Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart


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       Bremer Hochschulzeitung, 19.09.1984
       
       3 x Gift = 3 x Demokratischer Kapitalismus
       

WELCH SÜSSES GIFT...

Uranhexafluorid, Formaldehyd und Kernenergie sind erstklassige, G e s c h ä f t s a r t i k e l; das Geschäft wiederum ist die Seele unserer Gesellschaft, von ihm hängt nach Auskunft der zu- ständigen Stellen die "Gesundheit unseres Gemeinwesens" ab. Diese Gesundheit steht allerdings im Gegensatz zur Gesundheit derer, die dem Geschäft als L o h n a r b e i t e r und als k o n s u m i e r e n d e Z a h l e r dienen dürfen. Daß dies jedoch niemand so sehen will, verdanken wir - wie so viele andere Segnungen - der Demokratie. Zur Klarstellung ein paar Wahrheiten übers Gift samt seiner staatlichen und ideologischen Bewältigung. Das "Schiffsunglück" im Ärmelkanal ---------------------------------- 1. Die extrem giftigen Verbindungen Uranylfluorid und Fluorwas- serstoff sind die Reaktionsprodukte, wenn Uranhexafluorid und Wasser in Berührung kommen, wenn also die verlorengegangenen Uranfässer der im Ärmelkanal gesunkenen "Mont Louis" dem Wasser- druck und der Strömung nicht mehr standhalten; sollten diese bei- den chemischen Gifte in Form hochwertiger Fischnahrung einmal auf den Verbrauchertischen landen, rufen sie Nierenschäden, Blutar- mut, Gewichtsverlust und Veränderungen von Knochen hervor, in ausreichender Dosis führen sie zum Tod. 2. Das Schiffsunglück war k e i n U n g l ü c k. Daß der Uran- frachter "Mont Louis" bei der geringsten Kollision sinkt wie ein Sack Kartoffeln, ist alles andere als ein Zufall; er hatte nur einen einzigen riesigen Laderaum, so daß auch nur ein einziges Loch ausreichte, um den Kahn vollaufen zu lassen. 3. Der Grund dafür, solch ein windiges Schiff für die Uranladung zu chartern, ist eine gewöhnliche geschäftsmäßige Kalkulation: das billigste Schiff und die minimalsten Kosten für Sicherheit bestimmen mit über die Gesundheit des Unternehmens, das mit sei- nem Geschäftsartikel Uranhexafluorid ja schließlich den größtmög- lichen Profit herausschlagen will. Warum sollte auch umgerechnet der Transport radioaktiver und giftiger Handelsware anders ge- handhabt werden als deren Herstellung und Verwendung? (Wen soll es also noch wundern, daß jede Woche eine Ladung des radioaktiven UF6 mit einer ganz normalen Passagierfähre von Großbritannien in die Niederlande gebracht wird?) 4. Diesen Zusammenhang weiß irgendwie jeder, auch und vor allem natürlich die professionellen Betreuer der Öffentlichkeit. Nun ist aber ein Scheißboot gesunken. Damit steht fest: Das kann un- möglich der "verantwortungsbewußte Umgang" mit den Kosten eines kapitalistischen Geschäftsartikels gewesen sein; hier war viel- mehr "Schludrigkeit" am Werk, "Sicherheitsvorkehrungen" sind "mißachtet" worden...; und schließlich vereitelt die widrige Natur tagelang mit Wind und Wetter die glückliche Bergung (Kaum eine Nachrichtensendung, die nicht die bewegte Nordsee zeigt, um der Lüge Vorschub zu leisten, die Herbststürme seien der Urheber einer möglichen Katastrophe.) 5. D e u t s c h e Aufseher einer allgemeinwohlverbundenen Mo- ral setzen noch eins drauf. Sie haben den grandiosen Umstand ent- deckt, daß bei der Havarie der "Mont Louis" ein französisches Schiff mit französischer Ladung vor der belgischen Küste versun- ken ist, und eine holländische Bergungsfirma das Heraufholen der Fässer nicht zuwege bringt. So mündet das Aufwerfen der Schuld- frage gleich in der gerechten nationalistischen Empörung, die nach Vergeltung schreit - das können "die" mit "uns" doch nicht machen, der "Umweltpiraterie auf den Weltmeeren muß Einhalt gebo- ten werden" (ARD-Tagesthemen)... Ein deutscher Untertan zu sein, muß ein herrliches Anti-Uranhexafluorid-Serum sein! 6. Die Bildzeitung forderte sofort "militärischen Geleitschutz" (deutsch?) für Atomfrachter. Logisch: das Atomzeug brauchen "wir" doch, und was dem "sicheren" Transport in die Quere kommt, wird versenkt, oder wie? In jedem Falle: Bei "uns" könnte das nie pas- sieren. Auch wenn dann bekannt wird, daß der gesunkene Kahn auch drei Fässer atomaren Abfall aus dem bundesdeutschen Kernkraftwerk Neckarwestheim geladen hatte. Und überhaupt: Deutscher Atommüll ------------------ Die Folgen von Kernspaltung und dabei freigesetzter Radioaktivi- tät sind hinlänglich bekannt - deren kriegerische Verwendung hat sich ja auch schon bewährt. 