Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN WAHLEN - Wählen ist verkehrt!
zurück MAZ Berufsschule aktuell, 03.07.1980 Die Marxistische gruppe veranstaltet am Donnerstag, den 3.7. um 18:00 im Konsul-Hackfeldhaus eine Diskussionsveranstaltung zum Thema:STRAUSS ODER SCHMIDT,
auf der weniger erörtert werden soll, w e n man denn nun zu wählen hat, sondern Die Qualität dieser demokratischen Alternative für die Bundes- tagswahl 80 1 Daß es sich bei den beiden feinen Herren, die im Zentrum des gan- zen Wahlspektakels stehen, um eine demokratische Alternative be- sonderer Art handelt, zeigt eine Blitzumfrage der MAZ zur Bundes- tagswahl, die völlig überraschende Ergebnisse und ein unvorherge- sehenes Ende brachte. 1. FRAGE: Von wem wurden Sie Steuererhöhungen eher akzeptieren, von Strauß oder von Schmidt? ANTWORTEN: a) Natürlich von Schmidt, da weiß ich wenigstens, wofür ich Steu- ern zahle! b) Natürlich von Strauß, da weiß ich wenigstens, wofür das Geld ausgegeben wird! c) Ist mir egal. 2. FRAGE: Wen könnten Sie sich bei einem Einsatz der NATO am besten im Brüsseler Krisenstab neben Carter vorstellen, Strauß oder Schmidt? ANTWORTEN: a) Eigentlich eher Schmidt, weil der sich nicht einschüchtern läßt. b) Eigentlich eher Strauß, weil der sich von niemandem was sagen läßt. c) Weiß nicht. 3. FRAGE: Warum wollen Sie eigentlich überhaupt wählen gehen, wenn Sie sich von den zur Wahl stehenden Figuren doch nur Steuererhöhungen, Weltkrisen und ähnliches erwarten? Antworten haben wir nicht mehr erhalten, wenigstens nicht auf Fragen, die wir gestellt haben. Nett ist das nicht, denn bekannt- lich gehören die Meinungsumfragen zur Wahl wie die Mütze zum Hel- mut. 2 Allerdings gestehen wir ein, daß die Fragen nicht ganz fair wa- ren. Erstens: wann hätte es das schon jemals gegeben, daß sich irgendjemand die Erfüllung irgendeines seiner Wünsche von seinem Wahlkreuz erwartete! Und daß in Sachen Friedens- und Sicherheits- politik nicht die eigene Angst ausschlaggebend ist, ergibt sich schon allein aus der Wahl: schließlich geht es in ihr um die Ent- scheidung f ü r einen der Typen, die mit ihren langjährigen friedlichen Rüstungsbeschlüssen und sonstigen, die Gegensätze zwischen den Staaten allmählich zur Reife bringenden Taten es in diesem Wahljahr so weit gebracht haben, die Sicherung des Frie- dens für nötig zu erklären. Zweitens: solche Fragen sind über- haupt nicht auf der Höhe der Zeit! Die nächsten Steuererhöhungen, die staatliche Ankurbelung der Benzin-, Strom- und Gaspreise und der Entwertung der Einkommenssumme, die auf dem Lohnstreifen steht, spielen in diesem Wahljahr eine ganz andere Rolle. Sich damit zu profitieren, wer die lieben Wähler am wenigsten zu schröpfen gedenke, ist bei den Herren Politikern aus der Mode ge- kommen. In der diesjährigen Wahl geht's umgekehrt: Weit davon entfernt, den Machthabern Sorgen um die Gefolgschaft ihrer Unter- tanen zu machen, verfolgt das Wahlvolk vor der Glotze, wie der Schmidt bzw. der Strauß nur darauf warten, daß sich irgendein Punkt im Wahlprogramm des Konkurrenten als "Wahlversprechen" an die Bürger auslegen läßt. Das gilt nämlich heutzutage als 'unsolide', 'unseriös' oder als Schwäche im Führungsstil des je- weiligen Typen. Womit alles gesagt ist über die Führungseigen- schaften, die heutzutage und hierzulande gewünscht sind: Dem de- mokratischen Politiker fließen nirgendwo Achtung und Sympathie der von ihm regierten Leute so hemmungslos zu, wie wenn er d e m o n s t r a t i v als M a c h t h a b e r auftritt also vollständig losgelöst von jedem wirklichen materiellen Interesse, das ein Normaluntertan überhaupt so hat. Schon mal drüber nachgedacht, wie man es zu einer solch satten Leistung bringt? 