Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT 35H-WOCHE - Neue Freiheiten für Unternehmer
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Der Veranstaltungskommentar
"Die 35-Stunden-Woche geht uns alle an!"
VOM ELEND FALSCHER SOLIDARITÄT
Trist war diese Diskussionsveranstaltung weniger, weil sie gemes-
sen an ihrem Ziel, eine möglichst breite studentische Solidarität
mit der Gewerkschaftskampagne zu mobilisieren, bemerkenswert we-
nig Interessenten anzog (was wohl nicht nur am lauschigen Abend
lag), sondern vor allem wegen der vom Podium vorgebrachten Argu-
mente für eine solche Solidarität. Wie lauteten diese Argumente?
- Ein Thyssen-Gewerkschaftler warnte vor weiter steigender Ar-
beitslosigkeit. 'Wie soll der dann nötig werdende Kosten- und
sonstige Aufwand verkraftet werden?' fragte er. Die Großkonzerne
beschuldigte er einer irrationalen, verantwortungslosen Ge-
schäftspolitik: sie hätten viel zu viel Kapazitäten aufgebaut
(Kohle, Stahl), die heute wieder abgebaut werden müßten. Die EG-
Quotenvereinbarungen beim Stahl klagte er der Erfolglosigkeit an.
Nur eine Arbeitszeitverkürzung könne jetzt noch helfen, die
"gesellschaftspolitischen Probleme" der Massenarbeitslosigkeit zu
lösen.
- Ein Ex-Arbeiter auf der Kupferhütte, heute Mitglied einer Ar-
beitsloseninitiative, schilderte bewegt die riesige Enttäuschung,
welche ihm und seiner Frau die Entlassung beschert habe. Vorher
hätte er seine über 100 Jahre alte Firma für eine "heile Welt"
gehalten. Erst jetzt habe er wieder Hoffnung gefaßt - so wolle er
z.B. eine Mahnwache vor dem Duisburger Rathaus unterstützen. Die
35-StundenBewegung mache ihm dafür Mut.
- Dr. Peter Jaritz, Linguist an der Uni Duisburg und GEWler,
wandte sich gegen die Idee, es gäbe einen "Mangel an Arbeit", der
verteilt werden müsse. Stattdessen gäbe es wachsenden Reichtum
dank einer wachsenden Arbeitsproduktivität - die Gewerkschaften
sollten dafür eintreten, daß Arbeitnehmer ihren Anteil an diesem
Fortschritt bekommen (Arbeitszeitverkürzung). Dies diene auch
dazu, Arbeitnehmern die Freizeit zu sichern, die zur Teilhabe an
gesellschaftlicher Bildung, wie zum Beispiel politischer Informa-
tion, nötig sei.
- Ein Vertreter der Grauen Panther Duisburg meinte, es gälte der
Spaltung der Menschheit in Arbeiter und Arbeitslose, Alt und
Jung, 1. und 3. Welt entgegenzutreten. Allen sollte Arbeit und
ein menschliches Leben erstritten werden.
- Ein Hauptschullehrer schließlich stellte die Notwendigkeit her-
aus, von Arbeitslosigkeit bedrohte Jugendliche, die deshalb mehr
und mehr rechtem Gedankengut aufgeschlossen seien, von seiten der
Gewerkschaft eine "gesellschaftspolitische Antwort" zu geben. Die
35-Stunden-Kampagne dürfe keine "bloße" Tarifpolitik sein.
Man sieht: es gibt der Möglichkeiten viele, an einem Kampf Gefal-
len zu finden, der wenig mit dem Versuch einer Durchsetzung
m a t e r i e l l e r Interessen von A r b e i t e r n zu tun
hat, umso mehr aber damit, daß deutschen Gewerkschaften nichts
über ihre Funktion als eine relevante "gesellschaftspolitische"
Kraft geht, die lauter k o n s t r u k t i v e A l t e r n a-
t i v e n zur Lösung sog. "allgemeiner Probleme" vorschlägt und
sich dabei Profil und A n e r k e n n u n g (von der Gegen-
seite!) erwerben möchte (warum trotzdem bzw. gerade deshalb die
Gegenseite, also Staat, Unternehmer und Medien, umsomehr
herausstreichen, daß n i c h t s zu gelten hat als das Wohl
"der Wirtschaft", dem sich die Gewerkschaft gefälligst ohne Wenn
und Aber unterordnen soll, darüber vgl. den Artikel zum gegenwär-
tigen Einstieg in die Streikphase" auf S. 1!).
