Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn


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       Der Durchbruch von Göppingen:
       

SOZIALER FRIEDE BIS 1998 GERETTET

Letzte Woche ließ die IG Metall in baden-württembergischen Betrieben massiv zum Warnstreiken antreten, vor laufenden Fernsehkameras kam die 'Basis' zu Wort, und Arbeitnehmer, die ansonsten mit einer Tarifrunde nichts zu schaffen haben und für die von den zuständigen Institutionen entschieden wird, durften zu Protokoll geben, daß sie für mehr Geld, ein freies Wochenende und die 35-Stunden-Woche streiken wollen. Keine 24 Stunden später und an die Berichte über k a m p f b e r e i t e Arbeiter schlossen sich bruchlos Be- richte über "Erleichterung auf allen Seiten" an, weil mit der Einigung in Nordwürttemberg/Nordbaden ein Arbeitskampf v e r- h i n d e r t werden konnte. Und das gleich bis 1998 und mit Si- gnalwirkung für's ganze Bundesgebiet und alle Branchen. Das ist für alle maßgeblichen Instanzen der eigentliche Durchbruch. Und automatisch wollen dieselben Arbeitnehmer, die ein paar Tage vorher ihre Streikbereitschaft bekundeten, dasselbe gewollt haben, nämlich einen Streik verhindern. Wenn Gewerkschaft samt Mitgliedern nichts wissen, für dessen Durchsetzung die Schädigung der Unternehmen durch die Verweigerung der Arbeit genau das rich- tige Mittel ist, dann sollen sie doch einfach an Arbeit machen und an Lohn nehmen, was die Unternehmen ihnen vorsetzen. Nur: das war der Gewerkschaft anläßlich der Tarifrunde auch wieder zu wenig. Mit der durch die Mitglieder beglaubigten Drohung, dann, wenn es ihr drauf ankäme, einen Arbeitskampf führen zu können, bewies sie den Arbeitgebern, daß es immer noch die Gewerkschaft ist, die Lohnkämpfe überflüssig macht, folglich die Herren der Wirtschaft an der Gewerkschaft und ihren gesamtwirtschaftlichen Verbesserungsvorschlägen nicht einfach vorbeikommen. Das öffentliche Kompliment an IG Metall und Gesamtmetall, die Nation vor Arbeitskampf bewahrt zu haben, haben die Warnstreikenden von gestern tatsächlich verdient: Verwechslungen der gewerkschaft- lichen Arbeitszeitmodelle und Vorstellungen von "kräftigen Lohnerhöhungen" mit den eigenen Freizeitbedürfnissen und Ein- kommensverhältnissen hat es nicht gegeben. Auch kein Mißver- ständnis von dem, was mit den Beschwörungen vom Streik als dem letzten Mittel von Arbeitnehmern gemeint war. Was für die IG Metall unzumutbar war, was sie stattdessen wollte und womit sie nun zufriedengestellt ist: Daß die Arbeitgeber nicht die Prozente angeboten haben, die die IG Metall anpeilte, stellte die Gewerkschaft ihren Mitgliedern als Zumutung dar. Schon komisch: der anderen Tarifpartei v o r z u w e r f e n, parteiisch zu sein und über Lohnprozente mit der Gewerkschaft streiten zu wollen. Offenbar ist es für die IG Metall völlig fernliegend, den Lohn anders zu beurteilen als die Unternehmen, nämlich als in die Gewinnbilanz passenden Kostenfaktor. Was verlangt sie schon Unbilliges - doch nichts, was für die Metallbranche, deren "Gewinne in Rekordhöhe steigen", nicht drin ist! Und nun knallen diesselben Unternehmer, die Lohnerhöhungen auf die tarifpolitische Tagesordnung setzten, ihr ein niedrigeres Prozentangebot vor, als die IG Metall als Kompromiß ansteuerte. Ein ungehöriger Angriff für die Gewerkschaft, sie zum Streit über Lohnprozente zu zwingen. Nur: wofür ist sie denn dann eigentlich gut? Genau das beleidigt zu Protokoll zu geben; deswegen auch die Kinderei, die 5% für 15 Monate auf 'echte' 4% umzurechnen, damit das Lohnangebot der Arbeitgeber auch als echt unannehmbar dasteht - nämlich vor dem Hintergrund, daß seit Monaten von allen möglichen Wirtschaftsweisen und Wirtschaftsforschungsinstituten ein Lohnab- schluß mit einer 5 vor dem Komma längst wie ein feststehendes wirtschaftliches Datum behandelt wird und die Metallarbeitgeber dauernd behaupten, die 5% und auch mehr würden ihnen kein Kopf- zerbrechen bereiten. Die jetzt vereinbarten 6% auf 10 Monate Laufzeit plus DM 650 Pauschale für April und Mai sind insofern ein echter Kompromiß: die Arbeitgeber haben sich auf eine Prozentzahl 'hochhandeln' lassen, die deutlich über 4% liegt und somit der Gewerkschaft einen Gesichtsverlust an der Lohnfront erspart. Gleichzeitig bekunden die Arbeitgeber nach wie vor dem Abschluß, daß die Lohnerhöhung sie nicht schmerzt, sie sie vielmehr locker überbo- ten hätten, wenn sie der Gewerkschaft ihre "35" nicht zugestanden hätten. Die Löhne, die jetzt und in den kommenden Monaten gezahlt bzw. verdient werden, haben