Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn
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Wissen Sie (noch), was ein Streik ist? Wie er geführt werden muß, damit er sich für die Arbeitnehmer lohnt? Wissen Sie auch, daß das, was die Gewerkschaft gegenwärtig vorhat, alles andere als ein effektiver Arbeitskampf ist, der den Unternehmern mehr Lohn bzw. Arbeitszeitverkürzung abzwingen will? Und wissen Sie, daß die Warnungen von Regierung, Unternehmern und Öffentlichkeit vor einer drohenden Katastrophe für die Republik deshalb ziemlich ge- heuchelt sind? Wissen Sie dann, wofür überhaupt gestreikt wird? Streik ------ das ist der 'Schlag' (engl. strike), den organisierte Lohnarbei- ter gegen das Kapital führen, das ihre Arbeitskraft benutzt. Mit der Waffe, die sie haben: der Verweigerung - der organisierten, auch gegen Streikbrecher durchgesetzten Verweigerung - der Dienste, die das Kapital nun einmal braucht für seine Vermehrung. Die Gewerkschaft möchte ihn tunlichst vermeiden ----------------------------------------------- Jeder, erst recht die Gewerkschaft, weiß, daß die Arbeitgeber nicht freiwillig Zugeständnisse an die Lohnarbeiter machen, die die Betriebe etwas kosten. Also muß man die Unternehmer dazu zwingen. Diesen einfachen Schluß wollen die Gewerkschaften nicht ziehen. Möglichst kein Streik, heißt ihre Parole. Bloß keine Ge- schäftsschädigung der Unternehmer, keine Gefährdung des Auf- schwungs, keine Störung der politischen Ordnung: "Wir wollen alles tun, um die Tarifbewegung 1984 ohne Urabstim- mung und Streik beenden zu können." "Wollen sie (die Arbeitgeber) um eines Dogmas willen die Verant- wortung übernehmen für einen harten Arbeitskampf, der die erfreu- liche konjunkturelle Erholung nach der größten Rezession der Nachkriegszeit gefährden kann? Die IG Metall will diesen Kampf möglichst vermeiden; sie hat Signale der Kompromißbereitschaft gegeben." "Wir haben nicht leichtfertig entschieden, weil wir wissen, was auch politisch auf dem Spiel steht." Was gerade das Mittel wäre, für die Mitglieder Vorteilhaftes her- auszuholen, die Geschäfte der Unternehmer tatsächlich zu schädi- gen und so auch auf die politischen Wächter der kapitalistischen Eigentumsordnung ein wenig Druck zu machen, das wollen die Ge- werkschaften am liebsten überhaupt nicht. So lieb haben sie die demokratische Ordnung und die kapitalistische Wirtschaft, in denen es den Arbeitnehmern anscheinend ganz gut geht. Entschließt sich die Arbeitnehmervertretung dann doch für Streik, will sie es auf keinen Fall selbst gewesen, sondern von den Unternehmern dazu "gezwungen" worden sein. Dementsprechend harmlos sieht dann der Streik aus. Nicht nur, daß monatelang das Ritual der Streikvermeidung nach allen feststehen- den und neuerfundenen Regeln durchgezogen wird: Da bringen Feier- tage genauso eine weitere Woche ohne Streik wie Spitzengespräche mit vorher feststehendem Ausgang. Auch die rationelle Überlegung: Wie groß muß die Streikgewalt sein, damit die Arbeitgeber sich bewegen? findet nicht statt. Ein paar wirkungslose Warnstreiks sollen besser sein als die Lahmlegung eines Betriebs; ein Tag Streik besser als eine Woche und mehr; ausgewählte Betriebe kom- men vor ganzen Bezirken - ja kein Flächenstreik! Und da die Ge- werkschaft es ihren Mitgliedern längst abgewöhnt hat, daß Streik wirksames Zuschlagen ist, bekommt sie auch noch das Problem, sich für die Urabstimmung Bezirke und Betriebe aussuchen zu müssen, wo eine Pleite wahrscheinlich nicht zu erwarten ist. So daß Unter- nehmer und andere hämisch darauf verweisen können, daß die ge- werkschaftliche Basis eigentlich gar nicht wolle. Wofür der Streik! ----------------- Und tatsächlich hätten die Mitglieder allen Grund, von diesem Streik nichts zu halten. Er bringt ihnen nämlich nichts, das steht jetzt schon fest. Die "Jahrhundertforderung", die sich die Gewerkschaft nach mehreren Lohnsenkungsrunden - natürlich gingen die ohne Streik - dieses Jahr ausgedacht hat, hat so gilt wie in keinem Punkt das Interesse der Arbeitnehmer zum Anliegen: - Arbeitszeitverkürzung wird ja gefordert, weil die Massenar- beitslosigkeit wirtschaftlich Reichtumsverschwendung sei - warum sind dann nur Unternehmer so blöde, solche Ressourcen auf die Straße zu setzen? - und den Staat Milliarden kosten. Wo kommt denn da die Gesundheit und das Einkommen der Arbeiter vor? - Doch, das kommt vor. Die Gewerkschaften sind sich darüber im klaren, daß bei verringerter Wochenarbeitszeit die Intensität der Arbeit steigt und der Lohn sinkt. Lohnerhöhung