Quelle: Archiv MG - BRD FASCHISTEN ALLGEMEIN - Rechtsextremismus und Demokratie


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EIN ITALIENISCHES ATTENTAT MIT ITALIENISCHEN REAKTIONEN

Die Empörung der italienischen Öffentlichkeit über den faschisti- schen Bombenanschlag im Bahnhof von Bologna, bei dem über 70 Men- schen getötet und fast 200 verletzt wurden, hat sich in nationa- len Protestveranstaltungen vorgetragen, bei denen Millionen Ita- liener die Wut auf die faschistischen Attentäter zum Anlaß nah- men, ihr Mißtrauensvotum gegen ihren Staat abzugeben. Da wurde nicht die verlogene Uminterpretation in einen Anschlag auf die "zuständigen" Sachwalter der Demokratie vorgenommen, son- dern g e g e n die P o l i t i k des Landes protestiert. An- gefangen vom Vorwurf gegenüber der öffentlichen Gewalt, dem fa- schistischen Terror gegenüber zu versagen, "Wut über die Ohnmacht, die Unfähigkeit des Staates", über die Feststellung "einer Situation der nationalen Schande", bis zur Verdächtigung des Staates, die faschistischen Gruppen zu t o l e r i e r e n, wenn nicht gar mit ihnen zu k o l l a b o r i e r e n. Nicht die Regierung oder die Par- teien, sondern die Gewerkschaften erließen den Aufruf zu öffent- lichen Kundgebungen und zum Generalstreik, den Millionen befolg- ten, um mit der Verweigerung ihrer Pflichterfüllung ihre Unzu- friedenheit mit der Staatsgewalt zu dokumentieren, die als unfä- hig, korrupt und mit den Faschisten paktierend angegriffen wird. Die Bevölkerung als Trauergemeinde gegen den Staat -------------------------------------------------- Den Politikern wird in Italien also durch aus das Recht bestrit- ten, den Anschlag zur moralischen Legitimation ihrer Gewaltaus- übung zu benutzen, um sich vom Volkszorn den Auftrag zur Fortset- zung ihrer Politik erteilen zu lassen. Im Mißtrauen gegen die of- fizielle Gewalt organisiert sich die Bevölkerung als Trauerge- meinde; das Volk beharrt auf seiner Rechtschaffenheit um Gegen- satz zu den Staatsagenten; und die Mehrzahl der Angehörigen der Bombenopfer weigert sich, am offiziellen Staatstrauerakt teilzu- nehmen: "Die Familien der übrigen 70 bei dem faschistischen Bombenatten- tat getöteten Personen wollten nicht, daß an ihrem Schmerz die Staatsgewalt und die politischen Führer teilnehmen." "Die Toten sagen nein zum Staat." Leider trägt sich die Weigerung, die Toten als Material staatli- cher Propaganda ausschlachten zu lassen, im Namen einer sehr staatsbürgerlichen Kritik vor: "Keine S c h w a c h k ö p f e hinter dem Sarg meiner Schwe- ster!" Die italienischen Bürger nehmen sich die Freiheit, eine schlechte Meinung von ihren Regierenden zu haben und ihnen demgemäß die mo- ralische Beweihräucherung zu versagen - eine schlechte Meinung allerdings, die sich nicht einfach daran bemißt, welche Lebensbe- dingungen ihnen deren Politik beschert; in Italien gibt es den Maßstab einer i n t e g r e n Staatsgewalt, einer, die 'wirklich' auf seiten ihres Volkes stehen müßte und deren Agenten nicht durch Betrug, Korruption und anrüchige politische Machen- schaften ihr Amt m i ß brauchten. Mit dieser schlechten Meinung, die das Volk über sie hat, lassen es sich allerdings die Parteien gut gehen. Nicht erst anläßlich terroristischer Untaten bemerken sie, daß sie die mißtrauische Distanz des Bürgers in ihre öffentliche Berechnung und ihren Um- gang mit der Stimmung im Land einbeziehen müssen. Zwei Varianten der "nationalen Erneuerung" ------------------------------------------ So wird mit den Respektlosigkeiten und dem dauernden öffentlichen Gemosere über unfähige, unwürdige und korrupte Politiker werbe- wirksam kalkuliert, worin die KPI schon seit Jahrzehnten der un- bestrittene Meister ist. Sie beschwört mit einigem Erfolg einen von privatem Mißbrauch gereinigten Gebrauch der Staatsgewalt - eine Idee, die auch Faschisten einzusetzen wissen, wenn sie i h r e n Auftrag zur "nationalen Erneuerung" zum Kampfprogramm innerhalb des demokratischen Spektrums machen. Auch sie verab- scheuen vor allem eines: daß die Ausübung der Regierungsgewalt wechselnden Koalitionen und den jeweiligen Kalkulationen des Par- teienklüngels anvertraut wird und legen dies dem italienischen Staat als S c h w ä c h e aus. Und diese als Schwäche mißver- standene Erledigung aller Staatsnotwendigkeiten - für die Insze- nierung einer ordentlichen Ausbeutung und die Regelung der damit anfallenden Kollisionen tut der italienische Staat wirklich al- les, was in seinen Kräften steht -, beweist sich für die Faschi- sten unwiderleglich in der Betätigung der Kritik am Staat, wie sie die linken Organisationen praktizieren. Daß das kommunistisch regierte, "rote" Bologna, als Ort des Attentats ausgewählt wurde, daß innerhalb der staatlichen Behörden Anhänger der faschisti- schen Politik ihre Komplizen decken und die Strafverfolgung auf linke Gruppen umlenken, ist die faschistische Konsequenz der Kri- tik am 'wehrlosen' Staat, die die Bestrafung der Volksschädlinge in die eigene Hand nimmt. Komplementär zur moralischen Verach- tung, die das Volk den Staatsagenten entgegenbringt, verachten die Faschisten das Volk als würdelose, egoistische Masse, die für ihre eigentliche Berufung als S t a a t s volk nichts taugt. "Gegen eine Welt von Ratten steht ein Volk: von Wölfen", nämlich die Nation, wie sie Faschisten gegen den Parteienschacher und gegen die linke kritische Volksmeinung repräsentieren. Als faschistische Partei im Parlament - der Movimento Sociale Ita- liano (MSI) hat immerhin 5,3% der Stimmen hinter sich -, also als demokratisch anerkannte Alternative zur DC-Herrschaft, und als terroristische Untergrundorganisationen, die privat die "gerechte" Gewalt gegenüber Kommunisten und unbotmäßigem Volk exekutieren, erheben die Faschisten Anspruch auf die Übernahme der Staatsgewalt, die in ihren Augen versagt, weil sie nicht die bedingungslose Zustimmung ihrer Bürger zu aktivieren oder zu er- zwingen versteht. zurück