Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN SPD - Von den noch besseren Deutschen


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 70, 07.02.1983
       
       Willy Brandt in Bremen
       

DIE SPD KLAGT IHR RECHT AUF DIE MACHT EIN

Freitag vergangener Woche im Gustav-Heinemann-Haus: Die SPD hat zu einer "Arbeitnehmerkonferenz" geladen. Das Parteivolk ist vollzählig angetreten, um dem angereisten Arbeitnehmerführer ste- hend Ovationen zu bringen. Deutschlandfähnchen keine. Der schwarz-rot-goldene Lappen mit den SPD-Initialien beherrscht oh- nehin das Bild. Kein Reichsparteitag also, sondern eine ganz nor- male Jubelfeier einer Partei für D e u t s c h l a n d - und sonst nichts! Warum die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zur Führung Deutschlands berufen ist, begründet Brandt durch sieben Argumente für die Ermächtigung der SPD am 6. März -------------------------------------------------------- 1. Wir müssen die deutsche Wirtschaft gegen internationale Wett- bewerbsverzerrungen stärken. Das ist kein Nationalismus, das liegt im Interesse der Arbeitnehmer! Wenn deutscher Profit für notleidend erklärt wird, rechtfertigt das jede den Arbeitern auferlegte Not. Gegen japanische Werften und belgische Hochöfen wird auf dem Vulkan und bei Klöckner ra- tionalisiert: überflüssig gemachte Fresser, gekürzte Löhne und viel deutsche Wertarbeit - das macht "unsere" Wirtschaft gegen Japaner und andere Verbrecher stark. Und "das liegt im Interesse der Arbeitnehmer"? Doch nur dann, wenn ihnen der Bundesadler nä- her steht als ihr Kühlschrank. Opfer sollen sich deshalb l o h n e n, weil sie für D e u t s c h l a n d sind? Das kann der Arbeiter von Japan genausogut haben. 2. Die SPD ist gerecht. Sie gibt den Produktivitätsfortschritt als Arbeitszeitverkürzung an die Arbeitnehmer weiter. So bilden deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine große Soli- dargemeinschaft. Die Arbeiter schaffen für den "Produktivitäts- fortschritt" und dürfen dafür den Preis tragen: 2,5 Millionen haben schon jetzt ganz viel Freizeit, von wegen der "Arbeits- zeitverkürzung". Nun sitzen sie auf Stingl-Diät. Aber die SPD hält, was sie verspricht: Ersatz für gestrichenes G e l d hat sie ja nicht zugesagt. Im Gegenteil! Arbeit gilt als Privileg, das seinen Preis hat. 'Arbeit für alle' bei vollem Lohnverzicht und einer Stimme für die SPD, und die Welt ist in Ordnung. 3. Die SPD orientiert sich nicht wie die CDU an falschen Beispie- len. Bilder aus den USA, wo arme Leute nach einer Suppe Schlange stehen, sollen aus der BRD nicht in alle Welt gehen! Suppenschlangen gibt es tatsächlich nicht. Das ist also der Maß- stab, den ein sozialdemokratischer Politiker dafür angibt, was als Armut beurteilt werden darf: jeder, der nicht kurz vorm Ver- hungern steht, gilt ab sofort als von unserem Sozialstaat ausrei- chend versorgt. So gesehen, sind die Suppenschlangen in den USA eine sehr nützliche Sache: für einen deutschen Politiker, um die Stimmen von Leuten zu fangen, deren Verarmung beschlossene Sache ist. Daß Bilder deutscher Armut nicht in alle Welt gehen, wird den an- gekarrten armen Schlucker aus dem "Martinshof" sicher einleuch- ten, mit denen die SPD die ersten Stuhlreihen im Zuhörerraum fül- len ließ. Die Kameras von Radio Bremen waren eben nicht auf sie, sondern auf den Mann gerichtet, der mit ihnen Stimmen fängt. 4. Die SPD hat aus Proletariern selbstbewußte Staatsbürger ge- macht! Hat sich für die "selbstbewußten Staatsbürger" der proletarische Arbeitsalltag bei Daimler dadurch geändert, das Arbeitslosengeld verdoppelt, Mieten und Steuern halbiert? Natürlich nicht! Brandt lobt die Proletarier dafür, daß sie aus den auch ihm bekannten Gründen für Unzufriedenheit keinen Einwand gegen ihre Urheber ma- chen. Im Gegenteil! Im Namen und für den deutschen Staat ertragen sie als Bürger willig, was sie als Proletarier müssen. Diese A n n e h m l i c h k e i t für die Ausübung der Macht soll ein guter Grund für die Betroffenen sein, der SPD die Ermächtigung am 6. März per Stimmzettel zu schenken?! 5. Die SPD hat noch nie einen Krieg gemacht! Das stimmt! 