2. Die "friedliche" Nutzung der Kernspaltung zur Energieproduk- tion ist seit Jahren staatlich beschlossene Sache und wird seit- dem mit dem Bau von Atomkraftwerken, Zwischen- und Endlagern für den radioaktiven Müll kräftig in die Tat umgesetzt. Keine Frage: Die Kernenergie ist aus dem Geschäftsleben einer "exportorientierten Industrienation" nicht mehr wegzudenken. 3. Die notwendigen Schäden an der Gesundheit der stehen unter staatlicher Aufsicht. Z.B. so: "Wie Ministerialrat Otto Stumpf vom Ministerium für Bundesangele- genheiten in Hannover... vor der Presse zu einer im Auftrag des Bundesforschungsministeriums angefertigten und von den Grünen verbreiteten Risikoanalyse weiter sagte, sei die Untersuchung le- diglich (!) ein Zwischenbericht.... In dem Bericht... wird darauf hingewiesen, daß nicht nur das Begleitpersonal, sondern auch die Bevölkerung entlang der Transportstrecke sowie die Insassen von überholenden oder entgegenkommenden Fahrzeugen der Wirkung ioni- sierender Strahlung ausgesetzt werden. Für eine Person des Be- gleitpersonals für die Castor-Behälter mit hochradioaktivem Ab- fall wird in der Studie für einen zwölfstündigen (!) Transport eine Belastung von 24 Millirem angegeben. Dazu sagte Stumpf, es sei falsch, wenn diese 24 Millirem in gewissen Kreisen in Bezie- hung zu der laut Strahlenschutzverordnung maximal zulässigen jährlichen (!) Belastung von 30 Millirem gesetzt werde. Dieser Wert gelte nur (!) für die Bevölkerung. Für 'strahlenexponierte Personen' - dazu zählt das Begleitpersonal solcher Transporte - sei eine jährliche Höchstbelastung von 500 Millirem zulässig." (Frankfurter Rundschau vom 12.9.) Die Strahlenschutz(!)verordnung verordnet also jedem eine ganz besondere, garantiert radioaktive Bestrahlung. Es ist doch beru- higend zu wissen, daß man einerseits ganz ohne Transport 'Unfall', sondern gesetzlich geschätzt seine 30 Millirem ionisie- render Strahlung abbekommt, daß andererseits der Staat für "strahlenexponierte Personen" gleich die 17fache Überdosis für "zulässig" dominiert hat. Das schafft Arbeitsplätze... Krebsversuche am Menschen ------------------------- 1. Formaldehyd erzeugt Krebs. Das ist öffentlich bekannt. 2. Dieses Zeug, mit dem sich so hervorragend Geschäfte machen lassen, nicht mehr herzustellen und weiterzuverarbeiten, ist laut Stellungnahme aller Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft "unmöglich". Die Giftküche BASF ist der sechstgrößte deutsche Multi, nicht zuletzt wegen seiner weltmarktführenden Stellung bei der Formaldehyd-Produktion. Zum anderen ist Formaldehyd das z.Z. billigste Bindemittel und daher ein Rohstoff in nahezu allen In- dustrien, die synthetische Produkte herstellen, zudem in der Holz- und Möbelindustrie etc. "Der Schaden für die deutsche Wirt- schaft wäre unermeßlich"... usw. 3. So gesehen läuft also schon längst der größtangelegte Krebs- versuch am menschlichen Material, den man sich denken kann - au- ßerdem in quasi allen erforderlichen Abstufungen: von der Höchst- konzentration bei der Produktion von Formaldehyd und seiner Wei- terverarbeitung bis hin zur Restentfaltung seiner giftigen Wir- kungen in den Teppichen, Möbeln, Lacken und dergleichen mehr, also fast überall. 4. Keiner, der sich darüber bisher aufgeregt hat. Eine Aufregung wurde inszeniert, als ein wissenschaftliches Labor in Berlin den zweitgrößten Krebsversuch (mit freiwilligen Arbeitslosen und Stu- denten) am Menschen anzettelte, "um die Ungefährlichkeit (!) von Formaldehyd zu beweisen". Aber nicht einmal der zynische Beweis- zweck, den sich da die Wissenschaft als selbstbeußter Büttel von Staat und Kapital vorgenommen hat, wurde angeprangert. Nein, daß "Menschen", die doch mit "Würde" versehen sind, hierbei Versuchs- kaninchen spielen, soll der Skandal sein. 5. Der kapitalistische Alltag, wo dieser Skandal die N o r m a- l i t ä t ist, ist damit aus dem Schneider. Das ist wiederum in Ordnung so, denn wer wollte schon der giftigen Gesundheit "unserer" Wirtschaft schaden? Fazit: Der Kapitalismus ist Gift für die Gesundheit der Leute. Der Staat schützt diesen Zustand mit großzügigen Belastbarkeits- definitionen in Verordnungen, also per Gewalt. Die darüber ge- führten Debatten samt ihren Heucheleien in der demokratischen Öf- fentlichkeit sind Gift für den Verstand. zurück