Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
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Bremer Hochschulzeitung Ausgabe Naturwissenschaft, 11.12.1979
KKW: Strahlende Technik
REAKTORSICHERHEITSTHEORIE: TÖDLICH
Daß die Anwendung moderner Naturwissenschaft und Technik in unse-
rer besten aller Welten nichts mit Rücksichtnahme auf Leben und
Gesundheit der Bevölkerung zu tun hat, wundert heute keinen mehr.
Das Prinzip dieser Sorte Technik zeigt sich in seiner ganzen Bru-
talität am Einsatz der Kernreaktoren. Machbar sind KKW's durch-
aus, denn die Kettenreaktion freizusetzen, ist inzwischen eine
technische Möglichkeit. Die Kettenreaktion aber so zu beherr-
schen, daß alle schädlichen Wirkungen beseitigt sind, und der po-
sitive Effekt, den man wünscht, die Wärmefreisetzung, allein für
sich zu benutzen ist, ist eine ganz andere Sache. Wen interessie-
ren in der Kernindustrie schon die paar unangenehmen Wirkungen,
wenn die Kasse stimmt. Der Reaktortechniker spricht dies aus,
wenn er sagt, wo das prinzipielle Problem der Unfälle liegt:
"Eine Situation, bei der eine Spaltproduktfreisetzung erfolgen
kann (!), wird im Reaktorkern immer dadurch eingeleitet, daß ein
Mißverhältnis zwischen Wärmeerzeugung und Wärmeabfuhr entsteht.
In der Folge erhitzt sich der Brennstoff, setzt Spaltprodukte
frei, die Hüllen können (!) versagen, schließlich kann (!) der
Brennstoff auch schmelzen und bei Temperaturen von 3000 C nach
unten den Sicherheitsbehälter durchdringen." (Dieter Smidt / Re-
aktortechnik) (man beachte die laufenden Untertreibungen in den
Wissenschaftlerzitaten, die immer von "können" reden, obwohl auf
der anderen Seite Berechnungen vorliegen und gesagt wird, daß
laufend Spaltprodukte freigesetzt werden, beim normalen Betrieb.
Aber indem man über die Katastrophe redet, fällt der normale Be-
trieb sowieso unter den Tisch.)
Das Problem ist also, daß bei der Ingangsetzung dieser Kettenre-
aktion ein Prozeß hervorgerufen wird, der dann selbst abläuft,
von außen zwar beeinflußbar ist, durch sogenannte "Steuer- oder
Regulierstäbe" (Borstahl oder Cadmiumlegierung), der aber 1.
Spaltprodukte und 2. unkontrolliert Wärme freisetzt und 3. bei
der ganzen "Regulierung" notwendig einhergeht, daß das Spaltmate-
rial nicht unschädlich gemacht werden kann. Was da in den diver-
sen Wissenschaftsbüchern zur Reaktortechnik unter dem eigenen Ka-
pitel "Radioaktive Abfälle" alles aufgezählt wird wie:
"abgetrennte Spaltprodukte, verseuchte Chemikalien, Korrosions-
produkte, verseuchte Kühlmittel, Geräte, Maschinenteile, Mauer-
werk, Wäsche usw.
zeigt, daß erstens die Reaktorbehälter natürlich verstrahlt wer-
den und zweitens das Material, egal welcher Festigkeit und Struk-
tur auf die Dauer von Wärme und von den Strahlen zersetzt und an-
gegriffen wird, Lecks bekommt, die Pumpen und Ventile kaputtgehen
etc. (Grundremmingen). Um also den normalen Betrieb überhaupt am
Laufen zu halten, muß ständig das Kühlmittel gereinigt, ver-
seuchte Luft abgesaugt, defekte Teile ausgewechselt und ausge-
brannte Brennstäbe (die natürlich nicht "ausgebrannt" sind, son-
dern für eine genügende Gewinnung von Wärme nicht mehr brauchbar
sind, aber weiter vor sich hinstrahlen) beiseite geschafft wer-
den.
"Beim Normalbetrieb eines Kernkraftwerks können (d.h. sie tun's!)
radioaktive Stoffe auf drei Wegen an die Umwelt gelangen: 1. Ab-
luft, 2. mit Wasser, 3. durch feste radioaktive Abfälle." (Prof.
