Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN SPD - Von den noch besseren Deutschen
zurück Bremer Hochschulzeitung Nr. 9, 13.12.1979 SPD-ParteitagEIN MEISTERSTÜCK POLITISCHER WILLENSBILDUNG
ging dieser Tage mit großem Tam Tam im freien Teil Berlins über die Bühne: der SPD-Parteitag. Und es ist schon seltsam: obwohl jederman schon lange weiß, daß die SPD-Spitze f ü r den Einsatz von Atomenergie und f ü r "Nachrüstung" der NATO ist und die Delegierten als Mitglieder der Regierungspartei dazu ihr Placet geben, hat es die SPD und auch die Presse für nötig befunden, aus dieser f e s t s t e h e n d e n Entscheidung ein Riesenspekta- kel, ein hartes Ringen um "die Sicherheit für die 80-er Jahre" zu machen. 1. Theaterdonner und Vorgeschichte ---------------------------------- Herbert Wehner übernahm wie immer die Aufgabe, "die lieben Genos- sinnen und Genossen" schon im Vorfeld des Parteitages zu vergat- tern: "wenn ihr nicht begreift, was auf dem Spiel steht, dann seid ihr arme Würstchen." Nun, was steht denn wohl "auf dem Spiel" für die SPD? Die Erhal- tung der Regierungsgewalt für die eigene Partei natürlich; weil genau dieser Zweck aber nicht nur für die Obermacher, sondern auch für die Unterchargen d i e Bedingung ihrer politischen Ziele ist, die keiner missen möchte, fand jedes Unterausschußmit- glied sich durch Onkel Herberts Gebrüll an seinen eigenen Grund- satz erinnert, daß alles "programmatische Vordenken der Partei" seine praktische Grenze am Willen zur Regierung hat, dem die Par- tei loyal folgt "Da duckten sich alle, das war ein ungeheures Donnerwetter" (SPIEGEL), mit dem Herbert Wehner angedeutet hat, daß er den "Willen der Ba- sis" gar nicht brechen mußte - wie es manch linker Beobachter der SPD-Szene gerne interpretiert -, er brauchte lediglich noch ein- mal an deren S e l b s t b e w u ß t s e i n d e r M a c h t zu appellieren, um auch dem letzten, an der Regierungslinie zwei- felnden SPD-ler klarzumachen, daß seine Bedenken eben vielleicht noch ein R ä s o n n e m e n t über das Spannungsfeld zwischen Partei und Regierung" (SPD-Linker Hugo Brandt) nach sich ziehen können - d a r i n ist die SPD völlig offen -, aber kein mehrheitsschädigendes Votum auf dem Parteitag. Helmut Schmidt, "den die Partei nie lieben können wird" (Hugo Brandt) was es aber in einer demokratischen Partei auch gar nicht braucht, da sie ihm als Verkörperung des Besitzes der Staatsmacht und des Parteiansehens bedingungslose Gefolgschaft leistet, schlug "leisere Töne" an, schließlich hat ja "Einpeitscher" Weh- ner schon gebrüllt. Der SPIEGEL drechselt daraus gleich ein neues Kanzlerbild: "Da erlebten die Genossen einen ganz neuen Schmidt: nachdenklich, verständnisheischend, kompromißbereit und nicht mehr nur der Bon- ner Oberlehrer." Daran labt sich die schröcklich unterjochte SPD-Seele: an einem Kanzler, dem die Partei und die Bevölkerung den Rücken frei hält für alle Notwendigkeiten der Herrschaft, der sich dafür mit dem Gestus einer verständniswerbenden, grüblerischen Runzelstirn be- dankt. What a man! Ist die SPD nicht eine tolle Partei, bringt den Macher zum Nachdenken? Der STERN glaubt letztlich doch ein Image-Problem konstatieren zu müssen: "Nicht mehr Bewegung, sondern Stillstand kennzeichnen die Sozial- demokraten des Jahres 1979. Nicht mehr programmatische Kraft, sondern die Sorge um den Machterhalt. Die SPD hat sich von einer Reformpartei zum Kanzlerwahlverein gewandelt." Das spricht jedem SPD-Idealisten und Idealisten über die SPD aus dem Herzen, aber es stimmt eben nicht: wo ist denn der "Stillstand" einer Politik, die seit 10 Jahren die Zeichen der Zeit setzt, daß z.B. billiger Atomstrom für die Wirtschaft rück- sichtslos gegen die Sicherheit der Bevölkerung sein muß, daß Ent- spannung eine Politik der Stärke ist, daß "mehr Lebensqualität Lohn- und Rentensenkung und Arbeitslosigkeit einschließt, etc. - das alles hat die SPD "bewegt", ohne dabei ihr Programm zu "verraten", und hat d a m i t ihre Macht erhalten. Den Gegenbe- weis zur "Kanzlerwahlverein" These trat die SPD auf ihrer 1,2 Millionen DM Show" (AZ) an: 2. Sachgerechte Atom- und ------------------------- Rüstungskanzlerdiskussionsentscheidungen ---------------------------------------- Nachdem künstliche Spannung in solch einer Partei voller Disku- tierlust, Veränderungsbegehren und Leidenschaft zur Kritik" (SZ) also absichtsvoll inszeniert wird, indem die SPD sich so auf- führt, als gälten ihre Parteitagsreden gerade n i c h t einzig und allein der wahltaktischen Feier i h r e s Kanzlers Helmut Schmidt ("Willy Brandt erwähnte in seiner zweistündigen Rede den Namen Schmidt nicht häufiger als nötig, ca. 6 mal", SZ), "sonder" der "Programmmatik für die drängenden Probleme des nächsten unru- higen Jahrzehnts, die nur die SPD zu lösen vermag", deshalb waren die ersten