Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT IG-METALL - Gleiche Arbeit und Armut für alle


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       Gewerkschaft
       

DIE IG METALL BEREITET IHRE ERSTE REGULÄRE TARIFRUNDE FÜR IHRE NEUE TARIF-OSTZONE VOR

1. Vor allem andern: Leistungsgerechtigkeit ------------------------------------------- Die Grundvoraussetzung dafür, überhaupt eine Tarifpolitik machen zu können, will die Gewerkschaft bis zum 1. April 91 geschaffen haben: die Übertragung der westdeutschen Tarif s t r u k t u r mit ihren Lohngruppen. und Gehaltsstufen auf die ostdeutschen Be- triebe. Vereinbart ist bereits, daß Mecklenburg-Vorpommern den schleswig-holsteinischen Tarifrahmen übernimmt, Ostberlin und Brandenburg den Westberliner, Sachsen-Anhalt den niedersächsi- schen, Thüringen und Sachsen den bayerischen - unterschiedliche Landsmannschaften gehören eben nicht über den gleichen proletari- schen Kamm geschoren, sondern jede je nach Breitengrad und Mund- art über ihren besonderen; das scheint eine Grundforderung ge- werkschaftlicher Gerechtigkeit zu sein. Wahrscheinlich wird in den verschiedenen Bundesländern ja auch um Pfennige unterschied- lich viel pro Stunde geleistet; denn die Herstellung von Lei- stungsgerechtigkeit beim Lohn ist das edle Ziel, das die IG-Me- tall mit der Einführung der im Westen gewohnten Lohnunterschiede in ihren neuen Tarifgebieten im Osten verfolgt. Deswegen brauchte sie auch gar nicht erst von den Arbeitgebern der neuen Bundeslän- der zur Einführung lohnsparender Abstufungen im Preis der Arbeit gedrängt zu werden - ganz von sich aus findet es die Gewerkschaft ganz und gar unerträglich, daß im alten realsozialistischen Ent- lohnungswesen teils gar keine nennenswerten Unterschiede gemacht wurden, teils ganz andere als die, die sich gehören, weil sie sie im Westen längst ausgehandelt hat; insbesondere daß die Masse der Produktionsarbeiter im Verhältnis viel besser entlohnt worden ist, umgekehrt die Elite der Meister, Arbeitsvorbereiter und In- genieure im Verhältnis viel zu wenig, bloß ungefähr genausoviel bekam wie ein Arbeiter; in Sachsen wurde sogar ein Hilfsarbeiter entdeckt, der pro Monat skandalöse 40 Mark mehr bekam als ein Programmierer im gleichen Betrieb. Die Arbeitnehmervertretung der Nation hat sich also zunächst ein- mal dafür stark gemacht, daß schlichte Arbeiter drüben ordentlich weniger verdienen als verantwortungsbeladene Angestellte; und sie will bis Ostern die Einsortierung der ostdeutschen Belegschaften in ihr System der gerechten Lohnunterschiede fertiggestellt ha- ben. Das ist zwar in gewisser Weise ein wenig makaber; denn die IG-Metall geht selber davon aus, daß mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer, die sie vertritt, bloß eingeordnet wird, um am oder ab dem 1. Juli 91 ganz heraussortiert zu werden aus den Betrieben und Gehaltslisten; zu diesem Datum, dem Einjährigen der Währungs- union, endet nämlich der damals vereinbarte Aufschub der Wirksam- keit von Kündigungen, und auch im Metallbereich gehen die Entlas- sungen richtig los. Aber so eng vom Standpunkt der Betroffenen her sieht die Gewerkschaft den Regelungsbedarf gar nicht, dem sie mit der Übertragung west- und süddeutscher Tarifstrukturen nach- kommt. Sie hält diesen Schritt - außer wegen der Gerechtigkeit - vor allem deswegen für notwendig, weil die Betriebe drüben ja einen klaren Überblick über ihre Kostenstruktur brauchen, mit der sie fortan zu wirtschaften haben. Nicht als ob die IG-Metall der Illusion anhängen würde, ein solcher Überblick würde an den Be- triebsschließungen und sonstigen Entlassungen etwas ändern. Für sie steht ganz einfach fest, daß ein deutscher Kapitalismus nicht gescheit funktionieren kann, wenn deutsche Kapitalisten nicht überall mit der ihnen vertrauten bundesdeutschen Lohnkostenstruk- tur rechnen können. Also wird zuerst einmal eingruppiert. 