Quelle: Archiv MG - BRD GEWERKSCHAFT ALLGEMEIN - Politik auf Kosten der Arbeiter


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       Gewerkschaftstage
       

PARTEIPOLITIK AUF GEWERKSCHAFTLICH

Als jetzt einige Gewerkschaften ihre Tage veranstalteten, konnte ihre arbeitsame Basis den Medien entnehmen, daß es neuerdings in ihren Organisationen "brodelt": Hiobsbotschaften über einen "Machtkampf" (Stern, 40/1980) in der IG Chemie, einen "radikalen Macht- und Richtungswechsel" (ebd.), in der Gewerkschaft HBV - vor dem Hintergrund "kommunistischer Unterwanderung"! - und einen Angriff auf die "Alleinherrschaft des Vorstands" (Süddeutsche Zeitung, 25.9.80) in der großen IG Metall machten die Runde, mit der nachgeschobenen Befürchtung, ein "Rückfall in den Klassen- kampf" (Die Zeit, 5.9.80) stünde an. Andererseits wiederum hielt sich die Aufregung in Grenzen, belegte man doch schon mit der be- sorgten Beobachtung des inneren Zustands unserer Arbeitervereine, daß einhellige Zufriedenheit mit deren "Außenverhalten", also der staatstragenden Note ihrer Interessenpolitik, besteht. Anlaß der Alarmrufe waren denn auch Kongresse und nicht Tarifrun- den, wobei sie sich der Frage der Brauchbarkeit unserer Einheits- koalitionen gleich mit dem Generalproblem widmeten: Können sich die Vorstände gegenüber einer aufmüpfigen Funktioärsbasis noch durchsetzen? ("Zentralistische Disziplin war stets eine Stärke der deutschen Gewerkschaft"; Süddeutsche Zeitung, 25.9.) Den darin enthaltenen Irrtum, die hauptamtlichen Untergebenen der im Umgang mit den Massen versierten Bosse seien unberechenbar, kor- rigierten aufgeklärte Blätter, indem sie ihrerseits Sympathien fürs Fußvolk in die Bedenken kleideten, allzu rigide Selbstherr- lichkeit der Arbeiter-Obervertreter gegenüber den niederen Rängen gefährde die "demokratische Glaubwürdigkeit" (Frankfurter Rundschau, 15.9.) der Gewerkschaften. Womit allseits zu erkennen gegeben wurde, daß auch die S t r e i t i g- k e i t e n in den Organisationen der Arbeiterklasse eine die Öffentlichkeit beruhigende Qualität erreicht haben. Demokratisch gesäubert ---------------------- Speziell die IG Chemie, die an der starken Hand Karl Hauenschilds bisher als mustergültig diszipliniert und besonders gemäßigt im Auftreten galt, geriet im September in die Schlagzeilen wegen ominöser "Tumulte", "wie man sie kaum je auf einem Gewerkschaftskongreß in der Bundesrepublik erlebt" (Süddeutsche Zeitung, 9.9.). Nichts geringeres als die "Richtung der künftigen Gewerkschaftspolitik" (Welt der Arbeit, DGB, 11.9.80) stand für mißtrauische Begutachter zur Debatte, als eine opposi- tionelle Minderheit ihre Offensive gegen den Vorstand ritt, mit so herben Anwürfen wie, Hauenschild habe "falschen Umgang" und "falsche Berater" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.9.), sei mit Unternehmern "mauscheln" gegangen und habe eine "g e r ä u s c h l o s e Tarifpolitik" (Frankfurter Rundschau, 8.9.) statt einer "kampfbetonteren" betrieben und habe "zu schnelle" Abschlüsse durchgesetzt. Damit sollten nicht die nied- rigen E r g e b n i s s e angegriffen sein, wie Hauptkritiker Paul Plumeyer klarstellte: "Die Politik der IG Chemie war in den vergangenen Jahren gekenn- zeichnet durch den Versuch, bei den gegebenen wirtschaftlichen Umständen" (die auch Linker zum Maßstab nimmt) "das beste" (für wen wohl?) "herauszuholen. Die Strategie unserer Gewerkschaft