Aurand, "Kernenergie, Nutzen und Risiko"),
Daß der Reaktor "eine intensive, Quelle von Strahlungen" ist, die
er auch an die Umgebung abgibt, ist eine Selbstverständlichkeit,
die der Staat mit der Festsetzung von Mindestwerten, im Namen des
Fortschritts, seinen Bürgern abverlangt. Naturwissenschaftlich
wird das Ganze dann als Problem der Restwärme, Nachstrahlung,
Endlagerung usw. diskutiert. D.h., selbst wenn die Kettenreaktion
unterbrochen wird, ist "der Ofen" halt nicht aus, sondern das
Zeug gibt munter weiter Strahlen und Wärme ab.
Alles was für die sogenannte Kontrolle des Prozesses getan wird,
was die schädlichen Wirkungen der Strahlen usw. angeht, sind lau-
ter Lösungen, die darauf beruhen, daß man den Prozeß selber nicht
abschalten kann, den man in Gang gesetzt hat, sondern daß man ihn
äußerlich mit bestimmten Materialien umgrenzt, einschließt. Da
werden mehrere Stahl- und Betonwände um den Reaktorkern gebaut
und auf der anderen Seite offen darüber diskutiert, daß das Zeug
verstrahlt wird, d.h. die eingesetzten Materialien durch Strahlen
verspröden oder selbst radioaktiv werden. Überhaupt zeigt sich an
dem "Problem der radioaktiven Verseuchung" die Verkommenheit ei-
ner Naturwissenschaft, die zwar um die Gefährlichkeit solcher
Strahlenwirkung weiß, trotzdem aber eine Technik zum Einsatz
bringt, bei der sie eingestellt, daß sie z.B. das
"Problem der Spannungskorrosion (Resultat der enormen Wärmefrei-
setzung) oder die durch die Strahlungen hervorgerufenen Gitter-
störungen der eingesetzten Materialien bis heute noch nicht bis
in alle Einzelheiten geklärt (hat)."
Auf der anderen Seite beruht die Regelung eben darauf, daß der
Prozeß nicht absolut abgeschlossen wird, sondern über Kühlwasser
und Schornstein alles mögliche strahlende Material freigesetzt
wird, und zwar bei Normalbetrieb. Weil all diese Prozesse so zum
Ablauf gebracht werden müssen, daß sie nicht gleich zu einer un-
kontrollierten und katastrophalen Freisetzung von Wärme und
Strahlungsenergie führen, herrscht
"...bei allen an der Entwicklung Beteiligten ein ganz extremes
verantwortungsbewußtes Sicherheitsstreben, wie es praktisch in
keinem anderen Bereich bisher dagewesen ist." (Informations-
zentrale der Elektrizitätswirtschaft)
Dieses "Sicherheitsstreben" ist das mühsame Abschließen der Wir-
kungen eines Prozesses von der Außenwelt, den man nicht be-
herrscht, und das damit einkalkulierte, notwendige Gefährdungspo-
tential wird frech in "Sicherheit" für die Bevölkerung umgedreht.
Es ist der Einsatz einer Technik auf Vorschuß, die Berechnung,
daß man für die anfallenden Probleme im Laufe der Zeit dann si-
cher noch eine Lösung finden wird.
Zwei von Drei, fertig ist die Sauerei
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Daß dies der praktische Übergang der Naturwissenschaft zur ge-
fährlichen Handwerkelei ist, veranschaulicht der Umgang mit dem
Einsatz der Notkühlung. Da wird offen zugegeben, daß mit der Pro-
duktion von Reaktoren bereits begonnen wurde, bevor überhaupt die
Funktion und Zuverlässigkeit der Notkühlung getestet worden war.
Inzwischen hat man festgestellt:
"gibt es nur eine Einspeisestelle, so ist das Wasser verloren,
weil es gleich wieder zum Leck (im Kühlkreislauf) herausfließt.
Durch eine zweite Einspeisung wird ca. die 1/2 des Wassers für
die Kühlung des Kerns möglich."