2. Das Dilemma einer angemessenen Lohnfindung --------------------------------------------- Wenn Gerechtigkeit und Kostenklarheit in die ostdeutschen Lohn- buchhaltungen eingekehrt sind, will die IG-Metall die finanzielle Ausstattung dieses Rahmens mit den Unternehmern vereinbaren. Denn davon geht sie von vornherein aus, daß die Leistungsgerechtigkeit der Löhne eine Frage ihrer Abstufung ist und nicht ihrer Höhe; sie leidet jedenfalls kein bißchen darunter, wenn nur die lands- mannschaftlich nächstliegende Lohnstruktur und keineswegs die da- zugehörigen Löhne in den Ostteil des einigen Vaterlands expor- tiert werden. Im Unterschied zur Kostenklarheit: Dieser Dienst fürs kapitalistische Kalkulieren wäre ja wirklich nichts wert, wenn die Lohnkosten nicht ganz ausnahmsweise niedrig wären. Die gerechte Kostenstruktur für den Osten verträgt daher bloß einen Bruchteil der West-Löhne. Fragt sich, welchen. Bei der Beantwortung dieser Frage sieht sich die IG-Metall in ei- nem Dilemma, für das sie Interessensgegensätze zwischen verschie- denen Arbeitnehmerfraktionen, die sie alle gleichermaßen vertre- ten will, haftbar macht. Je nach dem nämlich, für wie sicher oder gefährdet die Leute im Osten ihren Arbeitsplatz halten, wie gut oder schlecht sie ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz im Westen mit West-Lohn einschätzen usw., "ergeben sich unterschiedliche Interessenslagen zwischen dem Vor- rang an möglichst rascher Angleichung an das tarifliche Einkom- mensniveau West einschließlich sämtlicher Arbeits- und Entloh- nungsbedingungen und/oder möglichst umfassende und langdauernde Beschäftigungssicherung sowie Qualifizierungsmöglichkeiten auch bei einem geringeren Tempo des Anstiegs des tariflich gesicherten Einkommensniveaus." Dieser Interessenskonflikt ist vor allem anderen ein Zielkonflikt der gewerkschaftlichen Tarifpolitik selber. Die IG-Metall hat nämlich auf der einen Seite tiefes Verständnis für den Unterneh- merstandpunkt, daß jede Schmälerung des Profits durch höhere Löhne die Fortführung des Geschäfts in Frage stellt, also die Ar- beitsplätze gefährdet und somit die Lohnarbeiter selbst am mei- sten schädigt. Sie rechnet selbst mit dem Lohn erstens als schlechterdings abhängiger Größe, abhängig vom kapitalistischen Konkurrenzerfolg der Firma; zweitens als Hindernis, nämlich für eben diesen Erfolg; wegen der Abhängigkeit ergreift sie für den Erfolg Partei, also insoweit gegen die Lohnkosten. Und das alles tut sie völlig unabhängig davon, daß sie dann auch unter den Lohnarbeitern, die sie vertritt, auf Kritik an ihren Tarifverträ- gen stößt, weil die von ihr verlangten "materiellen Verbesserun- gen" den "notwendigen Strukturwandel" hemmen würden: Was auch im- mer ein Ost-Werktätiger sich dabei denkt, diese Skepsis gegen jede Mark Lohn hat nicht zuletzt die Gewerkschaft mit ihrer "behutsamen" Tarifpolitik ihm überhaupt erst beigebracht; zumin- dest begegnet sie hier gar keinem anderen als ihrem eigenen Standpunkt. Auf der anderen Seite steht die Gewerkschaft aber auch dafür ein, daß der Lohn zu seinem Recht kommt. Schon von da- her sieht sie sich verpflichtet, die Parole der offiziellen Ein- heitspropaganda von der "Angleichung der Lebensverhältnisse" im vereinten Deutschland auf den Lohn anzuwenden und - im Prinzip! - die Angleichung der Ost- an die Westlöhne zu verlangen. Auch da- für braucht sie nicht erst auf Mitglieder zu warten, die auf dem Wege ihres privaten Systemvergleichs ermittelt haben, daß sie zum Lebensglück ungefähr haargenausoviele D-Mark brauchen wie ihres- gleichen im Westen der Nation... Im Unterschied zu den Leuten, denen sie zu ihrem Recht verhelfen will, weiß die IG-Metall außerdem noch