Tage dieser gedämpften Jubelveranstaltung logischer- weise dem Aufbau des Höhepunktes gewidmet. Wehner schrie: "Kinder, paßt auf" und Schmidt hielt seine "große programmatische Rede" vor "Delegierten, die es leid sind, als Kanzlerknappen agieren zu müssen" (SZ); bei solch kritisch-muffi- gem Publikum erzielte er einen verblüffenden Erfolg, den niemand einfühlsamer zu schildern vermag als einer, der aus lauter Faszi- nation vor dem Geist der Macht dem Macher mindestens unters Jac- kett kriecht: "Die Rede wird bedächtig vorgetragen, fast dozierend, Schmidt wi- dersteht der Verlockung zu falscher Pose. Trotzdem bleibt keine Passage ohne inhaltliche Spannung. Jedem im Saal teilt sich zwin- gend mit, daß der Kanzler diesmal nicht um Beifall buhlt und nicht um bequeme Gefolgschaft bittet: Schmidt tritt in Berlin als ein Kämpfer auf, der gewinnen will und der, dabei von seinen Zu- hörern verlangt, sich mit ihm zu identifizieren. Überzeugende Zu- versicht geht dabei von ihm aus, im Saal sammelt sich vibrierende Erregung. Sie wird dann Ende tosend wie bei Jagdbeginn, wenn der Jäger die Hunde auf die Spur des Wildes setzt." (Kempski, SZ) Damit war dem "Dürsten der Genossen nach politischen Inhalten und Perspektiven" (SPIEGEL) Genüge getan und der "große Kanzler" (ebd.) konnte gelassen zu "lebhafter Diskussion" aufrufen - mit hämischem Wink zur CDU/CSU: "Diskussion ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Aber nach der Diskussion kommt die Entscheidung. Und Entscheidun- gen dürfen nicht doppeldeutig sein." Und dann kamen die "Sachthemen", ein heftiger Streit entbrannte. Gleich zweimal setzt Schmidt "seine Elbseglermütze aufs Spiel." (BILD am Sonntag). - Soll man die "Energieversorgungslücke der nächsten 15 Jahre trotz des Vorrangs der Kohle" mit AKWs "schließen", wobei die "Sicherheit" dieser unbeherrschten Technik selbstverständlich "vor der Wirtschaftlichkeit kommt." Oder soll man den (offenbar äußerst idyllischen) Kohlebergwerken alleine den Zuschlag geben und dazu verstärktem Energiesparen des Otto Normalverbraucher (= jetzt das Licht in der guten Stube abdrehen und die Heizung, damit später nicht das Lebenslicht der Wirtschaft verlischt und die Hochöfen) wie es die SPD-Linken wol- len. Eine Alternative die der SPD würdig ist: Per Abstimmung wurde be- schlossen, daß die AKWS, die "wir" brauchen, sicher sind. - Soll man dem "Doppelbeschluß" der NATO zustimmen, zur "Herstellung des nuklearen Gleichgewichts" neue Mittelstreckenra- keten in Europa zu stationieren und gleichzeitig der UdSSR Ver- handlungen anzubieten - dies ist "N a c h rüstung" und nicht Aufrüstung, wie Verteidungsminister Apel glaubhaft versicherte: "Wer dreht denn immerzu an der Rüstungsspirale? Wir oder die So- wjetunion? Das ist doch kein Aufrüstungsbeschluß!" - um seiner ökonomischen Stärke auch noch militärischen Nachdruck für vorteilhafte Verhandlungen zu verleihen. Oder soll man auf das I d e a l der "Friedenspolitik der Ära Brandt" setzen (wie es der Exjuso K. Voigt will), e r s t Abrü- stungsverhandlungen führen und d a n n, wenn sie scheitern, einen "berechtigten" Aufrüstungbeschluß durchsetzen. Eine spannende Entscheidung, die dann auch ganz sozialdemokra- tisch getroffen wurde: den Bedenken wird Rechnung getragen, ent- sprechend den sicheren AKWs werden entspannungsdienliche Raketen angschafft. 3. Ein ausgewogenes Finale -------------------------- o kam es, wie es kommen mußte: Nach stundenlang "kontrovers ge- führten Diskussionen" fielen trotz "heftiger Bedenken" des linken Parteiflügels die eindeutigen Entscheidungen zugunsten der Mütze Helmut Schmidts. Eine doppelt schöne politische Willensbildung war mal wieder ge- lungen: 1. Die Interessen der Bürger blieben in richtiger Einschätzung der Tatsache vor der Tür, daß Rentenkürzung, Gesundheit, Steuern etc. keine Wahlkampfrenner sind, sondern mehr denn je Deutschland zur Wahl steht. Dem aufrichtig an Deutschland interessierten Bür- ger wurde eine einheitliche, starke Partei mit einem ordentlichen Helmut am Steuer vorgezeigt. 2. Die fünftägige Diskussion und das Abwägen der Leitanträge des Parteivorstandes signalisieren zudem die Offenheit der SPD für die Position des grünen Bevölkerungsteils, sofern sie - und das sollte ihnen hiermit möglich sein - SPD wählen. Auf diese Weise - und noch mit dem Gegenkandidaten Buhmann Strauß: "Umweltzerstörer von rechtsaußen. Eiferer ohne Glauben, Missionar ohne Mission, das Anti schlechthin" (Brandt) - ist die weitere Unterstützung der SPD auch und gerade durch die kriti- schen Art, für deren Bekenntnis der Allround Intellektuelle Wal- ter Jens stellvertretend ein geistiges Glanzlicht des Parteitages setzte. "Wir müssen der FDGO wieder den Geist einer Verfassung geben, de- ren Qualität sich nach dem Engagement der Bürger bemißt. Das ist dann unser Staat!" zurück