Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart


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       Bremer Hochschulzeitung Ausgabe Naturwissenschaft, 11.12.1979
       
       Baustopp für Atomkraftwerke in den USA
       

IRRGLAUBEN AUFGEDECKT

"Falscher Glaube" so lautet das Ergebnis der von Präsident Carter eingesetzten Kommission zur Untersuchung des Beinahe-GAU in Har- risburg. Wahrlich, eine wissenschaftliche Leistung - zumal in sieben Monaten zustandegebracht -, die sich sehenlassen kann. Der Kernsatz dieser Studie lautet: "Der Glaube, Kernkraftwerke seien hinreichend sicher, hatte sich zur Gewißheit verfestigt." Ungewöhnlich ist daran zweierlei. E r s t e n s ist für die US-Kommission die Unsicherheit der Re- aktoren so selbstverständlich, daß sie ein zu großes Vertrauen in die Sicherheit der strahlenden Meiler (und nicht die bewußte Kal- kulation der Gefahr von Staat und Industrie) zur Hauptursache des Unfalls von Harrisburg macht: sie erfinden Fehlgläubige, die durch ihre falsche Sicherheit die Beinahe-Katastrophe herbeiführ- ten. Da also das Problem bei Atomkraftwerken nicht der Reaktor ist - der eh unsicher und deshalb die Verstrahlung eine Naturnot- wendigkeit muß man sich z w e i t e n s endlich daran gewöhnen. Mit der richtigen Ein- stellung ist dann alles halb so schlimm! Deshalb verteilt die Kommission auch schlechte Noten an Industrie und Behörden und beschuldigt sie der "groben Fahrlässigkeit", weil sie das falsche Vertrauen in die Sicherheit der Reaktoren unterstützen und so die Betroffenen zur Sorglosigkeit anstiften: "Nur so hat es geschehen können, daß die Ausbildung des Personals offenbar mangelhaft blieb." So gesehen "... war ein Unfall wie auf Three Miles Island wahrscheinlich un- vermeidlich." Auf diese Weise gelangt die Kommission zu dem Schluß, "daß fundamentale Änderungen nötig sind, wenn die nuklearen Risi- ken in Grenzen gehalten werden sollen." Wie diese Änderungen in etwa aussehen müssen haben Industriepsy- chologen (!) längst herausgekriegt. Dem Bedienungspersonal hatte man es zu schwer gemacht, adäquat reagieren zu können: "Wohl schrillten Klingeln und blinkten Lichter, als der Unfall begann. Aber in dieser Flut von mehr als 100 Alarmzeichen gingen, die wichtigen Warnungen unter; etliche Hauptinstrumente waren gar versteckt angebracht." Die Kommission folgert: "Es gibt wenig Anzeichen für die Anwendung moderner Informations- technologie." und verbreitet damit eine handfeste Lüge, denn 1. unterstellt sie den Technikern, die den Meiler gebaut haben, sie hätten die Warn- blinkleuchten willkürlich und zur vorweihnachtlichen Freude des Personals angebracht; 2. ist klar, daß eine noch so moderne den neuesten Erkenntnissen folgende Informationstechnologie eines nicht aus der Welt schaffen kann - die technisch nicht be- herrschte Kernreaktion im Kraftwerk; und deswegen ist 3. abzuse- hen, daß auch in Zukunft die schlechte Informationstechnologie als Ursache herhalten muß, wenn's mal wieder kracht. Und daß es kracht ist sicher, woran auch die Kommission keinen Zweifel läßt: "Auch mit der Empfehlung neuer Sicherheitsmaßnahmen haben wir keine magische (!) Formel gefunden, die garantieren würde, daß sich künftig schwere nukleare Unfälle nicht mehr ereignen." So ist neue Informationstechnologie und rechter Glaube nur zu ei- nem tauglich - "die nuklearen Risiken in hinnehmbaren Grenzen zu halten." In diesem Sinne plädiert die Kommission für eine staatliche Kam- pagne zur Aufklärung über die Gefahren der Atomkraftwerke und verbesserte Sicherheitsmaßnahmen (Kopf in die Aktentasche stec- ken), um den US-Bürgern zu verstehen zu geben, daß sie die Ver- strahlung als Teil ihres Alltags, als ihr Risiko begreifen müssen und Panik aufgrund verbesserter Informationstechnologie unange- bracht ist... Somit ist auch klar, warum die Atom-Kontrollbehörde (NRC) "keine weiteren Werke bis zum Frühjahr 1980 genehmigen" will und die Verbesserung der Sicherheitsstandards der laufenden Reaktoren fordert. Solange braucht man nämlich, bis die Evakuierungspläne ausgearbeitet und die Mannschaften besser auf Schrillen und Pfei- fen dressiert sind, sodaß man munter weiterspalten kann. In der BRD geht dasselbe auch ohne Kommission in zwei Monaten: "Wie kalkuliert man Katastrophen?" (SZ vom 31.8.79) Die Antwort: "Das Restrisiko muß der Bürger tragen." (SZ vom 9.10.79) zurück