Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT 35H-WOCHE - Neue Freiheiten für Unternehmer
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Der Veranstaltungskommentar
Podiumsdiskussion zur 35-Stunden-Woche:
"KÜRZER ARBEITEN - MÖGLICH UND NOTWENDIG?"
- das ist, so möchte man meinen, eine einfach zu beantwortende
Frage. Kürzer arbeiten - möglich? Aber ja doch; angesichts des
ständig wachsenden Mehrproduktes, das diese Gesellschaft hervor-
bringt, angesichts des Reichtumszuwachses, den immer weniger
Leute in immer kürzerer Zeit zustandebringen, da ist kürzer ar-
beiten schon lange möglich! Kürzer arbeiten - notwendig? Aber
erst recht ja doch; angesichts der alltäglichen Maloche mit ihren
die Gesundheit verschleißenden Auswirkungen, angesichts der
trostlosen Kürze an arbeitsfreier Zeit, da kann die Arbeitszeit
gar nicht kurz genug und bequem genug sein!
Solche naheliegenden Schlüsse wollte auf der von GEW und Hans-
Böckler-Stipendiatengruppe letzten Donnerstag im Audimax veran-
stalteten Podiumsdiskussion keiner von denen am Podium ziehen -
noch nicht einmal die, die sich auf die Interessen derer, die da
zu lange arbeiten, beriefen. Sie alle zusammen dachten bei
"möglich und notwendig" an gesellschaftliche und volkswirtschaft-
liche Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Und bei solchen Gedanken
scheint eines ausgemacht zu sein: es muß sich bei jedem Anliegen
um ein gesellschaftliches und gesellschaftlich gebilligtes han-
deln, sonst zählt es nicht - welche guten Gründe auch immer die-
ses Anliegen für sich in Anschlag zu bringen wußte. Welchem prak-
tischen Standpunkt sich diese Ansicht verdankt, daß alles und je-
des sich zu messen und zu relativieren hat an dem, was "geht"
(weshalb so vieles nicht gehen soll!), das führte der berufene
Anwalt des Kostenstandpunkts
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Ökonomie-Professor D. Kath vor. Er verwies in seiner Ablehnung
der 35-Stunden-Woche schlicht auf die Notwendigkeit von
"Wirtschaftswachstum" und brachte auf diese Weise folgende Klar-
stellung zustande: es geht in dieser Gesellschaft eben nicht
darum, ein ständig wachsendes Mehrprodukt zustandezubringen, das
zur freien Verfügung aller Interessenten an ihm steht und das die
notwendige Arbeit im Maße, wie sich Produktivitätssteigerungen
erzielen lassen, verringert. Das wäre Kommunismus und kein Wirt-
schaftswachstum! Das mißt sich nämlich, da ist sich ein Ökonom
für jetzt und in alle Ewigkeit sicher, im G e l d, und der s o
gemessene Reichtum in privater Form hat sich zu vermehren. Da
kommt es auf einen möglichst großen Ü b e r s c h u ß über die
Kosten an, die ein Unternehmer für die Gewinn-Produktion zu ver-
ausgaben hat. Das ist nämlich der Sinn und Zweck des Eigentums an
Fabriken und Produktionsmitteln: es ist ein schönes Mittel der
Erpressung derjenigen, die außer über Arbeitskraft über nichts
verfügen, womit sie ihr Leben fristen könnten. Da ist sowohl der
Nutzen aus geleisteter Arbeit vollständig in die Hand des Eigen-
tümers gelegt als auch jedwede Entscheidung darüber, wie der Ar-
beiter nützlich zu gebrauchen ist für die Vermehrung jenes Über-
schusses.
Über die Formen dieses nützlichen Gebrauchs von Lohnarbeit hat
der VWL-Fachmann Kath vom Podium herunter alles Erforderliche
ausgeplaudert:
- in puncto L ä n g e d e r A r b e i t s z e i t hat er den
beliebten BILD-Zeitungsvergleich mit Japan angestellt. Die arbei-
ten, so wußte er zu berichten, viel länger als hierzulande.
Merke: vom Kapital-Standpunkt aus arbeitet der Mensch nie lange
genug.
- in puncto L e i s t u n g verwies er - ausgerechnet! - auf
den von ihm auch sonst bekanntlich sehr geschätzten FDGB, den Ge-
werkschaftsbund von drüben, der folgende Parole ausgegeben habe:
durch mehr Arbeit zu mehr Leistung. Merke: vom Kapital-Standpunkt
aus arbeitet der Mensch nie viel und nie intensiv genug.
