Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart


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       Das neue Lieblingskind der BRD
       

DER HOCHTEMPERATURREAKTOR

"Deutsche und Sowjets bauen Hochtemperaturreaktor", tönte es laut, als Helmut Kohl in Moskau war. Das Lob für diesen Kernreak- tortyp überschlug sich, und nebenbei erfuhr man auch, daß für ihn in der Bundesrepublik ein "standortunabhängiges" Genehmigungsver- fahren läuft. Bei dem guten Stück handelt es sich nicht nur um die Krone des Exports, sondern man darf sich auf ihn auch in heimischen Landen freuen: "Die günstigen Sicherheitseigenschaften des HTR verschaf- fen diesem System Standortvorteile, da die Bevölkerung selbst im Falle hypothetischer Störfälle mit extrem niedriger Eintritts- wahrscheinlichkeit nicht evakuiert werden müßte." (Michaelis, Handbuch der Kernenergie, Düsseldorf 1986, S. 574) Scheint ja ein tolles Ding zu sein. Nur, ganz so neu, wie jetzt gerne getan wird, ist das Prinzip dieses Atomreaktors auch wieder nicht. Er gehört zur Familie der gasgekühlten und mit Graphit moderierten Reaktoren, die für ihre "Gutmütigkeit" schon immer bekannt waren; allerdings galten sie in der BRD als u n w i r t s c h a f t- l i c h. Also setzte man für das Fortkommen unserer Industrie auf Risiko und entwickelte den Druckwasserreaktor zu Leistungs- größen weiter, wie sie sonst niemand auf der Welt baut mit all dem Gefährdungspotential, das der Hochtemperturreaktor nun angeblich nicht mehr hat. Ein interessanter Fortschritt, der jetzt auf uns zukommen soll. "Die bei Leichtwasserreaktoren so gefürchtete 'Kernschmelze' ist bei dem Hochtemperaturreaktor ausgeschlossen, da keramisches an- stelle von metallischem Material für Brennelemente und Kernaufbau verwendet werden. Bei einem Ausfall des wärmeäbführenden Helium- gasstroms tritt keine Überhitzung des Reaktorkerns ein. Die Reak- torleistung geht vielmehr selbsttätig zurück, weil die energie- liefernde Kettenreaktion aus physikalischen Gründen zum Erliegen kommt. Der Reaktor schaltet sich gewissermaßen von selber ab. In der Fachwelt gilt der Hochtemperaturreaktor allgemein als 'gutmütig' auch bei schweren Störfällen." (Süddeutsche Zeitung, 25.10.88) Die Deutsche Presseagentur "klärt" über den unbekannten Reaktor- typ "auf". Das kann man so oder so lesen. Entweder: Bei den Leichtwasserreaktoren im allgemeinen und den Druckwasserreaktoren im speziellen muß man mit Betriebszuständen rechnen, von denen meint noch nicht einmal die deutsche Atomindustrie, sie wären "beherrschbar". Oder aber man kann sich daran erinnern, daß die Druck- und Siedewasserreaktoren in etwa mit den gleichen Argumen- ten über den Schellen-König gelobt werden. Es mag ja durchaus sein, daß ein gasgekühlter Reaktor konstrukti- onsbedingt V o r t e i l e gegenüber anderen Modellen aufweist. Das heißt aber auch nur, daß er eben a n d e r e S t ö r f ä l l e kennt. Z.B. Wassereintritt in den Reaktorkern mag er gar nicht. "Gau im HTR Mittelpunkt des Geschehens wäre hier, daß ein Rohr eines Dampfer- zeugers platzt und so Wasser in den Reaktor eindringt. Das ein- dringende Wasser würde Moderatorwirkung entwickeln. D.h. es wür- den noch zusätzliche Neutronen abgebremst, die zu explosiven Lei- stungssteigerungen führen würden. Die Sicherheitseinrichtungen sind auch bei diesem Reaktortyp so, daß ein solcher Fall unter Kontrolle gehalten wird." (Energie für morgen - Planung von heute, hgg. Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsar- beit, München 1978, S. 63) Klar, daß ein Reaktorbauer für einen solchen Fall "vorsorgt". Demnächst wird man wahrscheinlich darüber aufgeklärt werden, daß ein HTR über 6 Dampferzeuger verfügt im Unterschied zu bloß 4 beim Druckwasserreaktor: 50% mehr Sicherheit! Der technische Grund liegt darin, daß die Dampferzeuger, in denen das Kühlgas Helium seine Temperatur an den Dampfkreislauf abgibt, mit dem die Turbine für den Stromgenerator betrieben wird, notorisch undicht sind. Deswegen werden sie bei einem Reaktor, bei dem der Eintritt von Wasser einen kritischen Unfall heraufbeschwört, von vornher- ein kleiner ausgelegt. Mit laufenden Leckagen der Dampferzeuger wird darüber hinaus gerechnet. Feuchtigkeitsfühler geben darüber Auskunft, wann der Wasseraustritt nicht mehr tolerierbar ist, und Gasreinigungsanlagen sorgen dafür, daß die chemischen Reaktions- produkte, wemn Wasser über heißen Graphit geleitet wird - H2, CO, CO2 und CH4 (Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Methan) -, als "Verunreinigung" des Kühlgases Helium entfernt werden. Eintritt von Sauerstoff - z.B. den aus der Luft - kann ein sol- cher Reaktor auch nicht leiden, wegen der Graphitkugeln, in die der atomare Brennstoff eingepackt ist. So ist durch ein Spannbe- toncontainment ebenfalls vorgesorgt, daß es zu einem Graphitbrand wie in Tschernobyl nicht kommen kann... Alles controlletti! Ein wenig Betriebspraxis kann der Thorium-HTR in Hamm-Uentrop be- reits aufweisen und damit auch einschlägige Störfälle. Der Brenn- stoff in der bundesdeutschen Linie der HTRs ist in kugelförmigen - Graphitelementen untergebracht, die zu einem Kugelhaufen zusam- mengeschüttet werden. Um die Reaktivität der ablaufenden Kern- spaltungsprozesse zu regeln, werden in diesen Kugelhaufen Steuer- stäbe eingefahren, wobei davon ausgegangen wird, daß das immer problemlos funktioniert, da die Wahrscheinlichkeit, daß eines dieser Brennelemente dabei zerbricht und der Regelungsstab sich deswegen verklemmt, extrem unwahrscheinlich sei. "Bei einer Schnellabschaltung konnten aufgrund eines Bedienungs- fehlers sieben von 42 Steuerstäben nicht vollständig in den Brennstoff-Kugelhaufen gefahren werden; sie blieben einen knappen Meter vor Erreichen der maximalen Einfahrtiefe stecken. Zwar wur- den die Stäbe, wie vorgesehen, mit Gasdruck zwischen die Brenn- elemente getrieben, doch im unteren Teil des vier Meter hohen Ku- gelhaufens war die Spannung zu hoch. Abgesehen von der unzurei- chenden Abschaltwirkung zerbrach eine große Zahl von Brennelemen- ten, was zu erheblichen Spaltstoffreisetzungen führte." (Reimar Paul, Der gefährliche Traum Atomkraft, Frankfurt/M. 1986, S. 58) An der öffentlichen Darstellung der vorzüglichen Eigenschaften eines Hochtemperaturreaktors könnten einem die dummdreisten Lügen auffallen, die schon wieder in die Welt gesetzt werden. "Schaltet sich gewissermaßen von selber ab." Wie denn? Nur "gewissermaßen"? Wie sollen sich auch 700 Kilogramm Atombombenrohstoff auf einem Haufen "von selber" abschalten? Und was soll der Hinweis auf "keramisches anstelle von metallischem Material" als Versicherung gegen eine Kernschmelze, wenn Metall noch nicht einmal die norma- len Betriebstemperaturen in diesem Reaktor aushält? Die Fachwelt drückt sich da etwas vorsichtiger aus. Unter "gutmütig" versteht sie, daß im Falle eines Falles mehr Zeit bleibt, geeignete Gegen- maßnahmen einzuleiten - und die sind wie üblich auch mehrfach ausgelegt. Dient alles der Sicherheit! "Charakteristische Störverhalten Insbesondere bei extrem unwahrscheinlichen, hypothetischen, Stör- fällen sind das günstige Selbstabschaltverhalten sowie der verzö- gerte Temperaturanstieg von entscheidendem Einfluß. Das Versagen der Kühlung kann über längere Zeit durch die Naturkonvektion überbrückt werden. Auch bei Druckentlastungsstörfällen, bei denen der Betriebsdruck von 40 bar auf das Druckniveau des Sicherheits- behälters abfällt, gibt es keine abrupten Temperaturanstiege. Selbst bei anfänglichem Versagen der Nachwärmeabfuhr können die Kühlsysteme auch noch mehrere Stunden nach Störfalleintritt in Betrieb genommen werden, so daß bleibende Schäden an der Reaktor- anlage vermieden werden. In der Zeit bis zur Inbetriebnahme der Nachwärmeabfuhr ergeben sich nennenswerte Möglichkeiten zur Repa- ratur von Nachwärmeabfuhreinrichtungen. Untersuchungen dieses Störfalltyps zeigen, daß für Zeiträume zwischen 5 und 