Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN PARTEIEN - Vom Beruf des Politikers
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DER BERUF DES POLITIKERS IN DER DEMOKRATISCHEN DEUTSCHEN REPUBLIK
Aus aktuellem Anlaß - schließlich tobt in der Bundesrepublik ge-
rade der Wahlkampf - befaßt sich mancher Bürger mit der heißen
Frage, was für Persönlichkeiten er da eigentlich vor sich hat.
Man wird von ihnen umworben, sie "kämpfen um jede Stimme", indem
sie es auf öffentlichen Plätzen vor ihren versammelten Anhängern
erzählen; sie lassen sich interviewen, damit ihre Botschaften un-
ter die Leute kommen, und die Bilder der wichtigsten unter ihnen
hängen an Plakatwänden. Der Eindruck, den sie beim Publikum hin-
terlassen, scheint ziemlich bedeutsam für den Ausgang der Wahl zu
sein - jedenfalls ist die Anstrengung der Kandidaten nicht anders
zu erklären. Sie bemühen sich, ein ordentliches B i l d, von
sich, abzugeben, eine gute Figur zu machen, so daß sich ihren
Mitbürgern draußen im Land bisweilen das Rätsel aufdrängt, wie
diese ihre Politiker wohl "in Wirklichkeit" seien. Solche Überle-
gungen sind freilich ganz überflüssig, weil sie davon ausgehen,
daß sich die Herrschaften verstellen - und ganz naiv übersehen,
daß sie sich selbst und das I d e a l von sich in ihrem Beruf
d a r s t e l l e n. Und wer so etwas tut, der i s t auch ent-
sprechend.
Vom Beschluß, Politiker zu werden
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Wer in die Politik geht, darf mit Fug und Recht als
A u s s t e i g e r bezeichnet werden. Er verläßt sein bürgerli-
ches Gewerbe, vernachlässigt es teilweise oder ganz - aber nicht,
weil er "null Bock" in der Besichtigung seines Seelenstrebens
ausgemacht hätte. Im Gegenteil, Leute, die in die Politik ein-
steigen, sind schwer motiviert. Sie fühlen sich berufen, die
S t a a t s g e s c h ä f t e durch ihren persönlichen Einsatz
und nach ihren Vorstellungen anständig und/oder ordentlicher zu
verrichten. Ihr Entschluß hat eine sehr grundsätzliche
P a r t e i n a h m e f ü r d e n S t a a t zur Grundlage,
egal, ob die persönliche Note des Wirkenwollens mehr in Richtung
"Recht und Ordnung", "innerer Frieden", "Gerechtigkeit" oder
"Ansehen der Nation in der Welt" geht. Von den großen Linien der
staatlichen Aufgaben, von den längst katalogisierten "Problemen"
der Politik sind Leute, die sich in ihr engagieren, allemal über-
zeugt. Die staatlichen Ämter sind ihnen samt ihren Zuständigkei-
ten bekannt, und zur Ausübung der einschlägigen Kompetenzen hal-
ten sie sich für kompetent. Es drängt sie, "Verantwortung zu tra-
gen" und mit ihrem Tun an der A u s ü b u n g d e r
S t a a t s g e w a l t mitzuwirken.
