Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT PARAGRAPH-116 - Vom Arbeitskampfrecht
zurück Neuauslegung des Paragr. 116 ArbeitsförderungsgesetzSTREIT UM DIE RECHTE UND PFLICHTEN EINER STAATSGEWERKSCHAFT
Mit allem erdenklichen Propagandarummel geht eine Auseinanderset- zung zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften vorläu- fig zu Ende, bei der nach Auskunft beider Seiten elementarste de- mokratische Güter auf dem Spiel stehen: das Streikrecht, der so- ziale Friede, die rechtsstaatliche Demokratie, weil man der Ge- werkschaft glauben will; die Neutralität des Staates, die Gleich- berechtigung von Kapital und Arbeit, die Rechtssicherheit, so man sich den Politikern um Blüm und den Unternehmern, anschließen will. Der Gegenstand der Auseinandersetzung ------------------------------------- ist eine vergleichsweise esoterische und ziemlich undurchsichtige Materie: Die geplante Änderung einer Unterbestimmung eines A r b e i t s r e c h t s p a r a g r a p h e n über die finan- ziellen Pflichten der Bundesanstalt für Arbeit im Falle einer speziellen Arbeitskampfsituation. Der 116 regelt nämlich, wann die Bundesanstalt für ausgesperrte Arbeiter Kurzarbeitergeld zah- len muß. S o g u t w i e n i e - außer für "indirekt vom Streik Betroffene in anderen Tarifgebieten"; d.h. auf gut Deutsch: wenn die Unternehmer Streiks in einem Tarifbezirk mit Aussperrungen in anderen beantworten, in denen die Gewerkschaft nicht dieselben Forderungen erhebt. Ansonsten ist auch bei Aus- sperrungen die Gewerkschaft in der Zahlungspflicht. Auf diese spezielle Regelung hatte die IG Metall ihre Streikstrategie für ihre "35-Stunden-Wochen"-Kampagne 1984 aufgebaut. Mit leicht ab- weichenden Forderungen in den verschiedenen Tarifbezirken und Streiks nur in bestimmten Bezirken - und dort nur in manchen Be- trieben - wollte sie bundesweit Wirkung erzielen. Prompt hat sie sich von U n t e r n e h m e r s e i t e die zu erwartenden bundesweiten Aussperrungen - durch Materialmangel "erzwungene Produktionsausfälle" haben das die Unternehmer getauft - und einen anschließenden Rechtsstreit mit der B u n d e s- a n s t a l t eingefangen. Die hat sich nämlich, ähnlich ziel- strebig wie die Unternehmer, zu zahlen geweigert; die nach- folgenden G e r i c h t s u r t e i l e, bei der vorliegenden Rechtslage müßte die Anstalt zahlen, hatten dann schließlich, wie geplant, den G e s e t z g e b e r auf den Plan gerufen. Seitdem besteht beschlossenermaßen politischer Handlungsbedarf, die "Neutralität des Staates" steht auf dem Spiel - und bei allen Vorgeplänkeln und unterschiedlichen Interpretationen, wer sich bei den Verhandlungen zwischen den Kontrahenten nun wie bewegt habe, steht e i n e s f e s t: Die Fälle, in denen bei Aus- sperrung Arbeiter Kurzarbeitergeld bekommen, werden noch mehr eingeschränkt. So esoterisch die Rechtsmaterie ist, so hart sind in dem Rechtsstreit Die unumstrittenen Prinzipien ----------------------------- demokratischer Tarifauseinandersetzungen ---------------------------------------- 1. Streik ist eine Kassenfrage. Aufkommen kann ein solcher Rechtsstreit ja nur, wenn die Gewerk- schaft eine Taktik möglichst begrenzter, punktueller, ja stündli- cher und tageweiser (Warn-)Streiks - bis hin zu bloßen öffentli- chen Demonstrationen - verfolgt und damit der anderen Seite Gele- genheit und Anlaß zur Eskalation bietet. Eine solche Taktik stellt die Arbeitsverweigerung - das einzige Mittel der Lohnab- hängigen, den Unternehmern trotz ihrer Verfügungsmacht im Betrieb ökonomische Zugeständnisse gegenüber dem Kostenfaktor Arbeit ab- zutrotzen - unter ein dreifaches I d e a l s c h o n e n d e n G e b r a u c h s: der Wirtschaft soll möglichst wenig geschadet werden - also wird auch der kostenbewußte Unternehmerwille nicht möglichst gründlich und nachhaltig von einer kostenbewußten Ar- beiterschaft unter Druck gesetzt. Die g e w e r k s c h a f t- l i c h