Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn
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Tarifstreit '84
ARBEITSKAMPF VON OBEN
Ein tarifvertraglicher Abschluß des Arbeitskampfes in der Metall-
und Druckindustrie ist noch gar nicht in Sicht, da stehen die we-
sentlichen praktischen Ergebnisse bereits fest: Klarstellungen
von oben, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll in der
bundesdeutschen Republik.
Lektion 1: "Streiken lohnt nicht!"
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Zu jedem Streik gehört das bürgerliche Geschrei, daß Staat und
Wirtschaft dadurch Schaden nähmen. Davon sind die Zeitungen der
BRD, vom Weltblatt bis zum Anzeigenblättchen, natürlich auch
diesmal voll. Aber das ist gar nicht die Klarstellung, um die es
den Wirtschaftsbossen und der Bonner Regierung geht. Die arbeite
nach Kräften und nur allzu erfolgreich daran, daß ihre Lohnarbei-
ter Schaden nehmen. S i e weiten die Produktionseinstellungen
aus, ums Doppelte und Dreifache über alles hinaus, was die IG Me-
tall sich je vorgenommen hat. S i e nehmen den Ausfall von ein
paar bestreikten Zulieferern zum Anlaß, halbe Industriezweige
lahmzulegen. (Gleichzeitig lassen sie die nötigen Sonderschichten
planen, um die "streikbedingten Produktionsausfälle" wieder
reinzuholen.) Und sie sorgen dafür, daß die betroffenen Arbeiter
finanziell vor dem Nichts stehen - es sei denn, die Gewerkschaft
alimentiert doch noch die Opfer des Arbeitskampfs von oben.
Wirkung erzielen diese Maßnahmen nur, weil die Gewerkschaft einen
Streik angezettelt hat, ohne einen Kampf zu wollen. Ihre Aktionen
waren und bleiben darauf berechnet, die Gegenseite n i c h t
z u s c h ä d i g e n. Entgegen anderslautenden Gerüchten wur-
den die Arbeitsniederlegungen auf einige kleinere Zulieferbe-
triebe der Autoindustrie beschränkt, um den Fortgang des großen
Wirtschaftswachstums nur ja nicht zu beeinträchtigen. Statt Vor-
teile für die Arbeiter zu erpressen - und ohne den Willen dazu
ist ein Streik nichts -, hat die IG Metall nur darauf Wert ge-
legt, der Öffentlichkeit die Berechtigung ihrer "Forderungen" zu
d e m o n s t r i e r e n. Und diese Forderungen gingen eben nie
darauf, ein Ergebnis herauszuholen, das sich für die Arbeiter
lohnt, so daß auch die "Opfer" eines Streiks sich im Endeffekt
bezahlt machen. Diese "Bescheidenheit" hat den Unternehmern die
Waffe in die Hand gedrückt, die sie jetzt so erfolgreich anwen-
den. Sie haben jetzt die Freiheit, mit dem Verzicht auf ein biß-
chen Profit ihren Lohnarbeitern einen Schaden zuzufügen, den die
überhaupt nicht wieder gutmachen können.
Der Erfolg ist bekannt. Mitten im Streik, dessen Thema irgendwie
doch die Veränderung der Arbeits b e d i n g u n g e n ist,
macht sich unter den Opfern des Arbeitskampfes die Stimmung
breit: "Wir wollen a r b e i t e n" - unbedingt und zu so ziem-
lich allen Bedingungen. Und ausgerechnet die streikende Gewerk-
schaft setzt sich an die Spitze dieser "Arbeiterbewegung" und or-
ganisiert gegen Aussperrungen ein großes Straßentheater nach dem
anderen mit der jämmerlichen Beschwerde: "Die Bosse lassen uns
nicht - arbeiten!"