Der Weg dahin - ins Amt - das wissen die Aspiranten - führt in
einer Demokratie über die Parteien (Mehrzahl!), so daß sie sich
im politischen Verein ihrer Wahl und um ihn verdient machen. Da
heißt es, sich versammeln, abstimmen, reden und organisieren -
doch derlei Anstrengungen lassen sich als O p f e r für die
dringend erforderliche Politik abbuchen. Immerhin geht es erwie-
senermaßen nicht um ein partikulares Interesse, sondern um den
Handlungsbedarf des A l l g e m e i n w o h l s. Dessen Erfolg
steht nämlich auf dem Spiel, wenn es nicht die Richtigen, also
man selbst, in ihre Obhut nehmen. Gefragt sind also Ideen, die
zeigen, wie man sich auf den U m g a n g m i t den Bürgern und
ihren Interessengegensätzen versteht. Diese Ideen verlangen dem
Mann der Politik das Äußerste ab, trifft er doch in der von Wäh-
lern vollen Gesellschaft auf lauter konkurrierende Anliegen. Wo
Geschäftsleute und Grundbesitzer Hindernisse auf dem Weg ihres
ehrenwerten Erwerbs entdecken, gelangen Arbeitnehmer und Mieter
ausgerechnet zur Behauptung von allerlei Ansprüchen und Lebens-
rechten. Rentner und Sportvereine, Gegner einer Umgehungsstraße
und Befürworter einer Fußgängerzone liegen sich in den Haaren -
und alle melden ihre Begehren bei der Instanz an, um deren Ver-
waltung sich ein Vertreter des Allgemeinwohls verdient machen
will. Der wiederum kann an solch schwierigen Aufgaben nur wach-
sen. Er entnimmt dem W i d e r s t r e i t der Interessen erst
einmal die W i c h t i g k e i t seines entscheidungsbeflisse-
nen Engagements; und daß der Staat quasi selbstverständlich als
Adressat für alle unzufriedene Bürger gehandelt wird, läßt ihn
endgültig seiner Verantwortung gewahr werden. So gibt er prinzi-
piell allen Anträgen recht; um sie dann nach Maßgabe der
"Sachzwänge" zu sortieren, in solche, denen er seine politische
Förderung nicht versagen will, und andere, die er einfach nicht
für "machbar" hält und in die Schranken weist. Ganz locker - und
nicht etwa, weil er Kapitalisten bevorzugt - gelangt er zu der
Überzeugung, daß "die Wirtschaft" das Letzte ist, was staatliche
Beschränkungen verträgt. Denn von ihren Erfolgen hängt so gut wie
alles ab - die Arbeitsplätze, die Beiträge für die Kassen, die
den Kommunen verfügbaren Gelder, die Steuern, die Bautätigkeit
usw, und so fort. Echt überparteilich vergißt er bei seinen ab-
lehnenden Bescheiden nicht hinzuzusetzen, daß er mit seinen Prio-
ritäten allemal die B e d i n g u n g e n schafft für die vor-
läufig zurückgestellten Maßnahmen.
Die seriöse Wahrnehmung der staatsmännischen Pflichten wird zwar
etwas erleichtert dadurch, daß der K a n o n d e r I d e e n,
in denen ein Politiker zu Hause sein muß, ziemlich fest umschrie-
ben ist. Einerseits in den längst eingeteilten Ressorts, in denen
sich Politiker in Kommunen, Ländern und Bund die Aufgaben der
stets fälligen Staatsaktionen aufteilen. Andererseits durch den
äußerst flexibel handhabbaren Gesichtspunkt, der dem Geld gilt.
Ein ernstzunehmender Politiker prüft in der von ihm zu regieren-
den Gesellschaft alle Wünsche und Anträge genau. Dabei hütet er
sich, einfach zu sagen, welchem Ansinnen er nachgeben w i l l
und welchem nicht. Im Grunde trägt er Verantwortung für alle und
wenn er dann doch nicht unser a l l e r Bestes tut, so kommt
das allemal von den B e s c h r ä n k u n g e n her, die seinem
guten Willen durch die M i t t e l d e s S t a a t e s aufer-
legt sind. Es gehört zu elementaren Handwerkszeug des Berufs,
Geld für die unabdingbaren Aufgaben locker zu machen, um es an
anderer Stelle wieder zur Verfügung zu haben. Natürlich liegt die
Entscheidung darüber, was n o t w e n d i g und was "leider"
n i c h t m ö g l i c h ist, ganz in der Macht des Politikers;
schließlich will er sie ja, die Macht, damit er diese Entschei-
dung treffen darf. Dennoch läßt sich an diesem Verfahren von de-
mokratischen Amtsträgern ermessen, wie schwer sie an ihrer Ver-
antwortung zu tragen haben. Sie entscheiden nicht nur, sondern
begründen es auch noch ganz zuvor, kommend dem Bürger gegenüber.
