Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT ALLGEMEIN - Politik auf Kosten der Arbeiter


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       Korrespondenz
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       Ein Brief aus dem Knast
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       erreichte uns  Ende März.  Er bezieht  sich auf einen Artikel der
       MAZ (Marxistische  Arbeiterzeitung) über  die Landauf Landab lau-
       fenden  Polen-Hilfen,  die  auch  vor  der  Jugendvollzugsanstalt
       Landsberg am Lech nicht haltgemacht haben.
       
       "Landsberg am Lech, 14.3.82
       hallo genossen,
       zwar sitze  ich mit  einigen anderen giftlern in einzelhaft, also
       isoliert von den anderen häftlingen, trotzdem flattert hie und da
       eines eurer  flugblätter zu mir rein. es ist schon sonderbar, daß
       sich schüler  und lehrlinge von der jungen union für polenspenden
       mißbrauchen lassen, noch perverser ist es aber doch wohl, daß die
       jva landsberg  unter der  schirmherrschaft unseres prälaten huber
       eine  sammlung  für  die  "unterdrückte  polnische  christenheit"
       durchführen ließ. so geschehen hier im zuchthaus dez. 81
       prälat huber,  der zwar als beamteter "verkünder kommenden heils"
       ansonsten sich  eher unauffällig  verhält, wenn  es um die unter-
       drückung des  menschen geht,  tat sich  auch schon früher hervor,
       wenn es darum ging, polnische verhältnisse anzuprangern. diejeni-
       gen, die  sich sonntags  in seinen weihrauchgeschwängerten tempel
       begeben, konnten ihr bisheriges geschichtsbild korrigieren, falls
       sie ein  solches hatten.  prälat huber  wetterte schon 1980 gegen
       die  unfreiheit,   die  im  geburtsland  unseres  lieben  papstes
       herrscht. manche  mögen behaupten,  dieser wäre nur gewählt, weil
       er ein pole ist. böse zungen oder solche, deren wahrnehmung durch
       haschisch etwas getrübt ist, behaupten auch, prälat huber hört in
       seiner kirche  stimmen aus  dem jenseits, da seine geschichtsdar-
       stellung im diesseits leider nicht erkennbar ist.
       tragisch ist,  daß diese sonderbare sammelaktion von hiesigem in-
       sassenrat auch  noch mitgetragen  wurde. dazu  muß ich sagen, daß
       auch ich zwei jahre lang im insassenrat war, um mit einigen ande-
       ren leuten  aufzuzeigen, um  was es  sich hier  dreht, nämlich um
       eine einrichtung,  die in keinster weise den interessen der häft-
       linge dient. leider kann man sich auch nur zweimal wählen lassen.
       diejenigen drei  betrüger, die  momentan im  insassenrat sprecher
       sind, kamen  durch  eine  beispiellose  verleumdungskampagne  und
       durch unterstützung der beamtenschaft an die 'macht'. der rädels-
       führer von ihnen ist denn auch millionär (zollvergehen). dazu muß
       man auch  anmerken, daß  die spendenaktion  auch nicht anonym vor
       sich gehen  kann, da  der knacki ja über kein geld verfügt, d.h.,
       die leute mußten per rapportschein beantragen, daß ihnen das geld
       abgebucht wird  von bescheidensten  mitteln. schließlich  wird im
       zuchthaus keiner reich...
       tschüß, G."
       
       Polen-Hilfe
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       Eine Arbeitsgruppe  der ESG  Göttingen schickte uns einen Artikel
       mit der Bitte, ihn abzudrucken. Der größte Teil des Artikels ana-
       lysiert das  Abhängigkeitsverhältnis, in  das sich Polen über den
       Westhandel begeben  hat. Da sich die MSZ hierzu ausführlich geäu-
       ßert hat  und die  Ausführungen der  ESG den unseren nicht wider-
       sprechen, drucken  wir Lediglich  die Passagen  ab, die  wir  für
       falsch halten:
       