einen volkswirtschaftli- chen, also in ihren Augen geradezu zwingenden Grund dafür, die nationale Angleichung der Arbeitslöhne auch wirklich stattfinden zu lassen: Nur sie "verhindert einen qualifikatorischen Kahlschlag in der früheren DDR durch fortgesetzte Übersiedlung gerade qualifizierter Arbei- ter und Angestellter." Insofern ist um eine Lohnforderung nicht herumzukommen - dies um so mehr, als die Massen in den Metallbetrieben offenbar doch noch etwas andere Sorgen haben als die, aus denen die IG-Metall ihr Dilemma konstruiert: "...gerade in der organisationspolitischen Übergangszeit, in der sich die IG-Metall mit größter Wahrscheinlichkeit noch um den Beitritt bzw. den Übertritt vieler Mitglieder der ehemaligen IG- Metall DDR bemühen wird, kann tarifpolitisches Handeln zur Ver- besserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der betroffenen Men- schen in besonderer Weise notwendig sein..." die Gewerkschaft wüßte also durchaus andere, bessere Ziele ihres "tarifpolitischen Handelns", aber schließlich muß ja auch für die Werbung etwas getan werden. Damit ist natürlich auch schon klar, daß das mit der "Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der betroffenen Menschen" nicht übertrieben werden darf. Beim Fordern hält die Gewerkschaft die Interessen der anderen Seite immer fest im Blick - schließlich ist Lohnarbeit Dienst an deren Nutzen, und diesen Zweck hat der Lohnarbeitervertretungsverein längst als eherne ökonomische Notwendigkeit anerkannt. 3. Die Lösung: Für den Osten eine halbe Portion ----------------------------------------------- Die IG-Metall wünscht sich also eine Angleichung der Ostlöhne ans West-Niveau, aber nicht einfach so, sondern im Prinzip. Das heißt erstens: Sie stellt sich das als langfristige und stufenweise vor sich gehende Angelegenheit vor; nicht vor Mitte des Jahrzehnts soll es soweit sein. Ob daraus etwas wird, macht sie zweitens von den Erfolgen abhängig, die in anderen Beschäftigungszweigen er- zielt werden: Die IG-Metall, mächtigste Einzelgewerkschaft der Welt, will, d.h. "wird im Tempo der Angleichung wohl kaum Vorreiter sein, weil zum einen die wirtschaftlichen Voraussetzungen in anderen Wirt- schaftsbereichen wesentlich günstiger für rasche Angleichungen sind; weil zum andern vor allem von den Bereichen des öffentli- chen Dienstes ein großer Angleichungsdruck ausgehen wird," auf dessen Wirkungen sich die Metallgewerkschaft lieber verlassen möchte als auf "das Stärkste, was die Schwachen haben". Für die bevorstehende Tarifrunde denkt die IG-Metall zunächst einmal an Ostlöhne, die ungefähr halb so hoch sein sollten wie die in der alten BRD; und sie nimmt sich vor, bei den branchenüb- lichen prozentualen Zulagen und Zuschlägen - für Sonderschichten, Wochenendarbeit usw. -, "die sich ja insgesamt auf ein niedrigeres Niveau der Grundlöhne und Grundgehälter im Vergleich zu den Tarifgebieten West beziehen würden, keine w e i t e r e n Zugeständnisse zum jetzigen Zeit- punkt zu machen" hat hier also, im Klartext, "Verhandlungsmasse" vorgesehen. Über diese stolze Forderung denkt die IG-Metall noch zweimal nach. Zum einen, sie ist eben basisnah, erinnert sie sich an die Me- tallarbeiter, die sich durch ihre Tarifpolitik bestmöglich be- dient sehen sollen, und fragt sich, wie das wohl ankommt, wenn schlagartig die in den westlichen Tarifgebieten gültigen Lohn- und Gehalts d i f f e r e n z e n v o l l wirksam werden, aber auf h a l b e m N i v e a u. Denn das bedeutet ja im Endef- fekt, das weiß niemand so gut wie die gewerkschaftlichen Tarifex- perten, daß in der Masse der Fälle die Niveau-Anhebung von bisher 41% auf ca. 50% durch die Eingruppierung in die neuen Tarifgrup- pen und -stufen zunichte gemacht wird, was den effektiven Lohn betrifft, während für die Elite beides positiv