Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN WAHLEN - Wählen ist verkehrt!
zurück Nach der WahlDEM VOLK WIRD DIE REGIERUNG ERKLÄRT
Wenn der Kanzler seine Regierungserklärung unter das Motto "Mut zur Zukunft" stellt und dann auch noch humorvoll erklärt, wäre er Finanzminister, "wären die Grausamkeiten härter ausgefallen" (Stern), so ist das keine Geschmacklosigkeit, sondern die Gewiß- heit, daß er eine Sorge los ist: Das deutsche Wählervolk, das wie erwartet mit selbstloser Selbst- verständlichkeit bestätigt hat, daß es regiert werden will, braucht nicht mehr umworben zu werden, sondern wird regiert. War vor der Wahl das Thema Staatsverschuldung im Streit mit der Oppo- sition für die Regierung stets Anlaß, auf die Solidität ihres Haushalts und den Nutzen der Verschuldung hinzuweisen, so ist es jetzt an der Zeit, diese Solidität solide zu machen: Die Sanie- rung der Staatskasse ist oberste Aufgabe der Nation. Denn jetzt ist es sehr nützlich, daß bei dem ganzen Herum um die Staatsverschuldung auch wirklich jedem Bürger klargeworden ist, d a ß der Staat verschuldet ist. Kann doch allemal unterstellt werden, daß ein anständiger Bürger die Sorgen des Staates und da- mit den Zustand der Staatskasse zu seinem Anliegen macht, als handle es sich um seinen eigenen Geldbeutel: ES MUSS GESPART WER- DEN! Wofür da gespart werden muß --------------------------- bleibt nicht im Unklaren. Bei aller geheuchelten Anteilnahme für die Opfer des Sparprogramms erkennen die für die Zurichtung der öffentlichen Meinung Zuständigen den "positiven Aspekt der Streichaktion" in der "Rückgewinnung eines bescheidenen H a n d l u n g s s p i e l r a u m s" (Zeit) des Staates. Von Bescheidenheit kann zwar nicht die Rede sein, aber um einen Handlungsspielraum geht es wirklich. Nur wird der nicht zurückge- wonnen, nachdem er verlorengegangen war - der Staat verschafft ihn sich, nicht überhaupt, sondern sehr zweckgebunden. Und das nicht aus dem Grunde, weil "Grenzen sichtbar" geworden wären, der "enge Verteilungsspielraum akzeptiert" werden müsse, wie Matthö- fer, ganz Finanzminister, seine eigentümlichen haushälterischen Prinzipien verkündet. Auch an dem satten Urteil "Die fetten Jahre sind vorbei!" kann es nicht liegen, daß sich die Politiker, die angeblich früher "Spendierhosen" anhatten, jetzt auf Magerpro- gramme einstellen. Warum sind sie denn vorbei, die Jahre, da das Märchen Wirklichkeit gewesen sein soll, der Staat habe sich die Zustimmung seiner Bürger mit Geld erkauft? "Auch der beste Kanzler kann an der Tatsache nicht vorbei, daß nun die Zeit der härteren Verteilungskonflikte begonnen hat, daß der soziale Konsens, der bisher die Bundesrepublik ausgezeichnet hat, nicht mehr mit Geld aus denn wirtschaftlichen Zuwachs gepol- stert werden kann." (Zeit) Etwa weil die Wirtschaft gegen Null wächst und die Leistungsbi- lanz so schlecht steht? Aber wäre es da nicht im Sinne gewohnter sozialliberaler Wirtschaftspolitik angebracht, mittels höherer Staatsverschuldung die Wirtschaft wieder zum besseren Wachsen zu bringen, damit dann die Leistungsbilanz wieder aus dem Defizit herauskommt? Komisch, jetzt soll sogar die geliebte Wirtschaft, deren Krise angedeutet wird, "aus sich selbst gesunden". So viel ist klar: D i e s e "Sachzwänge" sind es alle nicht, weswegen der Staat sich seinen eigenen "Sparzwang" beschließt. Nicht