e n S t r e i k k a s s e n sollen von Streikkosten möglichst verschont bleiben - ein Standpunkt, der einem staat- lichen Finanzminister und einer Sparsamkeit gegenüber dem steuerzahlenden Volk entspricht, nicht aber einer Gewerkschaft, die für das Durchstehen von Arbeitskämpfen Beiträge sammelt. Drittens sollen auch die f i n a n z i e l l e n E i n- b u ß e n d e r A r b e i t e r nicht zu groß - nicht gerade ein materialistischer Gedanke: Schließlich rechnet die Arbei- tervertretung mit Opfern der Mitgliedschaft, die ihre Streik- bereitschaft behelligen könnten. Offensichtlich zielt diese Gewerkschaft nie und nimmer auf einen Einsatz der Streikkasse, der den Willen zum Arbeitskampf stärkt, und auf ein Streik- ergebnis, das die erbrachten Opfer für alle mehr als kompensiert. 2. Tarifauseinandersetzungen sind eine Rechtsangelegenheit. Arbeitskämpfe sind bis ins Kleinste reglementiert und unterliegen striktester staatlicher A u f s i c h t. Wie die aussieht, zeigt nicht zuletzt der gegenwärtige Streit um 'Neutralität'. Kaum kommen Arbeiter bei unternehmerischen Kampfmaßnahmen in den Genuß, aus ihren Kassenbeiträgen an die Bundesanstalt etwas zu- rückzubekommen, schon gilt das als mögliche Parteilichkeit des Staates, als ungebührliche Schonung der Gewerkschaftskasse und gefährliche Förderung von Streiks. Die staatliche Rechtshoheit über die Tarifparteien ist nämlich dem Grundsatz verpflichtet: 3. Das Recht der Unternehmer auf ökonomische Erpressung ist unum- stritten. Die Herren der Wirtschaft sind nicht nur dank ihres Eigentums an den Produktionsmitteln und seines staatlichen Schutzes mit der Macht und den Mitteln ausgestattet, Arbeiter mit ihrer Lohnabhän- gigkeit, also der Abhängigkeit vom betrieblichen Arbeitsplatz und seinem Besitzer, zu erpressen. Neben der Freiheit, Arbeitskämpfe ihrerseits g e s c h ä f t l i c h zu kalkulieren, haben sie durch die Erlaubnis, mit "gleichen Waffen" zu kämpfen, also aus- zusperren, auch r e c h t l i c h freie Hand, diese Macht gegen die Arbeiter in Anschlag zu bringen und der rück- sichts v o l l e n Gewerkschaftstaktik ihrerseits entschieden rücksichts l o s zu begegnen. Egal, wie der angestrebte "Kompromiß" beim 116 aussehen wird, er wird auf jeden Fall die Möglichkeit zur Aussperrung, die die Gewerkschaftskasse trifft, noch ausweiten, die V e r s c h ä r f u n g von Arbeitskämpfen also geradezu zum p o l i t i s c h e n A u f t r a g an die Unternehmerschaft erheben. Die Gewerkschaft darf dann neu kalkulieren, wieweit ihr Ideal allseits verträglicher Arbeitskämpfe noch durchführbar ist. Daß sie den Spieß umdreht, ihrerseits Streik und Streikergebnis zu einer teuren Angelegenheit für die U n t e r n e h m e r macht, stand nicht zu erwarten. Die Verwandlung von I n t e r e s s e n v e r t r e t u n g g e g e n d a s K a p i t a l in ein streng hoheitlich überwachtes Verhältnis von R e c h t e n, v.a. aber P f l i c h t e n gegenüber dem Staat hat sie ja auch noch nie angreifen wollen. Den Arbeiter- vertretern war es noch nie ein Problem, daß das "Streikrecht" nicht die E r l a u b n i s zum erfolgreichen Kampf, sondern die P f l i c h t zum staats- und wirtschafts d i e n- l i c h e n G e b r a u c h der Gewerkschaftsmacht ist. Diesen Gebrauch hat sie sich selbst zum Anliegen gemacht. Die Antwort der Gewerkschaft ist wie erwartet ausgefallen. Sie klagt das Recht auf ihre Sorte verantwortliche Tarifauseinandersetzung ein. Mit der propagandistischen Gleichung: Die Streiktaktik der "neuen Beweglichkeit" wird teurer, also "geht Streiken nicht mehr", also ist das "Streikrecht in Gefahr", also steht "die Demokratie" auf dem Spiel, bekennen sich die Arbeiterfunktionäre ihrerseits zu den verlangten Prinzipien verantwortlicher Gewerkschaftspolitik ------------------------------------------------ 1. Wenn Politiker das Arbeitsrecht a n t i gewerkschaftlich aus- gestalten, beharrt die Arbeitervertretung auf dem gegenteiligen Standpunkt, das Recht sei eine einzige und die einzige Bedingung der M ö g l i c h k e i t gewerkschaftlicher Macht, und schwingt sich zum Verteidiger des Status quo auf. Ihre Macht will sie also nicht anders und zu nichts anderem betätigen, als das Gesetz ihr vorschreibt. 