Das ist mehr als eine Ideologie. So werden die Arbeiter hierzu-
lande durch die bittere Erfahrung erlittener Schäden praktisch
darauf festgelegt, daß überhaupt nichts anderes für sie in Frage
kommt und sie auf gar nichts anderes setzen können als: ihre Ar-
beitskraft herzugeben. Sie herzugeben zu dem Lohn, für die Zeit,
unter den Bedingungen, die die Gegenseite festlegt. Und daß ge-
werkschaftliche Aktion das Letzte ist, was daran etwas ändern
könnte. Weil diese Lüge für die Aktionen des D G B s t i m m t,
deswegen sollen die Betroffenen auch nie mehr von etwas anderem
ausgehen als von ihrer nachgewiesenen O h n m a c h t.
Lektion 2: "An den ökonomischen Sachzwängen
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führt kein Weg vorbei!"
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Daß der Arbeitskampf sich für die Lohnarbeiter lohnen könnte, hat
die Gewerkschaft niemandem groß weisgemacht. Ein wirtschaftspoli-
tisches Alternativprogramm hat sie vertreten, die "Probleme als
technischen Fortschritts" betreffend und zur Bewältigung des
"Problems Arbeitslosigkeit". Und zwar ein höchst idealistisches
Programm, das liest von dem Aberglauben ausgegangen ist, kapita-
listische Firmen wären dazu da, die- lohnabhängige Menschheit
möglichst gleichmäßig in den Dienst zu nehmen - beraten und mit-
bestimmt, versteht sich, durch eine starke Gewerkschaft.
Alle diese sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Ideale einer
besseren Marktwirtschaft fegen Staat und Unternehmer mit ihrem
Arbeitskampf jetzt weg. Nicht um eine Minute mögen sie das ge-
werkschaftliche "Jahrhundertprogramm" von der notwendigen und
wirtschaftsdienlichen Arbeitszeitverkürzung ins Recht setzen.
Nicht einmal zum Schein soll für die Dauer und die Verteilung der
Arbeitszeit ein anderes Kriterium gelten als der jeweilige be-
triebliche Bedarf. Und was die Arbeitslosigkeit betrifft: Kein
noch so folgenloses Stückchen Anerkennung wird der Arbeitszeitum-
verteilungs-Ideologie des DGB zuteil. Nicht einmal zum Schein
soll für Einstellung und Entlassung von Arbeitern jemand oder et-
was anderes zuständig sein als "der Arbeitsmarkt", also der je-
weilige, hart durchkalkulierte lohnende Bedarf der "Arebitgeber".
Für die Arbeiter, um deren Schicksal da so ideologisch gestritten
und gerechtet wird, bedeutet auch das mehr als eine falsche Theo-
rie. Der Arbeitskampf von oben will die lohnarbeitenden Staats-
bürger ganz ausdrücklich auf die Beherzigung der verkehrten Le-
bensweisheit festlegen: "Außer der Unterwerfung hat ein Lohnar-
beiter keine Chance!" - der Unterwerfung nämlich unter die Dik-
tate des Arbeits p l a t z e s und des Arbeits m a r k t e s.
Und diese Diktate sind ausschließlich Sache ihrer N u t z-
n i e ß e r in den höheren Etagen der Klassengesellschaft.
Lektion 3: "Die Gewerkschaft hat zu viel Macht!"
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Die IG Metall hat ein Tarifrundentheater aufgezogen wie jedes
Jahr. Ihre "35-Stunden-Wochen"-Forderung hat sie erhoben in der
Sicherheit, daß die Gegenseite das schon richtig versteht: als
Angebot, die Arbeitszeit nach Unternehmerwunsch flexibel zu ma-
chen, wenn sie sich das als Arbeitszeitverkürzungserfolg an die
Fahne heften kann. Das "Druck-machen" gegen die Ablehnungsfront
von Staat und Unternehmern hat sie Woche um Woche, Monat um Monat
hinausgezögert.
