Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT RHEINHAUSEN - Eine Heimat für Lohnarbeiter


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       Der Fall Rheinhausen
       

ALLGEMEINE SYMPATHIE FÜR DEMONSTRIERENDE STAHLARBEITER - DA MUSS DOCH WAS FAUL SEIN

Auf den ersten Blick mag es ein wenig merkwürdig erscheinen: Da besetzen teilweise vermummte Stahlarbeiter, passiv mit einem Helm bewaffnet, Rheinbrücken und Werkstore und blockieren die Gleise der Deutschen Bundesbahn, und was ist los? "Die Polizei hält sich zurück, organisiert blitzschnell Umleitun- gen. Ein Beamter spricht für die meisten: Am liebsten ginge ich mit auf die Brücke. Die da oben sind meine Kollegen." (Bild) Alle "Gewaltaktionen" werden liebevoll dargestellt, aber nicht um "kriminelle Untaten" wie in der Hafenstraße anzuprangern, sondern um "verständnisvolle Anteilnahme" auszudrücken. Es muß ganz einfach etwas mit dem staatsdienlichen Anliegen der Stahlarbeiter zu tun haben, was die Hüter der öffentlichen Ord- nung so großzügig über die eine oder andere "Unregelmäßigkeit" hinwegsehen läßt. Arbeiter, die ausgerechnet immer dann einen Grund zum Protest anmelden, wenn sie sich nicht mehr nützlich ma- chen dürfen, sind - darin sind sich vom Kanzler bis zum letzten Kleinhändler alle einig - entschiedene A n h ä n g e r dieses unseres Systems, von dem sie auch - und gerade dann nicht lassen wollen, wenn ihnen die eingerichteten "Sachzwänge der freien Marktwirtschaft" einmal mehr zu schaffen machen. Der in dem Pro- test der Stahlarbeiter zum Ausdruck kommende "Ruf nach Arbeit" - das ist nichts anderes als die Bitte um den Fortbestand der für Staat und Wirtschaft so einträglichen Lohnabhängigkeit. Und er ist nur konsequent, wenn die verantwortlichen Politiker und Un- ternehmer in dem so umstandslos bekundeten Willen zur Arbeit eine Untertanengesinnung ausmachen, die sie sicher sein läßt, daß sich auch der Unmut der demonstrierenden Stahlarbeiter in Grenzen hält, wenn ihnen ihr Antrag auf Beschäftigung mal wieder abschlä- gig beschieden wird. Der Betriebsrat fühlt sich übergangen - und alle sind empört ------------------------------------------------------------ Was war es denn eigentlich, was die Krupp-Arbeiter dazu brachte, ihrem obersten Manager Cromme einen "heißen Empfang" auf der Be- triebsversammlung zu bereiten, ihm "menschenverachtende Methoden" vorzuwerfen und ihn mit Zwischenrufen wie "du eiskalter Hund" und Eiern zu traktieren? Etwa das "Optimierungskonzept" des Vor- stands, welches das Verhältnis von Lohn und Leistung der Beleg- schaft in Zukunft noch rentabler für den Betrieb gestalten will und deshalb auch das ersatzlose Streichen von zahlreichen Löhnen für "optimal" hält? Nein, denn über das erfolgreiche Realisieren dieses Konzeptes hatte der Betriebsrat längst mit dem Vorstand verhandelt, und kein einziger "Kruppianer" hatte es für nötig be- funden, dagegen seinen Protest einzulegen. Jetzt, wo der Be- triebsrat sich für "getäuscht" erklärt, weil nach seiner Kenntnis in dem "Optimierungskonzept" die Stillegung des Stahlwerkes in Rheinhausen nicht enthalten war (die IG-Metall-Kollegen in Auf- sichtsrat und Vorstand haben wohl nur inoffiziell Bescheid ge- sagt), da ist auf einmal auch die versammelte Belegschaft "hellauf empört". "Während wir über Sozialpläne für die von Krupp geplante 'Optimierung der Produktion' mit dem Vorstand verhandelt haben (1800 Entlassungen im Werk Rheinhausen hatte der Betriebsrat be- reits zugestimmt!), ist das Plattmachen der Hütte längst be- schlossene