Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn


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ZUM TARIFABSCHLUSS BEIM PFLEGEPERSONAL

Alle Welt ist sich einig: ------------------------- Die verdiente Korrektur! ------------------------ Als "schon lange fällige Korrektur" feiert der Weser-Kurier den Tarifabschluß, auf den sich Arbeitgeber und ÖTV fürs Pfle- gepersonal geeinigt haben. Denn endlich sei der Tatsache Rechnung getragen, daß im Krankenhaus Leute beschäftigt sind, die von ih- rem Einkommen leben und vielleicht eine Familie ernähren müssen: "Denn nicht wie einst aus Klöstern stammen heute die Schwestern, nicht für den lieben Gott opfern sie sich, sondern weil sie und ihre Familien von diesem Beruf leben müssen." Und wie konnte der Tarifabschluß der ÖTV dieses Wunder vollbrin- gen? "Zehn Prozent mehr, erkämpft in nur wenigen Warnstreiks - das hat es lange nicht mehr gegeben", vermeldet der Weser-Kurier. Und auch ansonsten ist sich die Öffentlichkeit, allen voran die ÖTV, einig: Dieser Abschluß fällt aus dem normalen Rahmen heraus und paßt deshalb aufs Beste auf unser "unterbezahltes" und "überbeanspruchtes" Pflegepersonal. Interessant. 10% mehr (einschließlich der vereinbarten Zulagen höchstens!) soll man für die Erledigung der skandalösen Bezahlung dieses Be- rufsstandes halten, bloß weil 10% eine erheblich h ö h e r e Prozentzahl sind als die sonst üblichen Mickerabschlüsse zwischen 2 und 3%. Als könnten sich Krankenschwestern von diesem Vergleich etwas kaufen! Dabei fällt natürlich vornehm unter den Tisch, daß 10% auf 1.200 DM lächerliche 120 DM ergeben, daß sich also jede noch so mickrige Lohnerhöhung p r o z e n t u a l betrachtet umso s t a t t l i c h e r ausnimmt, je n i e d r i g e r der Ausgangslohn ist. Eine schöne Klarstellung an das so viel bedau- erte Pflegepersonal: Scheißegal, ob diese Lohnerhöhung hinreicht, um eure materiellen Sorgen zu beseitigen, die vergleichsweise hohe Prozentzahl habt ihr als hinreichend zu betrachten. Ab so- fort seid ihr ein ganz normaler Berufsstand, der von seinem Lohn leben kann, denn eurer besonderen Lage ist ja wohl hinreichend Berücksichtigung widerfahren. Schließlich sehen wir für andere Branchen noch viel geringere Prozentabschlüsse vor! Völlig normal ist denn auch ab sofort der ruinöse Schichtdienst, den die Gewerkschaft in leuchtenden Farben ausgemalt hat: Schließlich wurden die Nacht- und Wochenendzuschläge ein wenig erhöht und eine monatliche Zulage zwischen 70 und 100 DM für Schichtarbeit gibt es auch. Also ist Schichtarbeit nicht mehr ruinös, sondern in Ordnung, weil besser bezahlt als vorher. Be- schwerden erübrigen sich ab sofort. Überhaupt ist schließlich dem Personal jetzt endlich Gerechtig- keit widerfahren: Die vereinbarten Lohnerhöhungen gibt es nicht einfach so, sondern durch Höhergruppierung in einem neu geschaf- fenen Zeitaufstiegssystem, das dem Personal auch künftig erhalten bleibt. Nichts schöner für eine Gewerkschaft, als Lohnerhöhungen von der Beschäftigungsdauer abhängig zu machen, also davon, wie lange sich ein Beschäftigter schon fürs Krankheitswesen billig krummgelegt hat: Der B e d a r f von Lohnabhängigen zählt näm- lich bei der Gewerkschaft nicht als Argument für mehr Geld, gewerkschaftlicher Gerechtigkeitssinn aber schon - für eine be- scheidene Höhergruppierung nach entsprechender Wartezeit. Bleibt noch zu erwähnen, daß ab sofort alle Pfleger, auch die Al- tenpfleger dieses ordentliche Tarifsystem verpaßt bekommen. So wäre auch auf diesem Feld "Normalität" eingekehrt. Jetzt sind die Pfleger nach allen Regeln der gewerkschaftlichen Kunst in das hierzulande übliche System nützlicher Armut einge- baut, und schon sind sich alle einig: Wenn künftig kostenbewußt der Idealismus des Pflegepersonals eingefordert wird, dann ist alles anders als vor diesem Tarifabschluß. Man sieht wie billig "skandalöse Beschäftigungbedingungen" zu beseitigen sind. Vor Nachahmung wird gewarnt Der Tarifabschluß für das Pflegepersonal läuft offiziell unter dem Titel "berechtigter Nachholbedarf erledigt". Wie das gemeint ist, sagt der Weser-Kurier in dankenswerter Offenheit: "Zehn Pro- zent mehr erkämpft in nur wenigen Warnstreiks - das hat es lange nicht gegeben." Dennoch können "...nur Wenige mit Recht einen Präzedenzfall darin sehen." Auch eine schöne Klarstellung: Soll bloß keiner meinen, so eine Prozentzahl müßte jetzt auch in ande- ren Bereichen Schule machen. Nein, die Pfleger haben ihren "Nachholbedarf" befriedigt zu sehen, und die anderen haben gleich gar keinen anzumelden. Das Recht, Lohnforderungen zu stellen, be- ginnt nämlich erst bei 1.200 DM im Monat abwärts. zurück