weil weniger Geld reinkommt oder zu erwarten ist, bittet der Staat seine Bürger zur Kasse, sondern weil er m e h r aus- geben will. Diesem Spargrundsatz, der mit Sparen nun partout nichts zu tun hat, kommt der folgende Kommentar schon etwas nä- her: "Die Konkurrenz zwischen innerstaatlichen Ausgaben auf der einen und außen- und sicherheitspolitischen auf der anderen wird schär- fer." (Zeit) Demnach konkurrierte der Staat mit sich selbst. Dabei hat die BRD nur beschlossen, daß sie sich die nächsten Jahre ihren Imperia- lismus etwas mehr kosten lassen muß und die innerstaatlichen Ein- nahmen und Ausgaben entsprechend regeln will. Mag es auch so aus- sehen, als würde die BRD am liebsten nicht den Aufforderungen des großen Bündnispartners nachkommen wollen, sie will es: "Niemand hat Anlaß zu zweifeln, daß die Bundesrepublik Deutsch- land auch in Zukunft ihre Verpflichtungen, die sie übernommen hat, erfüllen wird, das heißt auch ihre Verpflichtungen im Rahmen des langfristigen Verteidigungsprogramms. Und jeder kann sicher sein, daß bei uns die einzusetzenden finanziellen Mittel in der für die gemeinsame Sicherheit effektivsten Form verwendet werden. Die Erhaltung des Friedens, der Freiheit und der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung fordern ihren Preis. Ihn nicht entrichten zu wollen, hieße, die Existenz unserer freien, prosperierenden Gesellschaft in Frage zu stellen." (Außenminister Genscher) In den achtziger Jahren braucht der Staat besagten Spielraum für die H a n d l u n g e n, die er vorhat: "Die Regierungserklärung wird keine Sensationen enthalten, inmit- ten einer Welt voller Aufregung bieten wir Stetigkeit - nach be- stem Vermögen - in der Einsicht, daß wir vielfältig abhängig sind von der äußeren Welt." (Der Kanzler) Es gibt nämlich viel zu tun, wozu ein gesunder Staat und ein an- ständiger innerer Friede vonnöten sind. Nicht von ungefähr ge- stattete der Kanzler seinen Gästen aus Wirtschaft und Gewerk- schaft eine "ausführliche tour d'horizon durch die Krisenherde der Welt", vor allem in Europa und im nahen und mittleren Osten, "die die politische und wirtschaftliche Entwicklung der BRD in der nächsten Zeit stören könnten". Auch ohne daß der Kanzler das Wort K r i e g in den Mund nimmt, steht fest, daß der Frieden gegen den Osten teurer wird. "Der Verteidigungsetat braucht die drei Prozent realen Zuwachs schon wegen der Bundeswehr. Er braucht sie erst recht wegen der allgemeinen sicherheitspolitischen Entwicklung." (Zeit) Ganz zu schweigen von den Millionen Militärhilfe für die Süd- flanke des NATO-Friedens, mit denen die BRD ihren arbeitsteiligen Beitrag zur effektiven Kriegsvorbereitung leistet. Vom Kanzler wird also erwartet, daß er der ökonomischen Kraft der Nation mit militärischer Gewalt gerecht wird, dem Westen zum Ver- trauen seiner Sicherheit, dem Osten zur drohenden Warnung. Weil die achtziger Jahre viel "Aufregungen" enthalten, die andere Formen der Friedenssicherung wahrscheinlich machen, ist damit zu rechnen, daß im Unterschied zum arbeitenden Bürger das Verteidi- gungsbudget sich noch mancher großzügiger Zuwendung erfreuen wird. Das ganze Geheimnis des Sparprogramms ------------------------------------- besteht schließlich darin, daß der Staat dafür sorgt, daß er für seine zukünftigen Aufgaben sich die Mittel beschafft, für die der Bürger aufzukommen