Dem Verdacht, ihre sonnige "35" wäre auch so gemeint, ist sie
täglich deutlich entgegengetreten. Ihre Streiks hat sie als Warn-
und Protest-Demos aufgezogen. Die Aussperrungen hat sie nicht ih-
rerseits mit Kampf beantwortet, geschweige denn mit einer Eskali-
tion ihrer Forderungen, sondern mit Gejammer und Beschwerden bei
diversen Arbeitsgerichten. Zum Höhepunkt ihres "Kampfes" hat sie
den Bonner Hofgarten mit Demonstranten gefüllt, die entweder so-
wieso im Streik bzw. ausgesperrt waren oder einen Tag Urlaub ge-
nommen haben. In den gleichzeitigen Verhandlungen ringt sie er-
klärtermaßen nur noch um einen Abschluß, der es ihr erlaubt, "das
Gesicht zu wahren", und steigert dafür ihre Angebote: kein Lohn-
ausgleich; Lohnverluste langfristig festgelegt; jede Freiheit für
die Firma, Arbeitszeiten festzulegen...
Die Antwort der Unternehmer ist: ein glattes "Nein" ohne jede
Kompromißbereitschaft. Die Regierung steigert ihre Hetze von
Kohls berühmtem "dumm, töricht und absurd" zu den Strauß-und-
Geißler-Frechheiten "Staatsnötigung", "Systemveränderer", "Kommu-
nisten", "Politterroristen". Was ist da los? Sollten die
Fanatiker von den Regierungsbänken sich wirklich dermaßen täu-
schen?
Nein: Diese "dumme, törichte und absurde" Klarstellung ist prak-
tischer Natur. Der Gewerkschaft wird das einvernehmliche Verhält-
nis, das sie immer mit Unternehmern und Regierung gepflegt hat
und weiterpflegen will, eiskalt a u f g e k ü n d i g t. Über
dreißig Jahre lang hat der DGB seine demokratische Schuldigkeit
als Ordnungsfaktor und Garant des sozialen Friedens von unten ge-
tan und die bundesdeutsche Arbeiterklasse an Recht und demokrati-
schen Gehorsam, an Tarifrunden mit Lohnverlust und alle markt-
wirtschaftlichen "Sachgesetze" gewöhnt - jetzt kann er gehen.
Diese Regierung legt keinen Wert mehr auf den Schein, sie würde
ihre wirtschaftspolitische Macht mit der Gewerkschaft irgendwie
t e i l e n - was noch neulich im sozialliberalen "Modell
Deutschland" ein so wichtiger Bestandteil der offiziellen Staats-
ideologie war. Der Gewerkschaft wird die Anerkennung von oben als
"autonome Säule der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung"
e n t z o g e n; nicht weil sie stört, sondern weil die neue Re-
gierung viel Wert auf das erste Gebot ihrer Staatsraison legt: Es
gibt keine Autonomie neben der Machtvollkommenheit demokratisch
ermächtigter Regierungsfiguren!
Damit ändert die Regierung weit mehr als die ideologische Stim-
mungslage der Republik. Ihr Angriff geht dem DGB an den Nerv: Der
war und ist und bleibt ja ein Wirtschaftsförderungsverein im Na-
men der Arbeiter, dem es um eine ö f f e n t l i c h
a n e r k a n n t e Rolle geht; die wird ihm genommen. Für deut-
sche Arbeiter gibt es nur eine Adresse. Davon haben fortan nicht
bloß die Gewerkschaftsfunktionäre auszugehen. Jeder soll merken,
daß die Zeit der "gesellschaftlichen Interessensgruppen" von un-
ten vorbei ist - gerade auch, wenn sie sich wie Arbeiterverwal-
tungsbehörden von oben aufgeführt haben; das erleichtert nur ihre
Schwächung. Ein Volk, eine Republik, eine Führung, nichts dazwi-
schen: auch jeder Arbeiter soll sich diese Vorkriegsmaxime der
Kohl-Regierung zu Herzen nehmen.
*
Es ist also wirklich ein p o l i t i s c h e r M a c h t-
k a m p f, was da gerade läuft in Bundesdeutschlands Metall-
industrie. Ein sehr einseitiger allerdings. Der Regierung ist
sogar die konstruktive Rolle, die der DGB bloß spielen will,
schon z u autonom. Was hat diese Regierung da mit ihrem emsigen
Volk wohl vor?!
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Kein Wirtschafts"experte" ist sich zu blöde, täglich die nichtge-
bauten Autos zu zählen, Millionen- und Milliardensummen entgange-
ner Profite zu addieren und das Schreckgespenst der nationalen
Konkurrenzfähigkeit an die Wand zu malen.
