Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
zurück Marode DDR-Atomkraftwerke:SAUBER DURCH ÜBERNAHME
Vor ein paar Wochen noch sollte man darüber erschrecken, daß das DDR-Kernkraftwerkskombinat in Lubmin bei Greifswald "ein atomarer Sprengsatz ist, der jeden Moment in die Luft fliegen kann". Dem- gegenüber sollen sich die strahlenden bundesdeutschen Meiler glatt wie vorbildliche Gesundheits- und Sicherheitseinrichtungen ausnehmen. Bundesumweltminister Töpfer präsentierte sich vor lau- fenden Kameras betont erschüttert über den "katastrophalen Si- cherheitsstandard" im "Tschernobyl Nord" und wollte "im Interesse der Bürger in Ost und West" den Weiterbetrieb nicht länger ver- antworten können. Und die schwarz-rot-goldenen Reaktorsicher- heitskommissionen von "Spiegel" und "Bild" führten mit "geheimen Störfallprotokollen" und "exklusiven Geständnissen" eines rübergemachten DDR-Atomarbeiters den billigen Beweis, daß eine DDR-Atompolitik ein rücksichtsloses gesamtdeutsches Ver- strahlungsprogramm ist, ein einziges Verbrechen an Gesundheit und Umwelt, weshalb sie schleunigst in bundesdeutsche Obhut gelegt und einem Atomminister wie Töpfer überantwortet gehört: - "Irreversible Versprödungen im Reaktordruckbehälter"; - "jahrzehntelang verschwiegene, schwerste Störfälle", ein (Beinahe-)GAU, Zwangsrekrutierungen von Soldaten der Nationalen Volksarmee für strahlenbelastete Reparatur- und Putzarbeiten, eine "Praxis des Verheizens"... - "unglaubliche Zustände und Praktiken". So etwas kann ein gesundes Atomprogramm Marke West natürlich nie und nimmer zustandebringen. Die versprödeten Werke in Stade und Krümel stehen eben auf bundesrepublikanischem Boden und nicht in der DDR. Und spätestens seit dem (Beinahe-)GAU in Biblis anno Weihnachten 87 garantiert bei uns ja schon allein die demokrati- sche Informationspolitik dafür, daß man sich über die jährlich 250 Störfälle der Kategorien "Normal bis Eilt" nicht weiter beun- ruhigen muß, weil noch jeder fall-out prompt gemeldet und öffent- lich gemacht wird, der unvergleichliche demokratische Berstschutz also prächtig funktioniert gemäß der Logik: "Störfall genannt ist so gut wie ihn gebannt." Und natürlich wird bei uns niemand zum Becquerel-Wischen eingezogen und zwangsverpflichtet. Das erledigt hier das Geschäftsinteresse von Kraftwerksbetreibern und speziel- len Leiharbeitsfirmen, die die täglich und jährlich erlaubte Strahlenbelastung ihrer türkischen und deutschen Putzkolonnen vermieten. Doch die Geschichte galoppiert so schnell, daß selbst riesengroße Unterschiede im Nu verschwinden. Seit neuestem besteht "keine so unmittelbare Gefahr, daß gleich morgen die Kernkraftwerksblöcke in Greifswald abgeschaltet werden müssen", verkündet Töpfer in vorausschauender energiepolitischer Gesamtverantwortung. Klar. Mit jedem Tag, an dem die Wiedervereinigung auch der deutschen Atomindustrie "näherrückt", wird nämlich auch das "schlampigste und marodeste Atomkraftwerk der Welt" ganz automatisch wieder strahlungssauberer und gesünder. Dann nämlich, wenn die Bundes- deutschen die Oberaufsicht bekommen und Siemens östliche Kern- kraftwerke gemäß westlichen Vorschriften nachrüsten darf. Mit solcher Nachhilfe können die inzwischen abgeschalteten Reaktor- blöcke in Greifswald dann in Zukunft wieder ans Netz gehen. Schließlich ist für eine gesamtdeutsche "freie Marktwirtschaft" und ihr neues "Wirtschaftswunder" drüben auch der Atomstrom aus Lubmin dann "unverzichtbar", und deshalb die dann anfallende Strahlung ein garantiert zuträgliches "Restrisiko" für Groß- deutschland. zurück