hat. Sparen hat also nichts mit irgendwelchen Beschränkungen zu tun, die der Staat sich im Haushaltsplan aufer- legt (etwa die Kasernen abreißen und die Soldaten nach Hause schicken), sondern vielmehr mit Beschränkungen, die er seinen Bürgern diktiert. Wenn die "Bundesregierung unter Sparzwang" steht, dann hat der Bürger zu zahlen, damit der Staat mehr ausge- ben kann. Dies stand auch in den Koalitionsverhandlungen außer Frage. Dort ging es um die rechte Verteilung der Verantwortung, die sich ganz nüchtern an der Höhe des Etats für die einzelnen Ressorts bemißt. Und der Apel - kann sicher sein, daß am falschen Ende garantiert nicht gestrichen wird und er die bestellten Waf- fen auch bezahlen kann. Gestritten wurde um Ausgewogenheit und Gerechtigkeit des Sparpro- gramms, wo Mr. 10% und sein Anhang peinlich darauf achteten, daß ihr Verdienst um die Stärkung der Koalition entsprechend gewür- digt wird. Geeinigt wurde sich darauf, daß "Sonderbelastungen", für Beamte etwa, nicht an der Zeit seien, Streichungen seien der- art vorzunehmen, daß alle getroffen würden. Großzügig wurde daher Schnaps- und Mineralölsteuer angehoben, weil der Staat weiß, daß der Bürger auf solche Dinge schlecht verzichten kann, er also garantiert auf seine Kosten kommt. Zudem ist die baldige Erhöhung der Tabaksteuer nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Staatliche Einnahmen haben es eben an sich, daß man mit ihnen nicht haushalten muß, sondern sie via Haushaltsplan für zu gering erklärt und sie ausdehnt, was den privaten Haushalten einen ge- fälligst sorgfältigeren Umgang mit ihren Einnahmen abverlangt. Durch die Anhebung der Beiträge zur Rentenversicherung verzichtet der Staat getrost auf Zuschüsse zur Rentenkasse, indem er diese von den Bürgern selber zahlen läßt. Und im Streit um die brutto- bezogene Rentenerhöhung läßt die Regierung sich ungeniert den einfachen Beschiß einfallen, die Rentner durch Beteiligung an der Krankenversicherung selbst dafür sorgen zu lassen, daß sich ihre Rente nur mehr nettobezogen erhöht. Da bekommt dann ein SPD-Mann das Problem: "Wenn wir das machen, verfestigen (!) wir unseren Ruf als Renten- betrüger." (linker SPD-Mann Gansel, Stern) Ob Wohnungsbauprämien gekürzt, Sparprämien abgeschafft, Mineral- ölsubventionen in der Landwirtschaft und für den Nahverkehr ge- strichen, Steuerprivilegien für Sparkassen beseitigt oder auch Investitionszuschüsse verringert werden, für den Staatsetat springt überall eine Entlastung heraus. Was aber überhaupt nicht heißt, daß die B e lastung für die jeweiligen Adressaten der "Streichaktion" dieselbe ist. Schließlich gibt es da noch den kleinen Unterschied, ob einem Menschen das Sparen teurer gemacht wird, das er ohnehin schon mit einer Einschränkung seiner laufen- den Lebenshaltung büßt, oder einer Sparkasse, die mittels der Einlagen des erwähnten Menschen Gewinne und anderen Kreditverei- nen erfolgreich Konkurrenz macht und den Entzug ihrer Steuerpri- vilegien auch noch irgendwie aus dem Sparer wieder rausholt. Das Sparprogramm ist also eine ganz einseitige Angelegenheit. Der Staat stellt klar, daß bei den Sachen, auf die er nicht verzich- ten will, nicht gespart werden d a r f, daß dort, wo der Bürger nicht verzichten k a n n, gespart werden m u ß. Und die Gerechtigkeit beim Sparprogramm besteht eben darin, daß jeder Bürger unterschiedlich