Quelle: Archiv MG - BRD INNENPOLITIK AUSLAENDER - Von der Sortierung der Leute
zurück Bremer Hochschulzeitung Nr. 96, 12.06.1984 Bremen aktuell Ausländeranhörung in der BürgerschaftPERSILSCHEIN FÜR BREMER AUSLÄNDERPOLITIK
Die Bremer Senatoren Grobecker, Kröning und Scherf brachten letzte Woche etwas Abwechslung in ihren Politikeralltag. Zwei Tage lang trat die Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Armut, trat die Ausweisung von Ausländern und die Ablehnung von Asylan- trägen etwas in den Hintergrund. In der Bürgerschaft war nämlich zwei Tage eine Anhörung. Dazu hatten die Senatsvertreter über einhundert Ausländer und professionelle Ausländerbetreuer ein- geladen, um sich von ihnen berichten zu lassen, wie die vom Senat getragene und verantwortete Ausländerpolitik auf die Betroffenen wirkt. Der nicht allzu überraschende Befund: sie wirkt ungeheuer. "Seit Jahren herrscht in Gastarbeiterfamilien Angst und Unsicher- heit. Die Arbeitslosigkeit, eine rigorose Gesetzgebung und Furcht vor der Abschiebung lassen keine Zukunftspläne reifen. Die Aus- länderkinder, mittlerweile zu Jugendlichen herangewachsen und ih- rer eigenen Kultur entfremdet, wollen und können in vielen Fällen nicht in die Heimatländer folgen und verstecken sich vor ihren Eltern. Dazu kommen offenbar Behördenwillkür und Schikane." (Weser-Kurier, 5.6.84) Dem Berichterstatter, der sich drastisch und detailliert über die Ungemütlichkeit eines Ausländerlebens in Bremen ausließ, wollte gar nicht erst auffallen, daß die Verursacher der beschissenen Lage im Saal saßen - als Anhörer getarnt -, und daß die Frage "Wie geht's denn so?", von Grobecker, Scherf oder Kröning an einen arbeitslosen Türken gerichtet, nicht der Auftakt zu einem Dialog, sondern professioneller Zynismus. war. (Blöd genug, daß sich niemand im Saal diese Fragerei verbat.) Für die Journaille und die Politiker war die zweitägige Audienz, die der Senat sei- nen "Gästen" gewährte, als "Bremer Experiment" geglückt. Natür- lich nicht, weil Grobecker einen großen Geldsack mitgebracht hätte, um den bei Klöckner gefeuerten Türken kräftig unter die Arme zu greifen; natürlich nicht, weil Kröning seine Ausländerbe- hörde aufgelöst hätte, um manchen Türken oder Pakistani den Knast hier und/oder zuhause zu ersparen. "Geglückt" war das Ganze, weil Bremens Experten in Sachen Ausländerpolitik doch tatsächlich die Zeit und den Mut aufgebracht hatten, sich unters Volk, das fremd- ländische gar, zu mischen, um - angeblich - ihre Politik dem har- ten Test derer auszusetzen, die sie auszubaden haben. Allerdings: die "ungewöhnliche Situation, daß sich Politiker kommentarlos die Klagen und Vorwürfe von Betroffenen anhören müssen" (WK, 6.6.84), verdankt sich nur der demokratischen Phantasie des Journalisten. Denn kommentar- und sprachlos waren sie weiß Gott nicht, die Her- ren Anhörer. - Arbeitssenator GROBECKER hatte, auch im Namen der Kollegen, schon in der ersten Minute des Hearings eines klargestellt: auf Bremen und seine Ausländerpolitik könne unmöglich ein Verdacht fallen, weil alles Böse aus Bonn kommt, und dort regiert bekannt- lich die CDU. "Ursache der Betroffenheit, so Grobecker in seinem Eingangssta- tement, sei "die veränderte wirtschaftliche Lage und im Gefolge dieser Lage die geänderte politische Großwetterlage bei den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen Arbeitneh- mer und deren Familienangehörigen." (taz, 7.6.84) So einfach ging die Sonne über Bremen auf. Niemand wollte mehr fragen, wieviele sozialdemokratische Unterschriften unter den Ausländergesetzen und Ausweisungsbescheiden vor und nach Zimmer- mann gestanden hatten; offenbar fiel nach dieser amtlichen Klä- rung der Schuldfrage niemandem mehr auf, daß die zur Anhörung ge- brachten