also in einer Hinsicht mit einer für '95 und mit neuerlicher Verhandlungspflicht verbundenen 35- Stunden-Woche etwas zu tun: die Kopplung nützt den Unternehmern jetzt in Form mäßiger Lohnerhöhungen u n d sie beweist jetzt schon den Erfolg der Gewerkschaft: "Tabu gebrochen - Die 35- Stunden-Woche steht!" verkündet sie in Betriebsflugblättern. Was man daran sieht, daß die Unternehmer sie das mit möglichen Lohnerhöhungen haben 'erkaufen' lassen. Das wäre eine ungeheure Zumutung für die IG Metall, wenn im Manteltarifvertrag die Zahl 40 wieder drin stünde. Schließlich hat sie es seit '84 erreicht, daß jede s t a t t f i n d e n d e 40-Stunden-Woche, von den tariflich gestatteten Verlängerungen mal abgesehen, individuell im Durchschnitt von 6 Monaten auf mittlerweile 37 Wochenstunden berechnet wird. Wofür die 35 stehen soll, zudem noch "nach Wunsch der Beschäftigten": für dasselbe wie bisher die 38,5, die 37,5 und 37. Nicht umsonst wollte die IG Metall n e b e n der "35-Stunden-Woche für alle" gleichzeitig noch "höchstens 8 Stunden täglich, bis zu 40 Stunden wöchent- lich". Für die "35" ab '95 darf nun die "40" auch wieder im Tarifvertrag auftauchen: 18% der Belegschaft müssen" zurück zur 40-Stunden- Woche", natürlich nicht gezwungenermaßen, sondern "auf der Basis eines Wahlrechts und absoluter Freiwilligkeit". Also doch keine "Kröte", die sie für das gebrochene Tabu "zu schlucken" hat? Eine Form der "Freiheit, die wir wollen"? Wenn momentan samstags und auch sonntags gearbeitet wird, in einigen Betrieben ziemlich regelmäßig, dann unter Anerkennung des prinzipiell freien Wochenendes. Es handelt sich nämlich dann um Sonderschichten, die tarifvertraglich den Unternehmern für alle Fälle zugesichert sind, wo die Ausdehnung der Arbeitszeit "betrieblich notwendig" ist, bei Reparaturarbeitern auf den Samstag ohnehin regelmäßig. "Ein freies Wochenende und daß es dabei b l e i b t": die IG Metall wollte weiterhin gefragt sein und prüfen dürfen, ob die Ausdehnung der Arbeitstage fürs Unter- nehmen wirklich nötig ist. Das hat sie nun auch erreicht. Nur: welche Unternehmer lassen ihre Mannen am Wochenende aus Schikane arbeiten und nicht deswegen, weil die zusätzlichen Schichten für zusätzliches Geschäft wirklich nötig sind?! Für die Arbeitnehmer hat der Verhandlungserfolg ihrer Gewerkschaft auch etwas gebracht: sie können sich, wenn sie wollen, ihrer Gewerkschaft anschließen und sich einbilden, ihre Arbeit von Montag bis Freitag sei eine von ihnen freiwillig er- brachte Leistung, mit der sie ihrer Gewerkschaft das Recht auf Mitregelung der Wochenendarbeit erkaufen - "wir schaffen soviel, daß wir uns das freie Wochende leisten können." In diesem Punkt mutet die Gewerkschaft mit dem Abschluß ihren Mitgliedern das zu, was die Arbeitgeber wollen: auch 10 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich. "Die 40-Stundenobergrenze für die Verteilung in der Woche von Montag bis Freitag entfällt", lautet ihre lapidare Beschreibung des Umstands, daß die Freiheit zur Ausdehnung der Arbeitszeit noch größer wird. Dafür ist die "35" ab '95 j e t z t, in der Hochkunjunktur, wo Mehrarbeit gebraucht wird, also gut! Kleiner Nebeneffekt: die Arbeitsgerichte, bei denen Daimler-Benz Verfahren über die Zulässigkeit regelmäßiger 9- und 10-Stunden- Schichten angestrengt hat, werden entlastet. Die Arbeiter brauchen, wenn sie diese "Kröte" mit ihrer IG Metall schlucken, darin nicht mal einen Mißerfolg für sich zu sehen: sie können wie gehabt in angeordneten Überstunden auch die Gelegen- heit sehen, an zusätzliches Geld zu kommen. Daß die Beschäftigten bezüglich der Arbeitszeit immer genau die Wünsche haben, die ihre Interessenvertretung für sie tarifiert, dessen ist sich die Gewerkschaft 100%ig sicher. Sie geht einfach davon aus, daß die Metaller höchstpersönlich berücksichtigt sind, wenn die betrieblichen Schichtpläne, in die sie eingeteilt werden, mit "Rücksicht auf ihre Interessenvertretung" vereinbart werden. "Diktiert" wären d i e s e l b e n Arbeitszeiten, wenn der Betriebsrat nicht zum Zuge käme. - Woher kommt es, daß alle Zugeständnisse, die die Arbeitgeber der IG Metall im Tarifkompromiß machen, die Gestaltung von Lohn und Arbeit rein zum Nutzen der Unternehmen gar nicht beeinträch- tigen? - Was ist es dann eigentlich, was die Gewerkschaft an Zuge- ständnissen für sich erreicht hat - bzw.: warum ist für sie die 35-Stunden-Woche eine Ehrenfrage, deren für sie befriedigende Behandlung sie die Arbeiter einiges kosten läßt? - Warum leisten sich Arbeiter trotzdem die Gewerkschaft! zurück