Man kann sich wie der Thyssen-Gewerkschafter voll und ganz hinter
die offizielle Gewerkschaftsparole stellen und die Arbeitszeit-
verkürzung als Programm einer Solidarität mit dem "Problem" Ar-
beitslosigkeit begrüßen, das einem die Unternehmer wegen ihrer
Unfähigkeit zu voraussehender Geschäftspolitik besehen hätten.
Auf die Vorhaltung, daß diese Begründung für weniger langes
Schuften im Betrieb von den Interessen der Arbeitenden absieht,
daß gewerkschaftlicherseits bewußt eingeplant ist, daß dieses
'Notopfer' für die Arbeitslosen mit Lohnverzicht und intensivier-
ter Arbeitsleistung bezahlt wird (denn die Kostenargumente, die
vom Kapital ins Feld geführt werden, sind auch für deutsche Ge-
werkschaften ehrenwerte "Argumente"!), kann man dann antworten,
man wisse schon, daß "Kapitalismuskritik" grundsätzlich notwendig
wäre. Aber, klar doch, die "Kollegen" haben für so was wenig Ver-
ständnis... Was aber, wenn diese Haltung der Kollegen nicht nur
auf "Bildzeitungs"-Manipulation zurückgeht, sondern vor allem
auch auf eine Gewerkschaftsagitation, die immer wieder das Hohe
Lied der nicht antastbaren "wirtschaftlichen Vernunft" singt, die
eben "Konkurrenzfähigkeit" gebietet und für das Wohlergehen der
Herren Arbeitnehmer keinen Platz läßt!? Und den Hinweis, daß IG
Metall und IG Druck längst schon den E i n s t i e g in die 35-
Stunden-Woche (und der beginnt logischerweise bei 39,9
Wochenstunden) als Erfolg, definieren, daß alle "Angebote" der
Unternehmerseite in Sachen "Flexibilisierung der Arbeitszeit"
längst als "diskussionswürdig" gelten, und daß die Gewerkschaften
in ihrer alltäglichen Praxis noch jedem Entlassungsprogramm
irgendeiner Firma, jeder Leistungsteigerung = Lohnsenkung im
betrieblichen Alltag zustimmen, sofern die Betriebsratsunter-
schrift regelgerecht druntergesetzt ist..., diesen Hinweis kann
man damit von sich wegschieben, daß leider auch in der
Gewerkschaft "falsche Positionen" vertreten werden und überhaupt
alles "schwierig" sei. Aber die I d e e einer 35-Stunden-Woche,
die möglichst ohne allzugroße Konzessionen ans Kapital
zustandekommen sollte, könne man doch nicht ablehnen - auch wenn
die t a t s ä c h l i c h e Gewerkschaftsstrategie damit nichts
zu schaffen hat!?
- Man kann als Ex-Arbeiter voll herausstreichen, daß man aus
Schaden (Entlassung) nicht klug zu werden braucht. Wer erst bei
seinem Rausschmiß auf den Gedanken kommt, daß die liebe Firma
vielleicht doch nichts mit der Vorstellung einer "heilen Welt" zu
tun hat, wem es so sehr zur Gewohnheit geworden ist sämtliche Er-
pressungen und Zumutungen beim Arbeiten als alltägliche
'Normalität' aufzufassen, die erst dann fragwürdig wird, wenn man
nicht mehr ranklotzen darf, wenn einem der fade Stolz auf er-
brachte Leistungen oder gar auf die lebenslange Zugehörigkeit zu
ein und derselben "Betriebsfamilie" bestritten wird, der ist al-
lerdings froh, daß es wenigstens noch eine Gewerkschaft gibt, die
"in seinem Namen" gesellschaftliche Veränderung fordert. "Mut"
macht das wahrscheinlich wirklich, für ein Arbeitslosendasein mit
erhobenem Haupt - auch wenn's anderes nicht bringt. Ja, wenn sich
Arbeiter mit solch billigem Trost abspeisen lassen, dann braucht
keine Gewerkschaft zu befürchten, einen Tritt in den Arsch zu
kriegen beim sozialpartnerschaftlichen Alternative-Politik-Ma-
chen.
