Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn


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       Pflegekräfte kritisieren  den Tarifabschluß der ÖTV - ÖTVler kri-
       tisieren den Protest:
       

SCHLECHTE ARGUMENTE FÜR DIE ÖTV

Aus Protest gegen den Tarifabschluß für die Pflegekräfte sind in Bremen eine Anzahl Krankenhausbeschäftigte aus der ÖTV aus- getreten. Ihre Beschwerde an die Adresse der ÖTV: ganze DM 63,- brutto (!) bringt ihnen dieser Abschluß; und das auch erst nach 6jähriger Tätigkeit als "Funktionskraft". "Das 'Jahrhundertwerk' der ÖTV bringt keine zusätzlichen Arbeitsplätze, keine Be- seitigung des Pflegenotstandes und keine berufspolitische Emanzi- pation. Wir danken der ÖTV für 10jährige 'Lohnsteigerung' unter der Inflationsrate" (zit. nach WK 12.7.) - so heißt der harsche Vorwurf der Pflegekräfte an die Adresse ihrer Interessenvertre- tung. Die praktische Konsequenz der Kritiker: eine Gewerkschaft, die so einen Abschluß auch noch als Durchbruch feiert, wollen sie nicht länger als ihre Interessenvertretung mißverstehen. Dieser Austritt ruft gestandene ÖTVler auf den Plan. Eines können sie nämlich gar nicht leiden: daß Leute, die mitkriegen, wie die ÖTV ihnen mitspielt, daraus E i n w ä n d e gegen diese Organi- sation verfertigen. Die ÖTV k r i t i s i e r e n - gar mit der Konsequenz des Austritts - das gehört sich nicht, meinen sie. Und zwar aus folgenden Gründen: 1. Genau: weil man sich vorher nie beschwert hat, darf man das auch jetzt nicht. Schon lustig: sonst tun Gewerkschafter doch im- mer gerne so, als läge ihnen an nichts mehr als an Leuten, die endlich "aufwachen" und sich für ihre Interessen einsetzen. Aber das können sie gar nicht leiden: daß Leute "aufwachen" und die Ö T V am Maßstab ihres Interesses messen! 2. Eine ziemlich freche Uminterpretation der Beschwerde über eine "Tariferhöhung" von DM 63,-. Schließlich haben sich die Kritiker nicht über einen "geringeren A b s t a n d" beklagt, sondern einfach in ihr eigenes Portemonnaie geguckt. Aber die gewerk- schaftliche Tarifpolitik daran zu messen, was sie e i n e m s e l b s t in M a r k u n d P f e n n i g bringt - das ist gewerkschaftsfeindlich, meinen die Antikritiker. Dann ist man "elitär". Hoffentlich wissen sie, was sie damit über ihre ge- liebte ÖTV ausgesagt haben: Gewerkschaftlich richtig liegt man nur, wenn man jedes Interesse, das man selbst hat, damit nieder- bügeln läßt, daß es andere gibt, die in dieser Gesellschaft noch viel schlechter bedient werden. So gesehen, ist j e d e Kritik an einem ÖTV-Gehaltsabschluß verboten: mehr als das Arbeits- losengeld "verschafft" sie ja sogar den Leuten in "Reinigungs- dienst, Wäscherei und Küche".... 3. Na klar: was den Kritikern fehlt, ist einfach ein bißchen gewerkschaftlicher R e a l i s m u s. Man darf sich doch sein gewerkschaftliches Engagement nicht damit verbauen, daß man denkt, in der Tarifpolitik ginge es um das, was die "unten" wollen. Das versteht sich doch von selbst, daß "die da oben" ihre eigenen Vorstellungen davon haben, was der Basis zusteht - und daß deren Vorstellungen auch die einzigen sind, die zählen. Das darf man doch nicht gegen die Gewerkschaftspolitik wenden! Wer das tut, dem müssen die Antikritiker den harten Vorwurf machen, sie würden sich ja glatt zum Parteigänger des Feindes machen. Auch ein scharfes Argument: wer feststellt, daß die Ö T V fi- nanzielle Kalkulationen des "Arbeitgebers" mit dem Pflegepersonal für wichtiger hält als die materielle Lage der Leute - der darf das nur den "A r b e i t g e b e r n" anlasten! 