Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT IG-METALL - Gleiche Arbeit und Armut für alle


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       Ringvorlesung IG Metall und RUB
       

KOOPERATIONSPROBLEME

Eine standesgemäße Eröffnung erlebte die Ringvorlesung zum "technischen Wandel und seinen gesellschaftspolitischen Perspek- tiven", die von Uni-Wissenschaft und Metall-Gewerkschaft im trau- ten Dialog gemeinsam gestaltet wird, mit dem Referat eines Wirt- schaftspolitikers, der vorführte, daß er seit seiner Professoren- zeit nichts vergessen hat, dafür aber seine wirtschaftswissen- schaftlichen Gelehrtenweisheiten inzwischen mit dem Nimbus des Ministers vortragen darf. Wirtschaftsminister JOCHIMSEN trat ge- mäß der Themenstellung mit dem besorgten Stirnrunzeln eines Man- nes ans Rednerpult, der angesichts eines sich ihm täglich stel- lenden Menschheitsproblems mit der Wissenschaft um dessen verant- wortliche "soziale und politische Gestaltung" ringen will. Sein an die Anwesenden gerichteter Aufruf, sich angesichts der Einfüh- rung neuer Maschinen und den damit einhergehenden Entlassungen mit ihm dem Problem einer verhängnisvollen Logik der T e c h n i k zu stellen, stieß beim Publikum allerdings nicht auf ungeteilten Widerhall, sondern veranlasste eine Reihe der Hochschulangehörigen zu dem Einwand, daß der Beschwörung einer solchen Gefahr kein sachkundiges Urteil über die ökonomischen Zwecke eines Unternehmens, sondern allein die Phantasie des Poli- tikers zugrundeliege. Kaum hatte er sein Referat beendet, mußte sich der Wirtschaftsminister nämlich ausgerechnet an der Univer- sität darüber belehren lassen, daß ein Betrieb seine Entscheidun- gen noch immer auf Grundlage seiner freien betriebswirtschaftli- chen Kalkulation trifft, in der die Erneuerung der Maschinerie als Mittel der Lohnkostensenkung fungiert, und nicht deshalb, weil in den Chefetagen der Firmen irgendwelche Fortschrittsfana- tiker einem historischen Gesetz der "technischen Umwälzung" ge- horchen. Der Hinweis des Politikers auf die Einführung des Licht- satzes in der Druckindustrie, mit dem er seine These belegen wollte, stellte sich so in der Debatte als Indiz für das genaue Gegenteil heraus: die betreffenden Verlage hatten sich ja gerade nicht auf die neue Erfindung gestürzt, sondern erst zu einem Zeitpunkt rationalisiert, zu dem sich der Einsatz dieser "technischen Neuerung" für ihr Geschäft r e n t i e r t e. Die offenkundigen ökonomischen Zwecke des Kapitals als Probleme eines "technischen Wandels" zu besprechen, entsprang so offenbar des Ministers Absicht, Rationalisierungsmaßnahmen wider besseres Wissen als die Exekution einer rätselhaften, der angewandten Technologie angeblich selbst innewohnenden Dynamik darzustellen und so das marktwirtschaftliche Interesse an Gewinn in ein Be- streben der Unternehmen zu verwandeln, sich selbstlos als "Quelle unseres Wohlstandes" dienstbar zu machen. Auch sein nach dem Prinzip des Besinnungsaufsatzes bewerkstellig- ter Übergang, daß wo ein Segen ist, als Preis dafür auch irgend- ein Fluch lauert, konnte nicht überzeugen. Denn wieso soll ein modernes Kraftwerk schon deshalb der Ausdruck eines "Verhängnisses" sein, weil es einiges mehr an Energie erzeuge als eines älterer Bauart? Überhaupt besaß der Vorwurf, die indu- strielle Produktion leide heutzutage unter "Gigantomanie" aus dem Munde eines Mannes, der sich derzeit tatkräftig für die Zusammen- legung des Kapitals zweier Stahlkonzerne einsetzt, ebensowenig Glaubwürdigkeit wie dessen angeblich tiefe Besorgnis über die be- stehende Arbeitslosigkeit. Kalkulieren nicht gerade jene wirt- schaftspolitischen Maßnahmen, mit denen er dem deutschen Stahlka- pital bei der Verbesserung seiner Gewinnchancen in der interna- tionalen Konkurrenz behilflich sein will, die Freisetzung einiger Tausend Arbeiter ganz