Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT OETV - Von den Billigtarifen


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       Die ÖTV machte den "Vorreiter"
       

DAS WESTDEUTSCHE ARBEITSVOLK LÖHNT FÜR DEN "AUFSCHWUNG OST" - GEWERKSCHAFT UND STAAT SORGEN DAFÜR

Einerseits läuft alles erstmal ab nach Schema F. Die Ausgangsfor- derungen liegen bei 10% - davon die Hälfte und ein bißchen was drauf kommt raus. Jede Gewerkschaft legt sich dann noch eine "Spezialität" zu, sei es ein Aufschlag für die unteren Lohngrup- pen oder ein anderes Beförderungssystem für Krankenschwestern. Jeder kennt das, und die Zeitungen nennen es das "Tarifritual". Der Arbeitgeberverband, der zuständige Minister und ein paar Journalisten wettern über "unzumutbar hohe Lohnforderungen", die Gewerkschaft betont empört die abgrundtiefe Gerechtigkeit ihrer Forderung und erklärt umschweifig, wie haarscharf genau diese Forderung in die "wirtschaftliche Landschaft" paßt. Wenn dann der Abschluß unterzeichnet ist - Demos und Warnstreiks gehören mit zum "Ritual" -, legt sich die künstliche Aufregung sofort. Die Arbeiter können in ihren Geldbeutel schauen und feststellen, daß wieder nichts rübergekommen ist. Aber damit hatten sie ja eigent- lich auch gerechnet. Andererseits läuft die Sache diesmal mit einem kleinen Zusatz na- mens "Deutsche Einheit". Wenn sich sonst die Gewerkschaft "dem Wachstum", "der Produktivität", "der internationalen Wettbe- werbsfähigkeit" usw., usf. anzupassen hat, so ist in diesem Jahr sonnenklar, daß sie auch und erst recht einen Beitrag zum "Aufschwung Ost" abzuliefern hat. Dieser Beitrag zu den "Kosten der Einheit" kann natürlich nur in einem bestehen: Am Lohn der Proleten muß gespart werden, "Lohnzurückhaltung" heißt das vor- nehm. Das erledigen die Gewerkschaften, indem sie so tun, als ob sie das überhaupt nichts anginge. Vielmehr tönen sie ganz frech vom "vollen Schluck aus der Lohnpulle". Auf den ersten Blick macht die Forderung von 10 oder 11 Prozent ja auch was her - aber bloß im V e r g l e i c h zu den letzten Jahren. Die gewerkschaftli- chen Propagandaorgane beherrschen den Trick ganz gut, anklagend auf die niedrigen Lohnabschlüsse der Vergangenheit zu deuten, über die erheblichen Reallohnverluste zu jammern - die ÖTV, IG Metall und Konsorten schließlich alle selbst mit herbeigeführt haben -, um damit die jetzige Forderung als äußerst gerecht und hoch erscheinen lassen zu können. Witzigerweise liefern die übli- chen zusätzlichen "Begründungen" für die "hohe" Forderung die Be- lege für die absolute Mickrigkeit: Man müsse ja auch den gestie- genen Mieten, der Inflation und der "Abgabenflut" irgendwie ge- recht werden, und überhaupt seien die Gewinne geradezu "explodiert". Das Stichwort "Aufschwung Ost" ist kein einziges Mal gefallen. Ein "Sonderopfer" für den Osten hätte die Gewerkschaft ihrer Kli- entel nämlich nie und nimmer zugemutet. Brauchte sie auch gar nicht, denn das erledigte die Regierung für sie. Die Gewerkschaft mußte nur stur bei ihrer Linie bleiben, die "Einheitskosten" erst gar nicht zu erwähnen, geschweige denn in Anschlag zu bringen, die die Spatzen schon längst von den Dächern pfiffen. Mitten ins "Ringen der Tarifpartner" hinein kam sie denn auch - die S t e u e r e r h ö h u n g. Und sie traf auf die unerschütter- liche Haltung einer verständnisvoll schweigenden Gewerkschaft. Weder gab es "Unmut an der Basis" - genauer gesagt: Es wurde kei- ner bestellt -, noch wurde eine Stimme laut, dann müsse die For- derung halt aufgestockt werden. Vielmehr hielt die ÖTV an ihrem Zeitplan und ihrer Ausgangsforderung fest und brachte einen ihrer "kürzesten Tarifkämpfe" aller Zeiten unter Dach und Fach. Nämlich so: Wenn nun auch noch der Staat zulangt, dann ist doch die Lohn- forderung - n o c h g e r e c h t e r! Diesem fabelhaften Argu- ment konnte sich die Gegenseite unmöglich verschließen - es ko- stete sie ja auch nichts. So führte die "Provokation" der Steuererhöhung zu schlagartiger tariflicher Harmonie. Die sattsam bekannte Frau Wulf Matthies mußte bloß noch vor die Mikrofone treten und von ihrem "schweren Herzen" erzählen, mit dem hatte sie nämlich dem "schweren Kompromiß" zugestimmt. Alles in allem also eine schöne Tarifrunde. Die westdeutschen Ge- werkschaften müssen an ihrer jahrzehntelang erprobten Routine nichts ändern - und werden trotzdem den modernsten Anforderungen vollkommen gerecht. Das gute, alte Verfahren: "Nur fordern, was gerecht ist", "Nur durchsetzen, was die anderen hergeben", dazu noch ein Schwung volkswirtschaftlicher Phrasen - das bewährt sich auch beim Aufbau des neuen Großdeutschland. Das schafft die Ga- rantie für alle "Sonderopfer", die der Staat künftig kassieren will. zurück