zu Buche schlägt. "Zu diskutieren" wären daher höhere Prozentsätze vom jeweils ent- sprechenden Westlohn für die unteren, niedrigere für die oberen Etagen in der Lohn- und Gehaltsskala - dafür spräche eben, "daß die wesentlich stärkere Entgeltdifferenzierung vor allem im Bereich der Gehaltsgruppen und damit der größer werdende Abstand zu den Lohngruppen nicht sofort wirksam würde." Aber andererseits wäre mit diesem Entgegenkommen gegenüber dem Neid der Unteren auf die Bessergestellten - und einen anderen Ge- sichtspunkt für Abneigung gegen niedrige Lohngruppen kann die ge- werkschaftliche Solidarität sich erst gar nicht vorstellen - ja doch wieder nicht der fälligen Leistungsgerechtigkeit Genüge ge- tan. Das stünde im Widerspruch zu den Notwendigkeiten, um die die Gewerkschaft sich in ihrer vorgestellten Zuständigkeit für einen national ausgeglichenen Arbeitsmarkt sorgen muß und die für sie überhaupt bloß eine Lohnforderung sozialökonomisch rechtfertigen - und der Notwendigkeit nämlich, "qualifizierte Arbeitskräfte in der ehemaligen DDR zu halten. Se- hen qualifizierte Facharbeiter und Angestellte, daß ihr tarifli- ches Einkommensniveau im Vergleich zu den Westtarifgebieten pro- zentual deutlich geringer ist als bei den Beschäftigten in den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen," dann werden sie, das versteht sich für die gewerkschaftlichen Ge- rechtigkeitsfanatiker von selbst, ihrerseits neidisch - und das "wird kaum ein geeignetes Mittel sein, um den Entqualifizierungs- prozeß der ehemaligen DDR zu stoppen oder zu verlangsamen." Wenn sie hingegen von der Gewerkschaft nachgewiesen kriegen, daß ihr ostzonaler Lohnnachteil prozentual nicht höher ist als bei den Hilfsarbeitern, dann werden sie von dieser Gerechtigkeit so begeistert sein, daß kein Westgehalt sie mehr weglockt und kein Arbeitsplatzverlust sie mehr wegtreibt... Die zweite Überlegung der IG-Metall gilt noch einmal der Bela- stung der Unternehmen, die bei aller Lohndifferenzierung am Ende doch herauskommen könnte beim Übergang von 41 auf 50% vom Ta- riflohn West. Hier läßt sie sich etwas einfallen: "Angleichungsschritte könnten nicht nur am Beginn der Laufzeit eines Lohn- und Gehaltstarifvertrags auf Grund der neuen Tarif- strukturen stehen, sondern auch im Verlauf oder gegen Ende der Laufzeit in Form von Stufenregelungen erreicht werden. Damit könnte die Kostenwirkung eines Abschlusses für die Gesamtlaufzeit entsprechend niedriger werden" zumal wenn man bedenkt, daß spätestens nach 3 Monaten der Gesamt- laufzeit der große Kündigungstermin liegt... -, "die Ausgangsbasis aber für künftige Lohn- und Gehaltserhöhungen jedoch entsprechend höher werden" - ' was bei den dann anstehen- den Tarifrunden den gewerkschaftsstrategischen Vorteil hätte, daß ihre Forderungen dann um so niedriger ausfallen können... 4. Kampf der drohenden Arbeitslosigkeit - ----------------------------------------- durch nachdrückliches Aufwerfen der Schuldfrage ----------------------------------------------- Der Gewerkschaft bleibt das andere Problem, was sie in der Ta- rifrunde mit dem Kündigungsschutz anfangen soll, den sie für die Zeit bis zum 1. Juli ausgehandelt hat. Daß auf alle Fälle drüben "bis Mitte 1991 in der Metall-, Elektro- und Stahlindustrie bis zur Hälfte des vorhandenen Arbeitsvolumens abgebaut wird," davon geht sie aus. Daß genau deswegen ein Kündigungsschutz in- teressant wäre - denn wenn sowieso nicht gekündigt würde, bräuchte man ihn ja auch nicht -, diesen völlig unmarktwirt- schaftlichen, also antigewerkschaftlichen Gedanken faßt die IG- Metall gar nicht erst. Immerhin aber - meint sie - könnte "ein zukunftsweisender Weg darin gefunden werden, daß nicht ein- fach eine Verlängerung, sondern eine Veränderung der jetzt beste- henden Tarifverträge über Kündigungsschutz und Qualifizierung für den Zeitraum nach dem 1.7. 