Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN PRAESIDENT - Vom Amt des Bürgerkönigs
zurück Bundespräsident Carstens über die Aufgabe des Geschichtsunter- richts:DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND ÜBER ALLES!
Bundespräsident Carstens hat anläßlich der Preisverleihung im Schülerwettbewerb Geschichte ("Alltag im Nationalsozialismus") bekanntgegeben, was bei der Behandlung von Hitler-Deutschland im Geschichtsunterricht herauszukommen hat. Als oberstes Lernziel hat er, konkret und sehr gegenwartsbezogen, formuliert: "Unsere Jugend wird den Wert unseres freiheitlichen Staates nur dann erkennen, wenn sie die deutsche Geschichte kennt. Dann wird sie die Chance freier Selbstverwirklichung begreifen und vertei- digen können." Carstens will die Bedeutung des Geschichtsunterrichts unterstrei- chen - wie üblich bei solchen Anlässen - und tut dies, indem er ihn dafür lobt, daß nur derjenige, der die deutsche Geschichte kennengelernt hat, seinen Staat richtig würdigen können soll. Ein in zweierlei Hinsicht merkwürdiges Kompliment: 1. Ist es nicht seltsam, daß man die Vorzüge eines Staates ausge- rechnet in dessen Vergangenheit auffinden soll? - Wobei darin noch die Lüge steckt, irgendwelche historischen Ereignisse, die auf (im weitesten Sinne) deutschem Territorium stattgefunden ha- ben, zur Vorgeschichte des heutigen Staates zu erklären, so als wäre Karl der Große ein Vorläufer von Helmut Kohl. Und hält Car- stens deutsche Schüler wirklich für so doof, daß man ihnen nur eine Paulskirche, einen Friedrich Barbarossa und einen Goethe servieren müßte und schon schreien alle 'Hurra der BRD'? 2. Spricht es nicht eigentlich umgekehrt gegen die Führer der BRD, wenn sie sich auf eine Geschichte berufen, in der es kein Jahrhundert ohne zwei bis drei Kriege gibt, die die jeweiligen Herrschaften unter rücksichtsloser Benutzung ihrer jeweiligen Un- tertanen geführt haben? Wenn Carstens so tut, als seien Betrach- ten der deutschen Geschichte und Schätzenlernen der BRD als Gip- fel deutscher Selbstverwirklichung logisch aufeinanderfolgende Schritte, dann u n t e r s t e l l t er einen Standpunkt deut- schen Nationalbewußtseins, von dem aus dann die Betrachtung der 'National'-Geschichte passiert. Nur Fragestellungen wie 'Wie stand denn unser Staat früher da? War Deutschland nicht schon im- mer etwas historisch Großes? Oder wenigstens in Ansätzen oder als Kulturnation?' erbringen dann ganz automatisch die 'Erkenntnis', daß die BRD angesichts von vergangener Glorie, aber auch Mängel, der beste je dagewesene deutsche Staat, die Demokratie die beste Staatsform etc. sein muß. Und mit dieser Einsicht ausgestattet, soll man dann doch wohl un- seren freiheitlichen Staat "verteidigen können" (Ganz nebenbei wird so klar, daß mit "Chance freier Selbstverwirklichung" wirk- lich nicht die Freizeitpläne deutscher Schüler gemeint sind, die wohl kaum gleich Verteidigung für sich beanspruchen.). Während Carstens also mit der Lüge hausieren geht, daß ein nur richtig verstandener Geschichtsunterricht einen geradezu nach einem Ein- tritt in die Bundeswehr verlangen läßt, ist es in Wirklichkeit ganz anders: ausgerechnet auf den Geschichtsunterricht verläßt sich der Staat wirklich nicht beim Bestücken der Bundeswehr, son- dern ganz und gar auf seine Gewalt (Einberufungs b e f e h l!). Dazu paßt dann allerdings die geistige Mobilmachung im Klassen- zimmer (Stichwort Wehrbereitschaft), weswegen der deutschen Ju- gend im Geschichtsunterricht entsprechende 'Einsichten' in die deutsche Nationalgeschichte verpaßt werden. Zum Nationalsozialis- mus beispielsweise folgende: 1. Der Nationalsozialismus war eine "totalitäre, verbrecherische Diktatur" und zettelte einen "furchtbaren, zerstörerischen Krieg" an. Das sagt ein Bundespräsident, der noch jedem Diktator die Hand drückt, wenn er nur mit dem Westen verbündet ist, und der noch jeden Krieg als Verteidigung nationaler Ehre und Wiederherstel- lung von Frieden in der Region gutheißt, wenn er nur erfolgreich von den Richtigen gegen die Richtigen geführt wird, Daß also Hit- ler verurteilt wird; bloß weil er eine Diktatur eingerichtet und einen Weltkrieg geführt hat, kann nicht sein. Was die "nationalistische Zwangsherrschaft" mit zum "Schreckgeschichte geschah", ist offenbar etwas ganz anderes als die schlichte Ab- scheu vor ihren Greueltaten: schließlich werden weder die Türkei noch der Völkermord der Israelis an den Palästinensern zum "Schrecklichsten in der Menschheitsgeschichte" gezählt, noch ver- hindern diese Greueltaten herzlichste Beziehungen