Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT ALLGEMEIN - Politik auf Kosten der Arbeiter
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WIE EIN WIRTSCHAFTSGUTACHTEN MIT EINEM VORSCHLAG NACH MEHR LOHN
DEN DGB IN EINE PEINLICHE LAGE GEBRACHT HAT
Glückliche Bundesrepublik im Frühjahr 1989: Den Arbeitern und An-
gestellten geht's anscheinend trotz Gesundheits- und Rentenre-
form, trotz anziehender Inflationsrate und mit den üblichen An-
strengungen der Unternehmer, am Lohn-Leistungsverhältnis zu ihren
Gunsten zu drehen, so goldig, daß niemand auf den Gedanken ver-
fallen wäre, mehr Lohn und Gehalt zu fordern. Die Arbeiter und
Angestellten nicht, die Regierung eh nicht, die Kapitalisten so-
wieso nicht - und die Gewerkschaften erst recht nicht: Die haben
ja allesamt langjährige Lohntarifverträge abgeschlossen und damit
vertraglich festgelegt, daß das Geld für ihre Mitglieder reicht,
solange der Tarifvertrag läuft.
Da kommen staatlich bestellte Wirtschaftssachverständige im Rah-
men ihrer Tips für ein weiteres Wirtschaftswachstum bei ausgewo-
genen sozialen Verhältnissen auf die Idee, ein kleiner Lohnnach-
schlag täte dem Kapital nichts schaden und unter Umständen gar
die Konjunktur beleben.
Erstaunliche Bundesrepublik im Frühjahr 1989: Wenn überhaupt je-
mand mehr Geld für Lohnabhängige theoretisch in die Debatte wirft
- dann protestieren dagegen laut und beleidigt die Inter-
essenvertreter der Arbeiter und Angestellten. Ein "Nachschlag"
ist für sie ein Anschlag auf ihre Interessenvertretungspolitik.
Bei der geht's also ganz offensichtlich nicht um mehr Geld in den
Lohntüten. "Almosen" schimpft DGB-Breit verächtlich im renommier-
ten Sprachrohr für Arbeitnehmerinteressen "Bild". Für den DGB
geht es um Höheres:
- Durch mehrjährige Tarifverträge dem Kapital alle Freiheit zum
Rationalisieren und Lohndrücken einräumen. Sprich: Stabilität und
Berechenbarkeit der Wirtschaftsentwicklung.
- Statt dem jährlichen Streit um Lohnprozente eine "Jahrhundert-
forderung" namens "35-Stunden-Woche", der man sich bis gegen 2000
anzunähern gedenkt und wofür man die Unternehmer mit Lohnverzicht
und Arbeitsbereitschaft rund um die Uhr und 7 Tage in der Woche
gewinnen will.
Da paßt die Nachschlagsidee nicht nur nicht dazu, sie ist ein An-
griff auf die gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik und ihre
kurz-, mittel- und langfristigen Interessen. Dagegen kontert eine
deutsche Gewerkschaft mit den Buchstaben des Gesetzes: Ein Nach-
schlag würde aus dem laufenden Tarifvertrag herausfallen, und wir
sind v e r t r a g s t r e u. Schluß der Debatte!
Rundum gelungene Bundesrepublik im Frühjahr 1989! Sachverstän-
dige, die zu ihrem Glück nicht von Lohn leben müssen, debattieren
über ihn. Die davon leben müssen, arbeiten. Und ihre Gewerkschaft
ist vertragstreu. Da lohnt es sich doch, daß man sie hat.
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