       "Humanitäre Hilfe für Polen
       Wir sind  alle aufgefordert, 'das Menschlich-Sein gegenüber Polen
       zu üben;  eines jeden  Herz ist angesprochen, doch ein Care-Paket
       zu schicken,  Portofreiheit wird  gewährt; ein  jeder trägt  sein
       Scherflein bei  - sind  wir nicht ein einig Volk, ob CDU, ob SPD,
       die FDP, die Grünen: alle sind sich einig, brüderlich.
       Dieser Artikel  soll kein Pamphlet gegen 'Humanitäre Hilfe' sein.
       Humanitäre Hilfe  ist und  bleibt wichtig und notwendig, weil sie
       dem einzelnen  notleidenden Menschen  hilft, in der Regel. Jedoch
       ist das  nur die  eine Seite  der Medaille: Die andere Seite ist,
       daß das humanitäre Handeln der Bürger propagandistisch ausgenutzt
       wird und letztlich höheren Machtinteressen dient.
       Nicht humanitäre Hilfe steht im Hauptinteresse, sondern das Mach-
       tinteresse, die  Abhängigkeit des Ostblocks vom Westen zu erhöhen
       und die  Machtsphäre des Westens auszudehnen, indem wir die Über-
       legenheit unseres  Systems gegenüber dem des Ostblocks immer wie-
       der beweisen und das nicht erst seit gestern...
       Jetzt auf  einmal steht humanitäre Hilfe im Vordergrund - wer von
       staatlicher Seite hat sich im Winter 1980/81 für humanitäre Hilfe
       für Polen  stark gemacht? - Das Militärregime in Polen wird wegen
       Menschenrechtsverletzungen allerorts  angeprangert -  während die
       Menschenrechtsverletzungen in  anderen Ländern  keinen Grund  für
       das Streichen  von Militärhilfe liefern; Militärregime in westli-
       chen Ländern  sind ja Garanten der Freiheit und Demokratie, diese
       gilt es  bei ihrer Unterdrückungsarbeit zu unterstützen, schließ-
       lich liegt  ihre Zugehörigkeit  zum 'Freien  Westen' im Interesse
       von uns allen.
       Wer von  den Mächtigen  - nicht  nur - in unserem 'Freien Westen'
       relativiert denn  Humanismus nicht durch die Nützlichkeit? Ob nun
       wirtschaftlich, politisch  oder militärisch, rausspringen muß da-
       bei was...
       Ost-West-A.K., ESG Göttingen"
       
       Lieber AK!
       Dabei wäre  das, was folgt, sehr wohl ein "Pamphlet gegen humani-
       täre Hilfe"!  Denn gleichzeitig für das Elend und diejenigen, die
       es auszubaden  haben, zu  sorgen, das waren schon die Kolonisati-
       onsinstrumente der  Engländer: Bible  and rifle.  Es ist halt der
       Zynismus des  Mächtigen, der  dem Opfer auch noch ein Almosen zu-
       kommen läßt. Daß dieses Opfer von oben verordnet ist, tritt nicht
       immer so  klar zu Tage wie in der Polenfrage, gehört aber zum Be-
       griff der  humanitären Hilfe.  Oder hättet  ihr es lieber gehabt,
       wenn hiesige  Knastinsassen und  die Leute,  die auch sonst alles
       zahlen, ihr Päckchen ohne Befehl, "reinen Herzens" sozusagen, ge-
       schnürt hätten? Mal ehrlich: Die hätten doch gar nicht gewußt, wo
       sie ihr  Päckchen hinschicken  sollten! Und  wenn man ihnen sonst
       eine Adresse  angeordnet hätte,  hätten sie  eben mit  dieser ihr
       "tiefes Bedürfnis",  anderen zu  helfen,  befriedigt.  Vielleicht
       sollte einem  die Existenz  dieses verbreiteten  Bedürfnisses  zu
       denken geben,  anstatt die  Sache in  zwei Seiten zu zerlegen, um
       dann die  ach so  mißbrauchte humanitäre Hilfe doch wieder - ganz
       Christenmensch -  hochleben zu  lassen, als  ob es besser gewesen
       wäre, die "milden Gaben" Türken und Negern zukommen zu lassen.
       Freundliche Grüße MSZ-Redaktion
       