war aber keineswegs darauf angelegt, den Willen der Mitglieder auch entsprechend umzusetzen." (Mannheimer Morgen, 9.9.) Dieser Fan eines IG-Metall-mäßigen Stils im Tarifgebaren votiert also mit der Erfindung, die IG-Chemie-Mitglieder (die die Lohn"findung" wie die Ziehung der Lottozahlen am Bildschirm regi- strieren) seien auf kämpferischere Formen scharf, für eine grö- ßere B e t e i l i g u n g der "Basis" an den Entscheidungspro- zeduren der Organisation, als seien ihr diese bereits aus den Händen geglitten: "Diese IG Chemie befindet sich satzungsrechtlich." (auch wegen Zulassung betrieblich gewählter gewerkschaftlicher Vertrauens- leute in Großbetrieben neben intern bestimmten) "nicht mehr im Besitz der Mitglieder." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.9.) So ging es denn den Idealisten einer "wahren" i n n e r- g e w e r k s c h a f t l i c h e n D e m o k r a t i e (= "Besitz der Mitglieder") primär um sehr reelle Kompetenzrege- lungen und Vorstandswahlen. Dabei fanden sie ihre Repräsentanten nicht zufällig in den wegen der Kundgabe kritischer Worte "von oben" gemaßregelten Funktionären "Patsch und Plum" (Patschkowski und Plumeyer): Ersterer war als Mitglied des Vorstands von diesem nicht wieder vorgeschlagen und letzterer als Verwaltungsstellen- Geschäftsführer (erfolglos) fristlos entlassen worden. Von der "Hauenschild-Mafia " und ihrer soliden Mehrheit wurde der Angriff souverän gekontert - ganz so, wie hundsgewöhnliche Ver- bandsquerelen auch anderswo geregelt werden, hier jedoch mit ge- werkschaftseigener Agitation: Abzuwehren sei der Angriff natür- lich als einer auf die "Einheitsgewerkschaft" (Hauenschild), wes- halb die wegen dieser gewerkschaftlichen Majestätsbeleidigung zu "Spaltern" Deklarierten rundum ihre verdiente Niederlage verpaßt bekamen. Der gesäuberte Vorstand erklärte sich dafür zu einer eindeutig definierten Good-will-Tour durch die Lande bereit: "Dann werden wir uns hinter verschlossenen Türen hinsetzen und sagen: Freunde, wie geht es denn nun weiter? Wir (!) dürfen ja nicht nur den Ehrgeiz haben, hier untergegangenen Meinungen eines Tages doch noch Rechnung zu tragen." (Frankfurter Rundschau 15.9.80) Die Untergegangenen reagierten ihrerseits ebenfalls adäquat - nämlich menschlich. Plumeyer reiste sofort ab, während sein An- hang am Schicksal litt oder gar ganz, die Sanitäter beschäfti- gend, die Fassung verlor: "Mit Nerven- und Kreislaufzusammenbrüchen reagierten sonst hart- gesottene Gewerkschafter auf eine Abstimmungsniederlage, die sie als politische und persönliche Katastrophe empfanden." (Stern, 40/1980), So bleibt denn in der IG Chemie - dank Mehrheit wie Minderheit - alles im Lot. Das Mehrheitsprinzip hat gesiegt, die Einheit hat nicht gelitten, sondern ist bestätigt worden. Genau und nur dafür kamen der "Wille" und das "Interesse" der Mitglieder zur Sprache. Unterwandert, aber demokratisch glaubwürdig ------------------------------------------- Die vehement wachsende Gewerkschaft Handel, Banken und Versiche- rungen (HBV) hingegen ist als Prototyp erfolgreicher basisdemo- kratischer "Machtübernahme" zum "schwarzen Schaf" des DGB gewor- den. Diese vorwiegend aus Angestellten rekrutierte "Nobel-Gewerk- schaft" (Kollegen-Jargon ), die in bisherigen DAG-Gewässern wirk- sam fischt, kam jüngst wegen spektakulärer Funktionärsübertritte zur DAG in Zusammenhang mit dem Vorwurf "kommunistischer