Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
zurück 3 Wochen GAU-Verarbeitung sind vorbei:GAU IN RUSSLAND - EIN GLÜCKSFALL
- für Atomkraftexperten und Strahlenschützer - für die Notstandsverwalter der Republik - für SPD, Grüne und andere Anwälte der ohnmächtigen Betroffen- heit - für das Kräfteverhältnis, wie es der Imperialismus haben will Allgemeines Umdenken? Von wegen! -------------------------------- Nach Tschernobyl sieht die Welt ganz anders aus, tönte es drei Wochen lang aus allen Kanälen. Die Katastrophe in der UdSSR, sie habe "unsere Einstellung" gründlich verändert. Wirklich? Was ha- ben "wir" denn daraus gelernt? Ist in den letzten Wochen auch nur ein wahres Wort gefallen - über die Beschaffenheit der nationalen Vorhaben, die auf Kernkraft auch angesichts des sicheren Risikos für Land und Leute nicht verzichten können? Über die Rücksichts- losigkeit des demokratischen Imperialismus vom Schlage der BRD, der über weitgehende Unabhängigkeit in Sachen Energiequellen ver- fügen will, um in der internationalen Konkurrenz anderen die Maß- stäbe, z.B. den Preis für ihre Rohstoffe diktieren zu können, und der jederzeit über die atomare Waffenoption gebieten können will - für den Fall, daß das "friedliche" Erpressungsgeschäft zwischen den Nationen den Einsatz des Militärs auf die Tagesordnung setzt? Über die Selbstverständlichkeit, mit der dieses bedingungslose staatliche Interesse die Ruinierung von Gesundheit und Leben ei- gener wie fremder Untertanen einkalkuliert? Mit anderen Worten: Ist in der ganzen Debatte auch nur einmal das I n t e r e s s e zur Sprache gekommen, dem sich der zügige Ausbau von AKWs und Wiederaufarbeitungsanlagen verdankt, ein Interesse, das sich üb- rigens nie und nimmer aus der "Profitgier" von ein paar Energie- monopolen erklärt? Nein, nichts davon. Stattdessen gab es "Aufklärung" über gemessene Strahlenwerte und einen Streit über deren wahre Höhe - da weiß der Mensch dann Bescheid, wieviel Ra- dioaktivität in seinem Joghurt drin ist, und kann sich dann dar- über beschweren, wenn es ihm nicht aufs Becquerel genau gesagt wird. Die schädlichen Wirkungen von Strahlen auf den menschlichen Organismus wurden erläutert - Ergebnis - nicht besonders gesund! - und ein Streit darüber geführt wieviel davon welche Krebsraten in einer Population von 100 000 Mitbürgern hervorrufen. Auch gab es eine erregte Diskussion darüber, ob die Regierung nicht in Sa- chen "Katastrophenschutz" versagt hätte - als ob die hiesigen Be- treiber und Beaufsichtiger von strahlenden AKW's recht eigentlich dazu da wären, "uns" vor den Strahlen zu schützen! Und jetzt, nachdem die erste Betroffenheit "verarbeitet" ist, läuft gerade die reichlich langfristig angelegte Debatte an, ob er denn über- haupt so einfach möglich ist, der "Ausstieg". Ergänzt wird das Ganze um die heißen Spekulationen, welche Partei es am besten schafft aus dem GAU Wahlstimmen für sich zu machen. Wir leben schließlich in einer Demokratie! Nein, wenn so diskutiert wird, dann hat niemand etwas "gelernt". Dann ist es vielmehr so, daß Der Gau - ein Glücksfall ------------------------ ist, und zwar ein Glücksfall für die Bestätigung all der Vorstel- lungen vom rechten Gang der Republik und der eigenen verantwort- lichen Rolle dabei, die man schon immer gepflegt hat. So kocht dann jeder sein konstruktives Süppchen auf der Katastrophe, die er sich je nach Standpunkt entsprechend zurechtdefiniert. Atomkraftexperten und Strahlenschützer -------------------------------------- stehen mit einem Mal hoch im Kurs. Kein Gedanke daran, daß ein Beruf, der immer dann 'in' ist, wenn es um die Bewältigung von oben angerichteten Katastrophen und Opfer geht, ein Scheiß-Beruf ist. Im Gegenteil: Die Experten genießen es sichtlich, wenn sie von der unkundigen Menschheit befragt werden, wie ein Reaktor funktioniert und welche gesundheitlichen Schäden davon ausgehen. Komisch bloß, daß es nur wenige von ihnen gibt, die ehrlich dar- über Auskunft geben. Kaum haben sie die prinzipielle Gefährlich- keit radioaktiver Strahlung erläutert, werfen sie selbst die Frage auf, ob es "Grenzwerte" für die Bestrahlung gibt, die vom Organismus im Durchschnitt noch a u s z u h a l t e n sind. Keine "akute Gefährdung" heißt das dann. Die Reihenfolge, nach der der natur-wissenschaftliche Sachverstand dabei vorgeht, ist ziemlich verräterisch: Das Bedürfnis, Grenzen der Belastung zu ermitteln, folgt nie und nimmer aus einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis, sondern kommt ausschließlich deshalb in die Welt, weil erstens der staatliche Auftraggeber laufend Radioaktivität e r z e u g t und zweitens deshalb über das A u s m a ß an ge- sundheitlicher Zerstörung, die er so bei seinem Menschenmaterial anrichtet, Buch führen will. Er hat mit seinem Volk ja schließ- lich jetzt und in Zukunft allerhand vor! Umgekehrt ist damit klar, daß die V o l k s g e s u n d h e i t eine politisch de- finierte Größe ist: Die zulässige - und deshalb angeblich un- schädliche! - Strahlenmenge ist immer genau die, die sich mit dem Betrieb der eigenen AKW's verträgt! Ein Naturwissenschaftler, er sich an dieser Debatte beteiligt, ist damit von Haus aus ein Kom- plize des staatlichen Atomprogramms; auch wenn er selber daran glaubt, die Einheit rem sei nichts als ein rein naturwissen- schaftlicher Wert. Kritische Naturwissenschaftler warten demgegenüber nicht nur mit niedrigeren Grenzwerten auf, sie haben die Debatte auch um den alten ewigjungen Schlager von der Verantwortung der Wissenschaft ------------------------------ bereichert. Angesichts der negativen Wirkungen, die der s t a a t l i c h e G e b r a u c h naturwissenschaftlicher Er- kenntnisse zeitigt, fragen sie sich, ob das Handeln ihrer Kolle- gen im Staatsdienst denn noch verantwortlich war, statt einmal zu prüfen, w o f ü r diese "Verantwortung" übernommen haben. Aber das wäre ja eine Frage, bei der man glatt einmal den allseits ge- handelten moralischen Titeln - Frieden, Freiheit, Energieversor- gung - und den damit praktisch verfolgten unerbittlichen Zwecken der nationalen Gewalt auf den Grund zu gehen hätte, und die ge- liebte Einbildung vom eigenen Metier als eigentlich segensspen- dender Einrichtung wäre beim Teufel, die man gerade mittels der moralischen Selbstbezichtigung vom "Fluch der Technik" so schön pflegen kann. Die regierenden Notstandsverwalter der Republik ------------------------------- ziehen derweilen unangefochten ihre Lehren aus dem russischen GAU: Erstens sind "unsere AKWs" sicher, zweitens soll möglichst sogar die ganze Welt am deutschen Reaktorwesen genesen, drittens ist die Demokratie der größte anzunehmende Berstschutz, viertens müssen "wir" nichtsdestotrotz aus Anlaß der aktuellen Notstands- übung "unsere" Katastrophenschutzpläne "überdenken", fünftens brauchen "wir" mehr politische Führung und weniger "Kompetenzwirrwarr", sechstens nehmen "wir" die "Ängste der Be- völkerung" sehr ernst, verweisen aber