Quelle: Archiv MG - BRD KERNENERGIE ALLGEMEIN - Von der strahlenden Gegenwart
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Der russische GaU - ein demokratischer Glücksfall
VON WEGEN "UMDENKEN"!
Es stimmt nicht, daß mit dem russischen GAU die Kritik an den
Kernkraftwerken einen Aufschwung genommen. Und schon gar nichts
zu spüren ist von einer Selbstkritik derer, die Kernkraftwerke
betreiben. Das ist auch gar nicht verwunderlich. Welche Argumente
für oder gegen die nationale Atomindustrie und ihr Gerät sollte
denn der Unfall in der Ukraine den schon feststehenden hinzufü-
gen, welche denn entkräften? Daß solche Unfälle möglich und fäl-
lig sind, war jedenfalls schon vorher bekannt. Am besten denjeni-
gen, die sich von Berufs wegen mit Reaktorsicherheit befassen.
Und der Schrecken, der manchen Zeitgenossen befällt, weil jetzt,
weil jetzt leibhaftige Strahlenopfer unterwegs sind, taugt zur
Bekehrung ebenfalls recht wenig. Daß b e i m Betrieb solche Op-
fer vermieden gehören, "folgern" die einen; daß d e r Betrieb
zur Vermeidung solcher Katastrophen eingestellt gehört, die ande-
ren.
Die Bilanz, die sich aus den Reaktionen auf den Reaktorunfall
ziehen läßt, zeigt, was die Rede vom "Umdenken", die durch
sämtliche Lager geistert, meint. Korrekturen sollen die jeweils
anderen und gegnerischen Standpunkte auf sich nehmen - die eigene
Position hat zu bleiben, wie sie ist und noch energischer als
bisher vertreten zu werden. Daß ein E r e i g n i s - und sei es
auch eine Katastrophe - jemanden zur "Umkehr" bringt, mag in der
Bibel vorkommen. Im wirklichen Leben spielt es eine
vergleichsweise geringe Rolle. Weit entfernt davon, als "Ursache"
ein entsprechendes Dichten und Trachten zu "bewirken", ist es
entweder ein G e g e n s t a n d, über den man sich Rechenschaft
ablegt. Mit dem Grund und Verlauf der Sache bekannt gemacht, kann
man sodann interessiert prüfen, ob sie einem genehm ist, oder ob
es da etwas zu tun gibt". Oder besagtes Ereignis dient den
Zeitgenossen als A n l a ß, das was sie schon immer gesagt und
getan haben jetzt noch lauter zu sagen und noch entschlossener zu
tun, Wenn sie dabei zuviel Aufhebens über die wegweisenden
Qualitäten des Anlasses machen und ihre Absichten und Befunde
quasi als dessen "Produkt" ausgeben, so sollte man ihnen diese
Lüge besser nicht glauben. Näher liegt da schon die gar nicht
schwer zu ermittelnde Wahrheit, daß Tschernobyl alle Welt
b e s t ä t i g t, d.h. zu haargenau den Überlegungen "bewegt",
auf die sie sich schon immer viel zugutehalten:
- Denen, die mit der Feindbildpflege befaßt sind, ist mit der Ka-
tastrophe prompt eine Bereicherung des ausgelutschten Materials
ihrer Russenhetze zugefallen
- Diejenigen, die das Deutsche lieben und ehren, finden vor lau-
ter Begeisterung über die Sicherheitsstandards speziell deutscher
AKWs kaum noch passende Worte
- Die Betreiber der deutschen Kernkraftindustrie hören das gern
und schließen aus Tschernobyl messerscharf, daß sie mindestens so
weitermachen müssen wie bisher
- Die AKW-Gegner im Lande meinen hauptsächlich "Da seht ihr's!"
und wollen ein zusätzliches Argument zu ihren alten Einwänden an
Land gezogen haben
- Die Parteien nehmen wachsam die Katastrophenmentalität des Vol-
kes zur Kenntnis um sich wahlkämpferisch zu profilieren - der Ruf
nach Führung und Betreuung in Sachen Strahlenangst wird Wahl-
kampfthema
- Die Wähler passen auf, wer alles umdenkt, um ihre Stimmen zu
verteilen
- Christen sehen wie immer schwarz von wegen menschlicher Hybris
und verwechseln immer noch Herrschaft mit Verantwortung
- Mütter denken wie zuvor nicht an sich oder über Kernkraft und
ihre staatliche Verwaltung nach, sondern ausschließlich an ihre
Kinder - in deren Namen sie ja bisher alles getan und gelassen
haben
- Der Bundespräsident übt sich in Verantwortung, denkt nach und
entdeckt ein Problem
- Anti-AKW-Demonstranten demonstrieren gegen AKWs, wie bisher im-
mer vor Ort, weil sie jetzt erst recht im Recht sind mit ihren
verkehrten Argumenten und "Strategien"
- Strahlenschutzmediziner klären wie zuvor über die relative Ver-
träglichkeit relativ großer Mengen Strahlung auf
- Bürger wollen Klarheit und Einheit und Führung von i h r e r
Führung, weil die ist für die Bewältigung von Tschernobyl da wie
für alles andere auch
- Weltpolitiker kämpfen wegen Tschernobyl an der diplomatischen
Front - wie immer um unseren Einfluß auf die Russen
etc. etc.
Nicht einmal die Marxistische Gruppe hat sich entscheidend vom
GAU beeindrucken lassen. Aber n i c h t w e g e n Tschernobyl
wähnen wir uns irgendwie im Recht, sondern wegen unserer Kennt-
nisse des atompolitischen Programms in Ost und West, sowie dessen
ökonomischer und technischer Rücksichtslosigkeit. Die Forderung,
die in Bonn am Rhein möchten abschalten, erheben wir nicht wegen
Tschernobyl, sondern aus anderen Gründen. Wir halten nämlich den
Gedanken für verkehrt, daß in Bonn und anderswo regiert wird, um
"uns" irgend etwas zu ersparen, was mit den Zielsetzungen unseres
Staates unverzichtbar ist. Auch leuchtet uns deswegen die Ver-
leumdung nicht ein, daß die E n t m a c h t u n g der Atomna-
tionalisten ein U m w e g sei - hin zur Abschaltung der AKWs.
Den (kürzeren) Weg über die vertrauensvolle E r m ä c h t i-
g u n g zum Abschalten-Lassen soll uns erst mal einer zeigen.
Kurz: Alle wesentlichen, in der GAU-Aufregung zu kurz gekommenen
Antworten auf die Fragen: Warum? Von wem? Wozu? Wie? in Sachen
AKW bilden den Gegenstand dieser Nummer. Und natürlich die obli-
gatorische Rubrik "So nicht!", die sich dem politischen wie men-
schlichen Umgang mit Tschernobyl widmet.
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