Quelle: Archiv MG - BRD FASCHISTEN ALLGEMEIN - Rechtsextremismus und Demokratie
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Schoeps: Rechtsradikalismus in der BRD (GH Duisburg)
"ALS WAS FÜHLT SICH EIN DEUTSCHER?"
Als was schon! Diese Frage ist ihre eigene Antwort, weil sie als
Auftakt einer nationalen Nabelschau daherkommt. Die Intimität ei-
nes deutschen Ich ist angesprochen und herausgefordert: Sind wir
nicht alle Deutsche und müssen wir uns nicht eben dann über unser
Deutschsein Rechenschaft ablegen? Alles andere als eine Aufklä-
rung über das florierende nationalistische Gedankengut und seine
Fehler ist da also zu erwarten, vielmehr, ob rechts- oder
linksgestrickt, eine Vereinnahmung.
Daß man nämlich die Eigenschaft "deutsch" nicht ablegen kann wie
einen getragenen Socken, daraus folgt überhaupt nichts, ge-
schweige denn eine Verpflichtung. Es gibt nur Auskunft über das
Urheberrecht an diesem nationalen Attribut, das keineswegs bei
einem selbst, sondern beim Staat liegt. Und eben deshalb ist es
grundverkehrt, die Eigentümlichkeit dieses Zwangsverhältnisses
"deutsche Identität" statt bei der politischen Gewalt bei der Be-
trachtung eines höchsteigenen deutschen Nabels ergründen zu wol-
len. Auch daß man im Ausland häufig "als Deutscher", also als
staatlich definiertes Subjekt, angesprochen wird, heißt doch wohl
nicht, sich diesen Schuh, wem auch vielleicht garniert mit ein
paar kritischen Vorbehalten, auch anziehen zu müssen. Und etwas
"als Deutscher" zu sehen, ist dann gleich das Bekenntnis zur
deutschbornierten Voreingenommenheit beim Denken. Die einzige
richtige Antwort auf die Eingangsfrage wäre also ihre Zurückwei-
sung.
Man könne sich seinem eigenen Deutschsein nicht ("eskapistisch")
entziehen? Doch, man kann:
"Ziffel
Es ist mir immer merkwürdig vorgekommen daß man gerade das Land
besonders lieben soll, wo man die Steuern zahlt. Die Grundlage
der Vaterlandsliebe ist die Genügsamkeit, eine sehr gute Eigen-
schaft, wenn nichts da ist.
Kalle
Die Vaterlandsliebe wird schon dadurch beeinträchtigt, daß man
überhaupt keine richtige Auswahl hat. Das ist so, als wenn man
die lieben soll, die man heiratet, und nicht die heiratet, die
man liebt. Warum, ich möcht zuerst eine Auswahl haben. Sagen wir,
man zeigt mir ein Stückel Frankreich und einen Fetzen gutes Eng-
land und ein, zwei Schweizer Berge und was Norwegisches am Meer,
und dann deut ich drauf und sag: das nehm ich als Vaterland; dann
würd ichs auch schätzen. Aber jetzt ists, wie wenn einer nichts
so sehr schätzt wie den Fensterstock aus dem er einmal herunter-
gefallen ist.
Ziffel
Das ist ein zynischer, wurzelloser Standpunkt, der gefällt mir."
(Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche)
Wem man sich sein Vaterland schon nicht ausgesucht hat, soll man
also auch nicht im nachhinein so tun als ob. Und das gilt ganz
genauso für das Bedürfnis kritisch gesonnener Deutschtümler, sich
das Deutschland, das sie lieben können würden, erst noch in al-
ternativen Farben auszumalen. Wie hätten wirs dem gern? Ein
Stückel Arbeiterkampf in Rheinhausen, viel Mitleid mit "Ganz
unten", jede Menge Paulskirchen und antifaschistisches Liedgut,
dazu ein Bundestrainer, der nicht wie Beckenbauer dauernd dummes
Zeug redet? Das Ganze regiert von Politikern, die außer über
Macht auch über Geist verfügen? Also eine Kreuzung aus Theo
Steegmann, Dieter Kelp, Günter Wallraff, Jupp Derwall, Jutta
Ditfurth und Björn Engholm die insgesamt etwa so edel aussieht
wie Weizsäcker? Oder doch lieber etwas ganz anderes? Jedem
Geschmack sein Vaterland.
Das Unternehmen, sich allen Ernstes und à la carte das Objekt
seines Nationalgefühls zusammenstellen zu wollen, ist leider
nicht bloß reichlich kindisch. Es ist erstens die getreue Kopie
des gewöhnlichen Nationalismus, eben nur mit einem kritischen
Vorzeichen versehen. Der Wunsch, sich mit seinem Land rundum
identifizieren zu können, wird dadurch nicht richtiger, daß seine
Realisierung selber noch in der Wunsch- und Zukunftsform gedacht
wird. Ein Land nämlich, in dem jeder ohnehin auf seine Kosten
kommt, hätte einen Nationalismus, also die selbstgenügsame Begei-
sterung fürs Höhere, gar nicht mehr nötig. Aber so ist das offen-
bar gar nicht gemeint.
Denn zweitens ist die alternative Suche nach guten Gründen fürs
Deutschsein eine ausgemachte Heuchelei, und zwar gerade der
Schein des Alternativen daran. Was hat man dem eigentlich am real
existierenden Nationalismus auszusetzen, außer daß man ihn für
veraltet und ziemlich stillos hält? Wem es wirklich nicht mehr
ist, dann ist man auch mit Kohl und Beckenbauer bestens bedient.
