Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
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NACHTRÄGE ZUM ATOM"SKANDAL"
Die Schuldfrage
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Gleich, wie's ausgeht, solange es demokratisch zugeht, sorgt die
Inszenierung beim demokratischen Skandal dafür, daß kein einziger
G r u n d benannt, nicht ein einziger der ehrenwerten
Z w e c k e von Politik und Marktwirtschaft in Frage gestellt
und garantiert kein n a t i o n a l e s A n l i e g e n ernst-
haft behindert wird. Und das geht so:
- Wenn ein kapitalistisches Unternehmen bei der Abwicklung seines
Geschäfts systematisch Gift in die Landschaft setzt, das Ab-
schmieren von Behörden als laufende Kosten fest einkalkuliert,
aus staatlichen Aufträgen zur Müllbeseitigung Waffengeschäfte
macht und dabei international so erfolgreich ist, daß NUKEM laut
"Spiegel" 80% des Weltmarkts kontrolliert, dann liegt das um Got-
tes Willen nie und nimmer am System, sondern an (bislang) 2 Men-
schen: Die Geschäftsführer von NUKEM sind beurlaubt worden!
- Wenn ein demokratischer Rechtsstaat die Produktion von Pluto-
nium genehmigt, das Verschieben von spaltbarem Material über die
Grenzen in Auftrag gibt, fortlaufend neue Atomkraftwerke in Be-
trieb nimmt und so immer mehr "Atommüll" in die Welt setzt, des-
sen "Entsorgung" er seinen nationalen Geschäftsleuten als Ge-
schäft anbietet, dann darf kein Gedanke aufkommen, der der Poli-
tik ihre menschenfreundlichen Absichten nicht mehr abnimmt. Im
Gegenteil: Eine kritische Öffentlichkeit phantasiert angesichts
des kontrollierten Einstiegs der BRD in die Plutoniumwirtschaft
und der geplanten Option auf Nuklearwaffen, hier sei was "außer
Kontrolle" (Spiegel) und ein Minister bzw. sein Staatssekretär
habe versagt. Weil also parteiübergreifend feststeht, daß "wir"
die "friedliche" Nutzung der Kernenergie brauchen, weswegen sich
die Aufbereitung von Rohstoffen und die Technologien der Nuklear-
bewaffnung wie von selbst ergeben, ist der "Skandal" auch im ak-
tuellen Falle "menschliches Versagen". So enthält die Schuldfrage
nach den versagenden Personen immer schon den Freispruch in der
Sache und die mildernden Umstände für die allerhöchsten Verant-
wortlichen. Minister Töpfer:
"Wir können und wollen auch bei der Kernenergie den Menschen
nicht das Grundrecht auf Irrtum aberkennen."
Merke: Wenn Politiker "das Menschliche" in Schutz nehmen, dann
handelt es sich allemal um eine staatliche Sauerei.
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Was angesichts des "Unerträglichen" schon
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wieder e r t r ä g l i c h ist
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Der Kanzler und sein Töpfer hielten es für "gänzlich unerträg-
lich", wenn NUKEM glatt gegen den Atomwaffensperrvertrag versto-
ßen hätte, zugleich warnen sie wieder einmal vor den mindestens
ebenso unerträglichen "Vorverurteilungen". So wird die Zuspitzung
des Skandals in Richtung Pakistan und Libyen schon wieder ein
Fortschritt in Sachen Skandalbewältigung. Was die letzte Woche
noch vermeldete Ungeheuerlichkeit des Herumlagerns giftiger Fäs-
ser betrifft: Deren Strahlung geht schon wieder in Ordnung, wenn
sie bloß nicht in die falschen Hände geraten. Was ist denn schon
ein bißchen Krebs, Genmutation und Vergiftung gegen den ungeheu-
ren Schaden, der der Nation droht. Das i n t e r n a t i o-
n a l e Ansehen der BRD könnte leiden, und diese Sorge hat einem
anständigen Bundesbürger noch allemal wichtiger zu sein als sein
bißchen Gesundheit. So sorgt in unser Demokratie der jeweils
aktuellste Skandal für die Beruhigung über den vorletzten. Wenn
das beim Normalbetrieb anfallende Gift nicht "entsorgt" werden
k a n n, seine Unschädlichmachung also nie beabsichtigt war,
vielmehr die A u s s c h l a c h t u n g des Strahlenmülls der
Auftrag für NUKEM ist, dann ist mit einer neuen Betriebs-
genehmigung für ein neues Management die Sache wieder in Ordnung.