Unter- wanderung" ins Gerede. DGB-Chef Heinz Oskar Vetter hat sich daher in Vollzug öffentlicher Schelte als Ersatz-Aufpasser in Szene ge- setzt, entlarvende Rundschreiben an die 17 Einzelgewerkschaften (vgl. Frankfurter Rundschau, 13.9.) verschickt und schließlich auf dem HBV-Kongreß im September gedroht, die 1949 dem DGB-Dach- verband wegen "Gleichmacherei" ferngebliebene DAG notfalls auf Kosten des "Nachkömmlings" HBV in den Einheitsclub zu integrie- ren: "Als einen 'historischen Irrtum' wertet... Vetter es insbeson- ders, daß im Dienstleistungsbereich die Gewerkschaft Handel-Ban- ken-Versicherungen (HBV) und die DAG miteinander konkurrieren... Welchen Weg wir auch immer finden und gehen: Die historische Auf- gabe der gewerkschaftlichen Einheit von Arbeitern und Angestell- ten bleibt uns auferlegt und muß gelöst werden." (Frankfurter Rundschau, 20.9.) Obgleich das Trennende in der Tat kaum noch in der unterschiedli- chen Zielsetzung der Konkurrenten begründet ist, versteht die HBV diese Warnung durchaus richtig, pocht mutig auf die eigene Exi- stenzberechtigung und die Autonomie gegenüber dem DGB und faßt den neuerlich provozierenden Kongreßbeschluß, die DAG sei eine "Standesorganisation", die "allerorts Keile in die Arbeiterschaft zu treiben" versuche (ebd.) überdies verwahrt sie sich gegen die Unterwande- rungsrüge mit dem unschuldsvollen Hinweis, sie müsse zuständig- keitshalber auch Parteiangestellte wie die der DKP beherbergen. Der abtretende HBV-Chef Heinz Vietheer: "Wie sollten 99,5 Prozent unserer Mitglieder sich unterwandert fühlen von 0,5 Prozent Kommunisten?" (Die Zeit, 12.9.) Man merkt allerdings schon an der Art dieses Streits, daß es kei- neswegs um das Für und Wider der Behauptung geht, die HBV schere in Wort und Tat aus dem Kanon der Einzelgewerkschaften aus. Le- diglich personelle Wechsel und Denunziationen von DKP-Mitglied- schaften sind das Material des "Linksdrall"-V e r d a c h t s: "Wie ein radikaler Macht- und Richtungswechsel reibungslos vor sich gehen kann, demonstrierte die HBV. In Wiesbaden lösten die Delegierten den kompletten Hauptvorstand ab. Der eher links ori- entierte 2. Vorsitzende Volkmar übernahm die Führung und ließ sich ohne große Diskussion eine nagelneue Riege fortschrittlicher Nachwuchsleute an die Seite wählen." (Stern, 40/1980) So wird es denn auch der HBV-Debatte nach dem Gewerkschaftstag wieder an Nahrung fehlen (bis auf neue Entlarvungen von DKPlern), zumal sich die auch vom DGB tolerierten Grundgesetzkommunisten als treue und fleißige Exekutoren aller Beschlüsse aufführen und darum nur als Parteibuchschwinger auffallen, sonst aber als Men- schen wie du und ich untergehen und daher ü b e r a l l in der Hierarchie vermutet werden können. Den Orden für "demokratische Glaubwürdigkeit" hat jedenfalls ein- deutig die HBV verdient. Demokratisch perfektes Innenleben --------------------------------- In der größten Einzelgewerkschaft der "freien Welt", die in jeder Lohnrunde allen DGB-Schwestern die als "vernünftig" errechneten Tarifabschlüsse vorexerziert und dabei stellvertretend für die anderen auch mal, zu höherem Verbandsansehen, einen Arbeitskampf vom Zaun bricht, leistet man sich im internen Umgang solche auf- sehenerregenden, weil dilettantischen Exzesse wie bei der HBV und IG Chemie nicht. Die IG Metall läßt auch bei Kongreßauseinander- setzungen die Routine einer ebenso selbstbewußten wie straffge- lenkten