Sie belehren alle unzufriedenen Landsleute unermüdlich darüber,
daß Politik r e a l i s t i s c h gehen muß und daß sie mit der
Macht recht eigentlich einen Haufen Sachzwänge übernommen hätten,
der sie immer wieder zur O h n m a c h t verurteile.
So richtig schwer jedoch fällt die Vermittlung der politischen
Vernunft, für dieser Berufsstand geradesteht, wenn das Allgemein-
wohl seine Vertreter vor die Alternative stellt, vor der sie sich
am meisten scheuen: Die Rede ist von der Unterlassung einer von
Bürgers Seite angeregten Maßnahme, und zwar aus dem Grund, weil
das g e l t e n d e R e c h t sie nicht zuläßt. Dieser dem
Rechtsstaat ergebenen Praxis werden nur wenige Demokraten, im Po-
chen aufs Recht geübt, ihr Mißtrauen entgegenbringen. Nur gibt es
da andererseits auch Maßnahmen, die sein müssen; ohne die der
Staat nicht mehr das wäre, was er unter einer guten Führung zu
sein hat: das unanfechtbare L e b e n s m i t t e l für Jung
und Alt, Wirtschaft und Arbeit, Studenten und Mieter, Frauen und
Demonstranten. In solchen Fällen bleibt dem Politiker nichts an-
dere übrig, als das Recht zu ändern. Willkür ist ihm nämlich
fremd, dem berufenen Sachwalter des Gemeinwesens. Entweder er
hält sich ganz devot an die Gesetze - oder er macht sie so, daß
sie seinem Auftrag entsprechen. In solchen Fragen ist nicht nur
Mut, sondern auch Fingerspitzengefühl geboten, zumal die Setzung
der Prioritäten ganz in das Ermessen des Staatsmannes fällt, dem
- das soll hier nicht verschwiegen werde - längst auch Staats-
frauen heftig Hilfe leisten und Konkurrenz machen. Und die Kon-
kurrenz um die Macht findet ja zudem immerzu so statt, daß einmal
Gesetzestreue, das andere Mal gesetzgeberischer Handlungsbedarf
eingeklagt wird.
Die charakterliche Eignung
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für den Beruf des Politikers ist also so ohne gar nicht. Es be-
darf eines ausgeprägten W i l l e n s z u r M a c h t, der
Überzeugung, daß es am besten ist, anderen Leuten vorzuschreiben,
wo's lang geht. Diese Sicherheit, man wüßte sehr genau Bescheid
über die "Rahmenbedingungen" und die Ordnung, die im Grunde je-
dermanns Interesse entsprechen oder es in die richtigen Bahnen
lenken, ist aber nur die halbe Miete. Hinzu kommt die tiefe Ein-
sicht, daß man es garantiert nicht jedem recht machen kann - also
eine selbstkritische Bescheidenheit, was die Wirkung auf die mit
Politik beglückten Leute angeht. Zweifel allerdings am Sinn des
erbrachten Opfers, an der eigenen M i s s i o n gar sind, auch
wieder nicht förderlich - sie lähmen die Entscheidungskraft, die
das Amt gebietet. Allenfalls die Erkenntnis, daß sich die mit dem
Amt erworbene Macht an Sachzwängen bricht, die der
H a n d l u n g s f r e i h e i t Grenzen ziehen. Diese Erkennt-
nis läßt - sich auch gut an enttäuschte Wähler weitergeben; teils
mit dem Ausdruck des Bedauern, teils in Form tatkräftiger Beleh-
rung von Kritikern, die einsehen müssen, daß ihre Alternativen
nicht realistisch sind, also in der Politik nichts zu suchen ha-
ben.