Der obligate Zusatz, man meine doch aber ein Nationalgefühl ohne
häßliche Feindseligkeit gegen andere, ist ein gewußter Aberwitz
und spricht Bände. Ebensogut könnte man Fußball mit der Regel
'Keiner soll gewinnen!' spielen. Der unverhohlen neidische Hin-
weis auf andere Länder, die (angeblich) keine Schwierigkeiten mit
ihrem Patriotismus hätten, das schmerzlich-lustvolle Schwelgen in
den (angeblichen) Verdrückungen des "schwierigen Vaterlands"
Deutschland - das alles läßt dann endgültig keinen Zweifel mehr
daran, daß die Vaterlandsliebe der Kern und das Kritische das
Etikett des ganzen Unternehmens ist, in dem sich schließlich
links und rechts wirklich nicht mehr unterscheiden lassen.
Drittens wird gerade so einer Ideologie auf den Leim gegangen,
mit der der offizielle bundesdeutsche Nationalismus seit jeher
blendend leben kann. Seit dem letzten Krieg ist es überhaupt die
schlagkräftigste Propagandalüge dieses Nationalismus, daß er es
so furchtbar schwer habe. Mit dem tränenreichen Hinweis auf die
Probleme eines deutschen Patriotismus nach '45, d.h. nach einem
verlorenen Krieg, ist Werbung für ihn gemacht. Die in linken
Kreisen mittlerweile salonfälig gewordene Rede vom "schwierigen
Vaterland" ist die kongeniale Fortsetzung dieser Ideologie, ohne
aber eine Ahnung von dem kleinen Unterschied zu haben, wer deren
Macher und Nutznießer und wer bloß deren nützlicher Idiot ist.
Auch die Idee eines "Kosmopolitismus" ist keine Kritik am Natio-
nalismus. Einerseits vertritt sie ja nur den faden Idealismus,
daß Angehörige verschiedener Nationen sich auch vertragen können
sollen, unterstellt also die Feindschaft, die sie ein bißchen
korrigieren will. Andererseits wird sich hier schon künstlich
dumm gestellt. Es stimmt ja zweifellos: wem es wirklich nur darum
ginge, mit einem Engländer mal eben einfach ein Bier trinken zu
können und mit einem Türken einen Raki, dann wäre da wirklich
kein Problem. Aber darum geht es nicht. Es zeigt noch die ein-
fachste Erfahrung, daß es immer Staatsbürger sind, die da so oder
so zusammenhocken, und daß selbst im Privaten der freundlichste
Zeitgenosse jederzeit den Übergang zum rabiaten Parteigänger sei-
ner Nationalität machen kam. Woran liegt das? Gewohnt, ihren ei-
genen Vorteil mit dem ihrer Nation zu verwechseln, vertreten ein-
gefleischte Staatsbürger nach außen einen eingebildeten Stand-
punkt nationaler Souveränität, die sich von keinem hergelaufenen
Ausländer reinreden läßt. Eingebildet deswegen, weil sich an der
Qualität beispielsweise des englischen Fußballs nun wirklich
nichts Maßgebliches entscheidet in Sachen Empire. Und aus dem
gleichen Grund ist dieser Privat-Nationalismus durch noch so viel
Erziehung in "Kosmopolitismus" auch nicht zu kurieren. Weil der
Nationalismus sich nicht aus zufälligen lokalen Eigenarten und
Besonderheiten erklärt, sondern diese nur als Belegmaterial für
die Vorzüglichkeit einer Nation benutzt, ist er mit dem Programm,
"Fremdes kennenzulernen", auch nicht zu beheben. Ca. 35 Jahre Ju-
gendaustausch und internationale Zeltlager haben so auch nur zu
dem bezeichnenden Resultat geführt, daß man Ausländer und Auslän-
disches großzügigerweise auch ganz nett findet - sofern sie sich
den anspruchsvollen Maßstäben deutscher Nationalisten irgendwie
fügen.
Fußnote zum Fortgang dieses Gedankens
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Wer meint, die Hochschätzung einer Nation sei ein insgesamt be-
grüßenswertes Anliegen, das allein mit einem etwas freundlicheren
Inhalt zu versehen sei, ist auch die gegenwärtig härtesten
Spielarten des Nationalismus "von unten" zwar nicht begrüßen,
aber als ein nur leicht fehlgeleitetes Bedürfnis nach "Identität"
gut verstehen können:
- die FAP als einen neofaschistischen Verein, der durchaus aner-
kennenswerte Werte wie "Freiheit" und "Heimat" für seine Zwecke
geschickt instrumentalisiert.
- Skinheads und andere Fußballfans als verirrte Sinnsucher, denen
man, z.B. mit einem Arbeitsplatz, ersatzweise einen gemein-
schaftsförderlichen Sinn verpassen muß.
- neonazistische Jugendliche, die durch das Prasseln von Wiking-
Lagerfeuern verführt worden sind und am besten durch echt und ga-
rantiert demokratische Geländespiele vor diesem Sündenfall be-
wahrt werden.
Auch hier gilt: Wer den Nationalismus nicht kritisieren, sondern
ihn demokratisch vereinnahmt und benutzt sehen will, der soll
sich über seine sog. Auswüchse weder wundern noch beschweren.
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