in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf erstens bis fünftens. Wem das nicht so ganz einleuchtet für den stehen Polizei und BGS bereit, um jedes Re- strisiko schon im Keim zu ersticken. Die Regierungsmannschaft im Wartestand ist auch nicht faul und nutzt den GAU zum Wahlkampf für die SPD --------------------- Aus lauter Verantwortung für die Demokratie, versteht sich. Man erfährt jetzt, daß die Partei, unter deren Führung das deutsche Atomprogramm in den 70er Jahren zur heutigen Blüte gebracht wor- den ist, am liebsten niemals eingestiegen wäre. Zur Zeit jeden- falls probt die SPD den "Einstieg in den Ausstieg": Im Saarland und in Bremen kompromißlos und sofort, was dadurch möglich wurde, daß es dort sowieso noch nie Atommeiler gab; in Niedersachsen ist sie gegen den "Einstieg in die Plutoniumwirtschaft", der in Bay- ern vorangetrieben wird, und wartet noch ab, ob sie demnächst von den niedersächsischen Wählern die Verantwortung über die dortigen AKW's übertragen bekommt; und in Hessen hat sie eigens eine "Ausstiegskommission" (unter Führung des früheren (Atom-)Forschungsministers Hauff!) gegründet, die prüfen soll, ob so gegen 1993, also etwa um die Zeit, wo Biblis ohnehin abge- schaltet werden soll, ein kleiner Ausstieg drin ist. Das W e i t e r l a u f e n von AKWs nach Plan kann man eben auch "mittelfristiger A u s s t i e g" nennen, ebenso wie ja auch schon die sozialdemokratisch betriebene Aufrüstung eine einzige verzweifelte Abrüstungsbemühung war! Was soll's, wenn diese Heu- chelei zwar allenthalben durchschaut und entlarvt wird: beim "realistisch" gestimmten kritischen Publikum zieht sie immer wie- der... Das Motto: Gegen Strahlen helfen Wahlen! verfolgt auch die - inzwischen etablierte - vierte Kraft im Lande. Die Grünen ---------- meinen, daß sich doch gerade jetzt auf ihrem ureigensten AKW- und Ökoterrain Punkte, sprich: Prozente im politischen Geschäft, ma- chen lassen müßten, und fordern deshalb energisch die "sofortige Stillegung aller zivilen und militärischen Atomanlagen". Doch w e r soll eigentlich die Abschaffung besorgen? Die demokrati- schen Atompolitiker? Das glauben die Grünen selber nicht. Denen den Kampf ansagen, wollen sie aber deswegen noch lange nicht. Lieber entwerfen auch sie "Ausstiegsszenarios", die die ideologi- sche Sprachregelung, AKWs seien für unser aller Stromversorgung erfunden worden, für bare Münze nehmen, und auf dieser fiktiven Grundlage den dämlichen, aber staatsbürgerlich konstruktiven Be- weis antreten, daß der Verzicht auf die Atomkraft aber auch wirk- lich nicht zum Ausgehen der Nachttischlämpchen führen muß: Aus- stieg ist machbar, Herr Nachbar! So verpflichten sie den "außerparlamentarischen Druck", den sie andererseits als Basis ihrer parlamentarischen Wirksamkeit nicht missen wollen, auf sich, also auf die glaubwürdige parlamentarische Korrekturinstanz zur SPD, die dadurch korrigiert, daß sie der SPD zum Regieren verhilft. Und spätestens ab dann ist das Feld bereitet für die öffentlich geführte innerparteiliche Kontroverse, wie die "grünen Positionen" mittels GAU am besten gestärkt werden können. Da wird dann sehr berechnend gedacht: Was bringt mehr Stimmen? Mit dem Arsch im Ministersessel realpolitisches Verantwortungsbewußtsein garniert mit einem Schuß Fundamentalradikalismus demonstrieren? Oder mit dem geheuchelten Hinweis auf unverträgliche Positionen in der Kernkraftfrage - deren Ausklammerung die Koalition in Hes- sen überhaupt erst ermöglicht hat! - den