Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT ALLGEMEIN - Politik auf Kosten der Arbeiter
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Die neue Notstandsideologie der Gewerkschaft:
"STANDORT"
Erfunden hat der DGB seine neue Notstandsideologie nicht selbst.
Den Schwindel, der "deutsche Industriestandort" sei nicht mehr
konkurrenzfähig, haben die Unternehmer in die Welt gesetzt. Das
hat den Gewerkschaften sehr eingeleuchtet. Jetzt läuft jede
Effektivierungsmaßnahme, die Gewerkschafter und Betriebsräte ab-
segnen sollen, bei ihnen unter "Standortsicherung".
Wir raten dringend davon ab, sich dieser Sichtweise der deutschen
Gewerkschaften anzuschließen - und zwar aus vier Gründen.
1.
Wenn die Gewerkschaft Betriebe plötzlich nicht mehr mit
'Betrieb', sondern mit 'Standort' anredet, dann hat sie sich die
Befürchtung zu eigen gemacht, daß der Betrieb statt dort, wo er
nun einmal steht und arbeiten läßt, auch ganz w o a n d e r s,
z.B. im Ausland, s t e h e n k ö n n t e. An die Belegschaften
richtet sie damit die Aufforderung, ihren Betrieb mit ganz neuen
Augen zu betrachten: Den Arbeitsmann soll ab sofort nicht mehr
das Pensum stören, das er in dieser Anstalt zur Gewinnvermehrung
abreißt, auch nicht der eher bescheidene Lohn und die Erfahrung,
daß sein Knochengerüst den Job in der Regel nicht gut verträgt.
Das alles soll ihn nicht mehr ärgern, weil - ja, weil der Gewerk-
schaft die Möglichkeit eingefallen ist und schwer eingeleuchtet
hat, daß der Betrieb doch glatt an einem anderen Standort, einem
ausländischen gar, anderen Leuten das Leben schwer machen könnte.
Ob die Unternehmer ihre Freiheit, weltweit die kostengünstigsten
Produktionsbedingungen zu vergleichen, nun auszunutzen gedenken,
oder ob die Gründe, die doch bisher für den momentanen Standort
sprachen, weiter ihre Gültigkeit besitzen, das ist dabei ziemlich
wurscht.
Mit dem neuen Maßstab 'Standort' hat man ganz unbedingt f ü r
die Sorte Arbeit, wie sie nun einmal im Betrieb stattfindet, zu
sein und sich jeder Meckerei zu enthalten; denn - könnte es nicht
noch viel schlimmer kommen, wenn der Betrieb seinen Standort
wechselt?
M e r k e: Wenn die Gewerkschaft vom 'Standort' redet, dann
teilt sie ihren Leuten mit, daß sie ab sofort keinen Grund mehr
sieht, sich über irgendetwas in der gerade l a u f e n d e n
B e n u t z u n g der Leute zu beschweren, geschweige denn gegen
irgendeine Sauerei der s t a t t f i n d e n d e n A r b e i t
Front zu machen.
2.
Wenn die Gewerkschaft Betriebe plötzlich nicht mehr mit
'Betrieb', sondern mit 'Standort' anredet, dann räumt sie bei ih-
ren Mitgliedern mit dem Aberglauben auf, es ginge ihr um die Er-
haltung der Arbeitsplätze. Sie will den Standort sichern, sagt
sie, und deshalb kennt sie nur noch jenen Maßstab, mit dem der
Betrieb Standorte vergleicht: Wo läßt sich der ganze Plunder am
günstigsten zusammenkloppen? Die Gewerkschaft, die dabei helfen
möchte, daß der 'Industriestandort Deutschland' jede Konkurrenz
an der Kostenfront schlägt, darf dann natürlich nicht zimperlich
sein, wenn der Betrieb deswegen Rationalisierungs- oder andere
Maßnahmen, die Entlassungen einschließen, für notwendig erachtet.
Wer sich der gewerkschaftlichen Standort-Logik anschließt, kann
sich zwar sicher sein, daß im Falle eines 'Erfolges' auf jeden
Fall Arbeitsplätze gerettet werden. Eben genausoviele, wie der
Betrieb nach der Standortsanierung noch für nötig hält. Aber wie-
viele das sind und ob der e i g e n e noch darunter ist, das
wird sich erst hinterher herausstellen.
M e r k e: Wenn die Gewerkschaft vom 'Standort' redet, dann
teilt sie ihren Leuten mit, daß sie an Arbeitsplätzen nur noch
ein Interesse hat, sofern diese in die Standortkalkulation des
Betriebes passen; daß sie folglich dann Entlassungen für unab-
dingbar erklärt, wenn sie für die "Rettung des Standorts" gefor-
dert werden.
3.
Wenn die Gewerkschaft plötzlich Betriebe nicht mehr mit
'Betrieb', sondern mit 'Standort' anredet, dann hat sie den
Freibrief für die Unternehmensinteressen schon unterschrieben.
