Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT 35H-WOCHE - Neue Freiheiten für Unternehmer
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Korrespondenz
"DESWEGEN IST DIE FORDERUNG DOCH NICHT SCHLECHT"
Sehr geehrte Redaktion,
neulich habe ich vor dem Betrieb ein Exemplar "MSZ" geschenkt be-
kommen. Den Artikel "Streik zum Abgewöhnen" zur laufenden Ta-
rifrunde habe ich zweimal durchgelesen. Ich bin seit 9 Jahren
Mitglied der IG Metall. Ihr könnt mir glauben, daß mir an der Ge-
sellschaft auch einiges stinkt. Viele Punkte in Eurem Artikel
drücken schon das aus, was auch ich mir gedacht habe. Besonders
im letzten Teil, wo Ihr die Probleme der Gewerkschaftsführung mit
der CDU-Regierung besprecht, habt Ihr sicher einiges klarge-
stellt. Inzwischen habe ich in der "MAZ", die ich vom gleichen
Verteiler kriege, der immer hier verteilt, Euren Artikel zu den
Urabstimmungen in Nord-Württemberg und Hessen gelesen. Da steht,
man soll bei sowas nicht mitmachen. Ruft Ihr damit zum Boykott
der Urabstimmung auf oder sollen die Kollegen da den Streikbre-
cher machen!
Wenn ich jeden Tag in der Zeitung lese, was die Unternehmer sa-
gen, oder in der Tagesschau, dann kriege ich eine Wut. Wie die
die Gewerkschaft angreifen, fühle ich mich selbst als
"Arbeitnehmer" verarscht. Ich kann mir nämlich eine 35-Stunden-
Woche sehr gut vorstellen und sehr gut für mich! Daß die Gewerk-
schaft beim erstbesten Kompromißvorschlag abschließen wird,
glaube ich auch. Aber deswegen ist doch die Forderung nicht
schlecht. Solltet Ihr nicht auch aufrufen für ein Ja bei der
Urabstimmung (möglichst 100%) und dafür bei jeder Urabstimmung
dann mit Nein stimmen, wenn die 35 Stunden bei vollem Lohnaus-
gleich nicht erreicht worden sind? So könnte man doch die Tarif-
kommissionen zwingen, den Streik bis zu einem echten Ergebnis
durchzuführen. Das sollten sich auch die Kollegen von der MAZ
überlegen.
Viele Grüße, W., München
Dieser Streik ist eine programmierte Niederlage für Arbeiter
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Lieber W.,
damit klar ist, wofür wir sind: Um zu produzieren, was die Arbei-
ter brauchen und das ist mehr, als sie heute kriegen -, dürfte
eine 10-Stunden-Woche für jeden ohne Leistungsdruck reichen.
Echte fünf Stunden weniger, und dafür echt mehr Lohn, das wäre
schon ein Schritt dahin.
1. "Daß die Gewerkschaft schon beim erstbesten Kompromiß ab-
schließen würde", glauben wir nicht. Denn um einen Kompromiß zu
schließen, müßte man erst mal was fordern. Würde die Gewerkschaft
fünf Stunden weniger Arbeit fordern, dann wären zwei Stunden we-
niger ein Kompromiß, und zwar ein schlechter. Aber die Gewerk-
schaft will ja von vornherein ein Ergebnis, das nur "so"
a u s s i e h t wie ein Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung.
Sie will durch Lohnabstriche beweisen, wie "solidarisch" sie mit
den Arbeitslosen ist. Wo soll da ein Kompromiß liegen? Umgekehrt:
Der Streik wird hingezogen, bis das Ergebnis, das heute schon
feststeht - flexible Arbeitszeit nach Unternehmerwunsch, dafür
vielleicht zweieinhalb Freischichten pro Jahr -, e r k ä m p f t
aussieht.
Denn die Gewerkschaft vertritt in Wahrheit nicht eine richtige
Forderung zu matt. Die 35 mit der lachenden Sonne darüber ist ihr
Symbol für eine g r u n d v e r k e h r t e Forderung. (Alles
Weitere dazu steht nochmals im nebenstehenden Artikel.)
2. Um den Arbeitskampf der IG Metall in die richtige Bahn zu
bringen, kann deshalb der Abstimmungs-"Zwang", ihn zu verlängern,
nie und nimmer das richtige Mittel sein - selbst wenn das über-
haupt gelingen könnte. (Nebenbei: Laut IGM-Satzung reichen schon
25% Ja-Stimmen zum vorgeschlagenen Tarifergebnis, um den Streik
abzublasen. Daran zeigt sich doch, über welche Hand-
lungs f r e i h e i t dieser Verein per innergewerkschaftlicher
Demokratie gegenüber den Mitgliedern verfügt!) Erfolg bringt ein
Streik nicht durch seine Länge, sondern durch den W i l l e n
und das G e s c h i c k, den Nerv des Gegners zu treffen: das
Wachstum des Reichtums, den die Gewerkschaft immer so liebevoll
"unsere Wirtschaft" nennt. Und so meint sie's auch. "Unsere Wirt-
schaft" will sie durch Lohnverzicht und gerechtere Arbeitszeit-
verteilung f ö r d e r n; selbst durch einen Arbeitskampf will
sie "unserer Wirtschaft" um keinen Preis s c h a d e n. So ge-
führt, kann der Streik Monate dauern: Der einzige Schaden, der
dadurch zunimmt, wäre der der vertretenen Arbeiter.
3. Solange die betroffenen Arbeiter den Streik als eine Angele-
genheit betrachten, die d i e T a r i f k o m m i s s i o n e n
durchzuführen haben - und nicht sie selber -, solange haben die
Kommissionen der Gewerkschaft auch alle Freiheit, Streikgeschehen
und Streikergebnis so hinzudrehen, wie sie es wollen. Mit dem
schlechtesten aller Karteileichen-Argumente, der "Treue zur Ge-
werkschaft", hat die IG Metall den Streik angeleiert - dann wird
sie ihn damit wohl auch noch abblasen können.
Und wenn es bei der dafür nötigen Urabstimmung viele Nein-Stimmen
gibt, dann zwingt das die Tarifkommissionen zu nichts, sondern
wertet sie auf. Sie d e u t e n das als nachträgliche Rücken-
stärkung für den verkehrten Kampf, den sie geführt haben: "Seht
da, so groß ist noch immer die Unzufriedenheit!" Nur dafür sind
Urabstimmungsstimmen gut.
4. Lassen sich die Argumente 1. bis 3. wirklich als Ermunterung
zum Streikbrechen mißverstehen? Wer sie eingesehen hat, der hat
gerade bei diesem Streik mehr als genug zu tun. Z.B. um seine
Kollegen zurechtzustupsen; die Gewerkschaftstreuen und erst recht
die, die gar nichts anderes im Kopf haben als "Wir wollen arbei-
ten!" Da hat man ganz bestimmt keine Zeit vom Interesse ganz zu
schweigen -, seinen Ausbeutern den "Streikbrecher" zu machen.
MSZ- und MAZ-Redaktion
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