- Man kann aber auch als Akademiker dritte und vierte "Zielset-
zungen" erfinden und gutheißen, die der 35-Stunden-Kampagne
eigentlich auch noch zugrundeliegen (sollten). So kann man den
alten Fehler aufwärmen, den prinzipiellen Gegensatz zwischen
Unternehmer- und Arbeiterinteressen (entweder Profit oder Lohn,
Schufterei oder nichtkaputtmachendes Arbeiten) - von dem zumin-
dest die Kapital- und Staatsseite nicht einen Millimeter Abstand
nimmt - in das "Problem" umzuinterpretieren, es gälte, eine
"gerechte Teilhabe" der Arbeitnehmerseite am "gesellschaftlichen
Fortschritt" sicherzustellen (und vornehm übersehen, daß die der-
zeitige Kampagne noch nicht mal diesen Quatsch zum Ziel hat, son-
dern ein Opfer für das "Problem" Arbeitslosigkeit!). Und daß mehr
Freizeit nicht deswegen notwendig ist, weit die absolvierte Ar-
beitszeit kaputt macht, sondern wegen der Teilhabe an "gesell-
schaftlicher (politischer) Bildung" (vielleicht öfter Werner
Höfers Ideologenstammtischrunde gucken und weniger Bier trin-
ken?), dieser Intellektuellenspleen durfte natürlich nicht feh-
len...
- Man kann auch als gealterter Humanist im Gewerkschaftskrampf
e i n e s von vielen Beispielen für die global-abstrakte Wunsch-
vorstellung sehen, überall würden "Bewegungen" wachsen, die Ge-
gensätze zwischen "Menschen" überhaupt abbauen wollen/
sollen/könnten ('Wir wollen eine große Familie sein!')... - Man
kann schließlich die Gewerkschafts-Kampagne gleich in den Rahmen
"fortschrittlich gegen rückschrittlich" stellen und ganz jenseits
materieller Arbeiteranliegen das politische Klima zum Thema
erheben (vielleicht hätte man's dann ja auch als Lehrer mit der
"Rechtstendenz" bei Jugendlichen leichter).
Fazit: Viele Wege führen zur Solidarität mit der 35-Stunden-For-
derung. Daß kein Pfarrer dabei war, der zum "solidarischen Opfer"
gratulierte, das der eine "Mitmensch" für den anderen zu leisten
habe, auf daß "Menschlichkeit" statt "Anspruchsdenken" regiere,
war mehr ein Zufall. (vgl. Artikel zu Nell-Breunings Anregungen!)
Wie sehr man sich bewußt war, daß eine "gute Sache" zur Debatte
stand, also ein konstruktives Anliegen zur Verbesserung "unserer"
Republik, zur Lösung "unserer Probleme", keineswegs aber ein
Kampf gegen die Ordnung, die hierzulande von oben gültig gemacht
wird, zeigten nicht zuletzt all die Verteidigungs-Argumente gegen
den Vorwurf, d i e s e Gewerkschaft habe alles im Sinn, nur
einen Klassenkampf im Interesse ihrer Mitglieder nicht. "Das geht
(zur Zeit) nicht" lautete das hochkomplizierte Argument gegen
allzu einfache Losungen. Gehen würde es schon... Wenn man aber
anderes will, dann geht das natürlich nicht.
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