wollen sie deshalb diesmal gar nicht fordern. Das würde die Unternehmen zu viel ko- sten. Man muß nämlich wissen, daß der DGB dem Gegner, den Arbeit- gebern, das Rechenkunststück vorsetzt "Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich" (Am Motto hält der DGB unbeirrt fest!) ko- ste so gut wie nichts. - Vielleicht stimmt das auch: Wenn nämlich die IG Metall und IG Druck statt einer 35-Stunden-Woche nurmehr einen "Stufenplan" mit mehrjährigem Verzicht auf Lohnerhöhungen als Kompromiß anbietet, ihr Samstagsarbeit kein Tabu mehr sein soll, sie dem Wunsch der Unternehmer nach flexiblen Arbeitszeiten weit entgegenkommt - ach, die Gewerkschaft kennt ja die Probleme der Unternehmer! Wettbewerbsfähigkeit. Konkurrenzfähigkeit. Rationalisierung muß sein... -, dann wird die Tarifrunde für die Arbeitgeber immer billiger. (Freilich kann sich der Arbeitnehmer unter Arbeitszeit- verkürzung nicht mehr Freizeit und gleiches Geld vorstellen). Aber wofür dann ein Streik? --------------------------- Nicht für Arbeitszeitverkürzung, nicht für Lohnerhöhung, kurz: nicht für ein besseres Leben der Arbeitnehmer. Dann wären die doch wohl dabei und bräuchte die Gewerkschaft nicht mit dem "Sein oder Nicht-Sein" ihrer Organisation bei ihrer Basis agitieren ge- hen. Es geht aber gar nicht um das materielle Interesse der Mit- glieder der Gewerkschaft. Nicht dafür möchte der DGB ihr einzig machtvolles Mittel, den Streik, einsetzen, sondern für den Erhalt ihrer politischen Rolle in der Republik, für ihr mitbestimmendes Ansehen, das sie als konstruktiver Mithelfer für das Gelingen der Wirtschaft, sozialen Friedens und Stabilität seit Anbeginn der Bundesrepublik genossen hat. Denn diese Rolle wird der Gewerkschaft gegenwärtig bestritten. Nicht weil die deutsche Einheitsgewerkschaft den Unternehmern dauernd ihren Profit weggenommen hätte, die Wirtschaft in Grund und Boden gestreikt und die politische Führung an den Rand der Regierungsfähigkeit gebracht hätte. Im Gegenteil, für die Lei- stungen der Gewerkschaft als Ordnungsfaktor, als fast bruchlose Garantie für den sozialen und Betriebsfrieden müßten deutsche Un- ternehmen und Politiker dem DGB eigentlich dankbar sein. Sind sie auch, nur sehen sie nicht mehr ein, weshalb eine solche Staatsge- werkschaft ein selbständiges Extra-Recht auf Mitbestimmung oder Rumnörgeln am Lauf der Wirtschaft und Politik haben solle: Warum sollen die Gewerkschaften nicht gleich und umstandslos der Trans- missionsriemen sein, der der Arbeitnehmerschaft weitervermittelt, was Staat und Unternehmer vorsagen. Staat und Unternehmer verlangen den gewerkschaftlichen Dienst, ohne ihrerseits feste tarifliche Bindungen einzugehen, die durch ihren allgemeinen Rechtscharakter der notwendigen Willkür einer modernen Betriebsführung Schranken setzen könnten. Das ist der politische Schlag - überhaupt nicht im geringsten Gegensatz zu den gültigen Geschäftsinteressen! -, den die Gewerkschaftsgegner anläßlich der 35-Stunden-Forderung des DGB führen. Regierung und DGB wissen voneinander, daß sie sich darüber einig sind, was volkswirtschaftlich geboten ist nach welchen Maßstäben Lohnarbei- ter benutzt und entlohnt gehören, daß Wachstum das Gemeinwohl ist usw. Für den DGB folgt aus dieser Einigkeit in der Sache das Recht, an der politischen Macht b e t e i l i g t zu werden - ein Recht, das ihm bislang noch immer gewährt worden ist. Die Re- gierung der christlichen Wende zieht aus derselben Einigkeit den entgegengesetzten Schluß: Wenn man sich in der Sache einig ist, dann ist eine besondere Rolle der Gewerkschaft überflüssig - und außerdem hat sie das dadurch zu beweisen, daß sie ihre Macht als Organisation vollständig a b l i e f e r t bei der Regierung. Gegen diese Reform der auch formellen Gleichschaltung des DGB zur Staatsgewerkschaft in jeder Hinsicht wird gegenwärtig (vielleicht) gestreikt. Eine pure "Machtfrage" also, die aber für die Gewerkschaft von vornherein schlecht aussieht. Ihre einzige wirkliche Macht, die der wirksamen Arbeitsverweigerung, will und kann sie gar nicht mehr einsetzen. Das bedeutet für ihre Mitglie- der, daß sie sich als Idioten der politischen Rolle der Gewerk- schaft hergeben sollen, für nichts und wieder nichts; ja, für ih- ren eigenen Schaden! Das ist "Streik" 1984: "In der laufenden Tarifrunde geht es um weit mehr als nur um den Abschluß eines neuen Tarifvertrags. Es geht um den Erhalt der Ge- werkschaften als gesellschaftlich relevante, gestalterische Kraft; es geht um den Erhalt des Sozialstaats!" (Steinkühler) zurück