Was also als deutsche Errungenschaft der "vielfachen Sicherheit"
gefeiert wird, ist schlicht und ergreifend die Tatsache, daß eine
Notkühlung gar nichts nützt, zwar sehr wenig, also baut man
gleich vier solcher Dinger ein (weil davon wiederum welche <?>
Korrosionsschäden in Reparatur <?> sicher zu gehen, daß der Reak-
torkern nicht gleich bei der kleinsten Panne schmilzt.
Was es überhaupt mit dem Prinzip der Sicherheitstechnik auf sich
hat, führt der Prof. an der Uni Karlsruhe, Direktor des Instituts
für Reaktorentwicklung in dem offiziellen Handbuch "Wissenschaft
und Technik" vor. Zur Redundanz der Kühlsysteme:
"Aus diesem Beispiel wird bereits deutlich, daß Redundanz, also
das Hintereinanderschalten von mehreren Sicherheitssystemen, die
sich dann wechselseitig ergänzen immer nur in einer ganz bestimm-
ten Richtung in einer ganz bestimmten Funktion etwas bringt. Je
zahlreicher, je redundanter etwa die Abschaltstäbe sind, deren
negativer Reaktivitätsbeitrag über die Abschaltreaktivität hin-
ausgeht, desto sicherer und zuverlässiger wird der Reaktor im
Notfall abgeschaltet. Der Fall, daß Sicherheitsvorkehrungen nicht
funktionieren, wenn sie sollen, wird dadurch immer unwahrschein-
licher, daß Sicherheitseinrichtung funktionieren, wenn sie nicht
sollen und so etwa eine ungewollte Abschaltung des Reaktors be-
wirken. Eine zu reichlich bemessene-Redundanz der Sicherheitsy-
steme macht den Reaktor zwar sicherer, kann den Betrieb aber er-
schweren. Ein häufig angewandter Kompromiß in diesem Dilemma ist
das sogenannte 'Zwei-von-drei-System'."
Letzeres meldet also erst dann die Notwendigkeit einer Reaktorab-
schaltung, wenn bereits zwei Störungen vorliegen (es lebe die de-
mokratische Reaktorsicherheit). Liegt aber nur eine Störung vor,
so wird einfach unterstellt, der Meßfühler sei kaputt. E i n e
Störung ist also k e i n e Störung.
Die Aussage hier ist sehr unumwunden, zuviel Sicherheit ist nicht
erwünscht, weil das Ding sonst zu oft ausfällt und das heißt, es
wird zu teuer, es rentiert sich nicht. Die Wissenschaft weiß
also, was es mit der Sicherheit auf sich hat und deutet das Kri-
terium an, nach dem sich selbst noch die paar kümmerlichen Si-
cherheitseinrichtungen zu bemessen haben:
"Wirtschaftlichkeit ist letztlich die Richtlinie für alle techni-
schen Maßnahmen und Entscheidungen." (ebd)
Das ist das Credo einer Naturwissenschaft, die wie selbstver-
ständlich davon ausgeht, daß das, was machbar ist, auch gemacht
wird, wenn es zu einem gewissen Preis zu machen ist, und die
Nichtbeherrschbarkeit dann als Problem der Sicherheit und der se-
kundären Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitsanlagen debattiert.
Wenn also einem Naturwissenschaft-Studenten gerade an der Kernre-
aktortechnologie der Spruch einfällt "Kaputtgehen kann alles", so
liegt er erstens so falsch nicht. Ist es doch die allgemeine Pra-
xis, die existierende Technik darauf abzuklopfen, ob sie billigst
den gewünschten Nutzen bringt. Daß dabei am Kostenfaktor
"Sicherheit" gedreht wird, ist zweitens die Selbstverständlich-
keit, die obiger Spruch anerkennt. Drittens wird damit aber die
Besonderheit - der existierenden Kernenergienutzung unterschla-
gen. Es ist halt etwas anderes, ob ich bloß aufhören muß, Bri-
ketts nachzulegen, damit das Feuer ausgeht, oder wenn das ganze
Abschaltsystem die kleinen Atome nicht daran hindern kann, weiter
zu zerfallen.
Der Schritt von der naturwissenschaftlichen Argumentation zum Ko-
sten-Nutzen-Argument ist d i e Grundlage wirtschaftlicher und
staatlicher Anwendungen von und Technik, deren tödlichen Konse-
quenzen in solcherart "naturwissenschaftlichen Ergüssen theore-
tisch zugearbeitet wird.
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