2. Kaum soll die Aussperrung noch durchschlagender gemacht wer- den, vergißt die Gewerkschaftsmafia ihre alte Propagandaparole: "Verbot der Aussperrung", stellt sich auf die neuen politischen Absichten ein und tritt nur noch mit der untertänigen Bitte an: Kann nicht alles so bleiben wie bisher? Wenn Politiker entschie- den Partei ergreifen für die Unterordnung gewerkschaftlicher Ak- tivitäten unter den störungsfreien Gang der Wirtschaft, dann aus- gerechnet pflegen die Interessenvertreter der Arbeiterschaft den Schein von Ü b e r p a r t e i l i c h k e i t der Politik. Und die sehen sie schon vorbildlich verwirklicht, wenn Arbeiterbei- träge auch mal ausnahmsweise dazu verwendet werden, daß der Staat die Gewerkschaftskasse ein bißchen entlastet von den Folgen einer Unternehmerreaktion auf die kostensparende Streiktaktik der Ge- werkschaft. 3. Je mehr Politiker und Unternehmer Streiks erschweren wollen, umso mehr agitiert die Gewerkschaft mit Hinweis auf ihre Kasse selber g e g e n Arbeitskampf. Wie ein Finanzbuchhalter, der Soll und Haben pingelig aufrechnet, lamentiert sie über Ausgaben für Opfer, die doch die Unternehmer zu verantworten hätten. In dem Wissen, daß sie ihre Mitglieder für die Gewerkschaftspolitik nur damit werben kann, daß sie sie ein wenig gegen die opfer- vollen Streiks versichert, kündigt sie schwere Zeiten an und för- dert so den antigewerkschaftlichen Grundsatz: S t r e i k e n l o h n t n i c h t. 4. Je härter der A n g r i f f von oben, um so mehr führen sich die Oberdemokraten um Breit als untertänige B i t t s t e l l e r und öffentliche Beschwerdeführer in g e m e i n s a m e r Sache auf. Sie werben bei Öffentlichkeit und Bevölkerung mit der dummen Beschwerde, die Gegenseite stelle die "Systemfrage" und vergehe sich am Allgemeinwohl. So erkennt- lich unernst diese Warnungen vor der Zerstörung der Demokratie auch sind; die Gleichsetzung von Gewerkschaft mit Demokratie wird ersterer postwendend als P f l i c h t zum Gehorsam und zur ge- werkschaftlicher Zurückhaltung reingewürgt - und friedlich ge- schluckt. Die praktische "Verteidigung der Demokratie und des Streikrechts" durch die "fortschrittliche Kraft" der Gewerkschaft könnte denn auch der politologischen Phantasie eines Sozialkundelehrers mit Hang zum erzieherischen Rollenspiel entsprungen sein: Musterpro- zesse vor Sozialgerichten; Gesprächsrunden mit Blüm, Esser, Kohl; Adressen an Bundestagsabgeordnete - und ein bißchen Öffentlich- keitsspektakel nach der Devise: 'Mündige Bürger melden sich brav zu Wort, verantwortliche Politiker müßten doch eigentlich darauf hören.' Die Regierung läßt sich nicht Lumpen und macht kräftig mit beim wahlwirksamen parteipolitischen Streit um die Rolle der Gewerk- schaft als demokratischer Institution. Um so profane und staats- gefährdende Dinge wie ein A r b e i t e r a u s k o m m e n und seine D u r c h s e t z u n g ist es ja von Anfang an nicht ge- gangen. Da läßt sich zwischen den Verantwortlichen gut streiten. P.S. Die Gelegenheit zu einem garantiert staatstreuen Protest ha- ben sich Erlanger Soz/Pol-Dozenten nicht entgehen lassen. Von Mangold bis Krosigk stellen sie in einer Zeitungsanzeige markig fest: "Die Existenz freier Gewerkschaften muß im Interesse der Demokratie gesichert bleiben." Die Demokratie! Kein Zweifel, schon gar nicht von gewerkschaftlicher Seite, ist an dieser herr- lichen Staatsform aufgekommen - und doch soll man sich selbst beim dümmsten Streit nur die einzige Sorge machen, ob dieser Staat denn noch "vom Volksganzen getragen" wird (DGB-Böckler lt. Anzeige). Darauf kommt es wohl um so mehr an, je weniger irgend- wer davon hat! zurück