4. Das ist ja mal eine aufschlußreiche Zurückweisung eines Ein- wands gegen den diesjährigen Abschluß. Wie war das noch - wieviel Personal hat die ÖTV ausgerechnet und auf Plakaten herumtragen lassen, das nötig sei, um den "Pflegenotstand" zu beseitigen? Was war noch mit "Akkord ist Mord" - das soll jetzt alles gar nicht mehr stimmen? Ach so: das waren ja alles keine ÖTV- F o r d e r u n g e n. Das war ja bloß publikumsträchtiges Ge- jammer, mit dem in der Öffentlichkeit Werbung gemacht werden sollte für die bescheidenen Anliegen rechtschaffener Menschen, die im Krankenhaus dienen. Wie können die Kritiker auch nur so blöd sein und "mehr Stellen" für ein p r a k t i s c h e s A n l i e g e n der ÖTV halten! Mit diesen frommen Wünschen hat die ÖTV doch genauso wenig zu tun wie mit der Abschaffung von AKWs! - so die antikritische Zurückweisung der Beschwerde. Ja, so sind sie, die "aktiven Gewerkschafter" - das Verarschen der "Basis" halten sie offenbar für einen unumgänglichen Bestandteil gewerkschaftlicher Tarifpolitik! 5. Wieso soll es eigentlich eine Zurückweisung einer Kritik an der Ö T V sein, daß Personalräte Stellen "erzwungen" haben, um die die ÖTV sich in der Tarifrunde einen Dreck gekümmert hat? Of- fenbar mußten sie das ja genau deshalb tun, weil die Gewerkschaft sich in dieser Frage für unzuständig erklärt hat! Ein seltsames Lob für die Gewerkschaft: in ihr gibt es Leute, die es ihr nicht zum Vorwurf machen, daß sie sich immer noch neben und zusätzlich zu dem Tariftheater um jedes bißchen Verbesserung selbst kümmern müssen. Also sollen die ÖTV-Kritiker jetzt ihre Gewerk- schaftskritik zurücknehmen, weil ÖTVler ihnen zwar nicht die Stellen haben besorgen können, die sie brauchen, aber immerhin soviele, um vorweisen zu können, daß sie a l s Gewerkschafter neben der Gewerkschaft "aktiv" sind! 6. Naja - so kann man auch geständig werden. Die ÖTV darf man nicht kritisieren, weil es eine "starke Belegschaft" braucht, um wenigstens die paar Stellen zu erkämpfen, von denen erstens jeder weiß, daß sie ein Tropfen auf den heißen Stein sind, und von denen zweitens die ÖTV sagt, daß sie sie in der Tarifrunde mit ihrer ganzen Kampfkraft leider nicht erzwingen wollen kann. Und dafür sollen die Kritiker dann in der ÖTV bleiben: damit die ÖTV im Herbst mit ihrer Unterstützung für die Leute in Wäscherei und Küche den gleichen Zirkus abziehen kann, den sie am j e t z i g e n Tarifabschluß kritisieren! 7. Für sehr überzeugend halten die Kritikfeinde ihre "Argumente" offenbar selbst nicht. Deswegen darf zum Abschluß der Totschläger nicht fehlen: wer die Gewerkschaft kritisiert, kritisiert etwas Gemeinsames, was nur stark ist, wenn man zusammenhält. Und wenn nun jemandem d i e s e Gemeinsamkeit gerade stinkt, weil sie für ihn immer bloß negativ zu Buche schlägt? Wenn er gerade eine "Stärke" aufkündigen will, die sich bloß immer für materielle Schäden "stark" macht? Soll ihn dann dieses blöde "Aber das sind doch WIR ALLE" wieder in den Schoß der "Solidarität" zu- rückführen? Vielleicht wäre ja umgekehrt etwas mehr Streit in der ÖTV über die Frage nötig, ob diese "Gemeinsamkeit" wirklich eine gegen die "Verursacher" der Schäden ist, die das Pflegepersonal zu spüren bekommt! Oder ob die "Arbeitgeber" nicht gerade von ei- ner ÖTV-"Solidarität" profitieren, der noch zum miesesten gewerkschaftlichen Abschluß rechtfertigende "Argumente" ein- fallen, und die jede Kritik, die ans eigene Interesse erinnert, als "Spaltertum" denunziert? Fazit: Warum darf man eine ÖTV nicht kritisieren, deren Tarifpo- litik einem nicht bekommt? Weil sie eben "unsere" Gewerkschaft ist! Ist das nicht ein etwas dünnes Argument? zurück