Die F ä h i g k e i t z u m L e r n e n ist mithin eine unab-
dingbare Voraussetzung für den politischen Beruf. Erlernt werden
muß der M a ß s t a b d e s S t a a t e s, der sich von allen
privaten Interessen in der Gesellschaft gründlich unterscheidet;
daraus ergibt sich auch der Kern des S e l b s t b e w u ß t-
s e i n s, ohne das ein Politiker nicht weit kommt: Die
Erledigung des politischen Geschäfts ist d i e B e d i n-
g u n g dafür, daß alle anderen Geschäfte - von den diversen
Arten des Erwerbs übers Heiraten bis zur Meinungsäußerung -
überhaupt gehen. Diese Ausnahmestellung verpflichtet eine
verantwortungsbewußten Politiker darauf, von seinem Recht Ge-
brauch zu machen, zu bestimmen, wie die Regierten ihre Interessen
zu verfolgen haben und welcher Mittel sie sich dabei bedienen
dürfen. Eine gewisse Erleichterung bei dieser schweren Aufgabe
bieten dem Politiker da die Artikel des Grundgesetzes, durch die
wenigstens schon einmal die grundsätzlichen Erwerbsquellen Eigen-
tum und Arbeit festgelegt sind. So können Sich die Staatsleute
darauf konzentrieren, die K o n s e q u e n z e n, die daraus
folgenden Gegensätze zu regeln. Streng nach dem Gleichheitsgrund-
satz verfügen sie, was jedermann zu tun und zu lassen hat. Ihre
gesetzlichen Richtlinien und die Aufsicht ihrer Befolgung betref-
fen das Bankgewerbe ebenso, wie den Rhein und die Arbeitslosen.
Und wenn die Segnungen des politischen Wirkens in sehr unter-
schiedlichen Lebensverhältnissen Niederschlag finden, wenn Rechte
und Pflichten, Reichtum und Armut etwas kontrastreich verteilt
sind, so liegt das nicht an der Verletzung des Gleichheitsprin-
zips durch den Staat, sondern an der Gleichbehandlung, die die
Regierung den unterschiedlich bemittelten Bürgern zuteil werden
läßt. Und die Verfassung ist ohnehin unantastbar, mithin auch die
Abhängigkeit von allem und jedem, sogar der Politik, von "der
Wirtschaft".
In diesem ' Sinne ist die Leistung der Menschen, die sich der Po-
litik verschreiben, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Sie ma-
chen sich allen Ernstes das Allgemein wohl zu ihrem privaten Le-
bensauftrag. Sie nehmen es auf sich, allen anderen Bürgern - de-
ren politisches Engagement sich im Abgeben von Wählerstimmen er-
schöpft - die Richtlinien ihres Handelns zu präsentieren. Und das
nicht aus Eigennutz, sondern nur mit dem G e l i n g e n d e s
G e m e i n w e s e n s im Kopf. In dessen Gestaltung investie-
ren sie ihre ganze Kraft, und als ihren p e r s ö n l i c h e n
E r f o l g kennen sie nur den E r f o l g d e s
S t a a t e s, dem sie dienen. Sie kümmern sich um die Landes-
verteidigung, obwohl sie selbst gar keine Soldaten sind; um die
Ladenschlußgesetze, obwohl sie selbst gar keinen Laden haben; um
das Streikrecht, obwohl sie selbst nie streiken wollen; um die
Sittlichkeit der Familie, obwohl ihre eigene Familie unter der
Bürde ihres Berufes leidet; um die Menschenrechte im Ausland, ob-
wohl sie dort gar nicht leben. Kurz: Sie betätigen sich freiwil-
lig als C h a r a k t e r m a s k e n ihres Staates, dessen
Fortkommen den ganzen Inhalt ihrer Karriere ausmacht. Insofern
geht es sicher auch in Ordnung, daß sie nicht darben und von Ge-
setzes wegen vorgesehen ist, daß sie im schäbigen Rest ihres Pri-
vatlebens nicht zu kurz kommen. Fragwürdig hingegen erscheint die
Last, die sich diese noblen Leute mit der
R e g i e r u n g s f o r m d e r D e m o k r a t i e aufge-
bürdet haben.