10h nach Störfalleintritt Reparaturwahrscheinlichkeiten zwischen 65 und 85% bestehen. Innerhalb dieser Zeit werden lediglich Temperaturen erreicht, die unterhalb der Versagentemperaturen für die Brenn- elemente liegen und daher auch nicht zu einer massiven Freiset- zung von Spaltprodukten führen. Bei längerfristigem Ausfall der Nachwärmeabfuhr kommt es durch die Nachwärmeproduktion zu einer weiteren langsamen Temperaturerhöhung. Bis zu Temperaturen von etwa 2400°C treten keine Zerstörungen der den Brennstoff enthal- tenden coated particles auf. Aufheizversuche bis zu diesen Tempe- raturen wurden mit gutem Erfolg durchgeführt. Erst die Über- schreitung dieses Versagengrenzwertes der Brennelemente führt zu einer deutlich verzögerten Freisetzung von Spaltprodukten zu ei- nem Zeitraum, zu dem kurzlebige Spaltprodukte schon in größeren Mengen zerfallen sind und nicht mehr zur Strahlenbelastung der Umgebung beitragen können." (Erwin Münch, Tatsachen über Kern- energie, Essen 1983, S. 117) All diese Erwägungen - die im übrigen gar nicht öffentlich durch- geführt werden; der Bürger bekommt zur neuen Reaktorlinie nur die Märchen vorgesetzt - betreffen wieder nur das "Störverhalten". Vom normalen Betrieb ist einmal mehr nicht die Rede. Auch in die- sem Reaktor werden die Anlagen- und Gebäudeteile verstrahlt, wird laufend Radioaktivität an die Umwelt abgegeben, z.B. Tritium (mit einer Halbwertszeit von 12 Jahren), das aus Umwandlung von Li- thium - einer "Verunreinigung" des Graphits - entsteht und wegen seiner Moderatorwirkung aus dem Kühlgas entfernt wird. Die abge- gebenen Werte mögen vielleicht geringer sein als bei einem Druck- wasserreaktor; das scheint aber nur ein Argument dafür zu sein, solche Geräte dichter an besiedelte Flächen zu bauen, zur Erzeu- gung von Fernwärme in Städten unter anderem. Ein bißchen Mut ge- hört auch bei diesem Reaktortyp dazu und der feste Glaube, daß man das Problem zerbrechender Brennstoffkugeln, der Normalstör- falltyp dieser Linie, in den Griff bekommen kann. Über einen Brennstoffzyklus verfügt der HTR auch. Der THTR in Hamm wird mit auf 95% angereichertem Uran-235 betrieben und kon- vertiert während des "Abbrandes" seiner Brennelemente Thorium-232 in Uran-233. Dieses Uran-Isotop ist so gut wie das Isotop 235 und der interessierende Konversionsprozeß "streckt" damit "unsere Uranvorräte". Brutreaktor heißt ein solcher "Konverter" nur des- wegen nicht, weil er nicht m e h r Uran-233 produziert als Uran-235 in ihn hineingesteckt wurde, nur fast ebensoviel. Einen industriellen Wiederaufbereitungsprozeß gibt es für diese Brenn- elemente zur Zeit nicht, möglich ist er natürlich und interessant obendrein, wegen des Restbestandes an U-235 und U-233 der abge- brannten Elemente, der jedes Natururan bei weitem übertrifft. Vorläufig liegt für die Brennelemente nur eine Genehmigung zur Endlagerung vor, fragt sich nur wo! Einen Nachteil hat dieser Uran-Thorium-Brennstoff-Kreislauf. We- gen der Verarbeitung von reinem Waffenuran und der Erbrütung von Uran-233, das ebenso waffentauglich ist, fällt er unter das Pro- liferationsabkommen und eignet sich nur bedingt für den Export. Deshalb hat der Bundestag einen Brennstoffzyklus mit auf "nur 10% angereichertem Uran" vorgesehen (im Unterschied zu den Leichtwas- serreaktoren, die mit auf 3% angereichertem Uran arbeiten). Das ergibt wieder keinen Brüter, sondern einen Konverter von Uran-238 in Plutonium-239, wie in den Leichtwasserreaktoren gehabt. Dieser Uran-Plutonium-Zyklus hat den Vorteil, daß man sich an die beste- hende Wiederaufbereitungstechnik anhängen kann... Nach dem glei- chen Prinzip des Kugelhaufenreaktors läßt sich darüber hinaus ein schneller Brutreaktor konstruieren. Alles in allem also ein ge- lungenes Modell für den Ausstieg aus dem laufenden und den Ein- stieg in den Umstieg ins nächste Jahrtausend. Bild ansehen Querschnitt durch den Kugelhaufenreaktor" Bild ansehen Reparaturwahrscheinlichkeit zurück