Die Betriebe müssen nur noch Standorte benennen, die in Sachen
Lohn, Arbeitszeit, Zulagen oder Urlaubsgestaltung günstigere Kon-
ditionen aufweisen, und schon fühlt sich die Gewerkschaft aufge-
rufen, die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Industriestandorts
wieder herzustellen. Bekanntlich werden Unternehmer in dieser
Hinsicht schnell fündig, denn die Standort-K o n k u r r e n z
schläft nicht. Und so wie der hiesigen Gewerkschaft ein
'Standortvorteil' woanders schwer als B e i s p i e l einleuch-
tet, wird sie dann wieder beispielgebend für die Durchsetzung
neuer Sauereien an anderen Standorten wirken können. Das ist ein
Zirkel ohne Ende, dem sich die Gewerkschaft da verschreibt.
Wem das Standort-Argument einleuchtet, der darf sich nicht wun-
dern, wenn diesem gewerkschaftlichen Prüfstein jede Menge "ge-
werkschaftliche Errungenschaften" zum Opfer fallen.
M e r k e: Wenn die Gewerkschaft vom 'Standort' redet, dann
teilt sie ihren Leuten mit, daß sie j e d e m Wunschzettel der
Betriebsleitung, sofern er nur auf Standortvorteile in anderen
Weltgegenden verweisen kann, ihren prinzipiellen Segen erteilen
wird.
4.
Wenn die Gewerkschaft Betriebe plötzlich nicht mehr mit
'Betrieb', sondern mit 'Standort' anredet, dann teilt sie den
hiesigen Arbeitsmannschaften mit, daß ihr nichts über Geschäfte
geht, die v o n d e u t s c h e m B o d e n a u s g e h e n.
Es gilt ihr als Skandal erster Güte, wenn Geschäfte, die doch
auch auf deutschem Boden gemacht werden könnten, durch ausländi-
sche Standortkonkurrenz untergraben werden. Sie legt ihren Leuten
einen völlig verrückten Gesichtspunkt nahe: Ihr Schaden soll es
sein, wenn Unternehmen ihren Betrieb f e r n der Bundesrepublik
aufziehen. Als ob für die Leute der Skandal nicht darin liegt,
wie sie h i e r fürs Geschäft der Unternehmer eingespannt wer-
den! Irgendwie muß die Gewerkschaft der Auffassung sein, daß Ar-
beiter einen Grund hätten, zwischen Profit und Profit zu sortie-
ren, und den in Deutschland auf ihre Kosten erwirtschafteten Pro-
fit für fast schon was Heiliges, aber den auf fremdem Boden erar-
beiteten Gewinn für einen Angriff auf "unser aller Wohl" zu hal-
ten. Irgendwie muß sie der felsenfesten Überzeugung sein, Arbei-
ter könnten nicht mehr unterscheiden, w e r den Profit - egal
wo erwirtschaft - k a s s i e r t, und w e r dafür
g e r a d e z u s t e h e n hat.
Wem die gewerkschaftliche Sorge um den deutschen Industriestand-
ort einleuchtet, der darf sich nicht wundern, wenn auch in seinem
Namen alles, aber auch alles dafür getan wird, daß dieser Stand-
ort blüht, gedeiht und die ausländische Konkurrenz aus den Lat-
schen haut - was immer dies i h m an Mehrbelastung, Lohnabzügen
oder gar vollständigem Lohnverlust einträgt. Wer deutschen Profit
für das Höchste hält, wird sich dann mit dem Ersatz-'Lohn' zu-
frieden geben müssen, daß deutsches Kapital unschlagbar ist. Das
gibt viele schöne Pluspunkte auf dem Feld der deutschen Arbei-
terehre. Von der man sich jedoch bekanntlich nichts kaufen kann.
M e r k e: Wenn die Gewerkschaft vom 'Standort' redet, dann
meint sie den heiligen Standort deutscher Nation und teilt ihren
Leuten mit, daß sie von ihnen Strammstehen für Profit erwartet.
Der soll Deutschland nützen, weswegen er und entsprechend die
Leistungs- und Verzichtsbereitschaft deutscher Arbeiter gar nicht
hoch genug ausfallen können.
Arbeiter haben also vier gute Gründe, ihrer Gewerkschaft als na-
tionalistischem Standortmanager eine Abfuhr zu erteilen. Was sie
von diesem Gewerkschaftsprogramm zu erwarten haben, ist nichts
als die Sanierung des vaterländischen Profits. Und der ist so-
lange sanierungsbedürftig, wie es die Standortkonkurrenz gibt -
also immer. Ihre Mitglieder will sie bei ihrer nationalen Ehre
packen. Sie setzt darauf, daß deutsche Arbeiter sich nicht lange
bitten lassen, wenn es darum geht, dem Kapital mit ihrer Leistung
"vaterländisches Benehmen" beizubringen.
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