betroffen ist. Denn für die Unter- schiede in den Mitteln, die den Bürgern zu ihrem Auskommen zur Verfügung stehen, kann der Staat ja nichts - der eine hat eben eine Fabrik, der andere dafür einen starken Arm; der eine hat eine Sparkasse und der andere ein überzogenes Sparkonto bei der- selben. Während also bei einem Unternehmen die steigenden Benzinpreise als Kostensteigerung in der Bilanz auftauchen und von der Steuer absetzbar sind, zahlt der arbeitende Bürger halt seine 1,50 DM oder mehr fürs Benzin und verzichtet an Wochenenden auf die Spritztouren ins Ausland. Der Matthöfer läßt sich dazu noch die Sauerei einfallen, ihn wegen seines "umweltfreundlichen und ener- giebewußten Verhaltens" zu loben. Wer dann meint, er könne sich das teure Benzin sparen, indem er sich in den Nahverkehrsmitteln räkelt, der merkt schnell genug, was es für ihn heißt, wenn die Regierung an der Gasölhilfe für Nahverkehrsmittel dreht. Bei der Sanierung des Haushalts für die "außenpolitischen Heraus- forderungen" kann sich die Regierung der Unterstützung durch die demokratische Presse sicher sein. Die objektiven Meinungsmacher sind sich einig, daß der Sozialstaat seine Grenzen hat und daß es den Richtigen trifft, wenn es um die höhere Sicherheit der Nation geht. Ein "reiches Land" wie die BRD kann es sich zwar leisten, "den Erlaß der Rundfunkgebühren für Gehörlose mit Schmunzeln hin- zunehmen" (Zeit), aber mit dem "Anspruchsdenken" hat jetzt Schluß zu sein. Dieser Appell gilt vor allem dem arbeitenden Teil der Bevölkerung, der der staatlichen Sicherheitspolitik auf keinen Fall mit Lohnforde- rungen in die Quere kommen darf. Das haben die Gewerkschaften schon eingesehen. Vetter stellte klar, was er für seine Basis 'rausholen' will, wenn er erklärt, daß man "der Regierung zugute halten muß, daß die Konjunkturaus- sichten in naher Zukunft nicht gut sind". Ausschließlich bei der Behandlung der Montanmitbestimmung durch die Koalition fallen ihm "so meine Zweifel an der Arbeitnehmernähe der Regierung" ein. Weil ja das Wohl der Arbeiter an der richtigen Lösung der Montan- mitbestimmung hängt, droht der Chef der Gewerkschaft damit, der Regierung "Wind ins Gesicht zu blasen". Die Gewerkschaft spart also mit. Wenn man es so sehen will, bleibt sogar noch ein Trost für alle, die jetzt zur Kasse gebeten werden: Solange das Volk die Zukunftspläne der Regierung noch mit seinem Geld bezahlen darf, braucht es sie noch nicht mit dem Leben zu bezahlen. *** Den Wahlkampf ------------- beendete der Präsident des Deutschen Bundestags Richard Stücklen mit seiner Antrittsrede vor dem Hohen Hause, indem er ganz ein- fach die zentrale Kontroverse durch ein protokollarisches Macht- wort zu einem dummen Mißverständnis erklärte. Es gebe im ganzen Parlament keine Fraktion, die einer fremden Macht diene (das Pro- tokoll verzeichnet hier lebhaften Beifall bei der SPD und freund- liches Händerühren bei der F.D.P.) und es sei ferner jede der im legislativen Geschäft tätigen Parteien nicht nur friedenswillig, sondern auch fähig zum Frieden (dies rief frenetischen Beifall bei den Unionsparteien und höflichen Applaus wiederum bei den Freidemokraten hervor.) Den Wahlkampf 1984 eröffnete Herbert Weh- ner, der traditionsgemäß den ersten Ordnungsruf erhielt, als er Friedrich Zimmermann (CSU) ein aufmunterndes "Herr Verleumder!" zwischenrief. zurück