Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN WAHLEN - Wählen ist verkehrt!


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BECKLEIN ODER SCHÖNSTEIN - WAS SOLL'S?

Welchem von beiden die Nürnberger auf den Oberbürgermeistersessel halfen, war bei Redaktionsschluß noch nicht heraus - es ist uns auch reichlich egal. Denn attraktiv ist der Posten nur für die Männer, die sich darum bewerben: Hochbezahlt, viel Verantwortung, wenig Arbeit - und dazu eine Sorte Arbeit, die andere Leute leicht mit Vergnügen verwechseln könnten: auswärtige Gäste emp- fangen, Freßgelagen beiwohnen, bei Kongressen und Vereinen sal- bungsvolle Phrasen dreschen, Sitzungen vorsitzen, Brücken, Kin- dergärten und U-Bahnlinien einweihen; kurz Wohlstand und Gewicht der Stadt Nürnberg in eigener Person repräsentieren. Den angestrebten Posten erreichen Bewerber nun aber nicht durch die Vorlage guter Zeugnisse oder erwiesener Berufserfahrung, son- dern - das macht die Konkurrenz etwas auffällig - nur durch die Stimme des Nürnberger Wahlvolkes: Wer den Wähler besser betört, wer sich ihm sympathischer, menschlicher darstellt, wer ihm also verlogener und unverschämter kommt, der wird's. Dankenswerter- weise bemühen sie gar nicht die Lüge, einer würde in der Stadt groß etwas anderes machen als der andere. Das erleichtert das Wählen einerseits, denn um den Selbstbetrug, die Wähler könnten sich durchs Wählen etwas ersparen oder einbrocken, brauchen sie sich bei der Oberbürgermeisterwahl gar nicht erst zu bemühen. Sie dürfen sich vielmehr voll auf die Persönlichkeiten konzentrieren, und ihre Menschenkenntnis sprechen lassen. Da freilich - Qual der Wahl - liegen die Stärken der beiden Bewerber. Beide haben ihr Leben untadelig zugebracht und ihren Charakter erfolgreich auf mittelfränkisches Normalmaß gestylt, so daß dem echten Nürnberger einer besser gefallen muß als der andere: brav geheiratet, brav und zahlreich Kinder gemacht, brav studiert und brav die politische Karriereleiter hochgebuckelt und intrigiert. Sogar ihre Visagen sind echt heimatverbunden, den Nürnberger sieht man ihnen richtig an (was wirklich nicht jeder hinkriegt!) so daß die Wahl nur noch zwischen Nürnberg Stadt und Nürnberger Land zu treffen ist. Allerdings müssen sich die Kandidaten auch unterscheiden, weil man sie sonst ja nicht unterscheiden könnte, und unterscheiden braucht's zum Wählen. Also wird im Wahlkampf auch dafür das Nö- tige getan: Der eine "packt's an" - man weiß nicht was, und nicht ob man es nicht vielleicht besser liegenlassen sollte; jedenfalls ist der Mann ein zupackender Typ. Das überzeugt. Der andere läßt sich im gelben Trainingsanzug zusammen mit drei bezahlten Manne- quins fotographieren. Das ist sehr sympathisch! Ja richtig, der eine soll der CSU, der andere der SPD angehören, aber das wäre kaum aufgefallen. Wer natürlich darauf wert legt, kann die beiden daran unterscheiden. Dann ist es nämlich mit den Unterschieden auch schon vorbei und ins Auge fallen wieder die Gemeinsamkeiten: Beide lieben natür- lich, was der gehobene Verantwortungsdepp und Vertrauenswerber unbedingt lieben muß: selbstverständlich den Sport, aber nicht weniger die Kultur (sie lesen sogar Bücher, wie sie im Wahlkampf über sich verbreiten lassen!), den Club. die Bratwürste und vor allem Nürnberg, Nürnberg, Nürnberg. Da heißt es zugreifen und Kreuzchenmalen! Wenn der Nürnberger wählen darf, welcher der beiden Kandidaten nürnbergerischer ist, kann dann ein echter, heimatverbundener Nürnberger beiseite ste- hen: Natürlich nicht. Er wählt sich einen Oberbürgermeister, damit er einen hat, für den er dann ist. Das verbindet. Wozu der Krampf - bei dem man einmal nicht fragen darf, was das wieder kostet - gut sein soll? Fragt uns nicht; ihr geht doch Kreuzchenmachen! Oder doch eine Antwort? Einen OB braucht es einfach. Ohne Ober- bürgermeister wäre Nürnberg nicht auszuhalten. *** Für die zukünftige Elite muß