Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT OETV - Von den Billigtarifen
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Zu den Tarifverhandlungen für Kranken- und Altenpflege:
WIE DIE ÖTV FORDERUNGEN NACH MEHR GELD
UND WENIGER ARBEIT ABBÜGELT
Der geschäftsführende Hauptvorstand der ÖTV hat die Tarifforde-
rungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen festgelegt. Die
ÖTV verlangt u.a. eine Streichung der untersten Vergütungsgruppe
und eine Höherstufung der Beschäftigten um eine Vergütungsstufe.
Diese Forderung wurde festgesetzt g e g e n Einwände von Seiten
des Pflegepersonals in einigen Städten der BRD, daß eine derar-
tige Einkommenserhöhung völlig unzureichend und eine Höher-
gruppierung um drei Gehaltsstufen erforderlich sei. Für solches
"Anspruchsdenken", so die Klarstellung der ÖTV, sei die
Gewerkschaft nicht zu haben. Kein Wunder, wenn man sich die
Argumentationslinie der Arbeitnehmervertretung in der Tarifrunde
anschaut!
Mehr Geld verlangt die ÖTV nämlich nicht etwa, weil sie den Be-
schäftigten ein auskömmliches Einkommen verschaffen will. Nein,
die Gewerkschaft erhebt ihre Forderung, um den Sozialstaat,
Abteilung Gesundheit, vor seinem Niedergang zu bewahren:
"Um eine Pflegekatastrophe zu verhindern, müßten die Pflegeberufe
wieder attraktiv gemacht werden." (U. Peretzki-Leid, ÖTV-Haupt-
vorstand laut ÖTV-Report 12/88)
Das ist schon gut: Die Gewerkschaft w a r n t die Politik vor
einem Zustand des Gesundheitswesens, den diese sehr
z i e l s t r e b i g zu Lasten des Personals ebenso wie der Pa-
tienten h e r b e i g e f ü h r t hat. Schließlich sind es ja
die angesprochenen Sozialpolitiker, die die Einkommen des Kran-
kenhauspersonals unter Kostengesichtspunkten gering halten und
den Beschäftigten lieber mehr Arbeit aufhalsen, als Geld für
zusätzliche Stellen zu "verschwenden". Schließlich sind es genau
dieselben Politiker, die bei Kranken nicht an bestmögliche Ver-
sorgung, sondern an lästigen Kostendruck denken und entsprechend
kostendämpfend mit der "Patientenlast" verfahren. Ausgerechnet
diesen Politikern erzählt die Gewerkschaft, sie würden s i c h
in eine Katastrophe manövrieren, wenn sie die Pflegeberufe nicht
finanziell attraktiver machten.
Und man täusche sich nicht, dieses Hilfeangebot an die Verwalter
des Gesundheitswesens meint die Gewerkschaft überhaupt nicht tak-
tisch, sondern bitter ernst! Eines will die ÖTV nämlich überhaupt
nicht gesagt haben: Die Beschäftigten haben einen "Pflegenot-
stand", weil sie viel zuwenig Geld und viel zuviel Arbeit haben.
Also soll der Staat gefälligst berappen, was seine Angestellten
brauchen und dafür sorgen, daß der Leistungsstreß aufhört. Nein,
dazu hat die ÖTV viel zuviel Verständnis für die angeblichen
Sparnotwendigkeiten des Sozialstaats. Also kritisiert sie an den
staatlichen Stellen bestenfalls eines: Sie würden z u s e h r
an der f a l s c h e n S t e l l e sparen. Denn ein wenig fi-
nanzielle Anerkennung tut not, damit dem Staat für diese
Streßjobs nicht der Nachschub ausgeht, meint die ÖTV. Sonst fin-
den sich am Ende nicht genug Dumme, die zu den von der Gewerk-
schaft ausgehandelten Arbeitsbedingungen antreten!
Aber dabei will natürlich auch bedacht sein, daß zusätzliches
Personal dem Staat keine zusätzlichen Kosten bereiten darf. Also
fallen derselben Gewerkschaft, die Einkommen der Beschäftigten
als Quelle der Kostensenkung ein. Stolz verweist sie diesbezüg-
lich auf ihre Leistungen in der letzten Tarifrunde:
"Der Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV hat in seiner letzten
Sitzung die Arbeitgeber daran erinnert, daß der letzte Tarifab-
schluß im öffentlichen Dienst Spielraum für Neueinstellungen ge-
schaffen habe. Damit hätten die Beschäftigten im öffentlichen
Dienst Vorleistungen für die Finanzierung von mehr Beschäftigten
erbracht. Der Hauptvorstand hat die Arbeitgeber davor gewarnt,
die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes um die Beschäfti-
gungswirkung zu prellen. Er hat deutlich gemacht, daß, wer die
Funktionsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen und Dienste durch
wachsenden Personalmangel gefährdet und nicht einschreitet, um
den Personalnotstand in der Kranken- und Altenpflege zu bekämp-
fen, schwere Verantwortung auf sich lädt." (U. Peretzki-Leid,
ebd.)
Klar, daß so eine Gewerkschaft materielle Ansprüche ihrer Mit-
glieder als H i n d e r n i s ihrer Tarifpolitik betrachtet.
Sie hat den Lohn ihrer Leute ja als M a n ö v r i e r m a s s e
entdeckt, die sie ins Spiel bringt, um d e m S t a a t eine
kostenneutrale "Erhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen
Dienstes" zu ermöglichen. Daß ein Staat, der sich vom Jäger 90
bis zu dicken Repräsentationsbauten alles leistet, was dem natio-
nalen Erfolg guttut, beim Sozialen immer dem "Sachzwang Sparen"
unterliegt, ist eben eine auch bei der Gewerkschaft gern ge-
glaubte Lüge. Und zur Lösung dieses staatlichen "Problems" sind
ihr Lohnopfer ihrer Mitglieder allemal das passende Mittel. Für
dieses Vorhaben v e r h ö k e r t sie Lohnerhöhungen lässig als
P r e i s, den die Beschäftigten zu zahlen haben, damit der arme
Staat Arbeitsplätze schaffen kann, die er gar nicht schaffen
will. Lafontaine läßt grüßen!
Fazit:
Eine Gewerkschaft, die Lohnerhöhungen nur ins Visier nimmt, um
dem Staat Personalprobleme zu ersparen, die er nicht hat, die
deshalb bei Tarifrunden immer auch in Kostendämpfungs-gesichts-
punkten denkt, so eine Gewerkschaft ist ein G e g n e r von
Lohnforderungen, die sich einfach am Finanzbedarf der Beschäftig-
ten orientieren.
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