- in puncto L o h n - L e i s t u n g s - V e r h ä l t n i s
wußte er zu berichten, daß es - auch bei "gleichbleibendem Lohn-
satz" (der ja selbstredend sowieso seit Jahr und Tag exorbitant
hoch sei) - darauf ankommt, dieses Verhältnis zugunsten des Un-
ternehmer-Ertrags zu verbessern. Merke: vom Kapital-Standpunkt
aus arbeitet der Mensch nie billig und ertragreich genug.
So ungemütlich geht es zu, wenn der arbeitende Mensch als
K o s t e n f a k t o r taxiert und behandelt wird: als Mittel
des Geschäfts eingeplant ist seine Leistung chronisch zu niedrig
und der Lohn chronisch zu hoch. Dieses Urteil praktisch voll-
streckt ist der Grund dafür, warum es bundesdeutschen Arbeitern
chronisch an zweierlei mangelt: an Geld zum Leben und an freier
Zeit. Woran es ihnen deswegen nicht mangelt: an Leistungsanforde-
rungen, die ihre Gesundheit mehr oder weniger schnell verschlei-
ßen. Aus diesem Gegensatz des kostenbewußten Interesses an Wirt-
schaftswachstum und dem Interesse an weniger Arbeit wollte Kath
kein Hehl machen. So betrachtet ist Arbeitszeitverkürzung immer
unmöglich und nie notwendig (und nicht bloß "jetzt nicht", wie
eine beliebte Heuchelei einem weismachen will). Und welche Argu-
mente wußte der Fachmann für Volkswirtschaftliches für diesen
seinen Standpunkt eigentlich vorzubringen? Eben diese: das alles
sei notwendig, vernünftig, logisch und Ausdruck von Rationalität.
So billig ist Apologie zu haben: man übersetze das Staats- und
Kapital i n t e r e s s e schlicht und einfach in "volkswirt-
schaftliche Vernunft", an der kein Weg vorbeiführe, man übersetze
die G e w i n n kalkulation ebenso einfach in "wirtschaftliche
Logik", so daß anderes gar nicht denkbar sei; und man übersetze
die K o s t e n - E r t r a g s - R e c h n u n g bei einer
Rationalisierung in "rationales Handeln", zu dem es keine
Alternative gebe. Das war auch schon das ganze "Argument" des
Ökonomen: die herrschenden und praktisch exekutierten Maßstäbe
von Kapital und Volkswirtschaft haben und beanspruchen Gültigkeit
- und sind "deswegen" rational! Weiteres Nachdenken überflüssig!
Und was fiel angesichts soviel geballter Klarstellung über Ab-
sicht, Inhalt und Rechtfertigung des Kostenstandpunkts demjenigen
ein, der als Befürworter der gewerkschaftlichen Forderung nach
Einführung der 35-Stunden-Woche angereist war? G. Bosch vom Wirt-
schafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des DGB
sprach folgendes:
"Die Kosten sind ein sehr wichtiger Punkt"
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Eine eigentümliche Antwort für einen Widersacher zu Kath's Aus-
führungen! Bosch wies nicht etwa das Ansinnen seines Gegenübers
zurück, der unter Verweis auf das überragende Interesse an Wirt-
schaftswachstum die Anliegen von Arbeitern als bedeutungslos bis
schädlich abqualifiziert hatte. Er wollte auch nicht zur Kenntnis
nehmen, daß die Berufung auf das Kostenbewußtsein nur zu einem
taugt: zu einem sehr prinzipiellen Zurückweisen von Arbeiter- und
Gewerkschaftsansprüchen jedweder Art, zu einer programmatischen
Erklärung der Unversöhnlichkeit von Wirtschaftswachstum und dem
materiellen Wohlergehen seiner Produzenten.