Massenorganisation sichtbar werden, die kein Problem da- mit hat, sich zugleich kämpferisch u n d moderat zu präsentie- ren, der obligaten Opposition in Sachen Vorgehensweisen freien Lauf zu lassen und disziplinierte Linientreue zu dokumentieren, Kommunisten wie andere Jusos zu verwarnen und als verläßlicher Sozialpartner aufzutreten. Die IG Metall weiß eben, was sie sich als jener Arbeiterverband, der im DGB den Ton angibt und in Wirt- schaft und Staat als Ober-Mitbestimmer Verantwortung trägt, an Innenleben schuldig ist. Wenn darum die "Süddeutsche" besorgt aus Berlin berichtet: "Loderer muß um die Alleinherrschaft des Vorstands kämpfen" (25.9.), ist sie einer Fehldeutung aufgesessen. Die Verbandsmana- ger der IGM wissen Kritiken durchaus als Moment der Tagungsberei- cherung zu handhaben, Gefahren aber für ihre Handlungsvollmachten gelassen zu parieren. Das fällt umso leichter als die Vorwürfe gegen die vergangene P o l i t i k lediglich dazu dienten, En- gagement-gerechtere interne Verkehrsformen unter den Aktiven zu propagieren: "Von Delegierten war der Vorstand wegen des Ü b e r n e hm e n s der in einem Bezirk erzielten Tarifvereinbarungen für andere Bereiche kritisiert worden. Außerdem wurde ihm m a n g e l- h a f t e I n f o r m a t i o n und f e hl e n d e d e m o- k r a t i s c h e K o o r d i n a t i o n bei den regionalen Tifverhandlungen vorgeworfen. Als bedenklich wurde bezeichnet, daß Ortsverwaltungen und Vertreterversammlungen teilweise nur noch a l s S t a t i s t e n z u g e l a s s e n seien und die Tarifkommissionen z u A k k l a m a t i o n s m a s c h i- n e n a b g e w e r t e t würden. Die kontroverse Diskussion zur Tarifpolitik der letzten Jahre sei von den Vorstands- mitgliedern in ihren Geschäftsberichten auf dem Gewerkschaftstag a u s g e s p a r t worden. Auch sei die Diskussion über die so- genannte Nachschlagsforderung bei Löhnen und Gehältern m i t k e i n e m W o r t g e w ü r d i g t worden. " (Süddeutsche Zeitung, 25.9.; Hervorhebungen MSZ). Bei dieser Art von rein formellen Gegensätzen, die Einigkeit in der Sache bezeugen, ließ die Majorität den "Wunsch... nach mehr 'Basisdemokratie'" (ebd.) einheitsbewußt abblitzen. Die Vor- standswahl verlief reibungslos. Fazit: Die freiesten Gewerkschaften ----------------------------------- Die westdeutschen Gewerkschaften haben, wie die Kongresse bele- gen, eine besondere Leistung vollbracht: Während die berufsmäßi- gen Meinungspfleger der Republik, zufrieden mit den Resultaten, noch aus jedem Hick-Hack in unseren Arbeitervereinen einen Drang zu n e u e n Klassenkämpfen filtern und so noch durchscheinen lassen, daß sie über Gewekschaften berichten, können sich letz- tere zu einem Stadium der Läuterung gratulieren, in dem selbst Auseinandersetzungen um die "richtige" Interessenvertretung von keinem Beteiligten mehr mit dem Anspruch, ja nicht einmal mehr mit dem Gestus geführt werden, es gehe ihm um die Arbeiter. Streit gibt es nur noch über organisationsinterne Verfahrens- und Postenfragen und er wird von den Gewerkschaften als normale Que- rele gelöst, wie dies keine Partei besser fertigbrächte. Jede in- terne Opposition tritt den Beweis an, daß auch sie sich auf der Höhe der gemeinnützigen DGB-Politik befindet. Organisationen mit s o l c h e n Problemen, die eine solche Presse auf sich ziehen, dürfen sich mit Recht f r e i nennen: frei wovon wohl, frei für was wohl! zurück