Sache gewesen", so läßt sich der Betriebsratsvorsitzende und Protest-Führer Man- fred Bruckschen auf der Betriebsversammlung vernehmen, und die Belegschaft dankt mit "donnerndem Applaus". Als ob es für einen Stahlarbeiter nichts Wichtigeres gäbe, als daß sein Betriebsrat bei jeder Maßnahme, die der Betrieb gegen die Arbeiter be- schließt, seine "verantwortliche Mitzuständigkeit" betätigen darf. Kein Wunder, daß es für die Politiker aller Parteien bei den für den "Fall Rheinhausen" anberaumten Stahldebatten im NRW- Landtag und Bundestag eine leichte Pflichtübung war, diesem Pro- test der Stahlarbeiter ihre "volle Solidarität" zu versichern: "Übereinstimmend verurteilten alle Parteien das Vorgehen der Ver- antwortlichen beim Stillegungsbeschluß: dies widerspricht dem Geist der Mitbestimmung" (Westdeutsche Allgemeine), auf den nun einmal in einer Demokratie größter Wert gelegt wird: Schließlich gehört der Wille der Opfer der freien Marktwirtschaft gebührend respektiert, solange jedenfalls, wie er sich - vermit- telt über die "konstruktive Mitarbeit" des Betriebsrats - verant- wortlich für alle Maßnahmen des Betriebs in die Pflicht nehmen läßt. Und an diesem hohen Gut "Mitbestimmung" ist den protestie- renden Stahlarbeitern offenbar sehr gelegen, so daß es weiter gar nicht auffällt, daß dieselben Politiker längst dem Unternehmen in dessen Entscheidung recht gegeben haben. Und zwar so nachdrück- lich, daß sie es gleich wie eine Angelegenheit, der man sich nicht entziehen kann, auszudrücken pflegen: "Den Strukturwandel in der Stahlindustrie kann niemand aufhal- ten." (Blüm vor dem Bundestag) So reden diejenigen, die den "Strukturwandel" in der Stahlindu- strie nach Kräften fördern und mit den Geldern ihrer lieben Un- tertanen den unternehmerischen Erfolg sicherstellen wollen. Krupp legt ein Stahlwerk still - -------------------------------- die Arbeiter beklagen den Verlust ihrer Heimat ---------------------------------------------- Das ist schon komisch: Seit Jahr und Tag legt Krupp in seinem Werk die eine oder andere Produktionsanlage still, entläßt mit oder ohne Stillegung einen Haufen Arbeiter (einige tausend in den letzten Jahren), und kein Mensch hielt das für einen "Skandal". Klar, protestiert wurde immer schon ein bißchen - so z.B., als 1982 - die Mittelstahl- und Drahtstraße geschlossen wurde -; aber der Betriebsrat und die ihm anvertraute "Belegschaft" ließen sich das letztendlich immer noch als Notwendigkeit eines "Gesundschrumpfungsprozesses" einleuchten, der so stets den vom Vorstand geplanten Verlauf nahm. Jetzt, wo ein ganzer Standort wegen eben desselben unternehmerische "Gesundschrumpfungs- programms" dichtgemacht wird, um die Stahlproduktion im Verbund mit Mannesmann auf der anderen Rheinseite für beide Unternehmen lohnender fortzusetzen, da soll mit einem Mal - die "Schmerz- grenze" für die Betroffenen erreicht sein. Und die Rheinhausener Stahlarbeiter nebst Familie werden nicht müde, jedem hergelaufenen Reporter zu erzählen, welch "schwerer Schick- salsschlag" sie getroffen hat: "Wir wollen hier in Rheinhausen unseren Arbeitsplatz behalten und nicht auf der anderen Rheinseite arbeiten gehen. Hier ist unser Zuhause." Wo das Heimatgefühl Platz greift, da stehen die wirkliche materi- ellen Folgen für die Betroffenen nicht mehr zur Debatte. Daß sich die Arbeiter auf ihre Arbeitsplätze in Rheinhausen versteifen, weil hier - im Unterschied zum "Arbeiten auf der anderen Rhein- seite" - für leichte Arbeit gutes Geld verdient wird, das wird ja wohl niemand