1991 gefordert wird." Gedacht ist dabei an "einen weiterbestehenden Kündigungsschutz für bestimmte Personengruppen," was insofern ja vielleicht zu ma- chen ist, als voraussichtlich sowieso nicht gleich sämtlichen Me- tallarbeitnehmern der ehemaligen DDR gekündigt werden soll; sowie an "eine Eingrenzung der Zuschußzahlungen", die bislang auch an praktisch arbeitslose Betriebsängehörige gezahlt worden sind, auf "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich in Qualifizierungs- maßnahmen befinden". Natürlich weiß die Gewerkschaft, daß dieser "veränderte" in Wirk- lichkeit überhaupt kein Schutz vor Kündigungen ist und die "Eingrenzung" der bisherigen Zuschußzahlungen ihre Abschaffung. Für die Rettung des Lebensunterhalts ihrer Leute sieht die IG-Me- tall aber sowieso keine Chance. Deswegen gedenkt sie in der Frage der bevorstehenden Massenarbeitslosigkeit in der Ex-DDR vor allem die folgende Strategie einzuschlagen: Es muß "der eindeutige Vorrang der beschäftigungspolitischen Verantwor- tung der öffentlichen Hände Bund, Länder und Gemeinden - und der Unternehmer vor möglichen flankierenden tarifpolitischen Maßnah- men herausgestellt werden." Die IG-Metall dient den Interessen ihrer Leute im Osten mit der propagandistischen Klärung der Schuldfrage: Das ist auf alle Fälle wirtschaftspolitisch vernünftig, denn so wird den fälligen Entlassungen kein Stein in den Weg gelegt, und diese unprodukti- ven Zuschüsse zum Lebensunterhalt hören auf. Organisationspoli- tisch ist es überaus trickreich gedacht, denn so lernen die Be- troffenen, daß ihre Gewerkschaft nichts dafür kann - andererseits merken sie sich womöglich, daß sie auch nichts dagegen unter- nimmt. Aber wenn man sie richtig an der Hand nimmt und ihnen bei- bringt, daß man in der Demokratie darüber jammern und meckern darf und damit die Sache aber auch gegessen ist, dann erwarten sie sich von ihrer Gewerkschaft erst gar nicht so unziemliche Dinge wie einen Kündigungsschutz dort, wo sie ihn brauchen könn- ten. Und so nützt die Gewerkschaftspropaganda am allermeisten - dem s o z i a l e n F r i e d e n im Lande. 5. Im Westen eine "reine Lohnrunde" mit --------------------------------------- vorprogrammiertem "Solidaritäts"abschlag ---------------------------------------- In den Westzonen der Nation muß die IG-Metall auch wieder eine "Tarifbewegung" durchziehen. Sie will das machen, wenn sie im Osten fertig ist - schon allein, um die Bemessungsgrundlage für die dort geforderten 50% vom Westlohn nicht noch zur Unzeit in Bewegung zu bringen. Eine "reine Lohnrunde" soll es werden, "mit dem Ziel einer deutlichen Verbesserung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen." Die Rechtfertigung für ihr kühnes Verlangen, die Verbesserung müßte "deutlich" sein, schöpft die Gewerkschaft e r s t e n s "aus der fortgesetzten verteilungspolitischen Fehlentwicklung" - also aus ihren eigenen Tarifabschlüssen der letzten Jahre, die sie seinerzeit jedesmal als ihren verteilungspolitischen Erfolg gefeiert hat; aber im Nachhinein muß sie sich eben immer wieder darüber wundem, wem ihre Erfolge in Wirklichkeit genützt haben; z w e i t e n s "aus der weiter gestiegenen Belastung der Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Verbindung mit dem Boom des Jahres 1990" - was wohl heißen soll, daß die Unternehmer ihren Umsatz sehr billig durch mehr Arbeitsstunden und dichtere Leistung ihrer jederzeit willigen Belegschaften so gewinnbringend gesteigert haben und deswegen Grund zur Dankbarkeit hätten; d r i t t e n s schließlich "aus den für 1991 zu erwartenden hö- heren Risiken bei der Preissteigerung" - welche die Unternehmer, die diese "Risiken" schaffen, ihren Lohn- und Gehaltsempfängern bekanntlich immer gern