Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN SPD - Von den noch besseren Deutschen
zurück Des Deutschlandpolitikers Last ist des Sozialdemagogen Lust:WIEVIEL ÜBERSIEDLER VERTRÄGT DIE WIEDERVEREINIGUNG?
Oskar Lafontaine, voraussichtlicher Kanzlerkandidat der SPD, hat sich kürzlich wieder mit einem öffentlichkeitswirksamen nationa- len Schlager ins Gespräch gebracht. Er hat Bundeskanzler Kohl vorgeworfen, "durch sein Verhalten DDR-Rentner zur Übersiedlung in die Bundes- republik zu ermuntern und damit den Unmut zahlreicher Bundesbür- ger über zu großzügige Sozialleistungen für Zuwanderer zu verstärken. Vom Fremdrentengesetz und anderen Regelungen gingen massive Anreize zum Verlassen der DDR aus, und Kohl sehe dieser Entwicklung tatenlos zu. Damit trage er die Verantwortung dafür, daß die Arbeitslosigkeit und die Wohnungsnot in der Bundes- republik zunehme und es in der DDR zu immer mehr Schwierigkeiten komme." (Süddeutsche Zeitung vom 12.1.90) Das wiederum hat Lafontaine den Vorwurf von Seiten der Politchri- sten eingebracht, er sei "eine Art Schönhuber der SPD". "Der SPD-Politiker argumentiere auf Stammtisch-Niveau und schüre in populistischer Weise den Sozialneid unter den Bundesbürgern." (SZ) In ihrem Stimmenneid schießt die Union hier natürlich zielstrebig am Witz des Lafontaine-Vorstoßes vorbei. Selbstverständlich be- herrscht auch der SPD-Reservekanzler die urdemokratische Masche, sich für politische Vorhaben und Absichten auf den nationalen Un- terscheidungswahn und Gerechtigkeitsfanatismus der Leute zu be- ziehen. Was der Union z.B. in ihrer Ausländer- und Asylanten- politik recht ist - nämlich die Berufung auf das gesunde Volks- empfinden, das sich jeden persönlichen Schaden als Ergebnis einer unverdienten Bevorzugung anderer, namentlich volksfremder Ele- mente zurechtlügt und deren Beschränkung als sein höchstes Recht einfordert -, genau das ist dem SPD-Mann bei den DDR-Aussiedlern nur billig. Zum Büttel und Erfüllungsgehilfen dieses Volks- empfindens macht er sich deshalb allerdings noch lange nicht - genauso wenig übrigens wie das die Unionschristen tun. Genau um- gekehrt: Lafontaine benutzt es, weil es ihm in seinen politischen Kram paßt. D a n a c h entscheidet sich nämlich in einer or- dentlichen Demokratie, ob das Gerechtigkeitsgenöle von unten als "verständlicher Unmut" zur Begründung längst feststehender staat- licher Maßnahmen zitiert oder ob es als "Sozialneid" zurück- gewiesen wird. Im Falle des Lafontaine-Vorstoßes heißt die Sache, um die es geht: Paßt die Bonner Aussiedlerpolitik noch in die jetzige gesamtdeutsche Wiedervereinigungslandschaft? Und die Re- aktionen in der Presse und vor allem bei den anderen Parteien be- weisen, wie sehr er damit wieder einmal ins Schwarze getroffen hat. Vom bundesdeutschen Standpunkt aus ist die Bonner Aussiedlerpoli- tik nämlich tatsächlich eine durchaus zweischneidige Sache. Und zwar nicht wegen der sozialen Unkosten, die sie hierzulande be- reitet. Die würde auch ein Lafontaine den werten Bundesbürgern locker zumuten, wenn der nationale Nutzen zweifelsfrei fest- stünde. Aber genau da liegt der Haken. Denn zwar ist einerseits das Angebot der BRD an "unsere Brüder und Schwestern in der DDR", hierzulande nicht als Ausländer, son- dern als echte Volksgenossen behandelt und sogar mit ein paar ma- teriellen Extras ausgestattet zu werden, das Mittel gewesen, um der DDR-Regierung ihr Staatsvolk abspenstig zu machen und sie darüber in politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen. Und dieser von hier aus zielstrebig hergestellte "schlimme Sachzwang, daß noch immer täglich rund 1.000 DDR-Bürger in die Bundesrepublik kommen" (Bundeskanzler Kohl), leistet auch jetzt noch seine guten Dienste - als ehrenwerter Berufungstitel für Bonner Einmischung ebenso wie als handfestes Erpressungsin- strument. Andererseits aber sind sich alle Bonner Parteien darin einig, daß die "Wiedervereinigung nicht in der BRD", sondern mit der DDR stattzufinden hat. Das Übersiedeln von DDRlern ist eben etwas ganz anderes als die Übernahme der DDR. Und die bewußte Herbeiführung eines Aderlasses im anderen deutschen Staat sollte diesen gefügig, nicht aber als lohnend annektierbares Gebilde ka- puttmachen. Deshalb muß Kanzler Kohl noch nicht einmal heucheln, wenn er die "Landsleute drüben" mahnt: "Bitte bleibt in der DDR." Die Anreize für eine Massenflucht werden tatsächlich in dem Maße nicht bloß überflüssig, sondern in jeder Hinsicht hinderlich, in dem sich die DDR-Führung bundesdeutschen Mitsprache- und Wie- dervereinigungsansprüchen gegenüber immer mehr als aufgeschlossen erweist. Wie überflüssig diese Anreize schon bzw. wie nötig sie als Druckmittel - jedenfalls bis zu den Wahlen in der DDR - noch sind, das sind die Fragen, die die Bonner Parteien im Gefolge des Lafontaine-Vorstoßes derzeit unter sich ausmachen. Ja - und wenn man es dann noch versteht, diese Drangsale der Bon- ner Wiedervereinigungspolitik der Menschheit als tiefe Sorge um das bundesdeutsche Sozialsystem und den sozialen Frieden, um Ar- beitslosigkeit und Wohnungsnot zu verkaufen, dann kann man damit sogar noch ein paar Wählerstimmen abfischen. So schön ist Demokratie. zurück