Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN PRAESIDENT - Vom Amt des Bürgerkönigs
zurück Weizsäcker auf dem evangelischen KirchentagAUF EINER WOGE NATIONALER BEGEISTERUNG
Daß Kirche und Staat getrennt marschieren, um desto effizienter vereint zuschlagen zu können, haben sie zuletzt wieder einmal am 21. Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf bewiesen. Der Kirchentagspräsident Huber "appelliert an die Politiker: Mit den Christen rechnen, aber (?) auch auf sie zählen!" Und siehe da, die Politiker, die mit diesen Christen gerechnet hatten, wa- ren natürlich längst da, zählten auf ihre jubelnde Unterstützung und landeten so mit dem Redebeitrag des Bundespräsidenten einen eindrucksvollen nationalen Schlag. "Klare Worte des Bundespräsidenten: 'Die deutsche Frage ist so- lange offen, wie das Brandenburger Tor zu ist.' Beim Thema Ein- heit, das ein gesamteuropäisches sei, gehe es nicht darum, Gren- zen zu verschieben, 'sondern Grenzen den trennenden Charakter für die Menschen zu nehmen'. Stehend feiern 11.000 Menschen in der Halle 9 den Bundespräsidenten (und noch einmal 8.000 haben ihm über Lautsprecher draußen zugehört) und singen anschließend 'Halleluja', und Richard von Weizsäcker singt mit, während er seine Rede-Zettel zusammenpackt, um sich dann in den Chor einzu- reihen. Er wirkt erleichtert." (Süddeutsche Zeitung, 10.6.) Kein Wunder nach dieser gelungenen Inszenierung, wie gut es sei, daß es Deutsche gibt, die über alle bestehenden Systemgrenzen hinweg eine europäische Friedensordnung anpeilen. Die bestehende verdient demnach den Namen nicht, solange nicht auch jenseits der Elbe gemeinsam mit dem westdeutschen Bundespräsidenten gesungen und getanzt werden kann. Kosmopolitisch für die "Wertordnung" der "westlichen Demokratien" zuständig zu sein, ist ein schönes (nationales) Gefühl, "mit dem wir selbst und mit dem die Welt gern und in Frieden leben können" sollen - am besten also, wenn sich bei "unseren näheren und ferneren Nachbarn im Osten" die Einsicht durchsetzt, daß sie ohne Krieg auf ihr Gesellschaftssy- stem verzichten. Mit solch dumm dreisten Sprüchen aus der antikommunistischen Ki- ste trägt sich deutsches Verantwortungsbewußtsein seit der Adenauer-Zeit vor. Nur werden keine Kerzen mehr für die Brüder und Schwestern in der Zone ins Fenster gestellt, sondern der An- spruch auf Revision der Kriegsergebnisse reicht bis zu den "ferneren Nachbarn". Der Bundespräsident läßt seit seiner Verei- digung im letzten Jahr keinen Gedenktag aus, diesen nationalen Rechtstitel zu pflegen und gegenüber dem Rest der Welt als Ange- legenheit "deutscher Identität" zu betonen. So etwas gilt hierzu- lande als überaus seriöses Anliegen: Richard von Weizsäcker wird von Regierung und Opposition, von Gewerkschaften, Kirchen und sonstigen Vereinen zu seinen "befreienden Worten" gratuliert, an denen sich künftige deutsche Politik messen lassen müsse. Dieser Mann verkörpert wie kein anderer vor ihm das mit sich selbst ins reine gekommene, das g u t e deutsche Nationalbewußtsein. Er ist der g u t e D e u t s c h e, was die gar nicht gleichge- schaltete Presse zu dem einhelligen Jubelruf inspiriert: "Die Menschen, die nicht nur auf dem Kirchentag nach Moral und Glaubwürdigkeit fragen, glauben ihm. Dieser Präsident wird offen- bar längst nicht mehr als ein Politiker gesehen, und seine Par- teizugehörigekeit spielt keine Rolle mehr." Weizsäcker ist eine nationale Kultfigur, die, wo immer sie auf- tritt, Parteiungen vergessen machen soll und höchste nationale Verehrung fordert. Ein denkwürdiger Fortschritt: Seine Herren Amtsvorgänger waren Präsidenten, bei denen irgendein Verdienst um die Bundesrepublik Deutschland Respekt erheischen sollte - Heuss stand a l s M o r a l i s t für das gute Deutschland nach in- nen, Scheel a l s D i p l o m a t für das gute Deutschland nach außen usw. Ganz anders Richard von Weizsäcker: Er ist als er selber das allerbeste Deutschland, das es nach dem Krieg je gab. In einer Republik, die "wieder wer" ist, kommt sein Nationalismus ganz schlicht daher: Eher nebenbei hat dieser Mensch ein förmli- ches agitatorisches Anliegen, in der Hauptsache ist er eine "Persönlichkeit", die einfach überzeugt. Ihre nationalen Attri- bute treten als menschliche auf: "Lauterkeit", "Ehrlichkeit", "Offenheit" usw. Die Nation gratuliert sich in Richard von Weiz- säcker zu sich selber: Er ist mit seinem Fleisch und Blut ihre Glaubwürdigkeit. So präsentiert sich der edle Mann auch in der Öffentlichkeit zur allgemeinen Bewunderung als eine über jeden Zweifel erhabene Ge- stalt, die einem aus der Seele spricht. Wenn der Präsident z.B. über die "geopolitische Mittellage" der Deutschen in Ost und West schwadroniert, so kann man getrost nicken. Im übrigen ist es zwar ein ebenso alter wie furchtbarer, aber auch ein sehr wohltuender Gedanke, daß "wir" einfach deswegen, weil wir in der geographi- schen Mitte Europas w o h n e n, zur Mobilisierung "blocküber- windender Kräfte" und zur politischen Neugestaltung Europas b e r u f e n sind. Den Übergang vom einen zum anderen hat der intelligente Dr. Weizsäcker in das ansprechende Bild von "uns" als Weltkind in der Mitten verpackt. Da mag es manchem leichter fallen, sich kindisch darüber zu freuen, an so exponierter und weltpolitisch bedeutsamer Stelle zu wirken! Die Versammelten sind ihrem Obereinseifer in der Tat dankbar für diese gedankliche Krücke und jubeln ihm zu, guten Gewissens Deut- sche sein zu dürfen. Damit sind sie es dann auch und stehen ein für das weltbewegende Programm, das ihnen ihr menschlicher deut- scher Führer soeben aufgemacht hat. Seine anmaßende "Frage", die keine ist - wie halten "wir" es denn mit der Nation, bitteschön? -, haben sie akzeptiert und damit gut genug verstanden. Der Hurra-Patriotismus hochgeistiger Prägung mobilisiert eben in al- ler demokratischen Form den bescheuerten Stolz auf das Gemeinwe- sen, dem "wir " dienen dürfen. Für diese Anmache ist ein Freiherr im Präsidialamt gerade recht, der ohne Genuschel ein paar Sätze druckreifes Deutsch von sich geben kann, in denen er seinem Volk der Dichter und Denker im Pluralis majestatis "die Wurzeln un- seres geistigen und sozialen Lebens" näherbringt: "So schön Teneriffa ist und so wichtig das Silicon-Valley für un- sere Entwicklung auch sein mag, der Neubau der Semper-Oper in Dresden und das Lebens der christlichen Gemeinden in der DDR be- rühren auch uns zutiefst. (Beifall)" ( Antrittsrede) Wer's glauben mag. zurück