im Ernst behaupten wollen. "Ein ganzer Stadtteil droht zu veröden", d a s ist der trostlose Befund, der die betroffenen Arbeiter zu Hauf auf die Straße treibt. Offenbar lösen sie ihre materiellen Sorgen privat zuhause. Eine politische Bedeutung entdecken sie in ihren Sorgen nur dann, wenn sie diese als Beispiel für die einge- bildete gemeinsame Betroffenheit der ganzen Stadt ins Feld führen können: Die ebenso ärgerliche wie hierzulande übliche Tatsache, daß ein kapitalistisches Unternehmen wie Krupp mit seinen ganz und gar nicht wohltuenden Arbeitsplätzen und dem täglich an- fallenden Dreck und Gestank einen ganzen Ortsteil von sich ab- hängig macht, wird angesichts der beabsichtigten Schließung zu einem einzigen Segen für die Menschheit, dessen Verlust die Ar- beiter betrauern wie das Dahinscheiden eines lieben Verwandten. Und je eindeutiger von seiten des Kapitals klargestellt wird, daß es keine Heimat kennt, die Entscheidung für oder gegen einen Standort allein eine Frage der profitlichen Kalkulation ist, um so mehr - und um so trotziger - setzen die Betroffenen auf Hei- matliebe. Und die ist bekanntlich allumfassend, so daß selbst ein Oberbürgermeister in der "Gemeinschaft der Rheinhausener", die keinerlei Interessengegensätze kennt, seinen festen Stammplatz erhält. Da macht es gar nichts, wenn den nur die Sorge umtreibt, ob er demnächst ein paar Sozialgroschen mehr für die entlassenen Stahlarbeiter herausrücken muß: "Wenn man einmal von dem drohenden Schicksal der betroffenen Men- schen absieht, dann ist dies auch für die Stadt schlimm. Die So- zialkosten sind schon heute völlig aus den Fugen geraten." (OB Krings) Kritik am System - nie und nimmer --------------------------------- Da mögen die Stahlarbeiter noch so dramatisch ihr "soziales Elend" und ihre "ausweglose Zukunft" beschwören - zu ein paar vernünftigen Gedanken über den Grund der ganzen Scheiße, dazu will sich niemand versteigen. Daß an vielleicht besser beraten wäre, gegen eine Wirtschaft anzutreten, deren "Strukturwandel" sich so offenkundig nicht mit den Lebensbedürfnissen eines Arbei- ters verträgt, eine solche Überlegung will ein deutscher Stahlar- beiter erst gar nicht zur Kenntnis nehmen. "Einige ultra-linke Grüppchen versuchen, ihr Revolutions-Süppchen auf dem heißen Zorn der Arbeiter zu kochen... Nicht nur der schwäbische Akzent mehrerer Redner macht die Arbeiter stutzig." (WAZ), was einem Arbeiter an einer hessischen Frohnatur namens Norbert Blüm natürlich nie und nimmer auffallen würde. Denn da kennt man sich schließlich aus: Bei Linken weiß man eben gleich, daß die den Protest "nur für ihre Sache funktionalisieren" wollen, und da hat man als Arbeiter seinen Stolz, auf "sein" System nämlich, auf das man als braver Stahlkocher nun einmal nichts kommen lassen will. Und zu diesem unverwüstlichen Vertrauen in die Errungen- schaften von Wirtschaft und Politik steht es keineswegs in Wider- spruch, wenn sich die Rheinhausener Arbeiter ein wenig enttäuscht über die Solidaritäts-Reden der eigens aus Düsseldorf und Bonn angereisten Politiker geben - "Die klopfen alle doch nur ihre bekannten Sprüche" -, ohne auch nur gegen einen dieser Sprüche eine Kritik vorbringen zu wollen, geschweige denn gegen die Taten der Politik. Denn das wissen die Stahlarbeiter schon längst, daß "die da oben auch nichts machen können", und entschuldigen somit ihre Politiker mit eben den "Sachzwängen", die diese selber einrichten und mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht am Laufen halten. Und es ist nur