Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN PARTEIEN - Vom Beruf des Politikers


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       Politischer Streit in einer sozialfriedlichen Republik
       

HIER MECKERT NUR EINER

- und das ist die Regierung selbst, in Gestalt ihres gewichtigen Mitmachers F.J. Strauß. Von niemandem sonst wird die Regierungs- mannschaft so schlechtgemacht wie von diesem Koalitionspartner, der sie im Amt hält. Niemand sonst bereitet ihr solche politi- schen Schwierigkeiten - als gäbe es nicht haufenweise weit bes- sere Gründe zu Unzufriedenheit und Opposition als die, an denen Bayerns Politchristen sich ärgern. Aber soll das vielleicht Kritik oder gar Opposition sein, wenn die Stahlarbeiter- und die Bergleutegewerkschaft im Ruhrgebiet sich den Minister Blüm einladen, um ihn dann auszupfeifen?! Das weiß der ausgepfiffene Minister selbst schon richtig zu nehmen - und zwar viel lockerer als das CSU-Schimpfe über seine Chile- Reise. Er grinst zusammen mit IG-Metall-Chef Steinkühler hinter- her in die Fernsehkameras; er streichelt eine mitgebrachte "Bergmannskuh" (= Ziege); und die Meinungsforscher rechnen ihm eine hemmungslos wachsende Popularität aus. Dabei hat Blüm über- haupt nichts weiter versprochen als ein paar Millionen aus ir- gendeinem Sozialversicherungstopf, um die längst feststehenden Massenentlassungen in Zechen und Stahlwerken "sozial abzufedern" - ein paar Tausender für den Abmarsch in den unbezahlten "Ruhestand". Aber mehr braucht man braven deutschen "Arbeit- nehmern", die zur Ausmusterung anzutreten haben, offenbar nicht zu bieten. Die kritisieren nämlich nicht das Geschäft, dem sie mal mit viel Leistung für einen Lohn, der dauernd fürs Le- bensnotwendige draufgeht, zu dienen haben - und dem sie dann wie- der am meisten dadurch nützen, daß sie sich ohne Arbeit und ohne Lohn durchwursteln. Mannhafte deutsche Arbeiter b e d a u e r n allenfalls sich selbst, wenn es mal wieder zu spät ist und nach dem Arbeitsdienst das Opfer einer Arbeitslosen-Existenz gefordert ist. Sie kritisieren auch nicht in ungehöriger Weise eine Staats- gewalt, die die Rechte des Geschäfts als wirtschaftlichen Sach- zwang durchsetzt. Selbsbewußte werktätige Staatsbürger j a m- m e r n allenfalls darüber, daß die Staatsgewalt Besseres zu tun hat, als sich andauernd bei ihnen für ihre selbstlosen Opfer zu bedanken. Selbstmitleid und nationalistisches Gejammer: Das ist jedenfalls die Melodie, die die Gewerkschaft den "lieben Kolleginnen und Kollegen" vorspielt und die sie mitpfeifen dür- fen, wenn sich mal en CDU-Mann für eine Viertelstunde als Buhmann hergibt. Etwas Hrres kommt garantiert nicht nach - dafür verbürgt sich die Gewerkschaft, die "Widerstand" sagt und damit schwarze Särge und massenhaftes Händchenhalten meint. Außerdem wird in unserer schönen Demokratie jeder Widerspruchs- geist durch eine hauptberufliche Opposition bedient. Und deren größerer Teil, die SPD, hat sich auf eine besonders pfiffige Li- nie verlegt, und sogar jeden Anschein von politischer Kritik zu vermeiden. Sie sucht im Bundestag nach Gelegenheiten, der Regie- rungspolitik Beifall zu spenden - nach dem Motto: Wir selbst hät- ten es kaum besser machen können! - und dann diesen Beifall zur Abstimmung zu stellen, damit deutlich wird, daß die Koalition selbst und vor allem die CSU nicht so geschlossen hinter der Re- gierungspolitik steht wie - die "opositionelle" SPD. Im Rahmen dieses verrückten Theaters erlaubt sich Vogels fade Mannschaft sogar scharfe Töne gegen die Regierung und ihre "Handlungsfähig- keit" - in der Sache schmarotzt sie von den Streitereien, die die regierenden Fraktionen ganz frei und ungezwungen untereinander aufgemacht