abnehmen. Sehr viel Vertrauen in ihre Rechtfertigungsgründe für mehr Lohn hat die IG-Metall freilich nicht. Sie stellt sich gleich auf viel bessere Gründe ihrer Gegner ein, nämlich darauf, daß "Metallarbeitgeber hüben und drüben und Teile der Öffentlichkeit die Forderungen für die Bereiche Ost und West wechselseitig ver- suchen werden gegeneinander auszuspielen," obwohl die IG-Metall doch gerade auch deswegen beide Tarifrunden zeitlich trennen will; aber man kennt sie ja, die Gemeinheiten der Gegenseite: "Die Strategie der Arbeitgeber wird darauf ausgerichtet sein, das Angleichungsziel nicht prinzipiell in Frage zu stellen, ihm aber nicht durch hohe überdurchschnittliche Steigerungsraten in den Tarifgebieten Ost, sondern durch überdurchschnittliche Zurückhal- tung in den Tarifgebieten West Rechnung tragen zu wollen." Gegen diese "Zurückhaltung" will die Gewerkschaft einen "übergreifenden, solidarischen, ökonomischen Begründungsrahmen" für ihre tarifpolitischen Anträge setzen, "der das wechselseitige Ausspielen von Ost und West zumindest erschwert." Diese bescheidene Zielsetzung ist eigentümlich; schließlich liegt es ja noch allemal an der Gewerkschaft selbst, ob und inwieweit sie sich mit ihren Forderungen im Osten gegen sich mit ihren westzonalen Lohnwünschen "ausspielen" l ä ß t; und die "überdurchschnittliche Zurückhaltung" bei den Löhnen, die sie auf Seiten der Arbeitgeber befürchtet, müßte s i e ja bereit sein aufzubringen. Für die Gewerkschaft ist ihr eigenes Verhalten und Verhandeln aber offenbar allen Ernstes eine Frage des "Begründungsrahmens", den sie ihm verpassen kann: Wenn der nicht allen ökonomischen "Sachgesetzen" genügt und gleichzeitig die heuchlerischen Verweise der Unternehmerseite auf die ost-westli- che Arbeitnehmer-Solidarität in der Lohnfrage überbietet, so daß sie damit in der Öffentlichkeit bestehen kann, mag sie erst gar nicht fordern. Und da sieht die IG-Metall bereits voraus, wie ihr jede Forderung für die westlichen Tarifzonen öffentlich um die Ohren gehauen wird eben mit Verweis auf ihre eigene Forderung, zwischen Ost und West sollten doch die Lohnunterschiede verschwinden. Sie antizi- piert "das ständige Drohpotential mit einem Billiglohnland bzw. - gebiet innerhalb des eigenen Staatswesens" und v e r- s c h a f f t damit diesem "Potential" eine tarifpolitische Wirkung, ganz ohne daß die Arbeitgeber mit der Billigzone Ost selber drohen, geschweige denn versuchen müßten, eine solche Drohung - etwa durch Verlagerung ihrer Produktionsstätten in den Osten, oder an was sonst ist da gedacht? überhaupt irgendwie glaubwürdig zu machen. Weil sie hier ein A r g u m e n t sieht, dem sie Ö f f e n t l i c h k e i t s w i r k s a m k e i t zu- traut - i h r macht es wahrscheinlich Eindruck! -, läßt sie es gleich von vornherein gegen ihren Wunsch nach "deutlich" mehr Lohn gelten. (Zitate bis hierher aus den Beratungsunterlagen zur Tarifpolitik in den neuen Bundesländern für die Novembersitzung des Vorstandes der IG-Metall) 6. Eine neue gewerkschaftliche "Schlachtordnung": ------------------------------------------------- Hinein in den CDU-Staat! ------------------------ Wie man an den Zurüstungen der IG-Metall für die bevorstehende Tarifrunde sieht, ist diesem ebenso wie allen anderen DGB-Verei- nen nichts wichtiger, als daß er mit seiner Tarifpolitik und sei- nen wirtschafts- und sozialpolitischen Verbesserungsvorschlägen überhaupt wohlwollendes Gehör findet, die Mächtigen im Lande - die wirklichen Machthaber wie die demokratischen Meinungsmacher - auf seine Seite zu ziehen vermag, Anerkennung findet. Dabei schätzt die Gewerkschaft ihren entsprechenden Einfluß nicht über- trieben hoch ein. Wenn sie davon redet, die "politische Land- schaft" gestalten zu wollen, so nimmt sie sich damit praktisch nicht mehr vor