Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN WAHLEN - Wählen ist verkehrt!


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       Die freie Presse kommentiert die Saarwahl
       

WER HAT DAS STIMMVIEH IM GRIFF?

Journalisten sind die berufenen Deuter der Politik. Was Politiker in Gang bringen, zur Wahl stellen oder auch nicht, das interpre- tieren und kommentieren sie der Öffentlichkeit vor. Dabei sind sie stolz auf die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer selbstbewuß- ten Meinungsmache. Das Eigenartige ist nur, daß sie in aller vielgepriesenen Pluralität immer nur die Gesichtspunkte an einem politischen Ereignis wälzen, die Politiker vorgeben, so daß die Kommentarseiten im deutschen Blätterwald ein Echo auf die in den Nachrichtenseiten zitierten Politikersprüche sind. Offenbar ist der Standpunkt derselbe: Von oben herab wird das Volk und sein Funktionieren begutachtet. Das Saarland wählt Lafontaine - ------------------------------- Journalisten gratulieren ihm zu seinem Format. ---------------------------------------------- Daß in Wahlen nichts als die Auswahl zwischen Politikerfiguren zur Abstimmung ansteht, deren Karriere mit jeder gewonnenen Wahl nach oben weist, erklärte die SPD an der Saar gleich zum Wahl- thema Nummer 1. Lafontaine seine Stimme zu geben, damit er aufs höchste Amt nach Bonn starten könne, das durfte der Wähler als Inbegriff seiner lokalpatriotischen Pflicht als Saarländer be- greifen, wenn er dem SPD-Slogan "Das Saarland gewinnt" nachkam. Auch Journalisten machen sich darüber keine Illusionen, daß es in der Saarwahl um irgend etwas anderes als den Erfolg Oskar Lafon- taines gegangen wäre, und dennoch kommt in ihnen nicht der leise- ste Verdacht eines Zweifels an solchem Zirkus auf. Kein Zeitungs- fritze fragt mal nach, warum ein "mündiger Bürger" sich dafür hergeben soll, ein Kreuz auf einen Stimmzettel zu malen, nur um über die Ermächtigung einer Politikerfigur ihr den Karrieresprung in die "große Politik" zu ermöglichen. Gerade umgekehrt läuft sein angepaßtes Denken: Wenn es in der Wahl um die Kanzler- kandidatur geht und Lafontaine sie so grandios besteht, dann muß er auch das Format zum Kanzlerkandidaten haben, schlußfolgert z. B. ein der SPD nahestehender Geist. Prompt wird er in Oskars Cha- rakter fündig und schwärmt von dessen "Fähigkeit zu polarisieren und zu integrieren, seinen Herausfor- derer-Qualitäten, die mit einer eminenten Begabung zusammengehen, sich auf politische Situationen einzustellen und sie nutzbar zu machen." (Süddeutsche Zeitung, 29.1.) Ein solcher Mann wird also sehr zurecht Kandidat für den Kanzlerposten dieser Republik, für deutsche Markenpolitik wäre mit ihm gesorgt, und darum sorgt sich schließlich ein Politjournalist. Der Kollege mit geistiger Affi- nität zur CDU hingegen will Lafontaine die Fähigkeiten bestrei- ten, die auch er mit seinem Erfolg für bewiesen hielte, wenn der nur erstens nicht so klein wie das Saargebiet wäre und zweitens ihm gehörte: "Sollte Lafontaine die Begeisterung der Mehrheit unter den kaum mehr als 800.000 Wählern eher seiner Person zuschreiben als der Leistung seines Saarbrücker Kabinetts - an Selbstbewußtsein man- gelt es ihm nicht -, dann könnte die ganze deutsche Politik eine unerwartete Wendung nehmen." (FAZ, 29.1.) Wie das? Hat etwa Helmut Kohl seine Wahlsiege dadurch errungen, daß er - ganz ohne Selbstbewußtsein - hinter die Leistungen sei- nes Kabinetts zurücktrat? Oder will der kluge Kopf von der "FAZ" nur sagen, daß er im Falle Lafontaines den demokratischen Schluß vom Wahlerfolg auf das Format des Kandidaten für falsch und einen plumpen Bauerntrick hält, weil er der falschen Seite nützt? Daß es in den Wahlen um nichts als die Macht geht und daß der Er- folg bei diesem Geschäft den adelt, der ihn hat, bereitet Journa- listen kein Kopfzerbrechen, sondern ist Leitfaden ihres Denkens. Aber einfach nur hinzuschreiben, daß man selbst für den Sieg der einen oder anderen