Als wäre der Entschluß, ganz in den Sorgen der politischen Gewalt
aufzugehen, kein hinreichender Ausweis für die moralische Befähi-
gung zu den verantwortungsvollen Ämtern; als wollten sie im Be-
wußtsein ihrer Ausnahmestellung als Elite unter den Staatsbür-
gern, die sich ja mehrheitlich nur ihrem privaten Glück widmen,
wirklich nur die B e s t e n unter sich mit dem höchsten
Staatsdienst betrauen, halten sie daran fest, daß
K o n k u r r e n z auch der Politik nur nützen könne. Und sie
überlassen die Entscheidung darüber, wer Staat machen darf, zu
allem Überfluß den vielen Bürgern, die wegen ihrer eigennützigen
Einstellung eher unzufrieden mit den Leistungen der Politik sind.
In Parteien organisiert verpflichten sich die Vertreter des poli-
tischen Standes darauf, sich untereinander zu messen. Von dersel-
ben Sorge getrieben, vom selben Staatsgeist und vom einzigen Ge-
danken an gute Regierung beseelt, erlegen sie sich die harte Prü-
fung auf, sich vom Wähler und dessen launischen Vorstellungen
v e r g l e i c h e n zu lassen. Die Folgen sind nur allzu be-
kannt: S t r e i t entbrennt ausgerechnet unter denen, die das-
selbe wollen; dazu verdammt, sich auch noch unterscheiden zu müs-
sen, machen sich engagierte Demokraten daran, ihre
E i n i g k e i t i n d e r S a c h e in Frage zu stellen.
Und zwar durch lauter Techniken, durch die sie sich vor den ih-
nen gleichgesiniten Aspiranten auf die Macht a u s z e i c h-
n e n.
Das Leben als Wahlkampf
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Mit der unbeirrbaren guten Meinung von sich, ein bißchen zum
F ü h r e n das Zeug zu haben, ist es noch lange nicht getan.
Auf die Idee, dem Angebot der Parteien zu folgen, kommen jede
Menge Leute - und wenn irgendein Verein über seine "dünne Perso-
naldecke" Beschwerde führt, geht es hauptsächlich um national re-
spektable Zugpferde, die beim Wähler so ankommen wie erfolgrei-
che, aber abtretende Retter des Vaterlandes. So finden sich schon
extrem junge Menschen mit allerlei "K o n z e p t e n" im Kopf
bei den Parteiorganisationen ein, die für die Rekrutierung auf
der einen, für die Präsentation der Partei auf der anderen Seite
unterhalten werden. Die "Konzepte" haben sie gewöhnlich aus dem
zirkulierenden Ideengut der politischen Hauptrichtungen, und ihre
jugendliche Unerfahrenheit beweisen sie weniger dadurch, daß sie
den Staat als die einzig realistische Chance ansehen, um ihren
Tatendrang hin zur "Weltverbesserung" geltend zu machen; vielmehr
dadurch, daß sie die Staatsvereine noch auseinanderhalten können.
Das ist den arrivierten Betreuern des Parteinachwuchses sehr
recht, weil jede Partei einen kleinen Unterschied braucht, mit
dem sie statt der anderen den Zuspruch der Wähler einheimst.
Hinzu kommt, daß der jugendliche Eifer - ganz gleich, ob er sich
in der Jungen Union oder bei den Jungsozialisten betätigt stets
als Ausdruck der Unzufriedenheit und als W i l l e z u r
V e r ä n d e r u n g daherkommt. Diese Verwechslung des politi-
schen Regelungsbedürfnisses mit dem Bemühen, gute Werke zu tun,
ist enorm brauchbar.