1914 hatte ein Kaiser das Oberkommando, so daß nur noch die Zustimmung zur Kriegs f i n a n z i e r u n g für die SPD ging. 1939 wieder Pech gehabt: ein brauner Anstreicher drän- gelt sich vor, um die "Schmach von Versailles" zu sühnen, an der auch nach SPD-Lesart das deutsche Volk am meisten zu knacken hatte. 1983 stehen die Chancen gut: außer der CDU keine Konkur- renz um die Führung der Nation auch "in schweren Zeiten"! 6. Wir vertreten unser nationales Interesse. Der Doppelbeschluß hat die Großmächte an den Verhandlungstisch gebracht. Der Andro- pow-Vorschlag gesteht ein, daß die Russen zuviel Raketen aufge- stellt haben. Jetzt signalisieren sie Beweglichkeit. Die SPD hat das "nationale Interesse" so stark gemacht, daß die "Friedenssicherung" eine immer wichtigere Sache wird. Zuerst hat sie durch ihren Kanzler Schmidt die Raketenlücke entdecken las- sen. "Gleichgewicht des Schreckens" in den Achtziger Jahren heißt: nicht bloß von amerikanischem Boden, auch von deutschem Boden muß eine tödliche Bedrohung der SU ausgehen. Je mehr sol- cher Gleichgewichte die NATO-Überlegenheit perfekt machen, umso unverschämter und unerschrockener verlangt der Westen die Ver- schrottung des russischen Militärs. Und je nachgiebiger sich die Russen zeigen, desto heftiger werden sie moralisch ins Unrecht gesetzt. Kaum läßt Andropow sich darauf ein, russische Raketen nicht gegen amerikanische, sondern europäische Raketen wie die von England und Frankreich aufzurechnen, um 150 d a r a n ge- messen überzählige Brummer zur Verschrottung anzubieten, stellt Brandt empört fest: die Russen geben selbst zu, was wir immer be- hauptet haben. Sie sind überlegen! So werden die Russen Stück um Stück mit Raketen zugestellt und weiter in die Knie gezwungen. Für die Bewährung dieses "nationalen Interesses" darf es an einem nicht fehlen: an der Kriegsbereitschaft des Menschenmaterials von lauter "selbst- bewußten Staatsbürgern". Sie zu erzeugen und zu pflegen, besorgt die Politik gleich mit. Z.B. so: 7. 650 Mrd. Dollar für die Rüstung haben einen vergiftenden Ein- fluß auf die Weltwirtschaft. Dadurch fehlt das Geld für neue Ar- beitsplätze. Das soll man denken: Erstens muß sie sein, die Rüstung - wegen der Russen. Zweitens sind also die Arbeitslosen ganz unvermeidlich - wegen der Russen. Drittens kommt es gerade deshalb sehr darauf an, daß die rich- tigen Politiker darüber entscheiden, w i e v i e l Rüstung unbedingt sein muß, um den Feind niederzumachen. Das ist das Wahlkampfangebot der SPD: daß sie keine Rakete aufstellen wird" die nicht wirklich n ö t i g ist gegen den gemeinsamen Feind. 30 Jahre lang galten deutsche Wehrmacht und das NATO-Bündnis als d i e Bedingung für freie Marktwirtschaft in der ganzen Welt. Nichts durfte dafür zu teuer sein, dem Aufmucken fremder Nationen gegen ihre Schädigung durch die Erfolge von deutscher Mark und Dollar ein passendes Argument entgegenzusetzen - von Afrika bis Polen. Seit Adenauer selig gelten die Russen als sehr prinzipielle Störung dieser "Weltwirtschaftsordnung". Sie wollten die Freiheit des Westens, also auch seine Sorte kapitalistischer Wirtschaft nicht. Als Hauptfeind des Westens hat dieser sie daher im Visier und alle Anstrengungen unternommen, sich für die Endlösung dieses Problems zu rüsten. Seitdem die deutsche Wirtschaft nur noch einen Auftrag hat, nämlich kräftige Gewinne für die Bedienung des Staats- und Rüstungshaushalts zu machen, sind mit den hohen Zinsen für Staatsanleihen und Kredite nicht nur die Rationalisierungsprojekte und Pleiten, sondern damit auch die Arbeitslosenzahlen in die Höhe gefangen. Schön zu wissen, daß diese F o l g e n aus der erfolgreichen Bewerkstelligung des e i g e n e n Beschlusses 'Russen totrüsten!' heute dem anvisierten Feind als Urheber in die Schuhe geschoben werden. Dann weiß wenigstens auch das einfache Volk, warum die Politik sich in seinem Namen den richtigen Feind ausgesucht hat. Das gab's schon einmal, nur hießen die Arbeitsplätze 1933 "Lebensraum", den die Russen dem deutschen Volk auf Beschluß des Führers "gestohlen" hatten! zurück