folgerichtig, daß ein Rheinhausener Stahlarbeiter auf die Frage eines WDR-Reporters, was er denn eigentlich gegen die anwe- senden CDU- und SPD-Politiker an Kritik vorzubringen habe, bei den "Machenschaften der EG" landet: "Die EG macht uns hier alle kaputt. Wir zahlen immer nur ein und kriegen nichts dabei raus", gerade so, als ob die EG eine Erfindung der Konkurrenten im euro- päischen Ausland wäre, um "uns Deutschen" schweren Schaden zuzu- fügen. So wird die eigene Obrigkeit, bloß weil es die eigene ist, ganz umstandslos ins Recht gesetzt und mit dem ehrenvollen Auftrag von ihrer Arbeiter-Basis versehen, deutsche Interessen noch erfolg- reicher als bisher gegen die feindliche Konkurrenz durchzusetzen. Daß diese Politik für das deutsche Stahl-Kapital einen Arbeiter regelmäßig alt aussehen läßt, das scheint einen d e u t s c h e n Stahlarbeiter nicht im mindesten zu interes- sieren. Was bleibt: Viel Verzweigung - bis zur endgültigen Entscheidung --------------------------------------------------------------- Weil die Krupp-Arbeiter keinerlei begründeten Zweifel an der ge- gen sie gerichteten unternehmerischen Entscheidung anmelden wol- len, weil sie das Interesse des Unternehmens im Unterschied zu ihrem eigenen für ein unwidersprechliches Sachgesetz halten ("Verluste in Millionenhöhe, au weia!"), sich selbst also für ausgesprochen ohnmächtig erklären, geben sie sich so entschieden "niedergeschlagen und verzweifelt". Und statt bloß mit dieser trostlosen Gemütslage der eigenen Familie daheim auf den Wecker zu gehen, haben sie sich entschlossen, diese ihre Stimmung einer großen Öffentlichkeit nachhaltig zur - Kenntnis zu bringen. Denn das ist man sich als braver Arbeiter einfach schuldig: daß - "wenn schon nichts mehr geht" - man auf jeden Fall die Öffent- lichkeit darauf hinweisen muß, daß man als guter Arbeiter "ganz und gar zu Unrecht in Not" geraten ist. Und um für diese reich- lich nutzlose Botschaft die gehörige Aufmerksamkeit zu finden, dafür sind einer verzweifelten Phantasie keinerlei Grenzen ge- setzt - außer denen natürlich, die ein "Kampf um Arbeitsplätze" verbindlich vorschreibt: "Kollegen, wenn wir streiken, dürfen wir keinesfalls unsere Ar- beitsplätze kaputtstreiken. Sonst freut sich nur der Unterneh- mer", der sich bekanntlich mächtig ärgert, wenn ihm seine schönen Ar- beitsplätze bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sie stillegt, unge- stört erhalten bleiben. Ein Streik f ü r Arbeitsplätze, das ist eben ganz notwendig ein ziemliches Unding, denn wie sollte man auch einem Unternehmen schaden wollen, von dessen gnädigem Arbeit-geben sich die Stahl- arbeiter ganz und gar abhängig machen wollen. Und so bleibt für einen Protest, der erklärtermaßen keinen Gegner hat, nichts anderes übrig, als auf ein paar "einfallsreiche Ak- tionen" zu sinnen, damit auch wirklich jeder merkt, daß hier pro- testiert wird. Daher die eine oder andere "Störung der öffentli- chen Ordnung" in gebotenen Grenzen, versteht sich -, wofür selbst die "Bild"-Zeitung großes Verständnis zeigt: "Wie verzweifelt müssen die Stahlkocher von Rheinhausen sein, wenn besonnene Familienväter Brücken sperren, Barrikaden mit ih- ren Autos errichten. Natürlich wissen auch sie: Damit holen sie keine Arbeitsplätze nach Rheinhausen zurück. Aber sie erwarten zurecht ein klares Wort von Firmenleitung und Politikern." Mehr erwarten und mehr kriegen sie auch wirklich nicht. Bis auf das kleine Wörtchen "zurecht" liegt die "Bild"-Zeitung in diesem Fall leider ziemlich nah an der Wahrheit. zurück