Nein, nichts von alledem! Der Gewerkschaftsökonom Bosch gab viel-
mehr dem (ideologischen) Gegner auf dem Podium darin recht, daß
alles eine Kostenfrage ist und zu sein hat! Und er trat deswegen
den Beweis an, daß die Forderung der Gewerkschaft nach Arbeits-
zeitverkürzung ohne Schädigung, der Gegenseite zu haben und genau
so auch gemeint sei (auf die umgekehrte Idee, daß eine Verbesse-
rung des Lohn-Leistungs-Verhältnisses für das Kapital ohne eine
Verschlechterung desselben für die Arbeiter abgehen könne, würde
ein Kath, knallharter "Realist" wie er ist, nie kommen!). So
rechnete Bosch seinem Gegner vor, daß das, was die Gewerkschaft
wolle, "kostenneutral" sei, und kam von daher zu Hämmern folgen-
der Art:
- die Arbeiter hätten quasi die Arbeitszeitverkürzung schon
"vorfinanziert": der Gewinn ist gestiegen, die Löhne sind gefal-
len und die Leistung ist intensiviert worden. Diese Hinweise auf
gewerkschaftlich mitbestimmte Gewinnsteigerungspraxis der vergan-
genen Jahre - ausgesprochenermaßen auf Kosten der Arbeiter! -
sollten dabei unter Beweis stellen, wie volkswirtschaftlich ver-
nünftig Gewerkschaftler denken und wie sehr sie die Maßstäbe und
die Erfolgskriterien ihrer Gegner teilen. Die Vorstellung, die
Kapitalseite müßte sich "gerechtigkeitshalber" endlich mal revan-
chieren für all das gewerkschaftliche Entgegenkommen, ist zwar
ehrenwert - aber wer glaubt denn daran! - Bosch pochte darauf,
daß er sich einen Erfolg für das Arbeiterinteresse nur gekoppelt
an den ökonomischen Erfolg der Gegenseite vorstellen könne - was
einerseits eine reichlich unverschämte Anmaßung darüber ist, wann
einem Arbeiter in dieser Gesellschaft überhaupt etwas zusteht,
andererseits die Wunschidee zum Ausdruck bringt, die Arbeitnehmer
möchten doch ein wenig teilhaben dürfen am Erfolg "der Wirt-
schaft", von dem sie "abhängen", und deshalb drittens das prakti-
sche Einverständnis beinhaltet, daß wegen dieser Abhängigkeit (an
der ein Gewerkschafter nicht rütteln will) das Florieren der
Wirtschaft letztendes immer vorzugehen hat.
- Und zuguterletzt gab Bosch auch noch zu erkennen, daß seine
Ideologie von der Vereinbarkeit einer ArbeitszeitverkÜrzung mit
den Kostenerwägungen des Kapitals ganz handfeste praktische Kon-
sequenzen zeitigt. Wer seine Forderung nach einer 35-Stunden-Wo-
che mit den Argumenten der Gegenseite begründet, der gibt damit
reine offene Bereitschaft zu erkennen, alles nach der Kosten- und
Gewinnrechnung behandeln zu lassen und auch selber zu behandeln.
Programmiertes Ergebnis der Tarifrunde: ein "Stufenplan der Ar-
beitszeitverkürzung", sprich irgendeine Durchschnittszahl zwi-
schen 39 und 40 Stunden, auf welchselbiger Basis das Kapital die
Stundenzahl zwischen 20 und 60 Stunden kriegt, die es haben will.
Und eine Lohnvereinbarung, die eine gegenüber den Vorjahren noch-
mals radikalisierte Reallohnsenkung darstellt. So wird der Ko-
sten- und Gewinnrechnung von Seiten der Gewerkschaft Genüge getan
und der Lohn und die Arbeitszeit der eigenen Mitglieder drangege-
ben.
Bei allem Hick-Hack also ein sehr einseitiges Ergebnis bei dieser
Diskussion um Wachstumsraten, Finanzierbarkeit und ökonomischen
Notwendigkeiten.
P.S. Wir wollen der Gerechtigkeit halber den dritten Podiumsdis-
kutanten Herrn von Alemann, seines Zeichens Politikwissenschaft-
ler an der hiesigen Uni, nicht vergessen. Er war, soweit wir uns
erinnern, dem Herrn Bosch zugeneigt. Und zwar wegen "veränderter
politisch-historischer Bedingungen: Wandel der Arbeitsgesell-
schaft und internationale Wirtschaftsvernetzung" sowie aus
"verbandssoziologischer Sicht" unter Zuhilfenahme "machttheore-
tischer Ansätze". Dieser Mann mußte sein Vorlesungsskript von
1974/75 kein Jota ändern, um an der Debatte um die "Möglichkeit
und Notwendigkeit der 35-Stunden-Woche" im Jahre 1984 ein ganz
klein wenig mitzuschmarotzen.
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