als eine Politik, die "in die politische Land- schaft paßt". Ganz in diesem Sinne hat die IG-Metall um Weihnachten herum, rechtzeitig vor der fälligen "Tarifbewegung" und dem in diesem Zusammenhang befürchteten öffentlichen Streit, für die 90er Jahre ihre programmatische Leitlinie festgelegt: "Die alte Schlachtordnung, bei der die einen regieren, die ande- ren protestieren und die einen nach dem Protest lustig weiterre- gieren, wird es jedenfalls so nicht mehr geben. Wir sind davon weggekommen, gegen politische Vorgaben aus Bonn immer nur zu pro- testieren. Wenn in Bonn kreativ Politik gemacht wird, sind wir bereit, mitzuarbeiten." (Franz Steinkühler am 17.11.90 in einem wegweisenden Zeitungsinterview) Wenn jemand begriffen hat, daß in der Demokratie Opponieren und Verlieren dasselbe ist, dann die demokratische Gewerkschaft. Und weil sie nach dem gesamtdeutschen Wahlsieg der CDU-CSU-FDP-Koali- tion und der Reduzierung der SPD auf eine Drittel-Wahlpartei bis auf weiteres keine Chance mehr sieht, daß die sozialdemokratische Staatsopposition, der sie sich im christlich-liberalen Kohl-Staat bislang zugerechnet hat, zur staatstragenden Mehrheit wird, hat die Gewerkschaft sich entschlossen, auf die andere Weise aus der Verlierer-Ecke der Gesellschaft herauszutreten: Sie modernisiert ihr politisches Bekenntnis, distanziert sich von dem Bild des Protestvereins, von dem sie glaubt, daß es ihr anhaftet, schmeißt sich an die Regierung ran und setzt darauf, auf diese Weise bei den Regierenden die schmerzlich vermißte Beachtung zu finden. Zu- mindest will sie bei den eingeschriebenen Anhängern der Regierung besser ankommen: Die Gewerkschaftsleitung wünscht sich "erheblich mehr aktive Christdemokraten auf dem Arbeitnehmerflü- gel, denn dann hätten sie in ihrer Partei mehr Einfluß und natür- lich auch in der IG-Metall" und die IG-Metall wäre ihrem wichtigsten Ziel nähergekommen, für sich und ihre politischen Einmischungsversuche - was auch immer die dann zum Inhalt haben - M e h r h e i t e n zu finden, "Mehrheiten in Bonn und - für mich noch wichtiger" (eine kleine Heuchelei, die Steinkühler sich als Demokrat schuldig ist) "- Mehrheiten in der Gesellschaft." Und wenn "die Gesellschaft" nun einmal mehrheitlich aus Kohl-Wäh- lern besteht, dann muß sich eben auch die demokratische Gewerk- schaft darauf einstellen - mit ihrem parteipolitischen Selbstver- ständnis, ihrer öffentlichen Selbstdarstellung und ihrem Verhält- nis zur wirklichen Macht im Lande. Freilich wäre es nicht die IG-Metall, wenn sich nicht auch noch ein Gesichtspunkt fände, unter dem die Mitwirkung an Kohls neuem CDU-Staat ein Ausweis progressiv-kritischen Geistes ist: Indem sie für "Mehrheiten" wirbt, die ihre politische Wichtigkeit aner- kennen, will die Gewerkschaft verhindern, daß "wir tatsächlich für längere Zeit in der konservativen Welle versinken", die auch in die Gewerkschaften "hineinschwappt" - aber offenbar nichts zu tun hat mit einem stärkeren Einfluß "aktiver Christdemokraten"; der ist ja gewünscht. So bietet sich die Gewerkschaft der politischen Führung an: als Organisation, die programmatisch dafür einstehen will, daß Ar- beitnehmerinteressen auch - in der christlich-liberalen Staatsrä- son des neuen Deutschland bestens bedient und aufgehoben sind. Sie tut das nicht einmal aus opportunistischer Berechnung - das würde ja immer noch von einer programmatischen Differenz zur in Bonn definierten nationalen Sache zeugen -, sondern aus ihrem Selbstverständnis als demokratische Korporation heraus: als Stan- desvertretung der Lohnarbeiter, die für die I d e n t i t ä t von Lohnarbeiter- und Staatsinteressen geradesteht. Der Regierung bleibt es überlassen zu entscheiden, in welchem Maße sie sich dieses organisierten Schwindels bedienen oder ihn blamieren will. zurück