Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT IG-METALL - Gleiche Arbeit und Armut für alle
zurück IG Metall und IG Chemie zur SonntagsarbeitGEWERKSCHAFTSSTREIT WORUM?
Seit Rappe von der IG Chemie sein Bekenntnis zur Sonntagsarbeit in die Öffentlichkeit posaunt hat, geht ein Riß durch die Ge- werkschaften, so hört man. Das freie Wochenende, insbesondere der freie Sonntag, sei ein sozialer Fortschritt, der von der Gewerk- schaft keinesfalls aufgegeben werden dürfe, so kontert z.B. die IG Metall. Einigkeit in der Sache ---------------------- Ein wenig gespenstisch ist dieser Streit schon. Denn, daß auch im Zuständigkeitsbereich der IG Metall Wochenendschichten massenhaft üblich sind und ständig neue Vereinbarungen getroffen werden (wie etwa jüngst bei Opel in Bochum), das wissen die Aktivisten der IG Metall ja wohl selbst am allerbesten. Daß solche Betriebsvereinbarungen wie Pilze aus dem Boden schie- ßen, sei der IG Metall gar nicht recht, so hört man. Auch diese gewerkschaftsoffizielle Lesart der Betriebsratspolitik vor Ort ist mehr als seltsam. Denn erstens hat die IG Metall mit ihrem Manteltarifvertrag zur Arbeitszeitverkürzung selbst die tarifver- tragliche Grundlage für Betriebsvereinbarungen geschaffen, die eine Verteilung der Arbeitszeit auf alle 7 Tage der Woche vorse- hen. Und zweitens liegen Betriebsräte wie der IG Metallmann Happe bei Opel auch argumentativ voll auf der Linie ihrer Gewerkschaft, wenn sie Wochenendarbeit unterschreiben, um einer "Abwanderung von Teilen der Produktion" ins Ausland vorzubeugen. Daß möglichen Produktionsverlagerungen durch "Anpassung an spanische Verhält- nisse" (VW-Betriebsrat Hiller laut Spiegel 44/88) zuvorzukommen sei, das hat doch die IG Metall mit der Parole "Standort- sicherung" selbst in Umlauf gesetzt. Daß die Betriebsräte in ihrer P r a x i s der Devise folgen, auch an der Ar- beitszeitfront habe sich der deutsche Arbeiter an Billiglohnlän- dern ein V o r b i l d zu nehmen (bzw. Vorreiter zu spielen: in den spanischen VW-Werken gibt es keine Sonntagsarbeit!), um Kapi- tal auf deutschem Boden heimisch zu halten, findet denn auch das vollste Verständnis der Führungsetagen der IG Metall. Ein Streit um Selbstdarstellung ------------------------------- Stören tut die IG Metall etwas ganz anderes: Die g e b i l- l i g t e betriebsrätliche P r a x i s steht ein wenig im Widerspruch zu einer gewerkschaftlichen S e l b s t d a r- s t e l l u n g, welche das freie Wochenende jahrelang als eine d e r gewerkschaftlichen Errungenschaften vor sich hergetragen hat. Deshalb sind sie eben noch bekannt, die Parolen "Samstags gehört Vati mir" und "Sonntags nie!" Und die Lösung dieses Problems hat die IG Metall längst gefunden: Die Redeweise von den Betriebsräten, die leider, leider die Gewerkschaftslinie un- terlaufen, weil man ihnen vor Ort "das Messer auf die Brust setzt", i s t genau die T e c h n i k der IG Metall, den Betriebsräten grünes Licht zu geben u n d den Schein aufrechtzuerhalten, daß es eigentlich um nichts mehr als die Be- wahrung des freien Wochenendes gehe. Und genau diese T e c h n i k d e r P r ä s e n t a t i o n gewerkschaftlicher Politik sieht die IG Metall durch die Sprüche von Rappe angegriffen. Der vertritt nämlich, auch ganz auf gewerkschaftliche Glaubwürdigkeit bedacht, die umgekehrte Posi- tion: Wenn die Gewerkschaft schon immerzu Wochenendarbeit geneh- mige, dann passe es dazu sehr schlecht, immerzu daneben ein kräf- tiges "Sonntags nie!" zu brüllen. Anpassung der Gewerkschafts- ideologie an die Taten tue not. Ein feiner Streit! ------------------ Daß sich die Arbeitszeit der Beschäftigten nicht nach d e r e n Erfordernissen, sondern nach den Notwendigkeiten des Betriebser- folgs zu richten hat, in dieser S a c h e besteht vollste Ei- nigkeit zwischen IG Metall und IG Chemie. Strittig ist einzig die öffentliche Lesart für diesen praktischen Standpunkt: Soll man sich mit der Einheit von Wort und Tat brüsten? Oder soll man den Schein pflegen, das freie Wochenende sei eigentlich eine nicht hintergehbare gewerkschaftliche Errungenschaft, von der man nur im Einzelfall wegen unabweisbarer Notwendigkeiten leider immerzu abweiche? zurück