Dennoch werden die Aktivisten des Parteilebens weniger mit Kom-
plimenten bedacht als einem Test unterzogen, und zwar von ihres-
gleichen wie von den Altgedienten. Ihre B r a u c h b a r-
k e i t f ü r d i e P a r t e i wird ihnen als das Kriterium
ihres Erfolgs nahegelegt. Dabei spielt das Abschleifen ihrer
idealistischen Gesinnung am schwer dialektischen Verhältnis von
wünschbar machbar seine Rolle, nicht minder die Einsatzfreude und
wählerwirksame Wirkung aufs Publikum. So machen die Jungpolitiker
aus der studierenden Jugend, die ohnehin wie ein Sozialkunde-
lehrbuch denkt, dieselben Erfahrungen wie die, welche die
ideologischen Launen eines gewerkschaftlich orientierten
Elternhauses ins politische Engagement verschlagen haben: Sie
müssen durch ihre Mitarbeit beweisen, ob sie bloße Anhänger der
Partei sind und bleiben wollen - oder zu mehr bereit und fähig.
Die meisten haben eben die Zeit und den unbändigen politischen
Willen doch nicht, die für die erste Zeit fällige
"Doppelbelastung" von Beruf und Politik zugunsten letzterer zu
entscheiden. Gesucht wird also nach denen, die laut "Hier!"
schreien, wenn einer der - nicht zu knappen - Posten zu vergeben
ist. Wer zum Schriftführer im Ortsverband Eichstätt Süd gedrängt
werden muß, taugt nicht viel auch wenn er den Posten doch annimmt
-, er zählt dann unter die "treuen Seelen"; wer aber den Schrift-
führer macht, weil er sich gute Chancen auf den 2. Ortsverbands-
vorsitzendenposten ausrechnet - den mag die Partei gut leiden.
Man konstatiert "gesunden Ehrgeiz" und ein für die Partei nützli-
ches Karrierestreben - "der Mann/die Frau scheut nicht vor der
Drecksarbeit zurück". Ab sofort gibt es jemanden, der ihn/sie "im
Auge behält". Das sieht dann so aus, daß dem jungen Mann/der jun-
gen Frau häppchenweise immer mehr Verantwortung in der Partei und
im "öffentlichen Leben" übertragen wird.
In der Partei heißt es, sich gegen die Konkurrenten in den eige-
nen Reihen durchzusetzen und die Durchsetzung der Partei gegen
die anderen Parteien zu befördern. Diese beiden Aufgaben müssen
Hand in Hand gehen, denn nur wenn man in der Partei nach oben
kommt, k r i e g t man die Posten, und nur wenn man die Partei
an die Macht bringt, g i b t es die Posten.
Diese Regel gilt für den Gemeinderat an der Fulda genauso wie für
den Listenplatz bei den Wahlen zum Landesparlament oder zum Bun-
destag. Gelernt wird dabei vor allem eines: daß in einer politi-
schen Karriere Taktik = Berechnung das Denken anzuleiten hat, so
daß es sich umgekehrt darstellen läßt. Eine gewisse F e s t i-
g u n g d e s C h a r a k t e r s bleibt da nicht aus, und
nach ein paar Jahren Parteiarbeit gilt die Frage nach attraktiven
Themen und Problemen als der Inbegriff politischen S a c h-
verstandes.
Da sich das alles nur aufgrund einer Ü b e r z e u g u n g von
der eigenen und der Partei Mission machen läßt, ist der Verdacht
des Opportunismus völlig fehl am Platz. Selbst die Kritik, die
angelegentlich eines Mißerfolgs natürlich fällig ist und ebenso
natürlich auch "personelle Alternativen" ins Spiel bringt, hat ja
nur den Erfolg der gemeinsamen Sache im Auge. Sie ist ebenso
s o l i d a r i s c h wie die rückhaltlose Unterstützung eines
Vorsitzenden, dem die in einer Wahl gewonnenen 2% unwidersprech-
lich recht geben. Sein Verdienst ist unübersehbar, ebenso wie die
positive Wirkung des Programms nur dessen Qualität beweist. Umge-
kehrt sind widrige politische Konjunkturen nur der Index dafür,
daß ein Programm neuen Typs her muß. Wer sich nach einer Wahlnie-
derlage nicht zu einem wenigstens ein bißchen grundsätzlichen
U m d e n k e n herbeiläßt, dem geht es eindeutig nicht um die
S a c h e, um die es geht.