Partei ist, wenn man schon seine schriftstel- lerische Tätigkeit keinen Augenblick lang ohne ihre sichere Einordnung in die parteipolitische Landschaft auszuüben vermag, das finden diese Schreiberlinge unter ihrer Würde. Haarscharf dieselbe Botschaft im Gewande einer hintergründigen Beleuchtung der Saarwahl daherzubringen, die nichts als die ideelle Beteili- gung an der Karriere der Erfolgreichen ist, darein steckt jeder seiner journalistische Ehre und sein intellektuelles Niveau. Das einfältige Prinzip des demokratischen Meinungspluralismus: Journalisten zerbrechen sich den Kopf der Politiker, die um die Macht konkurrieren. Ob mit dem Landtag gleich ein Stückchen Bundestag mitgewählt wurde, ist beliebtes Thema jeder Bonner Runde und wird je nach Erfolg bejaht oder verneint. Ohne Distanz zu solcher parteipoli- tischen Propaganda sehen auch Leitartikelschreiber darin die spannenste Frage bei einer Wahl, die sie je nachdem, mit welchem Wahlverein sie geistig sympathisieren, entscheiden. Für SPD-Lieb- haber war die Wahl an der Saar "Vorwahl für den Bundestag mehr denn je", auch wenn sich "Schlüsse für die Bundestagswahl daraus kaum ziehen" lassen (SZ), für CDU-Freunde hingegen "unterliegen Bundestagswahlen ganz anderen Gesetzen", aber "psychologisch be- deutet der Sieg von Lafontaine viel, zumal die SPD auch in der DDR beachtliche Resonanz findet. Diese Doppelwirkung könnte Kohl das Leben schwer machen." (Die Welt, 29. 1.) Was wollen sie jetzt eigentlich sagen? Eine Prognose für die Bundestagswahl möchte keiner wagen, aber über die Bedeutsamkeit der Wirkung dieser Wahl auf die Wahl des Jahres schwadronieren, das wollen sie schon. De- ren Ausgang soll mit dem Wahlergebnis an der Saar irgendwie präjudiziert sein oder eben nicht. Hausieren geht auch solche In- terpretation nur mit einem "Argument": Der Erfolg gilt als bester Grund für weiteren Erfolg. Die absolute Mehrheit der SPD an der Saar ist doch das schlagendste Argument, sie auch in die Bundes- regierung zu wählen, denkt ein SPD-Freund, während der eher kon- servativ orientierte Kollege, der solchen Opportunismus teilt, im Mißerfolg eines Töpfer kein Argument gegen die Bundes-CDU erblic- ken will, weswegen er das Votum an der Saar als provinzielle Be- sonderheit "saartümelnder" Wähler abtut. Die Frage der "Testwahl" entspringt dem Ideal der Parteien, der eine Urnengang möge eine irgendwie zwingende Wirkung auf andere Urnengänge haben, der sich der Wähler in aller Freiheit nicht verschließen könne. Der wird dabei einzig und allein als bodenlos dummer Stimmenlieferant ge- dacht, für den der schiere Erfolg einer Partei in der einen Wahl ein untrüglicher Leitfaden bei seiner nächsten Stimmabgabe ist; der nichts und niemanden mehr prüft, weil er kein anderes Güte- siegel für Politik mehr kennt als den Erfolg ihrer Macher. Journalisten halten solche Klarstellungen über Wahl und Wähler, und wozu beide gut sind, keineswegs für eine Zumutung für jeden halbwegs klaren Verstand. Daß es bei jeder Stimmabgabe um nichts anderes zu gehen hat als darum, w e r die Deutschlandpolitik machen darf, der sich der Wähler mit und nach Abgabe seiner Stimme bedingungslos zu unterwerfen hat, daß die ganze vielge- priesene "demokratische Reife" nur darin besteht, den Erfolg der Macht für ihr bestes Argument zu halten: Das begreifen journali- stische Geistesgrößen nicht als vernichtende Kritik an derlei Einrichtungen. Sie teilen den Standpunkt der Nutznießer dieser Einrichtungen. Obwohl selbst keine politische Partei, bringen sie es einfach nicht fertig, anders als bloß p a r t e i l i c h z u d e n k e n. Freie Journalisten brauchen also keine "Schere im Kopf". Sie brauchen im Gegenteil die Parteilichkeit für die Macht als Quelle für alle ihre Einfälle. Auf die sind sie dann so stolz, als hät- ten sie die ganze Welt der Politik gerade frisch erfunden. Das macht den freien Meinungspluralismus jeder staatlich verordneten Jubelpropaganda so total überlegen. zurück