"Rückhaltlos" geklärt haben will der Kanzler "das System der
Kontrollen und Zusammenarbeit" in und mit der Atomindustrie. Wenn
also vorschriftsmäßig vergiftet und unter nationaler Regie
aufbereitet wird, dann vertragen sie sich wieder: der Staat und
sein Atomkapital.
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Der sozialdemokratische Beitrag:
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eine verantwortungsvolle Entlarvung
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Nicht zufällig sieht die Aufregung des Hans-Jochen Vogel und der
SPD über die Nukem-Affäre der "Kritik" des Ministers Töpfer an
"unerträglichen Zuständen" so ähnlich. Und der CDU-Ministerpräsi-
dent Späth schimpft auch nicht leiser als der SPD-Machtaspirant
in Schleswig-Holstein, Engholm. Beiden demokratischen Volkspar-
teien geht es um die Absicherung des nationalen Atomprogramms vor
Schäden durch "Fehlentwicklungen." Die "Entlarvungstätigkeit" der
SPD muß allein schon deshalb äußerst "verantwortungsvoll" zu
Werke gehen, weil alle entscheidenden Etappen des bundesdeutschen
Wegs zur Atombombe von der Sozialdemokratie mitgetragen wurden
und werden. Volker Hauff wird sich schwer hüten, mehr als seine
paar wagen Verdächtigungen von sich zu geben. Sonst müßte er näm-
lich zwangsläufig die sehr großzügige Genehmigungspraxis, also
auch die atompolitischen Leistungen der sozialdemokratischen Re-
gierungen zur Sprache bringen.
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Das Plutonium, das Gesetz und die Grünen
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Mit Recht haben Sprecher der grünen Partei auf die eigenartige
Zurückhaltung des Gesetzgebers in Sachen Kontrolle der Atomindu-
strie hingewiesen: Während beim
D e m o n s t r a t i o n s s t r a f r e c h t selbst der Schal
an der falschen Stelle bestraft werden soll, können sich die Re-
aktorgiftverwerter vieles erlauben, weil ihrem Geschäft wenig
Verbote im Wege stehen. Täuschen tun sich die Grünen allerdings,
namentlich ihr fraktionseigener Rechtsfanatiker Otto Schily, wenn
sie meinen, hier lasse sich der Rechtsstaat von einem Industrie-
zweig auf der Nase herumtanzen. Es ist vielmehr ganz offensicht-
lich so, daß es keine geschäftsmäßige Nutzung der Kernenergie ge-
ben kann, wenn man auf die Gesundheit der Bevölkerung wenigstens
50% der gesetzgeberischen Mühe verwenden würde wie auf die Unver-
sehrtheit von Recht und Ordnung bei Demonstrationen. Das Zeug,
das man w i l l, strahlt halt, und das wird willentlich und
wissentlich von Verantwortlichen und Interessenten in Kauf genom-
men. Jetzt freut sich Schily auf einen parlamentarischen Untersu-
chungsausschuß wie denjenigen wg. Flick, wo er seine großen Auf-
tritte hatte. Die wird er vielleicht wieder kriegen. Nach der
"g e k a u f t e n" Republik läßt sich jetzt die g e-
s c h m i e r t e Republik anklagen. Daß es sich beim Objekt
dieser großen Anteilnahme vielleicht um eine S c h e i ß r e-
p u b l i k handeln könnte, wird bei solchen alternativen Sau-
bermännsübungen freilich nie herauskommen.
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