Sessel räumen ("den Ko- alitions-GAU riskieren"!) und sich von Neuwahlen in Hessen an der Seite der SPD den dritten und vierten Staatssekretär und eine ge- sicherte Wiederwahl im Bund versprechen? Das sind vielleicht Pro- bleme! Ihr erster Minister beherrscht die einschlägigen politi- schen Touren jedenfalls schon ziemlich gut: Die Basis kriegt zu hören, daß sie ohne ihn, den Minister, garantiert nichts "bewegt", und auf die Frage, was er denn "bewegt" hätte, gibt der Politiker Josef Fischer den Vorwurf postwendend zurück: Was soll er denn schon machen, wenn die Basis so schlapp ist... Der Protest aus ohnmächtiger Betroffenheit ------------------------------------------ über die schädliche Strahlung, der für die nächsten Wochen ange- kündigt ist, ist also bereits (partei-)politisch "verarbeitet", d.h. ausgeschlachtet, bevor er so richtig begonnen hat. Und in einer Hinsicht geschieht das auch den Demonstranten durchaus recht, die nicht von vorneherein den methodischen Standpunkt der Parteinkonkurrenz einnehmen, sondern für sich in Anspruch nehmen, daß ihre "Betroffenheit" echt ist. Wer nämlich mitten im Front- staat BRD anläßlich eines russischen GAUs nichts anderes zu ver- melden hat, als daß er Angst vor Strahlen hat und den von oben gemeldeten Schädigungswerten in Milch und Spinat mißtraut, der macht sich garantiert zum Idioten der politischen Profis, die dann die für sie passende Interpretation seiner Betroffenheit vornehmen. Und am Ende bleibt dann von dem ganzen Protest womög- lich nichts anderes übrig als die gemeingefährliche Lüge, eine BRD mit einer wiederbelebten verlogenen "Kernkraftdiskussion" und einem unerschöpflichen Markt an verschiedenfristigen "Ausstiegsmodellen" sei eine durchaus erträgliche Angelegenheit. Wer damit nicht zufrieden ist, mit dem wollen wir ins Gespräch kommen. *** Arbeitskreis der Marxistischen Gruppe: Atomtechnologie und Atompolitik ------------------------------- 1. Es heißt, wir brauchen Atomkraftwerke, um unsere Stromversor- gung auch bei Ausfall der ausländischen Energiequellen zu si- chern. Warum heißt dieses Autarkieprogramm der Energieversorgung "friedliche Nutzung der Kernenergie", wenn es schon so sicher mit Zuständen rechnet, in denen der friedliche Austausch von Waren und Dienstleistungen nach ökonomischen Gesichtspunkten außer Kraft gesetzt ist? 2. In Wackersdorf wird eine Wiederaufarbeitungsanlage für abge- brannte Kembrennstoffe gebaut. Warum ist die Bundesregierung so scharf darauf, wenn die Extraktion des Plutoniums die Stromver- sorgung nur verteuert und die Endlagerung noch gefährlicher macht? 3. Was bewegt die BRD, für ihr ehrgeiziges Atomprogramm die kon- tinuierliche Verstrahlung ihres Menschenmaterials bis hin zur Verseuchung ganzer Landstriche in Kauf zu nehmen? Und warum ver- hält es sich bei den Russen in dieser Frage auch nicht anders? 4. Es heißt, unsere Reaktoren seien sicher. Es heißt, unsere Re- aktoren ließen nur die staatlich genehmigte und genau kontrol- lierte Aktivität in die Luft und ins Wasser, sogar bei Störfäl- len. Es heißt, der Super-GAU sei bei uns vernachlässigbar unwahr- scheinlich. Liegt das an den Vorzügen der Demokratie? Oder liegt der Witz nicht vielmehr in der Technik der Uranspaltung selbst, die in einer immerwährenden Eindämmung der verheerenden Nebenwir- kungen der Energiefreisetzung besteht, die in Ost und West die Verstrahlung so sicher macht? Über diese Fragen diskutiert der neu eingerichtete Arbeitskreis der MG. zurück