Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN SPD - Von den noch besseren Deutschen
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VOGEL-SCHAU
Unser dtv-Lexikon definiert P e r s o n e n k u l t als
"übertriebene Verehrung, die einer Einzelperson im politischen
Leben entgegengebracht wird", und belehrt uns zugleich darüber,
daß dieser "Ausdruck" aus dem "kommunistischen Sprachgebrauch"
komme, der ihn auch nötig habe: Stalin und Konsorten. Nun flat-
terte uns letzte Woche eine bunte Broschüre des SPD-Parteivor-
stands in den Briefkasten, auf der en Titelseite Hans-Jochen Vo-
gel in Farbe dynamisch hinter seiner Brille hervorgrinst, und
drunter steht: "Deutschland braucht wieder einen Bundeskanzler,
der es packt." Das Heftchen, so man es auspackt, erweist sich als
Fotoroman mit Vogels Porträt in unterschiedlichen Lebenslagen,
insgesamt 20 auf 24 Seiten verteilt, aufgelockert durch zwei
großformatige Frontalansichten der Gesichter von Brandt und
Schmidt. Personenkult im Sinne des XX. Parteitags der KPDSU ist
das nicht mehr: Hier wird dem p o l i t i s c h e n L e b e n
in der Biographie einer Person schrankenlose Verehrung entgegen-
gebracht!
Und so sieht er aus, seit die SPD der Auffassung ist, es mit ihm
zu packen: "In seiner Mischung aus Pflichtgefühl und Fröhlich-
keit" hat er sich nicht einmal an jenem "Märztag 1945" davor ge-
drückt, "nördlich von Bologna einen Berg zurückzuerobern". Und
dennoch kann er "so fröhlich lachen, wenn er wieder einmal die
erste Maß beim Oktoberfest ohne Spritzer aus dem Bantzen gekriegt
hat". Dabei schuftet er "für die Gemeinschaft" und das, "wenn es
sein muß, auch 16 Stunden am Tag". Außer einem "kleinen Bauern-
haus in Niederbayern", sommers "in Südtirol" und winters in
"Bischofsreuth durch die Loipen" verlangt er "von niemandem, was
wir nicht selbst zu tun bereit sind". Dieser Mann "stemmt sich
gegen die Ellenbogengesellschaft". Und das aus persönlicher Er-
fahrung: "In der SPD bat er heftig gestritten, aber auch ebenso
nachhaltig versöhnt". So - einmal so, ein andermal so - hat er
immer "Verantwortung getragen", wo's eine aufzuheben gab, und
sich "dessen würdig erwiesen". Der Mann hat auch ein Programm.
"Typische" Bürger im Großformat fragen ihn, und er, nach der Me-
thode "Zuhören. Denken. Handeln", antwortet in wechselnden Posen,
die in der Tat den passenden Charakter zum Charakter der Antwor-
ten bebildern: "Ich schaffe mich kaputt... ?" - "Dazu gehört ein
neues Arbeitsgesetz!". "Unser Land vollgestopft mit Waffen...?" -
"Werde mit aller Kraft zu Verhandlungen drängen!" - Eine Frage
allerdings treibt selbst Vogel dazu, erstmal die Brille abzuneh-
men, ehe er antwortet: "Wenn es jetzt mit der Verkabelung noch
mehr Fernsehen gibt, hängen die Kinder nur noch vor der Glotze."
- "Ich bin für neue Medien, aber ich glaube, unsere Familien und
unsere Kinder brauchen im Grunde eher weniger als mehr Fernse-
hen." Dann haben auch sie nur noch eins zum Anglotzen: Den
"Kanzler des Vertrauens", DIN A 2 in Agfacolor. Damit man als
Bürger einen Menschen zum Regieren ermächtigt, der so für sich
wirbt - der Kohl bekommt von seinen C-Gruppen demnächst genau den
gleichen Prospekt gebastelt! -, muß man schon blitzschnell um ein
paar Ecken herumdenken: einerseits diese Sorte Propaganda nicht
richtig ernst nehmen - sich erinnern, daß es in der Politik na-
türlich um ganz andere Sachen geht als um einen moralischen
Schönheitswettbewerb - sich aber nicht an die Geld- und Gewaltsa-
chen erinnern, um die es wirklich geht in der Politik - stattdes-
sen sich einbilden, die wirkliche Politik wäre eine fraglos not-
wendige und prinzipiell vernünftige Angelegenheit, für die es
viel bessere Argumente gäbe als die, mit denen Politiker sich an
ihr Volk wenden - von diesem vorgestellten inhaltslosen Ideal von
Politik her wieder Verständnis für die Selbstdarstellung der Po-
litiker entwickeln nach dem Motto: 'Dem Volk (zu dem man selbst
dann gerade nie gehört!) muß man ja wohl so kommen!' - von diesem
Standpunkt aus dann doch G e s c h m a c k s u r t e i l e über
die Selbstdarstellung der Politiker für sehr angemessene
"Argumente" zur Wahl halten - also doch die Figuren der Herr-
scherszene beurteilen, als ob eine moralische Schönheitskonkur-
renz zur Entscheidung stünde. Das macht den selbstbewußten Unter-
tanen aus.
Lebten wir in einer normalen Welt mit lauter normalen Leuten, so
wäre dem SPD-Vorstand mit - dieser seiner Vogel-Show die Volks-
verarschung für teures Geld daneben gegangen. Da dem aber nicht
so ist, wir in einer Demokratie leben mit lauter stinknormalen
Demokraten, wird hier niemand mit so 'was verarscht, sondern
D e u t s c h l a n d kriegt eventuell am 6. März haargenau den
Bundeskanzler, den e s braucht. Es sei denn, der amtierende
packt's - unser alter Vertrauen....
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