der OB-Wahlkampf natürlich etwas "argumentativer" ausfallen als für die Massen - denn vor allem die Elite glaubt ernsthaft an die Lüge, daß das demokratische Wählen (- die "Herrschaftsbestellung") eine furchtbar vernünftige Sache wäre. Im Unterschied zu der ehrlichen Waschmittelwerbung des sonstigen Wahlkampfs ist der gepflegte Schein von Diskussion und Sachlichkeit auf der Befragung der OB-Kandidaten im Scharrer d o p p e l t absurd. Das beweist ja schon die Trennung von der sonstigen Wahlwerbung: Wo das gemeine Volk mit einem breiten Grinsen, dem Hinweis auf die Kinderschar und den allwöchentlichen Hausmusikabend beglückt wird, (und deren Stimmen zählen auch nicht weniger!) können Inhalte nur eine andere T o u r sein, Stimmen für sich einzuheimsen. Das geht dann so: Die Kandidaten suchen einen Streit um einen Po- sten des Kultushaushalts von ca. 10.000.- DM - so etwas geht die gehobenen Stände an. Der Betrag, der kein Promille des Stadthaus- halts ausmacht, soll geeignet sein, das deutlich zu machen, was anders wird, wenn der jeweils andere drankommt. Es geht um die Förderung von Frauenhaus und ähnlichem. Kandidat Schönlein beschwört den "weltoffenen Geist", der in "Nürnberg weht" und verspricht weiterhin "Liberalität". Beckstein macht sich dagegen natürlich n i c h t für Beschränkung der Bürger und Kleingeisterei stark, da wäre er schön blöd. Wie also sich vom Konkurrenten absetzen: Am besten dadurch, daß man deut- lich macht, daß der andere einen ganz und gar ungeistigen Begriff von Liberalität hat: "Das Gefühl von Freiheit hängt nicht vom Geld ab." Das soll natürlich wiederum n i c h t heißen, daß der Geist selber schauen soll, wo er die finanziellen Mittel für seine Betätigung herbekommt, sondern nur, daß doch a n d e r e Veranstaltungen als das "Lesbenfrühstück" und die Schwulengruppe "Rosa Flieder" einer Bezuschussung wert sind. Schönlein greift die Unterstellung, er habe etwas für Schwule und Lesben übrig, dankbar auf, um sich strengstens dagegen zu verwahren: Die Gelder für besagte Gruppierungen seien keineswegs "Prämien für ihr So- Sein", sondern ein Beitrag zur "Integration von Randgruppen", und hiermit für a l l e nützlich. Auf dem Feld wollte sich dann Kandidat B. auch nicht lumpen lassen: auch er hat ein Herz für "Randgruppen", nur sieht er sie mehr in "Gehörlosen und Behinder- ten" repräsentiert. Auch die Kandidatin der Grünen leistet ihren Beitrag zu diesem Spielchen. Unermüdlich damit befaßt, den Nürnbergern nur Gutes zu tun, machte sie sich für eine Verbesserung des "Zustands der Al- tersheime" gegen den "Neubau des Fußballstadions" stark. Damit wollte sie sicher nichts gegen Lokalpatriaten in Gestalt von Club-Fans gesagt haben, aber da die ja schon von den beiden Kol- legen bestens bedient werden, wäre es ja ausgesprochen sinnlos, ins genau gleiche Horn zu tuten. 'Über den Fans nicht die Alten vergessen', macht sich da doch viel besser. Usw., usf. A l l e wollen sie das unwidersprechlich Gute für alle Bürger dieser guten Stadt, so daß sie einen Unterschied, den es nun mal für eine Wahlentscheidung braucht (auch wenn er nur eingebildet ist), darüber herkriegen, daß sie die jeweiligen Konkurrenten der U n g l a u b w ü r d i g k e i t zu überführen suchen: 'Der an- dere will ja gar nicht Liberalität, Kultur, Integration usw., er tut nur so.' Diesen 'Nachweis' darf man aber nicht so führen, daß man die Vorhaben des Gegners in Grund und Boden verdammt, weil man die schönen Titel ja ganz und gar bestätigen, nur deren A u s f ü h r u n g in Mißkredit bringen will. Da es sich eh nicht entscheiden läßt, ob es "liberaler" ist, Vereine mehr zu fördern als Kulturläden, und umgekehrt, setzt man genau wie bei den Hochglanzbroschüren für alle Haushalte auf den p e r s ö n l i c h e n E i n d r u c k, den man beim Adressa- ten hinterläßt. Nur eben etwas umständlicher, die Gebildeten in diesem Lande mögen das Umständliche. zurück