Die Unternehmer sehen das offenbar anders. Wer hat recht?
***
"29 Millionen gegen Arbeitskampf"
Jetzt hat auch Allensbach herausgefunden, daß sich Arbeitskampf
nicht gehört. Von den vereinigten deutschen Unternehmern mit ein
paar hunderttausend Mark versehen, ließen sich die Demoskopen von
allerlei Volk kostenlos und repräsentativ das bestellte Ergebnis
liefern: Die deutschen Unternehmer liegen mit ihrer Benutzung der
Arbeiter haargenau richtig.
Für Allensbach stimmt die Kasse, für die Unternehmer das Ergeb-
nis.
Das Publikum hat die Genugtuung, daß es zu dem Ergebnis der Ta-
rifrunde, das ganz ohne sein Zutun entschieden wird, demokratisch
oder repräsentativ seine geschätzte Meinung äußern darf.
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Solidarität aus Wissenschaft und Kultur
Der induzierte Kultureffekt: Mehr Zeit für Grass und Inge Meysel
"Heinrich Albertz Heinrich Böll Willy Brandt
Walter Dirks Günter Grass Norbert Greinacher
Peter Härtling Dieter Hildebrandt Martin Hirsch
Walter Jens Eugen Kogon Inge Meysel
Margarete Mitscherlich Horst-Eberhard Richter
Volker Schlöndorff Klaus Staeck Margarethe von Trotta
Aufruf zur Solidarität"
"Es geht um mehr als 5 Stunden weniger", solche Parolen läßt die
Gewerkschaft heutzutage schon ihre eigene Basis auf der Straße
herumtragen. Solche Parolen machen die, die immer schon gewußt
haben, daß es beim Streiken auf Höheres ankommt als ausgerechnet
auf die Besserstellung einer Arbeiterexistenz, geradezu heiß auf
Solidarität.
Einen Walter Jens z.B., der nicht "hinter zurückfallen" will und
deswegen vor "kaiserstaatlichen Zuständen" warnen zu müssen meint
- der also so sehr an die selbstgestrickte demokratische Ideolo-
gie vorn "neutralen Kanzler" à la 1984 glaubt, daß er den hunds-
normalen und immer gleich gebliebenen staatlichen Einsatz für das
Wachstum der Volkswirtschaft und gegen auch nur den Anschein von
Unbotmäßigkeit für "feudalstaatlich" hält.
Oder einen Günter Grass, der so gern die Ideologie vom menschen-
freundlichen Inhalt des "Schlagworts" Soziale Marktwirtschaft
weiter verbreiten will, daß er der Gewerkschaft die schöne Auf-
gabe zuweist, "sie müsse für Substanz gegenüber dem Schlagwort
von der Sozialen Marktwirtschaft sorgen".
Oder einen Norbert Greinacher, der "Gott an die Seite der Ausge-
beuteten stellen" will und gleich hinzufügen, was der dort zu su-
chen hat: "Es ist der ethische Wert der Forderung von Arbeit für
alle statt höhere Löhne für die, die noch Arbeit haben..." Ein
solches "statt" ist eben gottgefällig.
Oder überhaupt die ganze Literatur- und Künstlerzunft, die mit
diesem und ähnlichen Geseiche in die Bresche der "freiwerdenden
Zeit" springen will: "35-Stunden-Woche, das kann nicht bedeuten,
fünf Stunden mehr, um Kabelfernsehen und Industriefreizeit zu
konsumieren, sondern das muß zu einer Diskussion über den Anteil
der Kultur in der freiwerdenden Zeit führen". Da weiß man, wofür
man ein paar Märker locker macht...
P.S. Daß der "Aufruf zur Solidarität" auch SPD-Boß Willy Brandt
unterschrieben hat, ist mehr als gerecht. So ist nämlich die Ma-
nifestation des Geistes für alle schönen Ideale der Demokratie
durchaus gemeint: als Werbeveranstaltung für die sozialdemokrati-
sche Alternative der Ausübung von Regierungs-Macht.
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