, mit dem, von dem man sich angegriffen fühlt (!)", darstellt. (41) Seine Empfehlung: "Ohnmacht aushalten, auch wenn es schwer erträglich ist... Was aber heißt Ohnmacht aushalten: gewaltlos und massenhaft demon- strieren." (41) So ähnlich wünscht sich jener Teil der "Betroffenen", die am Ge- fühl der Ohnmacht nicht ganz schuldlos sind, weil sie ihre Macht ordentlich benutzen, die kritischen Untertanen. Zumindest die SPD sieht es so: Demonstrationen als großangelegte gruppendynamische Sitzungen, in denen der eine Teil der Menschen den anderen Teil der Gattung an die große Gemeinsamkeit erinnert: Wir sitzen doch alle in einem Boot und sind betroffen. Und damit sich dieses schöne Gefühl der "Gemeinsamkeit aller Betroffenen" nicht ver- flüchtigt, sorgen politische Herrschaft und Kapital dafür, daß es immer und reichlich "Betroffenheit" gibt. zurück