Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT TARIFPOLITIK - Von Lohnrunden ohne Lohn


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       Die "reine Geldrunde" der IG Chemie
       

STREIT VERMEIDEN - SICH LIEBER GLEICH AN DIE UNTERNEHMER HALTEN

Lohn fordern - erlaubt die Konjunktur ------------------------------------- Warum darf die Gewerkschaft dieses Jahr verdientermaßen mehr Geld fordern? "Ein Rekord jagt den anderen - und ein Ende ist nicht in Sicht: Die chemische Industrie boomt auch noch im achten Jahr eines konjunkturellen Aufschwungs, der die Branche voll erfaßt hat..." Nicht der magere Lebensstandard, der "Arbeitnehmer", sondern acht fette Gewinnjahre, also die Vermögenslage des K a p i t a l s, signalisieren der IG Chemie die Berechtigung, überhaupt den Lohn auf die Tagesordnung zu setzen. "Vernünftig", wie die Arbeitervertretung nun mal ist, weiß sie, daß in unserer freien Marktwirtschaft der G e w i n n, den die Unternehmer mit Lohn und Leistung machen, der Maßstab aller Dinge ist. Und der erlaubt nach acht Rekordjahren, daß eine Geldrunde für die Arbeiter drin ist. Zumal wenn "selbst die Arbeitgeber kräftige Zuwächse beim Verdienst versprechen". Und wenn die schon dafür sind, die ja schließlich wissen müssen, was ihre Wirtschaft in diesem Jahr "vertragen" will, wie könnte da eine IG Chemie, die noch nie was anderes als die Nützlichkeit des Lohns für den Profit im Auge hatte, noch "nein" sagen. Die IG Chemie hat also das unternehmerische Winken mit dem Zaunpfahl voll erfaßt und stellt fest: "Das sind klare Indizien für eine erfolgreiche Tarifpolitik mit Augenmaß." Und Rappe hat bereits sein Auge über die Zahlen schweifen lassen und Maß genommen: "Mit Zahlen über 10% habe ich so meine Probleme - aber auch unter 10% gibt es schöne Zahlen." Kein Problem mit der 10 hat die Gewerkschaft, wenn sie der Einstieg in die 6-7 ist. Denn "schön" sind für sie genau die Zahlen, welche die Unternehmer freiwillig zahlen. Lohn fordern - paßt der IG Chemie ins Konzept --------------------------------------------- 1990 zur reinen Geldrunde zu machen, das paßt nicht nur zum Boom der Chemie-Industrie, sondern - welch "ein Glücksfall" - auch in das tarifpolitische Konzept der IG Chemie. Der Lohn war nämlich schon lange nicht mehr dran. Vor drei Jahren - damals zählten wir ja erst das fünfte fette Jahr der Rekordgewinne - war beim Lohn nichts drin. Wer konnte da schon ahnen, daß die Chemie-Industrie einfach so weiter vor sich hin boomen würde. Damals hatte die Gewerkschaft sich flüstern und einleuchten lassen, daß man diesen Aufschwung nicht gefährden darf. Deswegen hat sie sich 1987 auf 2%ige Lohnforderungen festlegen lassen und - siehe da: Was damals "niemand voraussehen konnte: Die kaum glaublichen Gewinnsteigerungen der Unternehmer..." ist heute "ein Glücksfall für die IG Chemie und Beweis für ihre vorausschauende Tarifpolitik." Merke: Jahrelang kräftig nix fordern - der optimale Weg für die nächste Lohnforderung! Jahrelang vom Lohn erst gar nicht reden, damit das Kapital ungehindert einen Erfolg nach dem nächsten einfahren kann, und schon kann man mit dem Einverständnis aller Beteiligten auftrumpfen mit einer "reinen Geldrunde"! Und - wie schön -: Mit dieser Forderung kann man sich darüber hinaus auch noch auf die Ebbe in den Portemonnaies der Leute berufen: "Ich halte es wirklich für einen Glücksfall, daß wir uns in diesem Jahr auf eine reine Geldrunde konzentrieren können. Denn die Kolleginnen und Kollegen wollen einfach mehr im Portemonnaie haben." (Rolf Brandt, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, Hoechst AG) Jahrelang dafür sorgen, daß in den Geldbeutel der Leute nichts reinkommt und schon kann man sich mit Lohnforderungen bei der Basis beliebt machen. Welch "ein Glücksfall", daß haargenau in diesem Jahr "die Arbeitnehmer mal wieder eine deutliche Verbesserung ihrer Einkommen brauchen." Wer der IG Chemie das wohl geflüstert hat? Egal. Jedenfalls können sich die "Kollegen" dieses Jahr so richtig freuen, daß die Gewerkschaft sie jahrelang daran gewöhnt hat, daß fürs Portemonnaie nichts drin ist. Außer "Kaufkraftverlusten". Im Vergleich dazu sind die nominalen 6-7% nicht nur e i n-malig im wahrsten Sinne des Wortes, sondern auch eine echte "Verbesserung", über die man glücklich zu sein hat. Lohn fordern - verschafft der IG Chemie Profil ---------------------------------------------- Außerdem paßt der Lohn deswegen in diesem Jahr so gut in die Landschaft, weil diesmal die Arbeitszeit nämlich überhaupt nicht paßt. Die war nämlich vor drei Jahren dran! (Falls Sie's vergessen haben sollten: Sie haben die 39-Stunden-Woche, liebe Chemiewerker!). Damals hat sich die IG Chemie darauf festgelegt, erst 1992 wieder darüber zu verhandeln. Und siehe da, nachdem die Arbeitgeber schon vor und während der Metallrunde klargestellt haben, daß ihnen dieses Thema zur Zeit gar nicht gefällt, ist es für die IG Chemie ein außerordentlicher "Glücksfall", daß sich die Verhandlungen "auf eine reine Geldrunde konzentrieren" können. Denn Streit mit den Arbeitgebern mag diese Gewerkschaft bekanntlich überhaupt nicht. Folglich kann gar nichts mehr schiefgehen. Das Ergebnis m u ß einfach ein voller Erfolg wer- den. Schon deshalb, weil außer den Prozenten gar nichts Gegenstand ist: über die Arbeitszeit wird nicht verhandelt und die Gewerkschaft "verzichtet" extra darauf, für die "unteren Entgeltgruppen", die sonst in Tarifrunden immer zu zweifelhafter Berühmtheit gelangen, "eine bestimmte Mindestsumme zusätzlich zu fordern". Für soviel Entgegenkommen kann man doch wohl ein kleines Honorar verlangen: ein paar Zehntelprozente mehr als die 6% der IGMetall müssen schon herausschauen! Dies die Vorgabe, mit der die IG Chemie antritt. Und das wird sich dank der jahrelang "gepflegten Partnerschaft" mit den Unternehmern garantiert machen lassen! So stellt die Gewerkschaft, die "Lohnleitlinien aus anderen Industriezweigen noch nie akzeptiert hat", in A b g r e n z u n g zu "Kampfgeschrei und Drohgebärden" der IG Metall klar, daß sich das S t r e i t v e r m e i d e n lohnt, weil o h n e Streit auch n i c h t w e n i g e r heraus- springt als mit. zurück