Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT 35H-WOCHE - Neue Freiheiten für Unternehmer


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       "Ohne wenn und aber - die 35 steht!"
       

DIE IG METALL KOMMENTIERT IHR TRAUMERGEBNIS

Kröte oder Bonbon? Die IG Metall ist gespalten in der Frage: Wie verkauft man den Mitgliedern die vereinbarte reguläre 40-Stunden- Woche, die ab sofort für 13-18% der Belegschaft gilt? Was meinen Sie? So oder so? Die Württemberger IG-Metall meint: "Es gibt keinen Grund, das als 'Kröte' darzustellen!" Sondern als Bonbon, das der Basis bestens schmeckt: "Freiwillig kann auch eine Arbeitszeit von 40 Stunden gewählt werden. Damit hat ein weitverbreitetes Bedürfnis nach Zeitsouve- ränität eine Lösung gefunden." (IG Metall Stuttgart) Nicht dumm, die Schwaben-Gewerkschaft! Wer die Wahl hat zwischen entweder regulären 37 Stunden plus 3 Überstunden oder regulären 40 Stunden Wochenarbeit, der ist sein freier Herr über die Ar- beitszeit. Nicht, daß er über die Nebensächlichkeit zu entschei- den hätte, wieviel Stunden er r e a l in der Fabrik zubringt. Dafür kann er sich den N a m e n von 3 Stunden souverän auswäh- len: "Überstunden" oder "Normalarbeitszeit". Das ist doch mal ein Angebot, oder? Die IG Metall Hessen zieht es vor, die 40-Stunden-Vereinbarung als ein gewisses Zugeständnis darzustellen: "Unser Preis für die 35 ist das Zugeständnis, daß bis zu 13 Pro- zent der Beschäftigten freiwillig längere Arbeitszeiten bis zu 40 Stunden vereinbaren können." Ja was denn nun, "Zugeständnis" oder "freiwillig"? Kein Problem! Daß der Freiwilligkeit in den Betrieben und Büros ein bißchen nachgeholfen wird, weiß doch jeder, weshalb man sie ruhig in An- führungszeichen setzen kann. Macht aber auch nichts: dann kann man immer noch mit 87:13 einen haushohen Sieg verbuchen: "Um zu verhindern, daß alle unter den Tarifvertrag fallenden Kol- legen zu dieser 'Freiwilligkeit' gezwungen werden, darf deren An- zahl 13 Prozent aller Arbeitnehmer eines Betriebes nicht über- schreiten." Im Klartext: Weil die Gewerkschaft die Anzahl derer, die zur "40- Stunden-Woche" gezwungen werden können, auf 13% b e g r e n z t hat, haben die restlichen 87% die Freiheit errungen, ihre Ar- beitszeit mit der Zahl 35 zu beziffern. Bleibt unter dem Strich, daß ab sofort in Hessen, genau wie bei den Schwaben, ein beträchtlicher Prozentsatz von Überstunden wie- der den Namen 'Normalarbeitszeit' trägt. Wenn das kein gelungener Beitrag zum Abbau von Überstunden ist! Erstmals im Tarifvertrag: ------------------------- Gesunde Leistungsverdichtung! ----------------------------- Ist Euch schon aufgefallen, daß Eure Interessenvertretung zugleich mit der Jahrhundert-35 ein zusätzlicher "Einstieg" ge- lungen ist? Die hat nämlich erfolgreich "...in einem neuen Paragraphen 2a erstmals festgeschrieben, daß die Arbeit nicht so verdichtet werden darf, daß sie auf Dauer zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. In einer Protokollno- tiz wird betont, daß auch aus Anlaß von Arbeitszeitverkürzungen keine Leistungsverdichtung erfolgen darf, die für die Arbeitneh- mer zu unzumutbaren Belastungen führt." (metall-nachrichten) Eine tolle "Bremse gegen den Streß"! Die Gewerkschaft weiß, daß das Kapital die Leistung pro Arbeitsstunde verdichtet, so gut es geht. Ob aus Anlaß verkürzter Arbeitszeit oder ohne Anlaß - ein- fach wegen dem Gewinn. Also schreitet sie zur Tat. Bitte nur Lei- stungsverdichtungen mit zumutbaren Belastungen, fordert