Fälle von "Behördenwillkür und Schikane" sich allesamt in Bremer Amtsstuben zugetragen hatten, unter der Jurisdiktion der Herren Veranstalter also. - Abschiebesenator KRÖNING verbat sich jede Kritik an sich und seiner Behörde mit dem Hinweis darauf, anderswo werde noch mehr schikaniert als in Bremen. Die 2.000 Asylbewerber, denen in letz- ter Zeit in Bremen die Anerkennung verweigert worden ist, werden sicher mit Dankbarkeit den senatorischen Hinweis zur Kenntnis ge- nommen haben, nirgends werde eine "liberalere Ausländerpolitik" gemacht als an der Weser. Im übrigen traf auf den Innenverwalter die süffisante Bemerkung des Weser-Kurier zu: "Während im Plenarsaal Vorschläge für eine bessere Ausländerpoli- tik gemacht wurden, ging draußen die Arbeit für die Ausländerbe- hörde wie gewohnt weiter." Mit Ausweisungen und Fahndungen nach Abschiebungskandidaten. Die Doppelaufgabe nach drinnen und draußen erledigte Kröning durchaus auf dem Niveau der Anhörung - mit der gebotenen Mischung aus Frechheit, Heuchelei und Jovialität. "Geradezu böse wurde der Innensenator Kröning, als auch in dem Hearing von einer Türkin der Fall des polizeilich gesuchten A. Celik angesprochen wurde.... Ganz privat setzte sich der Innense- nator dann neben die anklagende Frau und teilte ihr, und nur ihr mit, daß er von dem Fall natürlich nichts gewußt habe (als ob er die BHZ Nr. 94 nicht gelesen hätte), und daß er gerade, also just am 4. Juni die polizeiliche Verfolgung gestoppt habe. (taz, 7.6.84) So zog die so oft vermißte Menschlichkeit in den Plenarsaal der Bürgerschaft ein! - Senator SCHERF schließlich begab sich gar nicht erst in die Niederungen seines Ressorts, von dem nichts Gutes berichtet wor- den war. Er entdeckte einen ungeheuren Fall von Ausländerfeind- lichkeit - hinten weit in der Türkei. "Wie bereits berichtet, können die jungen Türken nach Ableistung ihrer 18 monatigen Wehrpflicht nicht mehr in die Bundesrepublik zurückkehren, da sie in dieser Zeit ihren Arbeitsplatz verloren haben.... Die Möglichkeit, den Wehrdienst auf zwei Monate zu verkürzen indem 20.000 DM gezahlt werden, sei angesichts der sozialen Lage der Betroffenen illusorisch." (WK, 6.6.84) Saubermännischer geht es nicht. Kein Wort gegen den Waffendienst bei der Armee des östlichen NATO-Pfeilers; kein Wort gegen die Rausschmisse durch Staat und Kapital hier; kein Wort Über die "soziale Lage der Betroffenen", für die der lange Scherf verant- wortlich zeichnet - und ein Riesenherz für die Ausländer. Denn wirklich übel mit den Türken springen nur die Türken um. Da traf es sich gut, daß die bundesamtliche Ausländer-Moral-Tante Funcke im Saal war. Ihr drückte der Diplomat Scherf einen Brief mit dem Ausdruck seiner tiefen Betroffenheit in die Hand, den er nicht selbst nach Ankara schicken wollte. Fazit ----- Kritiker der Anhörung täuschen sich, wenn sie meinen, die Konse- quenzen der Veranstaltung blieben offen. Das Hearing war konse- quent genug. Erstens durften Deutsche und Türken von der demokra- tischen Gnade Gebrüll machen, ihre Sorgen an die Politiker loszu- werden, die sich zweitens dafür für aufgeschlossen, aber unzu- ständig erklärten, was ihnen drittens ein dickes Lob der Öffent- lichkeit einbrachte: das Bremer Beispiel soll Schule machen. Ach ja, viertens wird eine Dokumentation Über das Ganze verfaßt, da- mit spätere Türkengenerationen nachlesen können, wie gut es ihren Vorfahren einst in Bremen erging. Merke: Nichts wäscht weißer als ein wenig Demokratie. P.S.: Alles Wesentliche gegen christliche wie sozialdemokratische Ausländerfreunde findet sich in der MG-Publikation "ARGUMENTE ZUR AUSLÄNDERPOLITIK - eine Polemik gegen den demokratischen Rassis- mus", erhältlich an den Büchertischen und im BUCHLADEN BEIM DO- VENTOR. zurück