Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT RHEINHAUSEN - Eine Heimat für Lohnarbeiter


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       Die Arbeitslosengelde  steigen. Jeder  hält das leider für unaus-
       weichlich. Kein Geschäft ohne Entlassungen. Fragt sich nur, wofür
       das spricht: Für Entlassungen? Oder:
       

GEGEN DIE MARKTWIRTSCHAFT

Hattingen kennt mittlerweile jeder - das ist die Stadt, in der die Thyssen AG demnächst etliche tausend Stahlarbeiter entläßt. Ein paar Tausend von den insgesamt 35 000 Stahlarbeitern, die in den nächsten Monaten die bundesdeutsche Arbeitslosenstatistik be- reichern werden. Daß ungefähr soviele Arbeitsplätze in deutschen Stahlwerken wegrationalisiert werden, ist schon lange bekannt. Höchstoffiziell bestätigt wurde es vor 2 Wochen durch die Bonner "Stahlrunde" - ein Gremium, in dem die verantwortlichen Herr- schaften aus Regierung, Stahlunternehmen und Gewerkschaft über die Zukunft der heimischen Stahlindustrie beratschlagen. Beschlossen ist auch die Entlassung von schätzungsweise 30 000 Kumpels bei der Ruhrkohle AG. Diese Anzahl an unrentablen Ar- beitsplätzen im deutschen Kohlebergbau hat sich Wirtschaftsmini- ster Bangemann nämlich vom Bergbau-Management und seinen Beratern ausrechnen lassen. Die Arbeitslosengelde im Ruhrgebiet und anderswo steigen also garantiert. Und alle im Lande halten das für einen überaus bekla- genswerten Zustand. Über (Massen-) Arbeitslosigkeit kann hierzu- lande wirklich jeder jammern. Auch ein Bangemann weiß, daß zur Ankündigung der Entlassung von 30 000 Bergmännern unbedingt die Beteuerung gehört, daß "der Verlust des Arbeitsplatzes ein hartes Los ist", daß "hinter nackten Zahlen das Schicksal ganzer Bergar- beiterfamilien steht" usw. usw. Hierzulande wird man nicht einfach rausgeworfen und kriegt den Lohn gestrichen. Alle öffentlichen Instanzen würdigen die be- schissene Lage der Arbeitslosen und wälzen im Namen der Opfer die verantwortungsvolle Frage, ob das denn auch wirklich sein muß. Die Betroffenen können sich dieser Frage jederzeit anschließen ihre Gewerkschaft hat sowieso keine anderen Sorgen - und sich die gerechte Antwort abholen: Arbeitslose sind notwendig... ----------------------------- Was denn sonst! Alle Verantwortlichen sagen ungeschminkt, wofür Entlassungen unumgänglich sind - z.B. fürs Geschäft von Thyssen. Wenn Stahlwerke unrentabel sind, werden sie geschlossen. Wo kein profitables Geschäft läuft, gibt's auch keine Beschäftigung. Die rausgeworfenen Stahlarbeiter bringen der Thyssen AG zwar keinen Profit mehr, aber die Tatsache, daß ihre Arbeitsplätze wegratio- nalisiert werden, nutzt der Konzern-Bilanz gewaltig. So wird Ka- pital frei für rentablere Produktionsvorhaben. Auch die nationale Energiepolitik ist ohne die Schaffung von Ar- beitslosen nicht zu haben. Diese Erklärung gibt Wirtschaftsmini- ster Bangemann (nicht nur) in den letzten Wochen andauernd von sich. Sein Lieblingsargument in dieser Frage lautet: "Man kann Arbeitsplätze nicht künstlich erhalten. 63 000 DM an staatlichen Subventionen pro Arbeitsplatz in einem deutschen Kohlebergwerk sind ein wirtschaftspolitischer Wahnsinn." Das ist zwar eine dummdreiste Lüge - denn nicht die Arbeitsplätze werden subventio- niert, sondern die deutsche Kohleindustrie. Sonst könnte man den Kumpels die 63 000 DM ja wirklich direkt überweisen und ihnen ih- ren Scheiß-Untertagejob ersparen. Aber das macht überhaupt nichts, die Botschaft ist klar. Die Bundesregierung legt Wert auf e i n h e i m i s c h e Steinkohle, die als Engergieträger im Vergleich zu Öl oder Kernkraft rentabel sein soll. D a f ü r gibt es Subventionen und den permanenten Auftrag an die Bergbau- industrie, ihre