Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn
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EIN TARIFRUNDENSTREIT TOBT
Die Millionen Gewerkschaftsmitglieder haben ihn nicht beantragt,
den Streit, den Gewerkschaft und Unternehmer lange vor der näch-
sten Tarifrunde angezettelt haben. Bei dem öffentlichen Spektakel
sind IG Metall und Metallarbeitgeber (und die Politiker, die sich
auch noch einmischen) unter sich. S i e streiten um Positionen,
Glaubwürdigkeit, um Punkte im öffentlichen Schlagabtausch.
Die Millionen Arbeitnehmer, über deren Freizeit und Lohn immerhin
in den kommenden Tarifverhandlungen entschieden wird, geht das
Getöber der Tarifparteien nur insofern etwas an, als sie in
Presse, Funk und Fernsehen verfolgen können, wie das öffentliche
Tarifrundenvorspiel abläuft. Ob sie meinen, die eine der Parteien
sähe dabei besser aus, ob sie den ganzen Streit vielleicht sogar
für eine sinnlose Veranstaltung halten, davon hängt nichts ab,
weder für den Zwist der Tarifparteien, noch für sie selbst. Der
Streit dreht sich nämlich gar nicht um ihren Lohn und um ihre
Arbeitsbedingungen.
Forderungsarithmetikmanöver
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Sind eigentlich drei (3) Tarifziele besser als eines? Es ist
wurscht! Die IG Metall fordert die 35-Stunden-Woche mit vollem
Lohnausgleich, kräftige Lohn- und Gehaltssteigerungen sowie die
Sicherung des freien Wochenendes. Und jeder kann jetzt schon wis-
sen, daß das geballte Forderungspaket der IG Metall nicht bedeu-
tet, daß 1990 mehr rausgeholt wird für die Arbeiter und Ange-
stellten. Deren Lage ist nicht der Grund für die aufgestellten
Forderungen. Wie ist denn die IG Metall auf ihren Dreizack gekom-
men?
Ihr Jahrhundertwerk, die 35-Stunden-Woche, will sie zu Ende brin-
gen. Das Programm, von dem sie selbst meint, daß es eigentlich
nicht mehr in die wirtschaftspolitische Landschaft paßt, einfach
in die Ecke zu stellen, hält sie für das Zugeständnis einer
Schlappe ihrer Tarifpolitik. Also soll die 35er Sonne weiter
leuchten. Auf die Lohnforderung ist die Gewerkschaft nicht ver-
fallen, weil die Arbeitnehmer mehr denn je Lohnerhöhungen brau-
chen. Ihr erscheint es opportun, Meldungen von Reallohnsenkungen
der letzten Jahre nicht ungeschönt stehenzulassen. Vor allem er-
klärt sie aber zu einer schreienden Ungerechtigkeit, was sie
selbst mitbeschlossen hat: daß nämlich die Löhne und Gehälter ge-
sunken, während die Gewinne "explodiert" sind. Auf diesen Gedan-
ken kommt die IG Metall auch deshalb, weil die Unternehmer so
tun, als hätten sie dieses Mal in Sachen Lohn etwas Größeres an-
zubieten. Schließlich glaubt die Gewerkschaft, mit dem "Kampf ums
freie Wochenende" eine Idee zu verfolgen, die in der Öf-
fentlichkeit, selbst bei Pfarrern und Philosophen, gut ankommt,
weil es sich quasi um ein Kulturgut handeln würde.
Daß man die drei Hauptstöße nicht zusammenzählen darf, steht
fest. Es gehört zur tarifpolitischen Kunst, das eine gegen das
andere aufzurechnen, etwas von dem einen für ein bißchen von dem
anderen aufzugeben. Und je vielfältiger die Forderungen sind, de-
sto mehr kann man gegeneinander runterrechnen. Im Juli noch gab
die IG Metall Arbeitszeitverkürzung als den Hauptschlager auch
der nächsten Tarifrunde aus. Im Oktober erklärt Steinkühler die
Sicherung des freien Wochenendes zum "zentralen Streitpunkt in
der bevorstehenden Tarifrunde" (Süddeutsche Zeitung, 16.10.). Wie
das, wenn sich doch die Unternehmer vor allem in der Frage der
Arbeitszeitverkürzung total stur zeigen? Insgeheim, oder auch
ziemlich offen, wird da schon ein flexibles freies Wochenende für
ein Stückchen Arbeitszeitverkürzung angeboten. Und die 35-Stun-
den-Woche braucht ja nicht sofort und auf einen Schlag zu kommen.
Hauptsache etwas.
"Kompromißbereitschaft signalisiert Steinkühler dagegen in der
Frage der Laufzeit des künftigen Tarifvertrags, den Etappen der
Arbeitszeitverkürzung und der Flexibilisierung. 'Wenn die Ar-
beitszeitverkürzung nicht am 1. April 1990 in Kraft tritt, ist
auch das verfügbare Verteilungsvolumen größer.'" (Süddeutsche
Zeitung, 16.10.)