       Demokratische Meinungstoleranz
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       Liebe Genossen in der MSZ-Redaktion!
       Bei Eurem  treffenden Artikel über deutschen Dichter- und Denker-
       geist, alias  Elias Canetti  (MSZ 1/82), vermisse ich eine Erklä-
       rung, warum  von der  akademischen Öffentlichkeit, (und nicht nur
       von der),  solcher Blödsinn  als wissenschaftlich und deshalb (?)
       anerkennenswert toleriert  wird. (Für richtig halten tut's ja so-
       wieso keiner.)
       Als Kollegiat  und Besucher eines LK-Deutsch bin ich selbst Opfer
       und kopfschüttelnder  Beobachter solch  demokratischer  Toleranz.
       Allein das  Faktum, daß  Canetti über  500 Seiten  von "Masse und
       Macht" zu  erzählen hat  und daß er dafür den Nobelpreis erhielt,
       reichte unserem Kursleiter zu dem Urteil: "Das ist schon interes-
       sant, was der für Theorien aufstellt."
       Diese  toleranten   Demokraten  akzeptieren  jeden  Blödsinn  als
       p e r s ö n l i c h e   M e i n u n g.  Die "Meinung" darf jedoch
       nie den Anspruch auf Richtigkeit erheben. Akzeptiert man die Mei-
       nung eines  anderen nicht,  da sie  falsch ist,  wird einem  sehr
       schnell Intoleranz  vorgeworfen, was  soviel heißt  wie: "Mit dir
       kann man nicht reden, du willst mich ja überzeugen!"
       Deshalb beschäftigt man sich im Deutschunterricht auch nicht kri-
       tisch mit der Lektüre ("hat er recht, hat er nicht recht?"), son-
       dern man  untersucht den  Stil, den Aufbau, den Satzbau, schließ-
       lich  die   Intention  des   Autors,  und   (!)  man   darf  eine
       p e r s ö n l i c h e   M e i n u n g   abgeben. ("Ich finde...")
       Da die Meinung ja sowieso nur subjektiv ist, ist die "persönliche
       Stellungnahme zum  Text" auch der einzige Aufgabenteil, der nicht
       mit Stellen  belegt werden  muß. Die Existenz einer Intention des
       Autors (z.B.  "Selbsterfüllung durch das Schreiben von 500 Seiten
       dummen Gewäschs") ist die Garantie für Unanfechtbarkeit.
       "Das ist  nur eine subjektive Meinung, die wir uns nicht anzueig-
       nen brauchen."  (unser Kursleiter)  Das Dumme  ist nur, daß diese
       Leute auch  Eure "Schulzeitung"  mit  dem  vernichtenden  Urteil,
       "aktiv  sind   sie  schon,   das  muß   man  ihnen   lassen"  als
       M e i n u n g   a k z e p t i e r e n.   Das befreit sie auch von
       den geistigen Anstrengungen, die die Lektüre der Schulzeitung mit
       sich bringen  würde; da  sie an  der "persönlichen  (subjektiven)
       Meinung von  Marxisten sowieso  nicht interessiert  sind, braucht
       man sie  gar nicht  erst zu lesen. Zur Einschätzung Eurer Meinung
       reicht ihnen  schon das Wörtchen "marxistisch". Ich bin nicht da-
       für, das  Wort "marxistisch"  (meine Mitschüler  würden es in die
       Sparte: "Bezeichnungen,  die die  eigene Position  kennzeichnen",
       einordnen!) wegzulassen,  sondern hoffe  in  einer  der  nächsten
       "Schulzeitungen" einem  Angriff auf die demokratische Meinungsto-
       leranz zu begegnen. Mit ermunternden Grüßen
       R. L. Nürnberg
       