Die Karriere im Staat
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Einer, der sich in der Partei bewährt, wird von ihr mit der Wahr-
nehmung von Staatsgeschäften betraut. Je mehr einer in ihr nach
oben kommt, desto klarer, daß er zu einem Gebrauch der Staatsge-
walt taugt, der wiederum der Partei in Form von Stimmen zugute
kommt. Das läuft natürlich auch umgekehrt: Wer sich auf dem ihm
anvertrauten Posten bewährt, empfiehlt sich in der Partei für hö-
here Aufgaben.
Der Befehl über die r e c h t m ä ß i g e S t a a t s g e-
w a l t beginnt beim "kleinen" Kreisverwaltungsreferenten, der
im Namen des städtischen "Erscheinungsbilds" Stadtstreicher,
Prostituierte und Maßkrüge so verwaltet, daß die penible
Einhaltung noch der letzten Detailvorschrift dem Bürger als
"Grundlage des Zusammenlebens" nachdrücklich eingeschärft wird;
und endet beim Bundeskanzler, der mit einem einzigen Beschluß
Millionen verarmen oder in den Krieg schicken kann. Die Karriere
ist ablesbar am U m f a n g der Gewalt, die ihm anvertraut
wird. In den höheren Rängen der parteipolitischen Hierarchie hat
es zwar mit der Konkurrenz kein Ende. Immerhin aber steht fest,
daß die wesentlichen Härtetests der politischen Karriere
bestanden sind. Wer für einen Ministerposten oder gar für die
Kanzlerkandiqatur in Frage kommt, ist ein Staatsmann. Das sieht
jeder schon daran, daß die Person "im Gespräch" ist, von
Meinungsumfragen und den Medien betreut wird, so daß ihre Vor-
stellungen als eine Variante des gültigen Nationalbewußtseins
zählen.
Das ist nicht verwunderlich. Was immer man/frau gegen eine Figur
solchen Kalibers einwenden mag - unbestreitbar bleibt, daß sie
nicht zufällig, sondern durch den Respekt des Wählers dort ange-
kommen ist, wo sie steht. Dieser Respekt muß sich verschafft wor-
den sein, Was, in die vorzügliche Eigenart der Person übersetzt,
"Durchsetzungsvermögen" genannt werden kann. Diese seine
L e i s t u n g nimmt sich ein Politiker der ersten Garnitur
ohne falsche Selbstzweifel, aber auch ohne Überheblichkeit zu
Herzen. Er weiß, daß er nicht ruhen noch rasten darf, wenn er
sich nicht am Sinn und Zweck seiner Mühen vergehen will. Er
treibt nicht einfach Politik, sei es auf der Regierungs- oder Op-
positionsbank, sondern kümmert sich unermüdlich um seine
G l a u b w ü r d i g k e i t.
Das ist nicht ganz einfach, obwohl es geht. Selbstdarstellung ist
nämlich keine Aufforderung zur Prüfung dessen, was man tut. Eher
die Erinnerung daran, daß einem der Erfolg recht gibt. Und die
Aufforderung, die Führung der Nation dem zu übertragen, der ga-
rantiert nichts anderes vorhat. Insofern ist der Beruf des Poli-
tikers doch nicht so schwer. Zumindest so lange nicht, wie so ei-
ner darauf setzen kann, daß die Wähler wirklich kein anderes Pro-
blem haben als er selbst: eine gute Führung. Dann ist auch das
S e l b s t l o b der Charaktermaske d a s A r g u m e n t
für ihre Ermächtigung.
Literaturhinweis:
Vgl. auch den Gegenstandpunkt "Parteien" in MSZ Nr. 10/1986
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