zwischen den hier und dort befehlenden Figuren. Die moralische Verurteilung solcher Mittel - über die übrigens immer nur ein S t a a t und damit ein S t a a t s mann verfügt (auch das könnte einem zu denken geben, wenn die P e r s o n Hitlers als Inkarnation des Bösen thematisiert wird!) -, die sonst noch allemal durch den Zweck geheiligt werden, Ruhe und Ordnung in einem Land oder gleich einer ganzen Region zu schaffen, entspringt hier einzig und allein der historischen Gewißheit, daß der Zweck erfolglos geblieben ist, der Krieg von Hitler verloren wurde und damit dann auch seine Machtbasis im Innern flöten ging. Am Maßstab e r f o l g r e i c h e r deutscher Nationalgeschichte gemessen sieht die nationalsozialistische Herrschaft so trübe aus, was Carstens zu der besorgten Mahnung veranlaßt: 2. "Wenn ein junger Mensch zur Überzeugung kommt, daß in der Ge- schichte seines Landes alles, oder doch fast alles schlimm und böse war, so wird er dazu gebracht werden, sein Land zu verach- ten, er wird es nicht mehr für wert halten, es zu beschützen." Daß man als Schüler Hitler als schlimm, böse und menschheitsge- schichtlichen Abschuß darstellen können muß, darf also umgekehrt nicht zu irgendwelchen Zweifeln an der - gerade im Vergleich zu dieser dunklen Vergangenheit - hell erstrahlenden Gegenwart der BRD führen. Immerhin umspannt "die deutsche Geschichte mehr als ein Jahrtausend, gleich ob man sie mit Karl dem Großen oder mit Heinrich I. beginnen läßt. Die nationalsozialistische Herrschaft, die sich eine ähnliche Zeit- spanne gesetzt hatte, war nach zwölf Jahren beendet." Ja, wenn man sich das vor Augen führt: tausend Jahre deutsche Ge- schichten, die "mit ihrem Gewicht in den richtigen Proportionen ins Blickfeld gestellt" werden müssen, als "Gebot der histori- schen Gerechtigkeit" natürlich, und dagegen mickrige zwölf Jahre sozusagen "un"deutscher Geschichte! Fragt sich zwar, was an den Greueltaten der Nazizeit weniger schrecklich sein soll, wenn man gleichzeitig berücksichtigt, daß Heinrich I. ein toller deutscher Kaiser war und irgendwann der Dom in Köln erbaut wurde?! Was Carstens bewegt, ist eben die gezielte Absicht, das Staatswe- sen, dem er als Präsident und Galeonsfigur dient, jenseits der weltweiten politischen und ökonomischen Wucht, die es in 38 Jah- ren Nachkriegszeit ergattert hat (mancher Deutscher und Nicht- Deutscher muß das büßen), mit einer furchtbar beeindruckenden hi- storisch-moralischen Berechtigung zu schmücken,: 988 ruhmreiche Jahre und nur 12 (vernachlässigbare) weniger ehrenwerte Jahre hat es auf dem Buckel. Und da wäre doch "nichts schädlicher, als wenn die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zu der Überzeugung führte, daß die ganze deutsche Geschichte auf diese Herrschaft hinausgelaufen und daß sie ihr logisches Ergebnis gewesen wäre" - wo doch einzig die BRD die "Selbstverwirklichung" deutscher Ge- schichte und damit ihr logisches Ergebnis ist! Daß diese Drei- stigkeit zieht, daß die BRD Hitler heute tatsächlich als Ausrut- scher ihrer sonst so stolzen Geschichte verhandeln kann, geht nur deswegen, weil sie h e u t e in der Konkurrenz der Staaten - ökonomisch potent, militärisch bis an die Zähne bewaffnet und mit den richtigen Nationen verbündet - ausnehmend gut dasteht. Nur als ein solcher Staat kann man dann, ohne lächerlich zu wirken wie etwa die Türkei oder Ägypten, die mit ihrer Vergangenheit höchstens 'angeben' wollen, auf seine Geschichte verweisen und sie als ein einziges Argument dafür vorstellig machen, daß "unserem freiheitlichen Gemeinwesen", das sich gerade anschickt, gegen Restbestände von Unfreiheit und Zwangsherrschaft auf der Welt anzutreten, "Dauer und Sicherheit" zu verleihen sei. 3. Und dafür kann man von Hitler dann auch wieder einiges lernen. Während allerdings unter seiner Herrschaft das gute deutsche Volk "Mut, Opferbereitschaft, Hilfsbereitschiaft" angeblich nur gegen den Staat ausüben konnte - als hätte Hitler sein Staatsprogramm Arbeit und Krieg ausgerechnet mit lauter Egoisten durchziehen können und wären nicht umgekehrt "Mut Opferbereitschaft" der Volksgenossen gerade staatlich verlangte Tugenden gewesen - be- steht "Verantwortung des Einzelnen" heute also darin, diese Tu- genden, "die wir bewundern und achten" gegen allen Egoismus f ü r d e n S t a a t einzusetzen. Damit sollte dieser schöne Staat BRD doch tatsächlich in der Lage sein, die deutsche Nationalgeschichte erfolgreich fortzuführen! Alle Zitate aus: Rede des Bundespräsidenten beim Schülerwettbe- werb Deutsche Geschichte am 20.1O.83 in Berlin. zurück