haben. Die Rolle des Streithansls spielt hier die CSU. Sie pöbelt gegen die CDU und deren Kanzler, wie das schon längst keine andere an- erkannte öffentliche Stimme mehr tut. Strauß' Vorwurf: Die Union würde durch eine prinzipienlose Politik Wahlen vergeigen. Dabei ist schon bemerkenswert, was für "Prinzipien" er empfiehlt, um Wähler zu betören! Das "Vermummungsverbot für Demonstranten" ----------------------------------------- soll verschärft, ein Verstoß dagegen von einer "Ordnungswidrigkeit" zur regelrechten Straftat "aufgewertet" wer- den. Verboten ist es also sowieso schon, wenn Demonstranten sich unerkennbar machen; und zwar mit einer höchst hinterhältigen Be- gründung: In der Demokratie müsse man offenen Gesichts seine Mei- nung sagen, um glaubwürdig zu sein. Als wäre nicht allgemein be- kannt, daß die Vertreter einer abweichenden Meinung in unserem demokratischen Rechtsstaat vorsorglich beim Demonstrieren gefilmt werden, damit man sie bei Bedarf aus der Masse der harmlosen Mit- macher herausfiltern kann - eben mit ihrem unverwechselbaren "offenen Gesicht". Diese Offenbarung vor dem Staats- und Verfas- sungsschutz reicht der CSU aber noch nicht. Ihr Zimmermann will Demonstranten mit der falschen Gesinnung nicht bloß als mögliche Staatsfeinde registrieren, sondern gleich als richtige politische Verbrecher behandeln. D a f ü r reichen ihm die bisherigen Pa- ragraphen nicht aus - zum Festnehmen von Steinewerfern, was immer als Begründung angeführt wird, reichen sie längst. Die CSU tut so, als wäre militantes polizeiliches Durchgreifen gegen politi- sche Abweicher der beste Service, den die Regierung ihren Wählern zu bieten haben könnte. - Und vielleicht ist es ja gar nicht ein- mal falsch kalkuliert, daß harmlose Mitmenschen sich in Gedanken wie lauter kleine private Kettenhunde des Staatsschutzes auffüh- ren, wenn sie zum Wählen aufgerufen werden! Die Folteropfer und Todeskandidaten der Justiz in Chile ------------------------------------------------------- sollen bleiben, wo sie sind, nämlich in den Händen des Diktators Pinochet. Offenbar möchte Strauß nichts auf seinen Gesinnungsge- nossen kommen lassen, der in Chile den Antikommuinismus christli- cher Machart mit den Methoden vertritt, die offenbar dazu passen; er hält nichts von den christdemokratischen Ersatz-Pinochets, um die Blüm und Geißler sich kümmern. Und weil dieser Unterschied dem bundesdeutschen Stimmvieh nun wirklich egal sein kann, ver- bindet die CSU ihre außenpolitische, Vorliebe für linientreues Blutvergießen gleich noch mit dem innenpolitischen Dauerbrenner der "Asylantenfrage". An den Opfern des chilenischen Staatsterro- rismus stellt sie klar, daß Asylbewerber mit politischen Gründen zunächst einmal als kriminelle Unruhestifter verdächtigt und als bundesdeutsches Sicherheitsproblem behandelt werden müsten. (Asylbewerber ohne politische Gründe sind demgegenüber "Wirt- schaftsflüchtlinge" und gehören sowieso und von vornherein abgeschoben...) Die CSU tut so, als wäre es den Wählern am aller- liebsten, wenn die Bundesrepublik keinem politisch verfolgten Ausländer - mit Ausnahme der armen Opfer des bösen Kommunismus, versteht sich - das Leben rettet, geschweige denn erleichtert. - Und wer weiß, am Ende hat sie damit gar nicht so unrecht, daß brave Menschen, wenn sie sich Wahlgedanken machen sollen, auch noch die Todesopfer unserer hervorragenden freiheitlichen Welt- ordnung nach nationalistischen Gesichtspunkten verbuchen! Die Atomraketen der Bundeswehr ------------------------------ dürfen eigentlich nicht weg. Schon die "Preisgabe" der "Nachrüstungs"-Waffe Pershing-2 ist für Strauß und Genossen im Grunde ein unverzeihlicher Fehler; erst recht die "doppelte Null- Lösung", die