       Lieber R. L.,
       Bezüglich des  Inhalts  und  der  "Intention"  der  "Textanalyse"
       liegst du richtig. Deine Kritik am Canetti-Artikel ist jedoch un-
       gerecht. Die  Erklärung, die  Du vermißt,  steht nämlich durchaus
       drin und  ist schlimmer  als Du sie Dir denkst. Der Quark des dü-
       steren Wiener  Propheten wird nämlich nicht nur hingenommen - und
       schon gar nicht wegen des "Prinzips" der demokratischen Meinungs-
       toleranz. Wie  letztere gemeint  ist, hast Du ja selbst darin ge-
       kennzeichnet, wo die Toleranz sich regelmäßig aufzuhören hat. Für
       Canettis Unsinn-Suche  haben Deutschlehrer  mehr  übrig  als  nur
       Duldsamkeit. So ein Nobelpreisträger ist eben gerade wegen seiner
       "Originalität", "verblüffenden Gedanken" usw. "interessant". Dein
       Kursleiter wäre nicht auf der Höhe der Zeit, wenn seine Sinnsuche
       nicht darin  bestünde, angehende Intellektuelle für die literari-
       schen Verrücktheiten subjektiver Willkür zu begeistern. Die Eman-
       zipation des ver-klärenden Geschwafels von jedem Schein eines Be-
       zugs zur  Realität macht  den Fortschritt  modernen Denkens  aus,
       weshalb die  Spinnereien eines Dichters auch ganz unmittelbar als
       die Wahrheit eines Wissenschaftlers prämiiert werden.
       Zu deinem  Artikelvorschlag: Die  demokratische  Meinungstoleranz
       greift man immer dort an, wo sie auftritt.
       Mit munteren Grüßen
       MSZ-Redaktion
       
       Die "wahre" Gewerkschaft und der Sozialismus
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       Bielefeld, 13.2.1982
       Lieber Genosse Theo,
       Habe Deinen  Artikel ("Politik auf Kosten der Arbeiter - Manifest
       gegen den DGB") mit Interesse gelesen.
       Dazu zwei  Anmerkungen: Es  wurde mir  nicht deutlich, wie Du die
       primäre Funktion  der Gewerkschaft "als solcher" siehst; soll die
       "Lohnmaschine" im  Mittelpunkt stehen  oder die radikale Beseiti-
       gung des kapitalistischen Systems als Fernziel? Höhere Lohnforde-
       rungen sind  selbstverständlich sinnvoll  und auch bitter nötig -
       aber nicht  als Selbstzweck, sondern als Übergangsschritt zum So-
       zialismus.
       Ziel einer "wahren" Gewerkschaft sollte in erster Linie nicht die
       Lohnerhöhung, sondern die Beseitigung der gegenwärtigen Produkti-
       onsverhältnisse sein (zu Gunsten der Lohnarbeiter)!
       Zweite Anmerkung:  Mal schreibst  Du "Kapitalist",  dann "Arbeit-
       geber", dann wieder "Unternehmer" oder "Arbeitgebervertreter"!
       Auf der  anderen Seite  findet sich  "Arbeiter",  "Arbeitnehmer",
       "Lohnempfänger", Warum paßt Du Dich dem bürgerlichen Sprachgefühl
       an?
       Schreibe doch lieber "Kapitalist/Arbeiter" oder "Lohnempfänger" -
       das trifft doch eher den Nagel auf den Kopf, oder?
       Auch ich  teile die  Analyse, daß  der DGB längst Frieden mit dem
       Kapital geschlossen hat und selbst zu einem gewichtigen Ordnungs-
       faktor im kapitalistischen System geworden ist.
       Mit - ansonsten - solidarischen Grüßen, W.
       
       Lieber W. H.,
       eine Gewerkschaft  "als solche" gibt es schon lange genug. Warum,
       meinst Du  eigentlich, daß  sich der  DGB in  Sachen Lohn auf die
       Seite der  "Lohngeber" schlägt?  Seine Begeisterung für die radi-
       kale Erhaltung  des kapitalistischen  Systems macht  ihm die Vor-
       stellung von der "Lohnmaschine" so verhaßt. Vielleicht ließe sich
       daraus der  Schluß ziehen,  daß die  Beseitigung des kapitalisti-
       schen Systems einiges mit dem Lohn der Arbeiter und seiner Durch-
       setzung zu  tun hat.  Wenn Du allerdings meinst, der Lohn sei ein
       "Nahziel", der Sozialismus ein "Fernziel", dann sehen wir schwarz
       für den  Lohn und die Abschaffung des nach ihm benannten Verhält-
       nisses. Den  Betroffenen nützt  es so  oder so nichts, ob man sie
       nun "Lohnempfänger"  oder "Arbeitnehmer"  nennt, auch  wenn beide
       ideologische Ausdrücke für Proleten im Sozialstaat sind.
       Ansonsten solidarisch MSZ-Redaktion
       

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