sie und läßt die Fabrikbesitzer unterschreiben, die Arbeitergesundheit mit jeder Verschärfung der Arbeitshetze garantiert "auf Dauer" nicht beeinträchtigen zu wollen. Und schon geht mit der Erklärung der Unternehmer, nicht übertreiben zu wollen, der ganz normale "Streß" als zumutbar in Ordnung. Und es gilt die Volksweisheit: 'Ein Gesunder hält's aus'. Die Unternehmer lassen danken ----------------------------- Das 'Handelsblatt', Sprachrohr der Geschäftswelt, kommentiert das Resultat der Tarifrunde wie folgt: "Das Stuttgarter Modell des Jahres 1990 ist ein interessanter und wohl auch brauchbarer Kompromiß: - Fast drei Jahre lang werden jetzt in der Metallindustrie nur Lohnrunden gefahren, und erst zum 1.4.1993 wird dann die Wochenarbeitszeit um eine auf 36 Stun- den verkürzt. Die 35-Stunden-Woche kommt erst zum 1.10.1995, also in über fünf Jahren. Schon diese Planung über ein halbes Jahr- zehnt beweist, wie wenig dringlich die Arbeitszeitverkürzung für die IG Metall eigentlich noch ist, wie sehr die 35-Stunden-Woche für sie zur Prestigefrage wurde." Einer Gewerkschaft, der die Arbeitszeitverkürzung für die Mit- glieder Nebensache ist, kann man leicht das Prestige überlassen. Das handfeste I n t e r e s s e des Kapitals bleibt dabei unge- schoren. "- Drei Monate vor jeder Stufe einer Arbeitszeitverkürzung müssen die Tarifvertragsparteien noch einmal in Verhandlungen prüfen, ob auch die ökonomischen Bedingungen dafür gegeben sind. Das kann zu einem unnützen Palaver werden, wenn die IG Metall dann böswillig wäre. Wäre sie aber bei einer geänderten Geschäftsgrundlage für die Arbeitszeitverkürzung einsichtig, wie sie es ja in der Vergangenheit schon einmal war, dann kann ein weiterer Aufschub verabredet werden." Eine gutwillige Gewerkschaft, die dem Unternehmergewinn nicht schaden will, wird auch in Zukunft die Arbeiter der kapitalisti- schen Benutzung so lange ausliefern, wie das Geschäft sie braucht. "- Die Lohn- und Gehaltserhöhung für 1990 mit der Sechs vor dem Komma und noch etwas dahinter (wegen Sockel- und Einmalbeträgen) war zu erwarten und wird der Metallindustrie keine Probleme brin- gen." Eine Gewerkschaft, die haargenau den Lohn erkämpft, den die Un- ternehmer von sich aus zahlen wollen, bringt dankenswerterweise nur denen Probleme, die von ihm leben müssen. "- Eine Sensation aber ist das Einverständnis der IG Metall mit der 40-Stunden-Woche für 18% der Arbeitnehmer. Eine ähnliche Dif- ferenzierung war schon einmal im Jahre 1984 vereinbart worden, dann aber in der praktischen Anwendung der Tarifregelung auf den verbissenen Widerstand der IG Metall gestoßen. Und das nicht zu- letzt deswegen, weil die Gewerkschaft mit der Möglichkeit der einzelvertraglichen Durchbrechung eines Tarifvertrages ein Stück Tarifautonomie und gewerkschaftlicher Führungskompetenz aus der Hand geben würde und jetzt gegeben hat." Eine Gewerkschaft, der man die Tarifautonomie läßt, überläßt uns "Arbeitgebern" das Kommando. Sie bricht ihre eigenen Tabus und läßt sogar hochoffiziell die Arbeiter länger antreten, als wir es erhofft haben. "Noch vor kurzem hieß es bei der IG Metall, eine solche Lösung wäre das Ende jeder tariflichen Arbeitszeitpolitik (siehe Han- delsblatt vom 3.5.1990). Und jetzt ist es ein Traumergebnis? Die Arbeitgeber haben Grund zum Dankeschön." Und die "Arbeitnehmer" dürfen brav den Lohn und die Arbeit neh- men, die verordnet werden, damit sich die "Arbeitgeber" weiterhin bei der Gewerkschaft bedanken können. zurück