Zechen auf Vordermann zu bringen. Da, wo es sich lohnt, wird rationalisiert, und anderswo wird der Pütt dichtge- macht. Der beste Beweis, daß der Wirtschaftsminister mit seinem Gerede von den "künstlich nicht zu haltenden Arbeitsplätzen" recht hat, sind immer noch die entlassenen Bergleute. Der Beweis geht schlicht und einfach so: Wenn die Bergbauunternehmen sie für ihr Geschäft noch gebraucht hätten, dann hätten sie sie ja wohl nicht entlassen. So ist jeder entlassene Arbeiter ein Beweis da- für, daß er völlig gerecht behandelt wurde. Die maßgeblichen Männer aus Politik und Wirtschaft kennen nur lauter gute Gründe für Arbeitslosigkeit: die Wirtschaftskraft deutscher Unternehmen, ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Welt- markt, die nationale Energieversorgung, die zukünftigen Ar- beitsplätze und überhaupt die Zukunft der Nation. Man kann der Obrigkeit ruhig glauben - so läuft nun mal der La- den, den sie regiert. Eine ordentliche Marktwirtschaft ist nicht zu haben, ohne daß Lohnarbeiter Manövriermasse sind. Und dazu ge- hört, daß ihnen bei Bedarf der Firma der Lebensunterhalt gestri- chen wird. Bloß, wofür oder wogegen sprechen eigentlich die allseits be- schworenen Notwendigkeiten unseres hervorragenden Wirtschaftssy- stems? Dafür, daß da wohl nichts zu machen ist - denn was sein muß, muß sein? Oder sprechen sie gegen die soziale Marktwirt- schaft?! Wenn es schon so sein muß, daß Arbeiter mit dieser Wirtschaft im- mer zu keinem gesicherten Auskommen kommen - wie wär's denn dann ohne diese Scheiß-Wirtschaft? Wenn es schon so ist, daß die Interessen der Lohnarbeiter an ei- nem angenehmen Leben sich nicht mit den Sachnotwendigkeiten die- ses Systems vertragen, dann wäre man als Arbeiter vielleicht ge- scheiter g e g e n diese Sachnotwendigkeiten. Natürlich macht man sich damit bei der Gegenseite unbeliebt. Na- türlich laufen dann das Stahlgeschäft von Thyssen und die Kohle- politik nicht mehr so wie bisher - aber sollen sie das denn? ..."Leider!" ------------ Die Stahl- und Bergarbeiter haben sich stattdessen entschlossen, sich bei aller Welt beliebt zu machen. Die gewerkschaftlich in Szene gesetzte untertänige Anfrage: "Müssen die Entlassungen denn ausgerechnet mich, unser Hattingen, unser Revier... betreffen?" hat gerechterweise niemand mit störendem Protest verwechselt - geschweige denn mit einer Kampfansage. Die Antwort der Herren aus den Unternehmensleitungen und Regierungen kam postwendend: Er- stens - jawoll, die Entlassungen müssen immer gerade dort sein, wo sie eben stattfinden. Zweitens geht die Bitte um soziale Be- treuung der Opfer selbstverständlich in Ordnung. Soziales Elend ist dazu da, verwaltet zu werden. Dafür gibt es Sozialpläne. Und schon die Zeitdauer, die die "Stahlrunde" für das Ausmauscheln dieser Pläne braucht, unterstreicht, daß hierzulande kein "soziales Opfer" vergessen wird. Man kann sich überhaupt voll darauf verlassen, daß in Sachen Opferbetreuung nichts dem Zufall überlassen wird. Das Bejammern und Beklagen der anständigen, schuldlosen Arbeitslosen vom Revier organisieren Staat, Funk und Fernsehen und der DGB sicherheitshalber gleich in eigener Regie. Als Statisten für den großen Jammerchor sind die Betroffenen selbstverständlich eingeplant. Irgendeiner muß die schwarzen Särge und die Transparente mut den Aufschriften: "XY... darf nicht sterben" ja durch die Gegend tragen. Das war's dann - man kann sich im Fernsehen bestätigen lassen, daß man erstens aus lauter guten Gründen zum Opfer gemacht wurde und daß man zweitens solches enormes Mitleid und soziale Betreu- ung verdient. Wenn man sonst nichts vorhat im Leben, kann man zu- frieden sein. Dann soll man aber auch das Gejammer einstellen. zurück