selbstverständlich als Mittel der betrieb- lichen Sanierung ein? Durch die fälligen Klarstellungen aus dem Publikum sah sich der Politiker im Verlauf der Debatte zunehmend bemüßigt, sich beleidigt auf den Standpunkt zurückzuziehen, ein Politiker habe sich durch Argumente nicht belehren zu lassen, sondern fasse sie als Provokation auf. So daß sich bei einer nicht geringen Anzahl der Anwesenden zurecht der Verdacht erhär- tete, daß der Minister einzig und allein deshalb an die Uni ge- kommen war, um die Maßnahmen des Kapitals zu Lasten der Arbeiter, deren Zustandekommen er täglich von Amts wegen zielstrebig beför- dert, als problematische Sachzwänge der Technik darzustellen, denen er angeblich ausgeliefert ist. Als zweiter Referent meldete sich IGM-Vorstandsmitglied JANZEN als Vertreter der Betroffenen von Rationalisierung und Arbeitslo- sigkeit zu Wort. Wie sich schnell herausstellte, diente ihm seine Parteinahme für die Interessen der Arbeiter allerdings als Auf- takt dazu, sogleich auf die gesellschaftliche Bedeutung der Ge- werkschaft zu sprechen zu kommen, die angesichts der drohenden "Strukturprobleme" in ihrer ganzen Verantwortung für die Volks- wirtschaft als mitbestimmende Kraft aufgerufen sei. Um von diesem Standpunkt aus seine tiefe Sorge angesichts der Arbeitslosigkeit als einer volkswirtschaftlich unverantwortlichen Ve r g e u- d u n g von Arbeitskraft seitens der Unternehmer loszuwerden - als ob auch er noch nie etwas davon gehört hätte, daß Entlassungen für die Unternehmer gerade der Hebel ihres Konkur- renz e r f o l g l o s sind. Wie sein Vorredner ließ es sich auch der Gewerkschafter also nicht nehmen, die Sphäre des Kapitals als den großen Dienstlei- stungsbereich der Gesellschaft vorstellig zu machen (als ob nicht gerade die Existenz der Gewerkschaft der schlagendste Beweis da- für ist, daß es mit dem dort angeblich herrschenden Zweck "Wohlstand für alle" offenbar nicht so weit her sein kann), nur daß er dabei den besonderen Nutzen der von ihm repräsentierten Arbeiter hervorheben wollte. Für jeden, dem im Hörsaal beim Stichwort Arbeitslosigkeit schlicht die Gefährdung der Existenz der davon Betroffenen einfiel, mußte diese Art der Sorge des Ar- beitervertreters suspekt erscheinen, da sie als ideales Dasein der Arbeiterschaft eben deren ausgiebige B e - N u t z u n g als Material der Volkswirtschaft unterstellt, was sich mit dem Interesse an einem "lebenswerten Leben" gerade nicht verträgt. Auch die Hinweise JANZENs darauf, die Gewerkschaft habe mit ihrer Jahrhundertforderung nach einer 35-Stunden-Woche einen entschei- denden Schritt in ihrem Ringen getan, die schädlichen Folgen des angeblichen "technischen Wandels" für ihre Mitglieder zu mildern, machte seinen Auftritt als besorgter Arbeitervertreter nicht glaubhafter. Denn er mußte sich vom Publikum daran erinnern las- sen, daß 1. die Wirklichkeit gewerkschaftlicher Interessenvertre- tung in den Betrieben darin besteht, den "gesundheitsschädlichen Faktoren" der Lohnarbeit etwa mit ihrer Zustimmung zu Sonder- schichten ihren für den Betriebszweck höchst verantwortlichen Se- gen zu erteilen und daß 2. der praktische Erfolg dieser Forderung darin bestand, erfolgreich als internes Argument gegen eine gleichzeitige Forderung nach Reallohnerhöhung getaugt zu haben. Doch auch JANZEN machte standesgemäß klar, daß er nicht gekommen war, um die Politik seines Verbandes zur Diskussion zu stellen. Die Einwände konterte er: 1. Ihr habt bestimmt noch nicht gear- beitet (was vor allem die anwesenden professoralen Claqueure be- geisterte) 2. sind die Gewerkschaftsfunktionäre von der Mehrheit der Arbeitnehmer demokratisch gewählt, ein stärkeres Argument für den Respekt vor DGB-Positionen gibt es ja wohl nicht. Bei so viel Legitimation kein Wunder, daß sich die geladenen Gäste wegen Ter- mindrucks plötzlich zurückziehen mußten. zurück