einen - immerhin vorerst aufgeschobenen - Verzicht auf die weniger weit reichenden Pershing-1-A einschließt. Damit würde - so die CSU - die atomare Bedrohung der BRD "singularisiert": Sie allein wäre noch sowjetischen Atomraketen ausgesetzt, ohne umgekehrt - so wie Frankreich und Großbritannien - die Sowjetunion selbst mit (quasi) eigenen Atomraketen bedrohen zu können. Die Bundesregierung vermag da angesichts der NATO-Ar- senale beim besten Willen keine atomare "Sicherheitslücke" zu entdecken. Strauß hingegen sieht die Bundesrepublik allen Ernstes in der Rolle eines - dank NATO-Waffen - e i g e n s t ä n d i g e n A t o m k r i e g s g e g n e r s d e r S o w j e t u n i o n; sonst müßte es ihm und seinem Ge- sinnungsfreund Dregger ja nicht als gefährliche Schwächung der bundesdeutschen Macht vorkommen, wenn die Bundeswehr ein paar Mittel zur direkten atomaren Verwüstung der Sowjetunion aus der Hand gibt. Dabei tut die CSU glatt so, als wäre diese Fähigkeit zum nuklearen Raketenangriff das Höchste, was sich ein bundes- deutscher Wähler von seiner Regierung versprechen könnte. - Wo- möglich ist ja sogar da etwas daran, daß ansonsten unkriegerische Menschen, sobald sie als Wähler über die Weltlage nachdenken, dazu bereit sind, eine Bundeswehr ohne garantierte Fähigkeit zum Abschlachten der Sowjetmacht für ein einziges Sicherheitsrisiko zu halten! Bei diesem ganzen Koalitionsstreit kann man Strauß und seiner CSU eins allerdings sicher nicht vorwerfen: Sie passen ihr politi- sches Programm nicht opportunistisch einem irgendwie vorgegebenen Publikumsgeschmack an. Zwar reden sie bei jedem politischen Thema mit Vorliebe über die Wahlchancen der Union, und daß diese nur auf die CSU-Tour zu sichern wären. Aber damit drücken sie nur ihr oberstes und wichtigstes politisches Glaubensbekenntns aus: Eine Republik, in der nicht die hartgesottenen Politchristen das Sagen haben, ist für die CSU grundsätzlich nicht in Ordnung Das sollen sich vor allen Dingen die Wähler hinter die Ohren schreiben. Deren Wählergeschmack soll sich gefälligst an den CSU- Rezepten für eine militante, nationalistische, militärisch groß- mächtige Republik orientieren und nach immerwährender Herrschaft der C-Männer rufen; sonst liegt der Wähler falsch, nicht die Par- tei. Die Unionsparteien liegen nur dann falsch, wenn sie dem Wäh- ler auch noch ein paar lockere politische Auffassungen gestatten und auch die noch bedienen wollen. Das ist schon der ganze "Prinzipienstreit", mit dem die CSU die regierende Koalition be- reichert. Dabei tun Strauß und seine Knechte ganz unverfroren so, als wäre es der beste Dienst, den Wähler sich wünschen können, wenn die C-Parteien mit möglichst unbeschränkter Macht und abso- luter Mehrheit über sie regieren, ohne anderen Standpunkten auch nur den Anschein einer Berechtigung zuzugestehen. Aus diesem reichlich t o t a l i t ä r e n H e r r s c h a f t s- a n s p r u c h speist sich die Unzufriedenheit, mit der Strauß als Regierungsmacher gleich auch noch die Rolle der einzigen ernstzunehmenden Opposition übernommen hat. So kriegt der Mensch auf alle Fälle die Ansprüche strammer natio- naler Politik beigebracht, nach denen er sich als Wähler richten soll. Auch wenn, einer die Strauß-Linie nicht teilt, so bezieht er doch aus ihr die Maßstäbe, an denen die Politiker sich unter- scheiden. Dank Strauß erscheinen Bangemann in der Vermummungs- frage als liberal, Blüm und Geißler in der Chile-Frage als links- radikal, Kohl und Genscher bei den Raketen als Pazifisten. So setzt sich die Wende-Republik durch - mit ihrer Härte nach innen, ihren Großmachtansprüchen nach außen und ihrem "sozialen Frie- den", der für beides so ungemein gut zu gebrauchen ist. zurück