3 Überhaupt ist das Spannendste an diesem Wahlkampf, wie die beiden Obertypen sich so i n S z e n e setzen. Daß beide sowieso das- selbe wollen, ist eine wunderbare Voraussetzung für jeden Streit, der jetzt Woche für Woche ausgefochten wird. Dem Streit über die Moskaureise von Schmidt merkt man doch nichts deutlicher an als den Ärger der Christdemokraten darüber, daß es nicht der Strauß ist, der reist. Man kann also so richtig aufeinander einschlagen, ohne daß irgendjemand auf den Gedanken kommt, Strauß würde sofort nach dem Wahlsieg die Mineralölsteuer abschaffen oder Schmidt aus der NATO austreten, Strauß wurde in der DDR einmarschieren oder Schmidt den Honecker zur Hilfe holen. Eis ist doch umgekehrt. Ge- rade weil sich beide Herren nichts sehnlicher wünschen, als über 60 Mio Menschen Macht auszuüben, kommt es ihnen nur auf eines an: Sie wollen beide den Beweis antreten, daß sie realistischer ge- genüber dem äußeren Feind, rücksichtsloser gegenüber dem inneren, konsequenter gegenüber etwaige Ansprüche der Bürger und nach- drücklicher gegenüber unseren westlichen Freunden als der jeweils andere auftreten können. Wohlgemerkt: Wer die Feinde und Freunde im Inneren und nach außen sind, darüber herrscht augenblickliches Einvernehmen zwischen den Kontrahenten. 4 Da sich der deutsche Bürger, was die eigenen Sorgen betrifft, vornehm zurückhält, ja sogar auf die Frage verzichtet, was e r eigentlich mit Moskaureise, Rekrutenvereidigung und EG-Beiträgen p r a k t i s c h zu tun hat - er finanziert sie mit seiner ge- horsamen täglichen Arbeit und steht für andere Ernstfälle auch bereit -, kann sich der Wahlkampf auch voll und ganz auf die Selbstdarstellung der Typen konzentrieren: Welche Person - Schmidt oder Strauß - bringt mit ihren Eigenschaften wohl am besten die weltpolitische Wichtigkeit deutscher Macht zur Geltung? Diejenigen, die ohnehin nur als das M i t t e l dieser Macht eingesetzt werden, setzen sich zur Beurteilung dieser Wahlkampffrage vor der Farbglotze zurecht und schauen sich an, welchen Eindruck der Schmidt bzw. Strauß macht, wenn der Herr Nowottny seine abgesprochenen Fragen stellt. Der E i n d r u c k ist wichtig, denn für das, was die beiden Typen erzählen, interessiert sich ohnehin niemand. Dafür zählen aber die Schweißtropfen auf Strauß' Stirn, der Schnupftabak von Schmidt, das arrogante Lächeln von Schmidt oder das grimmige Poltern von Strauß... und was der weiteren Charakteristika der beiden sind, die inzwischen in jeder Zeitung begutachtet werden. Und dann geht es los, dann stellt der Bürger die Frage, ob er lieber einen schwitzenden oder schnupfenden Politiker über sich verfügen lassen will, ob er lieber von einem grimmigen oder einem lächelnden Souverän im internationalen Krisenmanagement verplant werden will. Natürlich fragt so niemand. Aber das ist ja gerade der Wahnsinn, daß der Bürger seine Regenten beurteilt, als hätte er selbst die Macht in der Hand. 5 Die Q u a l i t ä t der d e m o k r a t i s c h e n A l t e r n a t i v e Schmidt oder Strauß, die in dieser Wahl dem Wahlvolk geboten wird, hängt also recht eng mit der Qualität des W a h l v o l k s selbst zusammen. Deswegen wird über es selbst, seine Gründe, zur Wahl zu gehen, und seine Stellung zur Politik einiges zu sagen sein. Dabei meinen wir nicht, daß man über die Frage "Wen soll man eigentlich wählen?" oder "Hat es ei- gentlich einen Sinn, zur Wahl zu gehen?" nicht mehr reden soll. Aber vielleicht enthält die Kritik der W a h l a l t e r n a t i v e n zugleich die Antwort auf die Frage nach dem "S i n n" der Wahl, nach dem "kleineren Übel"... Nur eine Frage wird sicher nicht extra beantwortet werden, näm- lich die Frage, warum sich die MARXISTISCHE GRUPPE nicht zu den Wahlalternativen unter 1% gesellt. zurück