Die Unternehmer setzen ihr öffentliches Contra dagegen: Erst geht
Arbeitszeitverkürzung auf keinen Fall. Sie habe sich als
"Wachstumsbremse" erwiesen. Das stimmt zwar genausowenig wie die
Behauptung der Gewerkschaft, Arbeitszeitverkürzung würde Ar-
beitsplätze schaffen, aber gesagt ist gesagt. Dann spielt Metall-
arbeitgeberpräsident Stumpfe die andere zentrale Forderung der IG
Metall gegen die 35-Stunden-Woche aus: "Kürzere Arbeitszeit nur
bei Samstagsarbeit möglich" (Süddeutsche Zeitung, 17.10.). Das
kann die Gewerkschaft als feines Entgegenkommen lesen oder auch
nicht. Schließlich bieten die Arbeitgeber ein Stillhalteabkommen
an. Über die Wochenendarbeitszeit solle erst wieder nach der Ver-
wirklichung des EG-Binnenmarkts 1992 geredet werden, weil man -
ausgerechnet die Arbeitgeber - erst Erfahrungen mit dem Binnen-
markt machen müsse. Der Vorschlag ist zwar nicht so weit vom
Langlaufprojekt einer 35-Stunden-Woche entfernt, aber das mag die
Gewerkschaft dann doch nicht zugeben. Sie geht auf den Vorschlag
insofern gar nicht ein, als ihr nur ein moralischer Konter ein-
fällt: "engstirniger Unternehmeregoismus". Das klingt ausgespro-
chen kämpferisch.
Auf dem falschen Fuß erwischen die Arbeitgeber die Gewerkschaf-
ten, wenn sie einen Vorschlag machen, der als Angebot daherkommt:
"Lohnrunden besser als Freizeitrunden". Die IG Metall, die an ih-
rer Jahrhundertforderung festhalten will und überhaupt mit ihrer
Tarifpolitik höhere Ziele als Lohn und Freizeit im Sinn hat, kann
darauf eigentlich nur mit dem Vorwurf der Bestechung ihrer Mit-
glieder antworten. Und, offen oder versteckt, tut sie das auch.
Im öffentlichen Streit um das beste Tarifrundenziel kommen eben
tatsächlich sogar die Arbeitnehmer vor. Ihr Interesse oder Wille
ist zwar nicht gefragt, mitbeteiligt an dem abgehobenen Streit
sind sie auch nicht, aber i n i h r e m N a m e n wollen die
streitenden Parteien schon gestritten haben. Der Arbeitgeberver-
band weiß genau, was Arbeitnehmer heute wünschen: eine Lohnrunde
und sonst gar nichts. Die IG Metall hat dagegen den Durch-
schnittsarbeitnehmer befragen lassen und doch glatt herausge-
kriegt, daß die meisten sehr viel von einem freien Wochenende
halten. Das Meinungsinstitut von Gesamtmetall hinwiederum hat er-
fragt, daß viel mehr Arbeitnehmer zu flexiblen Arbeitszeiten und
auch zu Arbeit am Wochenende bereit sind. Als statistisches Mate-
rial sind die Arbeitnehmer von den Tarifparteien schon zu gebrau-
chen. Ansonsten müssen sie zusehen und finden das offensichtlich
auch ganz in Ordnung, was die da oben über ihren Lebensunterhalt
und ihre Arbeit so beschließen, und wie die Tarifkumpanen wortge-
waltig aufeinander einhacken, ohne sich was zu tun.
Kampfgeschrei
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Seit einem halben Jahr nun schon warnen sich die Tarifparteien
gegenseitig vor dem schlimmsten Arbeitskampf, den die Bundesrepu-
blik je gesehen habe. Lange vor der ersten Verhandlungsrunde wird
öffentlich ein Arbeitskampfklima inszeniert, als stünden sich mit
den beiden Parteien unvereinbare Interessen gegenüber. Dem ist
aber gar nicht so. Das Kampfgeschrei dient der Öffentlichkeits-
arbeit der Kontrahenten. In diesem Sinne und nach der Kinderde-
vise: Wer hat angefangen und ist schuld? drücken IG Metall und
Arbeitgeberverband auf die Tube. Auf dem Gewerkschaftstag der IG
Metall wirft Steinkühler den Arbeitgebern vor, "einen Großkon-
flikt zu programmieren" und tönt von "intensiven Vorbereitungen"
seiner Gewerkschaft auf ihn. Der Deutsche Industrie- und Handels-
tag, der zufällig zur gleichen Zeit wie der Gewerkschaftstag
stattfindet, läßt durch seinen Präsidenten Stihl verlauten, "die
IG Metall strebe offensichtlich einen bundesweiten Arbeitskampf
an" (Süddeutsche Zeitung, 25.10.) und droht mit bundesweiter Aus-
sperrung. Gehören zu einem Arbeitskampf nicht zwei; einer, der in
Sachen Lohn und Arbeitszeit Vorteilhaftes für die Arbeitnehmer
durchsetzen will, und einer, der ohne Zwang nicht bereit ist, das
zuzugestehen? Leider kann von einem solchen Kräfteverhältnis
nicht die Rede sein. Die Kumpane kennen sich und sind sich der
hohen Verantwortung bewußt, wenn sie darangehen, gemeinsam die
Konditionen der deutschen Wertarbeit zu regeln. Wobei die verant-
wortliche Haltung der Gewerkschaft den Arbeitnehmern nicht gut-
tut, die Verantwortung der Arbeitgeber aber den Unternehmen ziem-
lich gut bekommt. Aber das will ja längst niemand mehr wahrhaben.
Mehr Lohn, mehr Freizeit, das steht nicht zur Debatte, wenn in
und für die Öffentlichkeit gestritten wird, die Rede vom Arbeits-
kampf dort ihren Platz hat. Wenn dann 1990 die Verhandlungen los-
gehen, mauscheln die Tarifparteien hinter verschlossenen Türen
aus, was der Wirtschaft nützt, womit sich die Gewerkschaft sehen
lassen kann und mit was die Arbeitnehmer zufrieden zu sein haben.
Und wenn es dann doch einen Arbeitskampf geben sollte, dann nur
deswegen, weil sich die Gewerkschaft dazu genötigt sieht; heißt,
weil ihre Ehre auf dem Spiel steht und "die Erhaltung der Gewerk-
schaftsfreiheit bis zum Jahre 2000" (Steinkühler auf dem Gewerk-
schaftstag).
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